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Kapitel 4

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Louis s,schläft noch!

Es ist eine s,Seltenheit, ihn s,schlafend zu s,sehen, ist er doch alleweil lange vor mir wach. Er ist bestimmt ganz s,sehr zufrieden über meinen Erfolg, ich meine, dass die Menschen gesehen haben, dass ich auch was kann. Die Quarkspeise war mehr als in Ordnung und das Lied war echt gut, weil ich es spürte. Louis ist s,so s,stolz auf mich. Während ich s,sang, habe ich ihn genau beobachtet, wie er die Leute angesehen hat, wie s,sie reagieren, und er hat mit den Tränen gekämpft. Und Papa – Papa ist aus allen Wolken gefallen; he, he, s,so hat er mich nie erlebt, wie er das der Mama erzählt!

Ich habe ruhige, s,sanfte Gitarrenmusik aufgelegt, Ottman Liebert – „Luna negra“. Louis s,schmachtet wie ein s,Schmetterlingskind (das s,schreibe ich ihm auf, das ist gut) und s,sehe ihn an in s,seiner kleinen Molligkeit, die dünnen Beine ineinander verschränkt, die hübschen Zehen, hi, hi!

Louis s,sagt, wenn ich noch lange s,seine Tagebücher lese, werde ich s,so reden wie er s,schreibt. Das s,stimmt. Mir gefällt s,seine Wortwahl und mir gefällt, dass bei ihm nichts zusammen passt. s,Seine große, bestimmende Nase passt nicht zu s,seinen s,sinnlichen Lippen, aber die harmonieren s,so gut mit s,seinen dunklen, guten Augen. Louis hat den Hals einer Frau, Louis hat die s,sensible Haut einer Frau, Louis hat die Beine einer Frau und Louis hat einen s,schönen s,Schnuffi. Louis ist weich, hat aber s,starke Hände mit großen Handrücken, die in s,schmale, s,schlanke Arme übergehen.

Ich erzähle wie Louis, echt! Louis ist unschlagbar menschlich (das s,schreibe ich ihm auf, das gefällt…). Louis hat einen kleinen, aber größeren wie ich, weichen Busen, von s,seiner ewigen Biertrinkerei.

Das war wirklich mein s,schönster Abend gestern. Ich hätte nicht gedacht, dass es s,so s,sein kann. Ich meine, dass mir die Leute gar nichts ausmachen. Bisschen beschwipst war ich s,schon, als ich s,sang. Gotti, ich hatte s,solchen Mut. Der Louis hat, glaube ich, gar nichts getrunken, fällt mir gerade ein, auf alle Fälle kein Bier, nein! Vielleicht hat er ein Glas Wein getrunken? s,Stimmt, ich habe ihn nichts trinken s,sehen, muss ihn danach fragen. Aber Papa hat getrunken und er ist auch diesmal nicht s,schlau geworden aus Louis, aber er ist einmal etwas aus s,sich herausgegangen. Louis hat Lisbeth auf ihn gehetzt. Das war das Beste.

Ich glaube ganz wirklich, dass die Leute mal gesehen haben, wie gut wir zusammen passen. Natürlich denken s,sie s,sich, weiß Gotti, was und lange wird das nicht dauern, aber es wird dauern. Es wird s,solange dauern, bis... Das denke ich nicht!

Ha, Louis hat s,so gestaunt, dass ich den Quark gemacht habe. Ich kannte das Rezept vom Kindergartenkochen. Da hat er wirklich gestaunt.

Ob Louis mir s,so ein kleines elektrisches Klavier kaufen kann?

Wieso s,schläft er s,solange, wenn er nichts getrunken hat? Verliert bisschen s,Spucke auf’s Kissen, s’ Baby.

Ich weiß, heute machen wir uns einen total faulen Tag. Wir frühstücken bestimmt beim „Juan Carlos“, dann gehen wir auf den Markt und Louis fragt dreimillionenmal: „Was magst du?“ und dann kauft er doch ein s,Suppenhuhn, und wir machen den Ausflug in die Berge und ich fahre das Auto.

***

Julia freut sich sehr auf unsere kleine Reise, denn bisher waren wir nur an Wochenenden unterwegs. Sie hat sich für diese Zeit mit Mädchenkrankheit in der Schule entschuldigt. Um sechs Uhr früh war sie heute, glaube ich, schon auf, denn als ich kurz nach sieben in die Küche kam, war Julia schon beim Bäcker und Metzger gewesen, obwohl sie nicht gerne in die Mörderbude geht. Sie hat eingekauft, als gälte es einen Schulbus voller Kinder zu versorgen.

Baguette, Brötchen, Brezel, Salzstangen und Bauernbrot. Bestimmt ein Pfund Wurstaufschnitt und ebensoviel Käse.

Rote Backen hat sie vor Hektik.

Sie schneidet Brot und Brötchen auf, bestreicht sie mit Butter, belegt sie mit Wurst oder Käs. Nebenbei kocht sie noch ein Dutzend Eier. Die Kaffeemaschine sprudelt und in der großen Kanne zieht ihr grüner Tee.

„Julia“, sage ich, „wir sind nur ein paar Stunden unterwegs, können jederzeit irgendwo einkehren!“

„Nichts da“, antwortet sie wild, „s,so gehört s,sich das zu einer Reise. Das hast du mir s,selbst erzählt!“

„Vor vierzig Jahren haben wir das so gemacht, wenn ich mit meiner Mutter im Postbus zu ihren Eltern gefahren bin“, erkläre ich ihr.

Julia sieht mich nur ungeduldig an, verpackt jedes belegte Brötchen einzeln in Alufolie. Schade um die Knusprigkeit, so werden sie nach ein paar Minuten lätschig. Aber ich werde mich hüten, etwas zu sagen. Nicht zu glauben, wie sie sich engagiert. Julia wirft alles in den großen Korb, obenauf die Tomaten, Äpfel, Bananen, Joghurtbecher und die Flasche Rotwein für mich.

Nein, ich sage nichts, auch jetzt nicht, da sie die Zwischenräume mit Besteck auffüllt, Gläser in Servietten knüllt und in die Seiten stopft.

„Bist du fertig, bist du fertig?“ ruft Julia tausendmal - und endlich sitzen wir in einem riesigen Durcheinander im Auto. „Wir hätten das in den Kofferraum tun können, Julia“. „Nein, wenn wir was brauchen, haben wir es hier!“

Als ich sie um einen Morgenkuss bitte, zischt sie: „Mann, Männer!“ und fällt mir um den Hals.

Wir sind noch nicht aus der Stadt, da verlangt sie schon einen Becher Tee und ein Käsebrötchen. Eine Sisyphusarbeit, aus den gleich aussehenden Aluknäuel ein Käsebrötchen zu finden.

Also frühstücken wir während der Fahrt. An den Ampelstopps werden wir belächelt. „Ich habe den Foto vergessen, Louis!“

„Nein, ich habe ihn in meiner Tasche.“

„…..und die Filme?“

„Die Filme auch“

„Du hast wahrscheinlich wieder alles für mich mitgenommen!“

„Alles, mein Baby“

„Gut gemacht, Alter“

Ehrlich gesagt, ich hätte nicht gedacht, dass in dieser alten Kiste noch soviel Kraft steckt. Julia fährt so gut, sie ist gelassen, doch konzentriert, nicht aggressiv, aber spritzig und sie fährt übersichtlich (vorausschauend?), frech und vor allem mit Spaß.

Julia genießt es, zu fahren. Sie trägt die rotrandige, große, alte Skisonnenbrille von mir an diesem strahlenden Sonnen-Herbst-Tag, spielt zum x-ten Mal „My funny Valentine“ von Chet Baker auf dem Autorekorder und nebenbei erfülle ich ihre Wünsche…. „Leg’ die Hand auf meinen s,Schenkel“, „leg’ noch mal ‚Bei mir bist du scheen’ von den Andrews Sisters auf“, „leg’ den Arm um mich, Louis“, „leg’ deinen Kopf in meinen s,Schoß“… Und als ich zu ihr sage: „Leg’ doch ein Ei, Baby“, lacht sie los.

Ich leg’ die Rücklehne zurück, schmuse mich in das Polster, nippe den Rotwein, spüre Glücklichsein im Blut, rieche Julia ganz arg.

Ulm – Augsburg, wir umfahren die Stadt München, und Julia sieht im Profil aus wie die junge Callas. Genau!

***

Raststätte Irschenberg, ich musste Pipi, Louis mehr. Wir s,sitzen, weg von der Autobahn, im Restaurant an einer langen Fensterfront und Louis ist begeistert von s,seinem Bayern. Immer und immer wieder weist er mich auf die Landschaft hin. „Wie gemalen, hm!“ Es gefällt mir, wenn er mir erklärt, wie s,schön dies alles ist. Wir s,sitzen inmitten des Chiemgaus mit bisschen Berge im Hintergrund und Louis s,sagt: „Da hinten ist Miesbach, da ist meine Mutter geboren!“

Obwohl ich am Anfang inwendig ein bisschen wütend war, weil er mir jeden Baum beschrieb, s,so bin ich nun froh, weil ich es jetzt auch s,selber s,sehen kann. Die s,sanften grünen Wiesenhügel, hinter denen alle paar Minuten Kirchturmzwiebeln hervorlugen und also auch ein Dorf ist. Blauweiß gestreifte, haushohe s,Stangen – Maibäume – kleine Geräteschuppen in den Feldern – s,Stadl – lustige, witzige Kühe, die beim Kacken lachen und alle fünfzig Kilometer wechselt der Dialekt und Louis ist s,stolz wie einer der bunten Hähne, die tatsächlich fast immer auf einem erhöhten Punkt – Misthaufen – s,stehen. Ehrlich gesagt, habe ich noch keinen Menschen erlebt, der s,so ergriffen ist von dem Land, ich meine der Gegend, in die er geboren ist. Louis s,spricht mit s,so einer Zärtlichkeit von Bayern, die ich ganz allmählich begreife, weil er s,sie mir vorbetet… (das ist gut, ich werde es mir für ihn merken).

Louis hat mir Pfannkuchensuppe bestellt, er s,selbst trinkt dunkles Bier und isst warmen Leberkäse mit Brezel.

Ich merke allmählich, wie Louis s,sich verändert. Immer öfter rutschen ihm bayrische Worte heraus und er wird zärtlich zu mir, ganz von alleine. Er massiert mir den Nacken, küsst meine Hand … Alles, was er machen kann, während er fährt. Ich will mir das ansehen, von dem Louis s,so angeregt wird, fast aufgeregt, und darum habe ich gesagt, dass er fahren s,soll.

Ich liege im s,Sitz und fühle mich s,so was von geborgen… Hey!

Louis hat für mich eine Kassette aufgenommen, nur für die Fahrt. Zum Beispiel diese zärtlichen s,Sachen von Paolo Conte und, haha, „Das Mädchen Julia“, ein Klavierstück von Sergei Prokofjew und das Wahnsinnslied, das mich zu Tränen rührt und ich gleichzeitig tanzen könnte: „Bei mir bist du scheen…“ von den Andrew Sisters.

Louis ist s,so ein Lover, echt…

Die Landschaft ist s,so was von s,sauber! Zumindest vom Auto aus s,sieht es s,so aus. Wie gerade geputzt. Louis fährt gewissenhaft Auto, nicht s,schneller als einhundertzwanzig. Jede Kleinigkeit s,sieht Louis: Balkone mit Geranien, Bauerngärtchen, hey, ein Reh haben wir gesehen am Waldrand, einen lila Jogger im goldgelben Gerstenfeld, Maisfelderseen, wie er s,sagt, und den Wilden Kaiser, ein hohes Bergmassiv am Horizont.

Der Louis hat eine bayrische Kassette eingelegt „s,Stubenmusi“ Gitarre, Hackbrett, Harfe und Bass (s,steht hinten drauf) und es geht s,sehr ans Herz und Louis hat s,so ein entspanntes Gesicht. Er s,sieht mich großväterlich an.

„Weißt du, Julia“, s,sagt er, „jetzt bin ich diese Strecke schon hundertmal gefahren, aber ich habe dabei noch nie so gespürt wie mit dir!“

Louis hat in Prien am Chiemsee gehalten. Wir trinken Kaffee – ich auch – direkt am s,See. Louis hat mir einen warmen Apfelstrudel bestellt. Er redet s,so s,süß bayrisch und s,seine Augen flackern und er ist s,so bestimmend, s,so erwachsen, s,so…

Wir fahren an Traunstein vorbei - seine erste Liebe wohnte dort - Barbara Pflanz, dann Reichenhall – Inge, die mit dem durchgehenden Latexanzug, Bayrisch Gmains – Evi, die große Liebe, die ihn mit in die s,Stadt München nahm.

s,Serpentinen hinauf, die s,Straße ist der frühere Weg der s,Salztransporte, nach Hallturm – Hall heißt s,Salz - Wächter zum Eingang nach Berchtesgaden. Ich komme kaum mehr nach mit s,sehen und hören. Louis s,sprudelt nur s,so vor Begeisterung. „….und pass auf, wenn wir jetzt um die Kurve kommen, siehst du das erste Mal den Watzmann. Und tatsächlich, ein Berggebilde, wie eine Krone gezackt, erhebt s,sich aus dem Taleinschnitt. „Was sagst jetzt, hm, habe ich dir zuviel versprochen?“ „Der s,schönste Berg, den ich je gesehen habe“, s,sage ich, und Louis nickt andächtig.

Wir fahren s,schon eine ganze Zeit an einem Gebirgsfluss entlang – die heißen hier Ache -, kommen nach Winkel und Louis erklärt: „Schau den Bauernhof da oben, der ist vom Hillebrand - ist mit mir in die Schule gegangen, in dieser Siedlung wohnt der Bertl Lang - bei mir in der Klasse, Skispringer. Siehst du die Felswand da, da oben hat der Josef Zweckel gewohnt und der Kastner Christian - alle bei mir in der Schule“. Und endlich kommt Bischofswiesen, wo diese s,Schule s,steht und Louis parkt vor dem Hotel Brenner. Wir gehen aber in das Wirtshaus Brenner und Louis bestellt s,sich dunkles Bier und einen Enzianschnaps und dasselbe für mich, nur kleiner. Louis ist s,so was von aufgeweckt, aufgeregt, s,steckt mich an. Der Enzianschnaps brennt mir den Hals runter, muss mit dem Bier besänftigen. Louis fängt s,so mit mir zu zärteln an, ich kenne den gar nicht wieder. Ich denke wirklich, dass s,sein gemännlichtes Verhalten (das merke ich mir für ihn) hier mit der Gegend, s,seiner Heimat, zu tun hat.

Louis wird väterlich zu mir, tätschelt mir den Hintern, legt den Arm um meine Hüfte und ich bemerke, dass er anders riecht als s,sonst, bisschen nach Harz, glaube ich. Jetzt weiß ich, Louis wirkt auf mich bisschen machoartig, s,so, äh, ja, bodenständig. Oh Gotti, wie bin ich auf diesen Begriff gekommen!

Wir fahren gemächlich noch ein paar Kilometer querfeldein und Louis s,sagt mir die Namen der Bauernhäuser auf… Bachingerlehen, Burgerer, Reitofen, Moderegger, Stadelhäusel, Hollereben, Boschberg… und dann, dann s,sind wir da!

Ein großes, zweistöckiges Haus inmitten einer s,Siedlung von s,Sozialbauten, alle bayrisch angehaucht, und vor dem Haus ein mächtiger Buchenbaum. Louis hat mir das alles s,so haarklein erzählt, ich bräuchte gar nicht hinsehen. Louis hat mir alles s,so leidenschaftlich beschrieben, dass ich völlig überrascht bin, das es s,so zutrifft.

Der s,Schlüssel liegt in dem kleinen Körbchen an der Wand neben der Tür. Als, ich eintrete in die Wohnung, riecht es nach Lebkuchen und zugleich nach alten Leuten.

Louis betont s,sehr, dies ist keine typisch bayrische Wohnung, aber mir kommt s,sie s,sehr, s,sehr bayrisch vor. Vom Wohnzimmer aus geht man durch einen Torbogen in ein kleines, holzgetäfeltes Zimmer mit großem Fenster. In dem Garten s,sehe ich den Buchenbaum.

Louis hat s,so ein s,selbstsicheres Auftreten, ich kann es nicht glauben. Gastgeber Louis zeigt mir s,sein Kinderzimmer und drängt mich in das ehemalige s,Schlafzimmer s,seiner Eltern. Ein großer dunkler Raum, mit großen, dunklen s,Schränken und einem großen dunklen Ehebett, in dem wir s,schlafen s,sollen.

Das ist das an Louis; nach ein paar s,Sekunden entschieden: „Wir s,schlafen in meinem Kinderzimmer und du musst dich noch dünner machen als du bist.“

Louis hat für die zwei Tage, die wir allein s,sind, Essen mitgebracht. Alles ist verstaut und er kocht ein Risotto mit Hühnerfleisch und ich s,sitze in dem holzgetäfelten Zimmer, in dem ein großes Fotobild hängt von den Eltern von Louis. Der Vater in Uniform der Nazis und s,seine Mutter wunderschön. Ein Hochzeitsbild.

Louis hat von jedem etwas.

Louis hat s,seinen Hausanzug an, weit, leger und s,schwarz (macht ihn s,schlanker) und ich ein s,Schürzenkleid, indigoblau mit hunderten von Tauben aufgedruckt, die weiß hervorstechen.

Auch ich verspüre s,so eine Ruhigkeit in mir, die mich aber zugleich s,sehr anregt. Ich freue mich darauf, mit Louis zu mausen. Das s,sagt man hier zum Vögeln.

***

Ich kann das fast nicht glauben, was für ein Verständnis und eine Zuneigung Julia und ich füreinander haben. Diese beiden Tage waren wie ein Traum. Noch nie habe ich für einen Menschen so gefühlt. Von ganzem Herzen, mit aller Wahrheit. Wir liegen weinend im Bett vor Glück und Dankbarkeit, dass wir uns begegnet sind. Julia ist sehr entspannt, ungeheuer gesprächig, sehr, sehr liebesbedürftig. Sie fühlt sich ausgesprochen wohl. Alles sieht sie sich genau an, genauestens.

Wir hätten gut in den immer noch vorhandenen Ehebetten meiner verstorbenen Eltern schlafen können, aber irgendwie brachte ich es nicht übers Herz und so schlafen wir in dem Bett meines Kinderzimmers, das eigentlich noch genau so aussieht wie früher. Zwischendurch war es das Zimmer meines Vaters, als Mutter und er nicht mehr in einem Raum schlafen konnten. In dem Bett – in meinem – ist mein Vater gestorben. Ich denke, wenn ich mit Julia darin inbrünstig glücklich bin, was er wohl zu Julia sagen würde.

Julia kann in dem Bett nur mit angewinkelten Beinen schlafen, deswegen muss sie vorne liegen, damit die Knie ins Freie schauen können. Julia ist meine Schlaftablette. Sie neben mir zu wissen, ist betäubend schön.

Neben meiner Schwester, in ihrer kräftigen weiblichen Molligkeit, stakst Julia. Die Verrückte hat sich einen Trachtenjanker meines Vaters angezogen, hat einen grünen Trachtenhut nebst Gamsbart auf, der ihr die Ohren ein bisschen abknickt. Sie trägt einen dicken, langen, grauen Wollrock, ein Stück nackte, dünne Beine und dann die voluminösen neuen Bergschuhe. Sie schwatzen, die beiden, bleiben stehen, reden aufeinander ein, gehen ein Stück, bleiben wieder voreinander stehen… Ich möchte wissen, was die reden, kennen sich doch erst ein paar Stunden. Aber sie lassen mich deutlich spüren, dass ich nicht der Dritte im Bunde sein soll. Ach, ich weiß, sie reden über mich! Julia wird wissen wollen, wie ich war als Bruder, als Kind und meine Schwester wird Julia ausquetschen, was sie an mir findet. Julia macht sich so klein wie sie kann, aber die beiden sehen aus wie Liesl Karstadt und Karl Valentin.

Meine zweite Schwester findet Julia witzig. Ich glaube, sie hat noch nie eine so große dünne Frau gesehen und schüttelt immer mal wieder ihren Kopf als Zeichen ihrer Verwunderung, die sie mit meinen Schwägern teilt, die fast erschüttert sind, dass so ein junges Mädchen auch noch schwärmt von mir, dem alten Kerl. Julia ist ein kleines Luder, wenn sie spürt, dass Menschen verunsichert sind ob unserer Unterschiedlichkeit. Dann schürt sie noch im Herd der Provokation. Sie spielt den Leuten die kleine Maus vor, die von der dicken Katze geduldet wird. Mit Julia ist es schon ungewöhnlich. Ihr Aussehen und ihre Offenheit sind für die meisten Menschen erst mal erstaunlich. Wenn sie sich an ihr Äußeres gewöhnt haben, sind sie von ihrem Wesen entzückt. Die Entzückung geht natürlich nicht so weit, dass man ihre negative Hausfraulichkeit – Louis macht das besser – versteht. Meine Schwestern sind verblüfft, aber ihnen fällt dazu ein, dass ich als Knabe schon gerne gedient habe. Und nun wird erzählt, wie einfältig ich als Kind war und umso mehr das gewahr wird, umso zärtlicher wird Julia zu mir und ich muss sie bremsen, um Peinlichkeit fern zu halten.

Egal wie es ist, Julia wird bestaunt und bewundert und sie genießt es ausgiebig, ist ihr doch so eine Aufmerksamkeit noch nie so offen begegnet. Immer wieder kommt sie auf mich zu, zwickt mich in die Oberarme und gesteht: „Louis, s,sag’, dass dies wahr ist, bitte!“

Nur Gott weiß, wie ich sie liebe! Ja, ich weiß, wie dieser Satz klingt, aber was soll ich tun, er kommt mir in den Kopf.

Wir machen einen kleinen Nachmittagsspaziergang hinunter zur Forellenzucht. An dem grünen, von dunklem Tann umstehenden Weiher vorbei, mit aufgeregten Enten, denen Julia die nicht gegessenen Reisebrötchen verfüttert. Wir gehen vorbei am Bachingerlehen, einem alten Bauernhof, der noch Schindel gedeckt ist – die Tochter Mädy war verliebt in mich, als ich in der Beatband spielte, vor fünfunddreißig Jahren. Oh Gott!

Den Hohlweg hinunter, in dem es auch im heißen Sommer kühl ist. Der Fischer Martin bleibt ewig jung oder alt, für mich hat er nie anders ausgesehen, und Julia kann sich die Forelle aussuchen, die er dann für sie fängt und mit einem Holzknüppel erschlägt. Julia gibt sich gefasst und ich bin neugierig, ob sie den Fisch essen wird.

Julia ist ein bisschen betrunken, kuschelt sich an mich, schläft auf der Stelle ein. Noch bin ich nicht in der nötigen Schläfrigkeit, steige vorsichtig über Julia, die sich sofort entfaltet über das ganze Bett, seufzt wohlig über das Platzangebot. Es ist gerade mal Mitternacht. Die Schlafzimmer der restlichen Familie befinden sich unter dem Dach und ich öffne die Balkontüre des Wohnzimmers. Klare, kalte Waldluft strömt herein und ich setze mich in den großen, gepolsterten, aufrechten Eichenstuhl im Holzgetäfelten. Natürlich fallen mir sofort meine Eltern ein, es bleibt nicht aus, denn es riecht ja doch noch nach ihnen. Vor diesem großen Fenster mit Blick in die mächtige Buche saßen sie sich gegenüber, getrennt durch den robusten, mit Fliesen gekachelten Tisch und starrten vor sich hin oder hinaus, so lange, bis sie Trugbilder vor Augen hatten. Für meinen Vater wurden die drei Kamine des Nachbarhauses zu drei tanzenden Stripperinnen und meine Mutter sah, dass auf dem Sofa hinter meinem Vater dutzende Wiesel saßen, die ihre Grimassen schnitten. Oft musste ich ihnen lange gut zureden, damit ich ihnen diese Bilder wieder ausreden konnte.

Einstmals liebten sie sich abgöttisch, mein Vater war wie verrückt ob dieser schönen Frau und meine Mutter fühlte sich belohnt nach ihrer harten Jugend, diesen selbstbewussten, hübschen Mann zu bekommen. Diese Liebe schlug schnell um in Gleichgültigkeit und Enttäuschung. Nach Jahrzehnten hatte sich ein Hass kristallisiert, den man im Alter mit Verachtung zeigte. Trotzdem hingen sie irgendwie aneinander, was wir Kinder uns nie erklären konnten.

Mir ist kalt, lasse mich nochmals begeistern von diesem großartigen Sternenhimmel, schließe die Tür, öffne eine Flasche Rotwein, begebe mich zurück ins Holzgetäfelte, schalte im Radio den Klassiksender ein. Leise, eindringlich berühren mich in zärtlicher Lustigkeit Piano Sonaten von Beethoven. Ich lösche das Elektrische und entzünde Kerzenlicht, lege meine Beine hoch auf den Hocker, fröstle ein bisschen in der Kühle, aber auch, weil es mich sehr berührt hier zu sitzen, und da höre ich leise, vorsichtige, große Schrittchen und im Geknarze des Holzbodens kommt Julias Schatten angeschlichen.

„Warum bleibst du nicht im Betti, hm?“

„Ich will nicht allein, Louis!“

„Julia, du bist betrunken!“

„Ja, ich bin betrunken vom Wein, aber auch weil ich glücklich bin. Wenn man glücklich ist, wird man von einem Tropfen Wein besoffen.“

Ich kann sie von meinem Schoß lösen, lege sie auf das kleine Sofa, wickle die Mohairdecke meiner Mutter – die immer noch nach Salben riecht – um Julia, gebe ihr das gewünschte Glas Rotwein.

„Bist du zufrieden mit mir, Louis?“

„Was redest du…. ?“

„Du bist s,so gerne allein, Louis!“

„Julia, ich weiß nicht, ob das ein Kompliment ist, aber ich konnte noch nie so gut mit einer Frau alleine sein wie mit dir!“

„s,Schlaf’ mit mir, Louis!“

Ich quetsche mich auf das Sofa neben sie und mir fallen die Augen zu, als mich ihre Wärme erreicht.

Julia ist verliebt in ihre Bergschuhe, vielleicht weil ihre großen Füße endlich einmal in Schuhen stecken, die so bequem sind, als hätte jeder Fuß sein eigenes Bett.

Die gesamte Familie ist aufgebrochen zu einer Bergwanderung, die wohl an die fünfzigmal begangen worden ist und immer mit Neulingen begangen wird. Zwei Stunden mit einem kräftigen Aufstieg zu der kleinen, feinen Bergwirtschaft unserer Cousine, mit Ausblick auf das Berchtesgadener Tal. Söldenköpfel heißt dieser kleine Waldberg und massig nebenan steht der Watzmann in seiner Familie.

Auch Julia trinkt Enzianschnaps und Bier und isst sogar das Wienerwürstchen aus ihrer Erbsensuppe. Sie weicht keinen Millimeter von meiner Seite und hat auf einmal den Wunsch, ihre Mutter anzurufen.

Gemütlich lassen wir den Rückweg angehen, geht es doch zum großen Teil abwärts. Von meinen Schwägern in die Mitte genommen, albern sich die drei zu Tal. Immer wieder dreht sich Julia zu mir zurück, schenkt mir Dankbarlächeln und ich möchte ihr so gerne sagen, dass ich ihr dankbar bin.

Diese Nacht, das habe ich beschlossen, verbringen wir in den Ehebetten meiner Eltern und so liegen wir, jeder auf seiner Seite. Die kleinen gusseisernen Stehlämpchen lassen honigfarbenes Licht durch die Papierwachsschirmchen scheinen.

Ich musste Julia ein Essigwasserbad für ihre Füße machen - sie konnte sie zum Schluss nicht mehr bewegen - und massierte sie bis zu den Knien mit Balsam aus Bergkiefer und Lavendel.

Sie liest die Tage noch einmal aus meinem Tagebuch, gähnt wie ein Äffchen und wird bald schlafen wie ein Murmeltier.

Nicht immer, aber doch oft, bin ich erstaunt über ihre Größe, besser gesagt: Länge, vor allem, wenn sie so neben mir im Bett liegt. Einmal, als wir im Laden schliefen, holte ich des Nachts ein Metermaß und vermaß Julia. Freilich konnte ich nicht exakt messen, aber die einsneunzig kamen leicht hervor. Als ich sie das erste Mal sah, war ich verwirrt über ihr Aussehen.

Morgen besuchen wir Salzburg!

Ich lege meine Hand in ihren Schoß, sie hält sie fest im Schenkeldruck und wir seligen uns in den Schlaf.

Der Laden

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