Читать книгу Eine außergewöhnliche Reise durch Schottland - Das Phantom der Ruinen - Hans Maria Mole - Страница 6
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ОглавлениеSchottland, der Wunsch meiner Träume! So war ein Gedanke schon immer in mir. Nun, heute, wo ich das Land in all seinen Facetten kennen gelernt habe und nicht mehr so fit bin wie damals, als ich am Loch Ness saß und Skizzen anfertigte, sehe ich manches nicht mehr so verträumt. Doch ich liebe es immer noch, das Land mit seiner unerschöpflich mystischen Landschaft, den spektakulären Lichtern und den herzlichen Begegnungen auf den Inseln, mit ihren Wind und Wetter trotzenden Menschen.
Ich hatte damals dieses mystische Land besucht, um die Inspiration des Lichts der tiefstehenden Sonne einzufangen, das die zerklüfteten Küsten besonders betonte und mir die Empfindung suggerierte, diese Landschaft im Atelier in eindrucksvolle Bilder zu verwandeln.
Eine Geschichte hat sich in mir festgesetzt, die ich als junger Mann vor ungefähr fünfzig Jahren dort erlebte, und die ich nicht mehr vergessen werde, nie mehr! Noch heute, während ich im Liegestuhl sitze, in die Sonne schaue und nachdenke, erscheint sie wieder vor meinem geistigen Auge und wirft immer noch Fragen auf, die zum Teil bis jetzt ungelöst sind. Abenteuer, Liebe und Romantik gaben sich abwechselnd die Hand, in einer Welt, die teilweise wie in Opiumträumen Schrecken und Tod vorgaukelten.
Weit weg ist das Land der Vergangenheit – und ich machte zum ersten Mal die Reise in dieses Land meiner schwärmerischen Vorstellungen. Malen wollte ich dieses hintergründige, nebulose und schicksalhafte Land, aus dem mich viele interessante Geschichten erreichten und die mich dann veranlassten, ebenfalls eine längere Zeit dort zu verbringen.
Inzwischen war ich fast überall in Schottland und es entstanden Hunderte von Landschaftsbildern, Skizzen und surrealistischen Abbildungen. Nebelverhangene Berge, alte Cottages und Ruinen, einsame, sonnige Buchten, die schöner waren als alle einer im Mittelmeer gelegenen Ferieninsel, sollten mir immer wieder Anlass geben, diese herrliche Natur festzuhalten.
Irgendjemand hatte mir mal erzählt, dass nichts die Schönheit und die Dramatik der Westküste Schottlands übertreffen könnte. Doch ich wollte es selbst entscheiden, was wirklich bei mir das Wort „schön“ hervorrufen würde, denn es gibt wohl kaum einen Begriff, der dehnbarer ist, und für mich als Maler besitzt dieses Wort sowieso eine andere Bedeutung. So blieb ich, von Edinburgh kommend, an der Ostküste, und danach wollte ich auf die andere Seite, das heißt zur Insel Skye. Doch jetzt erlebte ich zum ersten Mal die außergewöhnliche Felsenküste der Ostseite des Landes, ganz oben im Norden, fast am Ende der Welt, so könnte man es auch ausdrücken.
In dieser wilden, von Stürmen heimgesuchten Ecke Schottlands gibt es kaum noch einen Baum, und dieses Ödland ist die Einsamkeit pur. Es ist so, dass man meint, alles, die gesamte Landschaft wird nur vom Licht beherrscht. Und man fragt sich, woher es überhaupt kommt, dieses fast imaginäre Licht. Weite, wunderbare Gefilde sind einfach leer, es ist wie ein schweigendes, wildes und verlassenes Land, in dem man von Ehrfurcht gepackt werden könnte, wenn man nur daran dachte, dass hier vielleicht noch kein Mensch gestanden hatte, oder, dass es schon sehr lange her war, dass es vielleicht mal jemand gab, der hier durch das windige Land streifte, um etwas zum Essen zu besorgen, das heißt, ein Huhn oder Kaninchen zu jagen.
Nachdem ich stundenlang über dicke Grasbüschel, glitschige Steine, nasse Moose und eiskalte Bäche mehr gepilgert als gewandert war, entdeckte ich an dieser gottverlassenen Stelle etwas, das nach Leben aussah. Ich war verwundert, in dieser Wildnis noch ein paar Häuser zu entdecken, und ich wurde daran erinnert, dass hier tatsächlich noch Menschen lebten. Wo ich jetzt gerade bin, stehen drei Cottages, und keine Straße führt hier her, nur ein Schotterweg, der fast zugewachsen ist. Unweit von den winzigen Gärten beginnt das Wasser, das bei Sturm fast bis zu den Steinmauern vordringt. Mehrere Boote liegen auf dem Land, festgebunden, einfach malerisch! Also, Skizzenblock raus und zeichnen ...
Der Stein unter mir, auf dem ich saß, kühlte mich langsam aus. Ein kalter Windzug tat sein Übriges, und ich zog mir den Schal um die Ohren. Der Himmel, der gerade noch aussah, als wäre er einem Aquarell entsprungen, mit aufgetürmten Wolkenbänken, zwischen denen noch das tiefe Blau durchschimmerte, hatte sich zugezogen. Die ersten Tropfen flogen mir schon ins Gesicht, und gerade, als ich mich aufmachen wollte, damit ich nicht dem kommenden Regen ausgeliefert wäre, sah ich jemand aus dem gegenüberliegenden Cottage kommen. Es war eine ältere Frau – sie winkte mir zu, ich soll doch rüberkommen. Also, schnell hin.
Als ich näher kam, öffnete sie mir die rotgestrichene Tür vom Windfang und schob mich halbwegs ins Haus. Es gab mir gleich ein wunderbares Gefühl, im Moment nicht mehr dem scharfen Wind ausgesetzt zu sein. Trotz dem Dialekt, das die Frau sprach, konnte ich sie mit meinem Schulenglisch gut verstehen. Ihr Mann saß in der Nähe des Fensters und schaute hinaus. „Das dauert nicht lange“, waren seine Worte zur Begrüßung, wobei er mich nicht einmal ansah. „Jetzt, zum Ende des Sommers, da ändert sich das Wetter schnell von Sonne zu Regen und umgekehrt.“ Dann ließ er den Vorhang los und setzte sich hinter den Tisch. Er reichte mir die Hand und sagte nichts. Dafür war seine Frau etwas gesprächiger. „Setzen Sie sich, ich mache einen Tee.“ Draußen regnete es bereits in Strömen, doch hier ließ es sich aushalten.
Es war die Küche und Aufenthaltszimmer in einem, und es war nicht sehr warm hier aber sehr gemütlich, und ich dachte noch, dass ich hier wohnen könnte… „Sie haben sich aber ein Wetter ausgesucht, um zu malen. Eh …, mm …, können wir mal sehen, was Sie da gerade so gemacht haben da draußen?“, meinte sie lächelnd.
Ich nahm meinen Schal ab, öffnete die Jacke und klappte die Mappe auf. Sie waren erstaunt über die vielen Skizzen und Zeichnungen, und gaben mir zu verstehen, dass sie so was noch nie gesehen hätten. Zum Teil waren es aber auch nur Farbskizzen, also Farbflecke mit Beschriftungen, die für mich wichtig waren, um im Atelier zu arbeiten, wenn die Reise irgendwann einmal vorbei sein sollte - etwas, das bald nicht mehr so sicher war.
„Darf ich mir was aussuchen?“ Ich hatte damit gerechnet, dass ich das gefragt wurde, denn es war oft so, wenn ich irgendwo malte, dass man mich nach einem Bild oder einem Entwurf fragte. Sie nahm eine der Skizzen, die ich vor ihrem Haus, unten am Wasser angefertigt hatte. Es war eine sehr stimmungsvolle Darstellung der Boote. „Darf ich was fragen?“, so sprach ich die beiden an, „Gibt es hier irgendwo eine Ruine oder ein altes Gemäuer?“ Sofort erfolgte eine Antwort – von beiden gleichzeitig. „Nicht weit von hier gibt es zwei zusammengefallene Castles. Es sind doch zwei, oder? Ja, das wäre was für Sie zum Malen. Direkt an den Felsen, aber auf einer Anhöhe. Dort lebten die S… und die …, wie hießen die noch?“ Sie sah ihren Mann fragend an. „Es war irgendetwas mit …, mit …“ Er wusste es auch nicht mehr. Bestimmt war es mit der Zeit unwichtig geworden wie die ehemaligen Nachbarn hießen. Vor allem, wenn es sie schon lange nicht mehr gab. Wie sie sagten, wären diese Castles im Mittelalter – oder so! - erbaut worden, und man sollte sie nicht betreten, es könnte gefährlich sein, da sie sehr baufällig wären.
Nun, die Herausforderung, dort mal einen Blick drauf zu werfen, ließ mir keine Ruhe. „Was für ein verrücktes Wetter, jetzt scheint wieder die Sonne.“ Er hatte wieder den Vorhang zurückgezogen und blinzelte aus dem Fenster.
Ich war hier in Schottland ohne Fahrzeug, was vielleicht etwas unüberlegt schien. Zu Fuß musste ich alles erledigen, was Zeit kostete, oder per Anhalter, was ich auch oft genug wahrgenommen habe. Sehr oft kam das Angebot von den Fahrern selbst. Und durch die Gespräche mit den Einheimischen erfuhr ich dann von malerischen Stellen, die ich sonst nie erfahren hätte, und man machte dann hin und wieder sogar einen Umweg, um mich direkt an einen schönen Flecken zu bringen. Oft genug fuhr ich auch mit dem Überlandbus oder durfte auch mal mit dem Postauto mitfahren.
Es wurde wieder hell draußen: der Alte hatte recht, das Wetter spielte verrückt. Ich verabschiedete mich und freute mich noch über die Gespräche, den heißen Tee und natürlich darüber, dass man hier so gastfreundlich war. Es war klar, dass ich mir die Ruinen nicht entgehen lassen wollte und schlug gleich den Weg in diese Richtung ein.
Das Gras war doch sehr hoch und in Büschel zerzaust, und so konnte ich nicht so schnell weiterkommen, wie ich es gern gehabt hätte. Gott sei Dank hatte ich mich entschlossen, Stiefel zu tragen, während ich hier auf der von mir festgelegten Exkursion war, und so hatte ich immer noch trockene Füße, während ich durch das nasse Gras stapfte. Es gab nur wenige Hügel, und man konnte schon von weitem sehen, dass sich etwas Dunkles, Großes weit weg abzeichnete. Das war mein Ziel!
Dort angekommen, eröffnete sich mir eine Trümmerlandschaft, die aus verfallenen Mauern bestand, mit schwindelerregend hohen Kaminen, halben Türmen, die an wackelige Bauklötzchen erinnerten, und fast alles war mit einer dick verkrusteten Erde übergossen. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber beim ersten Anblick der Ruinen spürte ich plötzlich ein Gefühl von fast unerträglicher Betrübnis. Die eigentümlich öde Landschaft drum herum, die zerrissenen und ausgespülten Mauern, die bestimmt viele schreckliche Erinnerungen in unsere Zeit brachten, stachelten meine Phantasie an, hier eine interessante Begegnung zu erwarten. Kein alberner Gedanke konnte hier das bedrängende Gefühl verscheuchen, das ich gerade spürte. Eine eigentümliche Atmosphäre umgab diese schwarzgrauen Mauern, die man vor Jahrhunderten mit Sorgfalt geplant und gestaltet hatte und die jetzt wie ein Haufen Dreck unwichtig die Landschaft in ihrem Ausdruck nicht verschönerten.
Eine grandiose Burgruine! Selbst hier, in dieser Steinwüste, blühte zwischen den Moosen und Flechten noch das Heidekraut, und für mich unbekannte kleine, weiße Blümchen standen haufenweise wie hingeworfen ebenfalls zwischen den alten Mauern. Es sollten zwei Burgen sein, wie mir diese Leute von vorhin gesagt hatten. Es sah aber aus, als ob es nur eine einzige riesige Burg gewesen sei. Diese beiden Ruinenfelder lagen direkt am Meer, direkt am Wasser. Auf der einen Seite fiel der Fels steil wie in einer Schlucht hinunter zur See, und die Überreste ragten wie Skelette der Geschichte aus dem Boden. Doch welche Geschichte verbarg sich hinter diesen Steinen? In diesem Licht, das gerade die Wolken sprengte, war es eine fantastische Gelegenheit, etwas Besonderes aufs Papier zu bringen, und sogleich turnte ich über die Trümmer und suchte den richtigen Blick in diese schattenreiche Ruine, um dann schnell ein paar Skizzen hinzuwerfen, bevor wieder eine dicke Wolke alles in ein verschwommenes Grau tauchen könnte. Ich fragte mich, ob man überhaupt dieses Trümmerfeld begehen könne, ob es nicht lebensgefährlich wäre, sich hier aufzuhalten. Nun, es wurde langsam dunkel, und ich entschloss mich, hier zu bleiben, vielleicht würde sich morgen noch etwas ergeben, was mir ein „Toll …“entlocken könnte.