Читать книгу Eine außergewöhnliche Reise durch Schottland - Das Phantom der Ruinen - Hans Maria Mole - Страница 14

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Ich saß da, wie bestellt und nicht abgeholt. Der Hund war weg, wer weiß wohin, und es regnete bereits in Strömen, und ab und zu kam hier ein nasser Luftzug hereingeweht, der mir etwas Regen ins Gesicht blies. Gott sei Dank war ich hier geblieben. Ich hatte schon daran gedacht, das Zelt hier im Raum aufzubauen, aber das wäre doch zu verrückt. So hatte ich alles zusammengepackt neben mir stehen und konnte, wenn es galt, schnell mit allem verschwinden.

Aber was mache ich jetzt? Warten! Auf was? Das mir das Schicksal wieder einen Traum servierte und damit auch diese Victoria hereinschicken würde? Wie sollte das geschehen? Also, wenn ich mir meine Situation so betrachtete, dann musste ich feststellen, dass ich doch vielleicht ein Bisschen verrückt war. Wem könnte man das alles erzählen? Selbst der beste Freund würde stutzig werden, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Es wäre sowieso alles anders verlaufen, wenn einer meiner Freunde mitgefahren wäre, oder gar die Freundin. Freundin?, die hatte mir schon vor einiger Zeit den Laufpass gegeben. Also, was nun?

Ich werde jetzt erst mal versuchen, dieses Erlebnis zu einem Ende zu bringen, egal, was noch alles passiert. Und so bereitete mich darauf vor, dass etwas geschehen würde, dass mich an den Rand des Erträglichen bringen könnte, und es gab niemand, den ich hätte fragen können, wie man in dieser oder jener Situation hätte handeln sollte. Es lief also alles auf ein Abenteuer hinaus. Jetzt war es kurz nach Mittag, wie mir die Uhr mitteilte. Also, was sollte ich hier herum sitzen? Ich fahre noch mal in die Stadt. Wer weiß, was vielleicht noch dazwischenkommen könnte, wenn ich hier bleibe?! Also, los.

In leichtem Regen fuhr ich in die Stadt. Da sie nur wenige Kilometer von hier entfernt war, hatte ich das Ziel schnell erreicht: den Bäckerladen, der auch andere Lebensmittel bereithielt. Als ich so im Regal suchte, hörte ich, wie eine ältere Frau neben mir plötzlich sagte: „Vergessen Sie nicht das Brecheisen.“ Ich drehte mich um und sah noch, wie sie wegging. Außer mir war sonst niemand in der Nähe, dem sie das hätte mitteilen können. Schnell packte ich meine Sachen und eilte zur Kasse, damit ich sie noch mal fragen könnte, ob sie mich gemeint hätte. Allerdings wurde ich an der Kasse aufgehalten. „Sind Sie im Urlaub hier?“ Die Verkäuferin lächelte mich an und erwartete eine Antwort. „Ja, ich bin auf einer Studienreise durch Schottland und bin jetzt hier gelandet bei den Ruinen. Eine interessante Ecke. Dort zelte ich und dann geht’s weiter, rüber auf die andere Seite.“ „Gehen Sie nicht in die Ruinen, dort spukt es, wie man sagt.“ „Danke, ich werde mich vorsehen.“ Dann packte ich meinen Kram zusammen und machte, dass ich rauskam, doch von der Frau war nichts mehr zu sehen. Ich ging wieder in den Laden und fragte die Verkäuferin, ob sie wüsste, wer die alte Frau gewesen sei, die eben mit mir den Laden verlassen hätte. Doch die Verkäuferin sagte darauf hin, dass außer mir seit einer längeren Zeit niemand sonst hier gewesen sei. Nun, hier weiter nachzufragen hätte keinen Sinn gehabt. „Können Sie mir noch sagen, wo ich Werkzeug bekommen könnte?“ Sie deutete über mich hinweg und meinte: „Hier in der Seitenstraße ist ein gut sortiertes Geschäft.“

Warum hörte ich auf diese Stimme? Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Ich radelte wieder zurück, mit einem, wie man mich in dem Laden aufklärte, sogenannten „Kuhfuß“ im Gepäck. Genug zum Essen und Trinken für die nächsten paar Tage ebenfalls. Es regnete wieder heftiger, doch, das machte mir nichts, im Gegenteil, ich liebte Regen, wenn er mir ins Gesicht prasselte aber nicht auf den Skizzenblock.

Heute wurde es schon früh dunkel. Von der See her kam ein dichter Nebel. Schon nach ganz kurzer Zeit quoll er sogar hier in den Raum. Das hatte ich noch nie gesehen, dass Nebel in Räumlichkeiten eindringen könnte. Wie dichter Dampf verbreitete er sich überall. Was mir auffiel, er zog zu einer Stelle durch die Wand, so, als ob dort eine Öffnung sei. Doch, noch während ich darüber nachdachte, sah ich an dieser Stelle einen langen Gang, der spärlich beleuchtet war. Er zog sich von hier bis weit in das andere Grundstück, oder besser gesagt, unter das andere Castle. Diesmal wollte ich das Schicksal herausfordern und fasste den Mut, diesen Gang, der eigentlich gar nicht da war, zu betreten. Einige Utensilien nahm ich mit, so auch das Brecheisen. Wofür? Nun, als Waffe war es nicht schlecht. Ich rechnete mit allem, und das wollte ich jetzt alles genau wissen. Der Adrenalinspiegel stieg nach meinem Empfinden ins Unermessliche.

Ich schritt durch den Gang, von dem immer wieder andere Gänge abgingen ins Dunkle, aus denen aber hin und wieder Geräusche kamen, und dann stand ich unverhofft in einen Raum, von dem mehrere Gänge unter die Burg führten und eine Treppe nach oben ging. Ich sollte noch erwähnen, dass alles wie neu ausgesehen hatte, im Verhältnis zu dem, wie es in der Realität zurzeit anzusehen war. Etwas Licht drang von oben in den … Keller, so würde ich den Trakt hier bezeichnen. Auch Stimmen waren gedämpft zu hören, von oben und von irgendwo dahinten aus dem Dunkel der Gänge. Eine Stimme wurde lauter, oben. Zwei Männer schrieen sich plötzlich an. Eine Tür knallte zu und Schritte wurden lauter.

Mir wurde inzwischen klar, dass ich zeitversetzt war. Wie käme ich wieder zurück? Der Gang hinter mir endete nicht mehr in einem Trümmerhaufen, dort, wo ich herkam, sondern dort am Ende war ebenfalls Licht zu erkennen. Na ja, Das kann ja heiter werden, dachte ich. Doch, was soll’s? So fasste ich den Mut zusammen und ging die Treppe hoch.

Bevor ich aber den ersten Schritt auf die Treppe gewagt hatte, hörte ich, wie jemand die Treppe herunterpolterte. Heftig trat jener auf und die Holztreppe klang laut durch das Haus. Im nächsten dunklen Gang wartete ich ab. Noch laut schimpfend kam jener die Treppe runter und ging in den beleuchteten Gang – aus dem ich das Castle betreten hatte. Ich sah ihn mir genau an, ohne, dass er mich sah. Eine aggressive Person, dachte ich. Das konnte man am verzerrten Gesicht erkennen. War er vielleicht der Besitzer der Nachbarburg?

Jetzt galt es: Ich ging langsam die Treppe hoch und staunte nicht schlecht, als ich die Einrichtung sah, die mich im Erdgeschoss erwartete. Dunkle Balken an der Decke, Wundervolle Möbel, Teppiche und große Gemälde hingen in dem riesigen Eingang und im Treppenhaus. Fantastisch! Ich sah mich um, als wäre ich in einem Museum und vergaß, dass ich mich ja in einem fremden Haus befand. Jeder Zeit konnte jemand auf der Bildfläche erscheinen. Was würde dann passieren? Ich hatte es noch nicht ausgedacht, da passierte es.

In unmittelbarer Nähe wurde eine Tür geöffnet. Heraus trat eine ältere Frau, die den Eindruck machte, als sei sie eine Bedienstete, da sie ein Häubchen trug. Sie schrie kurz auf, als sie mich sah und verschwand wieder in dem Zimmer, aus dem sie kam. Ich wartete nicht ab, sondern ging durch den angrenzenden breiten Flur weiter. Dann hörte ich wieder, wie sich die gleiche Tür öffnete und stellte mich in eine Nische. Jene Frau kam wieder heraus, schaute links und rechts, um dann eilenden Schrittes gegenüber in einem anderen Raum zu verschwinden.

Ich wartete weiter ab, denn ich wusste eh nicht, was ich hier überhaupt sollte – mit einem Brecheisen in der Hand, das musste man sich erst mal auf der Zunge vergehen lassen. Kurioser geht’s nicht. Dann, nach einer Weile öffnete sich wieder diese Tür und heraus kam … Victoria! Mein Gott, was sollte das wieder? Sie schaute den Flur rauf und runter. Was für eine hübsche Frau. Dann kam auch die Bedienstete und erklärte ihr mitten auf dem Flur, was sie da gerade gesehen hatte. Kopfschüttelnd ging sie weg, die Treppe hoch, vielleicht einer anderen Arbeit nach. Victoria ging wieder ins Zimmer zurück und ließ die Tür weit offen. Vorbei konnte ich jetzt nicht mehr, ohne, dass sie mich sehen würde. Aus dem Zimmer hörte man einen leisen Gesang. Ich öffnete das Zimmer, wo ich gerade in der Nische stand, um zu sehen, was es hier drinnen zu erforschen gab.

Ich fragte mich, konnte mir etwas in dieser Zeit passieren, oder würde ich wie aus einem Traum erwachen und alles wäre vorbei? Das Zimmer war dunkel, und ich bediente mich meiner Taschenlampe. Ein Bett stand in der Mitte, Wandbehänge zierten die eine Seite der Wände, schöne, ungewöhnliche Möbel drum herum und geheimnisvolle Gemälde hingen dort und standen auch zum Teil noch herum. Und, was mir noch auffiel: eine Laute! Sie stand etwas vernachlässigt neben einem Schränkchen. Es reizte mich ungemein, damit zu spielen, wo ich doch schon eine ganze Weile nicht mehr auf meiner Gitarre spielen konnte, da sie zurzeit im Atelier in Deutschland stand. Ich hatte sie nicht mitgenommen, weil ich sowieso schon zu viel Gepäck zum Schleppen dabei hatte bei dieser Tour. Aber jetzt! Ich schloss leise die Tür und setzte mich aufs Bett und probierte, ob sie noch gestimmt war. Leise stimmte ich die beiden Saiten, die etwas anders geklungen hatten. Dann spielte ich, ohne zu merken, dass ich dabei immer lauter wurde vor Begeisterung. Sie klang fantastisch. Ich war so ins Spielen vertieft, dass ich nicht merkte, dass jemand ins Zimmer trat. Es war ein Mann, ca. fünfundvierzig Jahre alt. Schick angezogen und die Haare streng und glatt nach der Seite gekämmt. Er machte einen resoluten Eindruck, so, als ob er hier der Chef sei. „Was machst du hier? Wer bist denn du? Wie kommst du hier herein?“ Er musste der Graf sein, oder so was Ähnliches. Das Gesicht hatte einen markanten, vielleicht sogar teuflischen Ausdruck.

Es waren eine Menge Fragen, die ich alle nicht so ohne weiteres beantworten konnte und auch nicht wollte. So legte ich die Laute beiseite und bereitete mich auf einen Zweikampf vor. Vor dem hatte ich keine Angst – mit solchen komischen Leuten hatte ich schon oft zu tun, und war außerdem seit meinem sechzehnten Geburtstag in einer Sportart ausgebildet, die mir in solchen Situationen schon immer sehr hilfreich war.

Doch, noch bevor ich aufstand, um mich der Sache zu widmen, indem ich auch als Warnung nach dem Brecheisen griff, ging er schnell aus dem Zimmer und schloss es von außen ab. Um diese Tür zu öffnen brauchte ich nicht mal ein Brecheisen, doch ich blieb noch eine kleine Weile in dem Raum und spielte weiter auf der Laute. Später sprang die Tür auf. Mit einem lauten Knacken hatte ich sie geöffnet. Sie war aber nicht mehr zu schließen. Doch das war mir in diesem Moment egal.

Ich ging mit der Laute, sie wollte ich auf keinen Fall zurücklassen, wieder den Flur zurück, zu dem Zimmer, an dem die Tür noch offen stand. Vielleicht war Victoria noch hier. Wollte ich ihr begegnen? Das, was ich mit ihr erlebt hatte, lag bestimmt zeitmäßig hinter dieser Zeit. So würde sie mich nicht erkennen. Ich wollte es jetzt wissen, wie man in meinem Jargon so sagte.

Vom Flur schaute ich ins Zimmer, und dort sah ich auch jenen Hund. Besser gesagt, er sah mich und knurrte heftig, die Zähne fletschend. Dann stürzte er sich, ohne zu bellen, auf mich. Als ich zurückwich, blieb er an einer Kette hängen. Er war im Zimmer mit einer kurzen Kette an einem Haken befestigt! Wo gibt’s denn so was, im Zimmer einen Haken, um die Hundekette zu befestigen?

Ich näherte mich wieder der Tür, und der Hund, jener Wolfshund, der mir bereits begegnet war, ließ mich näherkommen. Seine Kette reichte nicht bis zur Tür, und so konnte ich das Zimmer betreten, ohne, dass er mich zerfleischen würde. Es fiel mir auf, dass er nicht zurückgehalten wurde. Also, es war außer ihm niemand im Zimmer. Die junge Frau war schon weg.

Der Hund setzte sich hin und sah mich nur an – ohne zu knurren. Er war scheinbar daran gewöhnt, allein zu sein und angekettet. Ich schob sein Futter, das man aus seiner Reichweite hingestellt hatte, mit dem Fuß zu ihm hin. Gierig verschlang er es, ohne aufzuschauen. Direkt außerhalb seines Aktionsradius setzte ich mich zu ihm auf den Boden, nahm die Laute und spielte meine Lieblingsstücke. Als würde es ihm gefallen, legte er sich hin, streckte die Pfoten voraus und legte den Kopf auf seine Beine. Zeitweise schloss er auch die Augen. Ob die Musik ihn müde gemacht hatte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls schlief er irgendwann einfach ein. Als ich aufhörte zu spielen, wurde er wach. Aufmerksam beäugte er mich. So ließ ich mich hinreißen und legte meine Hand in die Nähe seiner Pfoten. Wie würde er reagieren? Er hatte zumindest keine Ambitionen, meine Hand zu zerreißen. Man nennt ihn nur Wolfshund, aber er hatte ein eher ruhiges Gemüt. So legte er seine Pfote auf meine Hand, ohne zu zögern und sah mich an. Als würde er mit mir reden, so kam plötzlich eine Mitteilung bei mir an. Es war aber eher ein trauriges Gefühl, was mich befiel. Was wollte er mir vermitteln?

Ich sah mir das Zimmer genauer an. Es war scheinbar das Zimmer von Victoria. Hier gab es viele persönliche Dinge, die eine junge Frau von damals als wichtig erachtete. Es war außerdem gemütlich eingerichtet. Zum Beispiel mit vielen Kissen und kuscheligen Decken auf der Sitzbank. Ein Pult zum Schreiben stand ebenfalls am Fenster. Ein Bogen Papier lag dort und ich bemerkte, dass sie gerade erst etwas geschrieben hatte, kurz bevor ich hier erschien. Mitten im Satz hatte sie aufgehört zu schreiben und das Zimmer verlassen. Ob sie gleich zurückkäme?

Ich erlaubte mir, das zu lesen, was dort stand. Der Hund ließ es zu, dass ich in seine Reichweite trat. Es verschlug mir die Sprache, was ich dort las: „ Schatz, wieder ein paar Worte von Deiner Victoria. Schon tagelang werde ich bedrängt. Er wollte mich schlagen, doch Wolf stellte sich vor ihn. Heute habe ich furchtbare Angst. Was soll ich tun? Ich kann nicht aus dem Haus, er hat seine Aufpasser überall. Hoffentlich macht er nicht seine Drohung war. Ich habe solche Angst. Da ist er … Gott hilf mir! Er will mich …“ Hier endete der Satz.

Die Feder besaß noch die frische Tinte. Was ist passiert? War es der Typ, der bei mir im Zimmer war? Bestimmt hatte er sie danach mitgenommen, könnte man meinen. Aber wohin? Irgendwo im Haus? War er vielleicht mit ihr aus dem Haus verschwunden? Oder war es der Nachbar? In welche Geschichte bin ich denn hier bloß hineingeraten?

Ich dachte an „Wolf“, und ob ich ihn dazu bringen könnte, sie mit mir zu suchen. Es war gewagt! So griff ich zur Kette und löste sie an der Wand. Er beobachtete genau, was ich tat. Keine Aggression war zu erkennen, wobei ich damit rechnete, dass er mich anfallen würde. Als die Kette losgemacht war, zog er mich sofort aus dem Zimmer. Ich folgte und ließ die Laute zurück. Fest zog er mich zur Kellertreppe und hinunter. Dann den Gang entlang, durch den ich hier ins Schloss kam. An der ersten Abzweigung zu einem anderen dunklen und niederen Gang blieb er stehen und schaute mich an. Mit der Taschenlampe leuchtete ich in den stark beschmutzten Gang. Sollte sie hier sein? Ich hörte etwas. Eine Stimme rief verzweifelt um Hilfe. Zuerst zog ich Wolf mit mir in den Gang, dann zog er mich hinterher. Nach der ersten Biegung und einer kleinen verschmutzten Treppe, die zu einem dunklen Keller führte, sah ich etwas, das mich erschaudern ließ. Hier gab es ein … Verlies, mit Gittern! Und das Schlimmste, es war jemand darin eingesperrt, der stöhnte. Nicht Victoria - es war ein junger Mann.

Er erschrak zuerst mal über den unverhofften Besuch, dass ein Fremder mit dem Hund hier erschien und über das Licht, das keine Kerze war. Er musste wohl schon längere Zeit hier untergebracht sein, denn er hatte bereits schon einen kurzen Bart. Alles war verdreckt, und es stank fürchterlich. Jetzt leuchtete mir ein, warum das Brecheisen! Doch dieses Gitter hatte keine Chance gegen das moderne Werkzeug und es sprang auf. An die Wand gelehnt war er kaum fähig herauszukommen. Ich stützte ihn und wir verließen den unsäglichen Kellerraum und dunklen Gang. Als wir an den breiten Durchgang kamen, zog Wolf weiter in die andere Richtung. Ich wäre ihm gern gefolgt, doch musste ich mich erst mal um den jungen Mann kümmern. Also gingen wir wieder nach oben und in das Zimmer von Victoria. Dort ließ er sich erst mal in einen gemütlichen Sessel fallen. Er gab mir zu verstehen, dass er Durst und Hunger hätte, weil man ihm schon tagelang nichts mehr zum Trinken und Essen gebracht hätte. Victoria hätte es einmal versucht, aber danach sei sie verprügelt worden.

Das war aber auch schon alles, was er mit mir besprach, so fertig war er. Ich gab ihm die Kette mit Wolf in die Hand und verließ das Zimmer, um irgendjemand zu finden, der hier Bescheid wusste.

Nun, jetzt war die Suche erst mal zurückgestellt. Ich kümmerte mich um den armen Kerl, wer es auch war. Vielleicht war es jener, der den Brief erhalten sollte. Warum hatte man ihn eingesperrt?

Ich ging in das Zimmer gegenüber, aus dem die Bedienstete kam, vielleicht ist sie wieder hier, war mein Gedanke. Ich hatte einen Glücksgriff gemacht: es war die Küche. Eine andere Bedienstete war gerade dabei für irgendjemand das Essen zuzubereiten, und ein älterer Mann wollte soeben die Küche in den angrenzenden Garten zu verlassen. Als er mich sah, blieb er stehen und beäugte mich von oben bis unten. Er traute sich allerdings nicht, etwas zu sagen. Ich sprach die Hausangestellte an: „Drüben im Zimmer ist ein junger Mann, der unbedingt etwas trinken und essen müsste, da er, allem Anschein nach, schon Tage nichts mehr zu sich genommen hat. Ich hatte ihn im Keller gefunden – eingesperrt! Wussten Sie davon?“ Sie schaute weg und der Gärtner verließ die Küche und knallte die Tür zum Garten heftig zu. Dann schaute sie mich an und sagte leise: „Wir durften bei Strafe nicht in den Keller. Hier kann man niemand trauen.“ Dabei zeigte sie mit dem Daumen zum Garten. „Der arme Kerl. Ich mache schnell was, egal was passiert“, dann sah sie mich ernsthaft an und fragte, wer ich denn eigentlich sei. Ich schüttelte nur den Kopf und ging wieder in das andere Zimmer; eine Erklärung war nicht möglich.

Mit einer Karaffe, in der etwas drin war, das nach Saft aussah und etwas zum Essen, erschien sie gleich darauf drüben im Zimmer. Sie erschrak etwas und fasste dann doch Mut, dem anderen etwas zu reichen. Er trank gierig mit geschlossenen Augen. „Kennen Sie sich?“, fragte sie mich. „Nein, ich war auf der Suche nach Victoria, da fand ich ihn in der hintersten Ecke im Keller – eingesperrt hinter Gittern. Was sind das für Sitten hier? Wer hatte das veranlasst?“ Bevor sie antwortete, sah sie meine Kleider an und fragte dann: „Wie kommen Sie ins Haus? Hat sie Victoria hereingelassen?“ Erklären konnte ich auch das nicht, denn wer könnte schon in diesem Fall die Wahrheit glauben? Trotzdem machte ich Andeutungen, denn alles andere wäre eine Lüge. „Ich komme aus einer anderen Zeit, aus der Zukunft, ein paar hundert Jahre weiter und bin eigentlich zufällig hier.“ Sie sah mich ungläubig an, schüttelte nur den Kopf und meinte: „So was Verrücktes habe ich auch schon lange nicht mehr gehört“. Und sie lächelte verschmitzt. Der junge Mann war mit sich und dem Essen beschäftigt, so dass er uns kaum registrierte. „Wer ist das“, fragte ich leise. „Das ist ein Musikant, der vor Tagen hier erschien und sich in Victoria verliebte. Das war dem Earl nicht recht, da sie bereits versprochen ist, an den da.“ Sie machte mit dem Kopf eine Andeutung. „Es ist der …“

Ein Geräusch kam vom Flur. Ruckartig verdrehte sie den Kopf und ging zur Tür, die sie bis auf einen Spalt schloss. Hier schaute sie irgendwie ängstlich raus. Sie drehte sich zu mir und meinte: „Das wird Ihnen nicht bekommen, dass Sie ihn aus dem Gefängnis geholt hatten. Wenn Sie nicht aufpassen, sitzen Sie drin. Passen Sie auf.“ „Nun, wissen Sie, ich würde mich freuen, wenn man es versuchen würde“, war meine Antwort. Denn ich malte mir schon die Komplikationen aus, die daraus entstehen könnten, die mich irgendwie reizten. Was würde wirklich passieren? Gleich darauf öffnete sie die Tür und schob sich kopfschüttelnd raus, wobei sie wieder die Tür leise schloss. Auch sie hatte Angst, aber vor was oder vor wem?

Ich musste damit rechnen, dass man mich verraten würde. Vielleicht sollte ich mal was dagegen tun, mal den Hausbesitzer, den Earl, aufsuchen und mit ihm reden. Dann könnte ich die Verräter ausschalten. Was musste in diesem Haus für eine Angst vorherrschen, dass man so handelte. Doch zuerst wollte ich Victoria suchen.

„Ach, sie ist ja auch noch hier“, rief der junge Mann, als er die Laute sah. Die Kette des Hundes ließ er los, griff sich das Instrument und spielte sofort ein kleines Stück. „Sie ist sogar noch gestimmt.“ Er spielte gekonnt. Man merkte, dass er das schon oft gemacht hatte. Es hörte sich wunderbar an. Dass ich auch dieses Instrument beherrschte, erzählte ich ihm nicht.

„Ich bin auch nur ein Besucher“, sagte ich ihm. Dann öffnete ich die Tür und ging ohne Wolf mit schnellen Schritten zum Kellergeschoss. Dort wollte ich durch den langen Gang, der die beiden Castles miteinander verband zum nachbarlichen Herrschaftsgebäude. Dort glaubte ich Victoria zu finden.

Als ich fast im anderen Castle ankam, bemerkte ich, wie ich irgendwie leichter wurde. Irgendwie fühlten sich meine Schritte an, als ob ich in der Luft hängen würde und dann spürte ich auch noch einen harten Schlag am Kopf und verlor die Besinnung. Als ich aufwachte, lag ich wieder auf meiner Luftmatratze und sah, wie der Nebel aus der Burg zog. Die Erinnerung war noch sehr stark, und ich fühlte meinen Kopf ab nach einer Beule, aber es war nichts zu fühlen und auch kein Schmerz machte sich bemerkbar. Jener, der mir aus einem Seitengang etwas auf den Kopf schlug, staunte sicher nicht schlecht, als ich gleich darauf spurlos verschwand. Das Brecheisen lag ebenfalls neben mir, als hätte es jemand hingelegt. Fast würde ich glauben, dass ich nur geträumt hätte. Kann ein Traum überhaupt so ins normale Leben eingreifen? Wenn es aber kein Traum war, was könnte es dann gewesen sein? Alles war so echt. Ich weiß, dass es in den Träumen ebenfalls so real zugeht, aber ich hatte den Eindruck, dass es nun mal kein Traum sein konnte.

Wie komme ich wieder dorthin? War es nur ein einmaliges Geschehen, das jetzt vorbei sein sollte für alle Zeiten? Wäre es möglich aus eigenem Willen in eine andere, in diese Zeit zu kommen? Hängt es mit der Atmosphäre dieser beiden Häuser zusammen? Wer hatte es denn sonst bewirkt, dass ich in der anderen Zeit gelandet war? Geschah es einfach so? Es musste doch jemand geben, der zum Beispiel verhinderte, dass ich von hier wegkam – unsichtbar, aber immer in meiner Nähe. Und, wer war die Frau, die mir den Tipp mit dem Brecheisen gab? Nun, ich hatte eingewilligt hierzubleiben. Bestimmt hätte ich es auch geschafft, wegzukommen, wenn ich es nur heftig gewollt hätte. Oder liegt eine Verbindung mit mir wie ein Netz über allen Zeiten, von dem man sich nicht lösen kann, nie? Sollte ich es als Banalität abtun, oder sollte ich mich dahinterklemmen, um etwas darüber zu erfahren? Es waren viele Fragen, die mich plötzlich beschäftigten und es gab keine Antworten!

Die Logik sagte mir allerdings, dass es vielleicht schlecht für mich enden könnte, und es somit das Beste sei, aufzuhören mit diesem Unsinn. Andererseits habe ich Zeit und eigentlich nichts vor, was dringlich wäre. Und mich interessierte das Mystische, falls man das hier auch so nennen könnte. Aber …, sollte es mir nicht egal sein, was damals geschah? Was kümmert’s mich, könnte man doch sagen? Sollen sie doch sehen, wie sie zurechtkommen. Hm, kann man so denken? Darf oder soll man so denken? Mein Gott, was für Fragen!

Jetzt saß ich da, ließ mir noch mal alles durch den Kopf gehen und überlegte, was ich machen könnte. Es war bereits Abend, und wieder regnete es. Also, somit ist mein Bewegungsradius schon mal eingeschränkt. Zuerst machte ich mich über einen Teil des Proviants her. Dann ging ich zum Fensterloch und schaute in den Regen. Ich mochte Regen. Und wieder beobachtete ich, wie ein feiner Nebel vom Meer kommend an der Fassade hochzog und in die Ruine strömte. Ich beobachtete diese Situation noch eine Weile, dann wurde es dunkel im Raum.

Ich tastete mich zur Matte, setzte mich mit dem Rücken zur Wand und stierte ins Dunkel. Mit irgendetwas rechnete ich jetzt. Doch es dauerte schon eine Weile, bis etwas geschah. So hörte ich dann zur Abwechslung mal wieder eine Stimme, die zu mir redete. Es war wieder die Stimme des Alten, doch sehen konnte ich ihn nicht, es war absolut dunkel.

„Warum überlegst du, ob das hier, was du gerade erlebst, mit Unsinn zu tun hätte? Was du gerade vollbringst ist eine wichtige Entscheidung. Ohne dich würde das Leben für viele anders verlaufen. Ganze Familien samt Nachkommen würde es nicht geben. Wobei sie auch für dich wichtig sind, für deine Zukunft. Es würde zu lange dauern und es wäre zu kompliziert, dir das zu erklären. Doch in ganz kurzer Zeit wirst du etwas Phantastisches erleben, was mit dieser Situation zu tun hat. Auch dein Leben ist abhängig von dieser Situation. So wärst du zum Beispiel schon eine Weile nicht mehr unter den Lebenden, wenn du mit dem Rad neulich weggefahren wärst, Richtung Skye. Die genauen Umstände möchte ich dir ersparen, sie sind zu furchtbar. Also, überlege nicht lange und begib dich in das Unausweichliche. Allerdings wird dir die Zeit und der Moment vorgegeben. Alles wird gesteuert. Du musst dir vorstellen, dass es noch andere Dimensionen gibt, die der deinigen weit überlegen sind. In deiner Welt spielt der Hass eine große Rolle. Den gibt es hier bei mir nicht. Hier ist nur Liebe! Etwas davon wirst du in Kürze spüren. Du wirst die Liebe kennen lernen von einer Seite, die du kaum für möglich hältst.“ Dann wurde es wieder still. Auch kein Geräusch war zu hören – auch nicht von draußen, vom Regen.

Wieder hörte ich ihn: „Ich werde dir jetzt mal eine Geschichte erzählen. Pass gut auf, es ist von Vorteil, wenn du dir einiges davon merken würdest, was ich dir gleich erzähle. Weshalb, das wird sich dir schon erschließen.

Es ist die Lebensgeschichte von Victoria. Du sollst wissen, was es auf sich hat mit diesem Mädchen.“ Dann holte er aus: „Durch den Unfalltod der Eltern kam ein junges Mädchen als Mündel des damaligen Besitzers, eines Earls (eines Grafen) auf das Schloss. Er war ihr Vormund. Gegenüber seiner Bediensteten und Angehörigen sowie den Ortsansässigen war er ein bösartiger Mensch. So auch zu dem Mädchen. Nur ein alter, gichtkranker Mann, der an den Rollstuhl gefesselt und in einem kleinen Zimmer des Castles untergebracht war, galt als die einzige Hoffnung in ihrer Angst vor dem Tyrannen. Und als der alte Mann auch fast sein Augenlicht verlor, las sie ihm immer irgendwelche Geschichten vor oder sie erfand welche, die sie ihm dann erzählte und ihm so noch ein paar Jahre das Leben verschönerte. Seine Macht in diesem Hause war gering, doch bei ihm fand sie Schutz und Unterstützung. Dieser Mann war ich.“ Er machte eine Pause, so als wollte er nachdenken.

„Als die Zeit ins Land ging und sie zur jungen Frau erblühte, starb der Alte. In dieser Zeit erhoffte sie sich einen Umgang mit der gräflichen Gesellschaft, um einen Mann kennen zu lernen, um somit der Tyrannei zu entkommen. Doch sie durfte das Schloss nicht verlassen. Der Earl war zwar bettlegerisch, aber übte seine Macht immer noch aus über seine Bedienstete, die Angst hatten, dass sie ihre Stellung verlieren und somit ihren Lebensunterhalt. Das Mädchen wurde fast zur Einsiedlerin. Niemand kümmerte sich um sie. Das einzige, was sie am Leben erhielt, war ihr Hund, den sie über alles liebte.

Eines Tages traf sie während eines Spazierganges mit Aufpassern im Schlosspark zufällig den benachbarten Gutsherrn. Seine Vorfahren hatten ihr Schloss aus verwandtschaftlichen Gründen direkt neben das andere gebaut. Doch mittlerweile traf man sich nur noch selten.

Er sah, dass sie eine hübsche, anmutige und begehrenswerte Frau geworden war. So lag es nahe, dass er sich ihr näherte, wo es nur ging. Sie erkannte seine überhebliche Art und bekam eher Angst vor ihm. Über Kleinigkeiten verfiel er in hysterische Wutanfälle. Wie man sagte, hatte er etwas Teuflisches an sich. Später erfuhr sie, dass er seine Frau misshandelt hatte, ehe sie unter mysteriösen Umständen verstarb. Also, auch er war im gleichen Wahn, wie der Verwandte, der jetzt im Bett drüben in der anderen Burg liegt, kurz vorm Sterben.

Er kam jetzt öfters ins Schloss unter dem Vorwand, den langsam dahinsiechenden Besitzer zu besuchen. Immer wieder versuchte er sich aber dem Mädchen zu nähern, doch sie wich ihm ständig aus. Eines Tages, als er betrunken wieder ins Schloss kam, versuchte er sich an ihr zu vergehen. Sie rannte weg ins Zimmer und schloss sich mit ihrem Hund ein. An der Tür drohte er ihr, sie umzubringen, wenn sie ihn nicht hereinlassen würde. Er blieb draußen, und ging weg mit der furchtbaren Drohung.

Eine außergewöhnliche Reise durch Schottland - Das Phantom der Ruinen

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