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Teelegenden

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Der Kaiser Shen Nung, der schon fast dreitausend Jahre vor Christo sein Trinkwasser nur abgekocht genoß und solches allgemein empfahl, war ein Freund sonst der unverbildeten Natur und erfreute sich oft an einem Picknick im Freien. Eines Tages lagerte man im Schatten eines schönen dichten, kleinblättrigen Strauches, von dem die Diener auch kurzerhand die Feuerung für den Kessel nahmen. Als das Wasser nun brodelte, hob die Hitze einen Schwung gedörrter Blättlein von den teils noch grün gewesenen prasselnden Zweigen und warf sie in den offenen Kessel. Die siedende Flut färbte sich alsbald golden, und ein sanftes Aroma strömte in die Runde. Der Kaiser kostete, erkannte, wie bedeutend dieser Zufall sei, und nannte das entstandene neue Getränk T’sa, was nach Ansicht einiger Sinologen das Göttliche bedeutet, nach Meinung anderer das Leuchtende oder Erleuchtende. Kalte Gehirnler vermuten einzig den Namen eines Ortes darin. Alles in allem ist es ein und dasselbe und bleibt letzten Endes gebührend geheimnisvoll.

Auch Indien hat seine Legende von der Herkunft des Teegenusses. Der Fakir Dharma gelobte, sieben Jahre ohne Schlaf sich der Versenkung in die Allgegenwärtigkeit Buddhas zu widmen. Schon hatte er es heroisch bis ins fünfte Jahr geschafft. Da auf einmal bedrohte ihn eine übermenschliche Müdigkeit. Wie ein Ertrinkender griff er nach den Zweigen des Strauches, unter dem er hingesunken war; einige Blätter blieben in seiner Hand, er schob sie in den Mund, sich durch Kauen wachzuhalten, und siehe da, seine Schwachheit verflog, und weiterkauend von dem Wunderstrauch, vermochte er sein Vorhaben zu vollenden.

Japan übernahm geschickt, wie heute manch anderes auswärtige Erzeugnis, auch die buddhistische Legende, doch war man begabt genug, sie sich abzuwandeln. Merkwürdig ist, daß die japanischen Schriftzeichen für Tee und Augenlid sich gleichen. Ist damit das Wachhalten symbolisiert und entstand die seltsam grausliche Fassung der Legende daraus wie die Handlung aus einem Stichwort? Der Franzose Edmond Goncourt schreibt in seinem berühmten Tagebuch an einem trüben Apriltag 1892 diese Teelegende auf, obwohl er selber – wie Balzac und Voltaire – dem gröberen Kaffeeverbrauch huldigte: Dharma, ein im Geruch der Heiligkeit stehender Büßer, hatte sich den Schlaf als ein allzu menschliches Bedürfnis untersagt. Trotzdem schlief er eines Nachts ein und erwachte erst am Morgen. Erbost über sein Versagen, schnitt er sich die Augenlider ab und warf sie von sich als die schuldigen Vertreter gemeiner Körperlichkeit, die ihn auf dem Wege zur Vollendung behindert hatten. Kaum hatten die blutigen Augendeckel den Boden berührt, faßten sie Wurzel. Ein Baum sproß daraus hervor. Nachbarn und Verehrer kamen, sammelten die Blätter und bereiteten einen Trank daraus, um der heiligen Schlafvertreibung ein wenig teilhaftig zu werden, und siehe da, das Mittel erwies sich als wirksam und war zudem von köstlichem Duft und Geschmack.

Sukiya oder Die große Liebe zum Tee

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