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Die Sauna in Neukirchen-Vluyn
Оглавление„Manchmal muss ich eine Wand aufbrechen, wenn ich mir eins von den Dingern schnappen will, ich darf nicht zu viel Krach machen, um nicht erwischt zu werden.“
Dem Schwimmbad angeschlossen ist eine Sauna, man muss schon sagen, eine Saunalandschaft. Sie ist ein Raum zum Relaxen.
Obgleich es größere Anlagen gibt, erfreut sich die Sauna großer Beliebtheit, vielleicht gerade, weil sie so überschaubar und deshalb nie überfüllt ist. Früher gab es im Freizeitbad nur die Innensauna, eine Finnische Sauna mit neunzig Grad Temperatur und sehr trockener Luft und es gab eine Blockbohlensauna draußen, die aber nicht so heiß war, wie die Sauna innen. Innen gab es noch eine Dampfsauna und eine Biosauna.
Dann geschah die Schwimmbadrenovierung, und im Zuge dieser Maßnahme gab es eine Saunaerweiterung, es entstand der Saunagarten, und es wurden neue Saunaanlagen gebaut. Der sehr schöne, von einem Gärtner gepflegte Garten weist immer andere je nach Jahreszeit blühende Pflanzen auf. Ein künstlicher Bachlauf fließt durch den Garten. Mittendrin steht eine neue Duschanlage, von einem gefliesten Mauerwerk eingefasst, sehr schön anzusehen. Es gibt viele Liegen im Garten, die sommertags auch alle genutzt werden.
Manche Leute verbringen im Sommer die ganze Zeit ihres Saunabesuchs im Garten.
Die alte Blockbohlensauna wurde aufgegeben, der Holzbau dient im Winter als Aufbewahrungsort für die Liegen. Stattdessen ist auf der gegenüberliegenden Seite eine neue Blockbohlensauna gebaut worden. Sie ist nicht ganz so groß wie die alte, aber sehr gemütlich. Sie hat nicht die Hitze der Finnischen Sauna.
Es finden sich immer die gleichen Saunagänger ein, mit denen man ein Schwätzchen hält, wenngleich nie geistig hochtrabende Gespräche geführt werden. Aber das will auch niemand, es besteht kein Bedürfnis danach.
An die neue Blockbohlensauna schließt sich ein großer Ruhekomplex an. In dessen vorderstem Teil hat das Saunapersonal einen Aufenthaltsraum, daran schließt sich ein Ruheraum mit einem skandinavischen Ofen an, sehr gemütlich, man sitzt da, schaut ins Feuer und fühlt sich wohl, daneben befindet sich ein weiterer Ruheraum, in dem absolute Stille herrschen muss, selbst das Umblättern einer Zeitung wird dort schon als Störung empfunden. Die Saunagäste packen sich dort richtig ein, ziehen sogar warme Strümpfe an und schlafen tief und fest. Manche können für kurze Zeit einnicken, andere schlafen zwei Stunden, stehen dann wie gerädert auf und torkeln durch die Gegend.
So viel Zeit hat man in der Sauna eigentlich nicht. Deshalb legen sich die meisten Saunabesucher hin und lesen eine Zeitschrift, wobei lesen eigentlich zu viel gesagt ist, man blättert eine Zeitschrift durch, das wäre der treffende Ausdruck. Auf diese Weise kommt man in Kontakt zur Regenbogenpresse und wird mit dem Treiben in den Königshäusern vertraut gemacht.
An den Ruhebereich schließt sich das absolute Highlight des Saunagartens an, die Kristallsauna. Sie ist eine riesige Finnische Sauna und hat eine Kapazität von fünfzig Personen. Um einen großen Hitzebereich in der Mitte sind Saunabänke gestellt. Der Hitzebereich ist mit kristallähnlichen Steinen aufgefüllt, wahrscheinlich mit Quarzen, weshalb diese Sauna Kristallsauna heißt. Darüber befindet sich eine LED-Lichtquelle, die Licht in unterschiedlichen Farben auf die Steine wirft, was einen sehr interessanten Effekt erzeugt. Neben dem Glaseingang stehen zwei sehr große skandinavische Öfen, die im Winter angesteckt werden und für zusätzliche Hitze sorgen.
Stündlich wird ein Aufguss gemacht, der nicht von jedem vertragen wird, weil die Hitze durch Handtuchwedeln und durch Aromastoffe im Aufguss vom subjektiven Empfinden her noch verstärkt wird. Elfi, Nina und Anna wechseln sich bei den Aufgüssen ab. Sie kommen hinein, stellen sich vor, sagen, um welchen Aromastoff es sich handeln wird, nehmen ihren Aufgusskübel und die Aufgusskelle und fangen an.
Dann erbitten sie sich völlige Ruhe, warum ist unklar, jedenfalls wird das Ruhegebot befolgt.
Elfi ist die Älteste der drei Saunadamen. Man sagt, sie sei der Sheriff, weil sie ihre Arbeit manchmal doch recht schroff und scheinbar keinen Widerspruch duldend verrichtet. Elfi ist aber nett. und die Bezeichnung Sheriff passt eigentlich gar nicht zu ihr.
Der gängigste Saunaaufguss ist der mit ätherischen Ölen. Beim Aufguss entfalten sich die Aromen der Öle als wohlriechender Duft, zum Schwitzen, das eigentlich kein Schwitzen ist, kommt ein Dufterlebnis hinzu. Entgegen dem subjektiven Empfinden steigert ein Aufguss den Schwitzeffekt nicht. Was tatsächlich als vermehrtes Schwitzen empfunden wird, ist nur der auf der Haut niedergeschlagene Wasserdampf. Das durch den Aufguss verdampfte Wasser setzt sich als Kondenswasser auf der kühlen Haut ab, die 30° bis 37° C hat und sorgt dort für ein Hitzegefühl, da die Kondensationswärme an den Körper abgegeben wird. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit erzeugt das vermeintliche Schwitzen auch keinen Kühlungseffekt. Deshalb ist die Aufgusssauna aus medizinischer Sicht umstritten. Ungeübte Saunagänger sollten in der Aufgusssauna auf den unteren Bankreihen sitzen, weil der heiße Aufguss sich in die oberen Luftschichten verflüchtigt.
Der Aufguss besteht aus Eukalyptus, Menthol oder Minze. Es gibt auch einige exotische Mischungen, wie Maracuya-Minze oder Menthol-Polar.
Mit dem gefalteten Handtuch - in Saunakreisen Wackeltuch genannt - wird der aufsteigende Wasserdampf im Saunaraum verwirbelt, nachdem etwa ein Drittel des Aufgusses aus dem Eimer über den Steinen verdampft ist. Auch wird der Gluthauch von der Decke des Saunaraumes auf die Saunagäste heruntergeschlagen, sodass man schon mal ins Japsen kommt.
Die ganze Prozedur wird im Regelfall dreimal wiederholt. Man ist im Anschluss froh, wieder an der frischen Luft zu sein.
Die Saunagäste spendieren der Saunadame nach dem Aufguss einen kleinen Applaus.
Im Saunavorraum, wo man seinen Bademantel wieder überzieht, steht ein Teller mit Apfelspalten, die danach sehr gut schmecken. Im Sommer gehen sehr viele auf die schöne Liegewiese in den Garten.
Andere gehen wieder in den Innenraum und duschen sich kalt ab, wenn sie nicht schon vorher draußen kalt geduscht haben. Es gibt drinnen ein 14° C kaltes Tauchbecken, in das man sich begeben kann. Das kostet aber Überwindung, besonders, wenn man auch den Kopf untertaucht. Das Gefühl, das sich hinterher einstellt, ist um so angenehmer.
Die Kristallsauna ist eindeutig der Höhepunkt in der Saunalandschaft des Freizeitbades. Eine weitere entspannende Sauna im Innenbereich ist die Dampfsauna. Das Nebelbad oder die Dampfsauna ist eine Variante der Sauna mit niedriger Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit. Beim Betreten der Dampfsauna glaubt man manchmal, keine Luft mehr zu bekommen, so dicht steht darin der Nebel. Auch dort stellt sich statt des Schwitzeffektes ein Dampfniederschlag ein, der die Haut nässt. Der in die Sechserkabine tretende Wasserdampf ist aromatisiert bzw. mit Duftölen angereichert, was das Atmen manchmal noch erschwert.
Die Dampfsauna hat sehr alte Vorläufer, schon das griechisch-römische Bad war eine Dampfsauna, die ihre Weiterentwicklung im türkisch-arabischen Hamam hatte.
Der Hamam oder das Türkische Bad kann das subjektive Wohlbefinden erhöhen, Muskelverspannungen entgegenwirken sowie die Durchblutung der Haut anregen, die Hautalterung wird dadurch verzögert.
Die ersten Hamam wurden im islamischen Mittelalter in Jordanien errichtet. Hamams haben meistens einen kreisrunden so genannten Nabelstein in der Mitte des Raumes, auf den man sich legt und auch massiert wird. Hamams werden nach Geschlechtern getrennt besucht.
Überhaupt spielt die Sexualität in Saunen keine Rolle und wird von Saunagängern, jedenfalls von den echten, auch nicht gewollt.
Man sieht sich in gemischten Saunen zwar nackt, empfindet aber dabei kaum eine Regung. Wahrscheinlich verhindern das die körperliche Anstrengung und Hitze. Niemand ist auch gewillt, sich schamhaft zu bedecken.
Auf der anderen Seite werden dem Auge gelegentlich aber auch körperliche Katastrophen geboten. Niemand zeigt eben irgendeine Scheu davor, seinen Körper zu entblößen.
Die Dampfsauna wird im Freizeitbad nicht sehr gern besucht, sie kann aber auch besonders anstrengend sein, und man hält es nicht sehr lange darin aus. Neben der Dampfsauna befindet sich die so genannte Biosauna.
In der Biosauna herrschen viel niedrigere Temperaturen als in allen anderen Saunen, meistens 45° C bis 65 ° C bei einer Luftfeuchtigkeit von 40 % bis 55 %. Sie gilt als kreislaufschonend, nicht belastend, weil annähernd normale Luftfeuchtigkeit herrscht.
Oft wird sie kombiniert mit der Zugabe von ätherischen Ölen oder mit einer Lichttherapie. Letztere kommt im Freizeitbad zur Anwendung.
Es wechseln sich in der Biosauna verschiedene Lichtfarben ab: weiß, rot, grün, blau.
Manche mögen den therapeutischen Effekt, den dieses Licht haben soll, belächeln. Tatsächlich ist dieser Effekt aber medizinisch erwiesen. So produziert der Körper besonders in der zweiten Nachthälfte Melatonin.
Melatonin wird mit einer depressiogenen Wirkung in Verbindung gebracht. Wenn unmittelbar nach dem Aufstehen eine Lichttherapie gemacht wird, wird die Produktion von Melatonin unterbunden bzw. Melatonin wird abgebaut, es kommt zu einem positiven Stimmungsumschwung. Mithilfe der Lichttherapie will man in den durcheinandergeratenen zirkadianen Rhythmus eingreifen, das ist ein sich periodisch wiederholender Steuerungsmechanismus im Alltagsablauf, dessen Dauer 24 Stunden beträgt. Der Hauptfaktor der exogenen Steuerung des zirkadianen Rhythmus ist die Erdrotation. Mit ihr verbunden sind Hell-/Dunkelphasen, Ebbe und Flut und der Sonnenstand.
Diese nicht beeinflussbaren Steuergrößen haben Effekte auf unser Verhalten. Der Mensch steuert beständig dagegen, indem er sich Kunstlicht verschafft, statt sich bei Dunkelheit mit Ruhe zu umgeben, indem er abends arbeitet, wenn er schlafen sollte usw.
Große Erfolge erzielt die Lichttherapie bei der so genannten Winterdepression. Man setzt langsam mit einer sehr kleinen Luxzahl ein. In der Biosauna bleibt man bis zu dreißig Minuten. Man spricht beim Lichteinsatz auch von therapeutischer Lichtdusche. Die Biosauna wird nicht von vielen genutzt. Man mag es aber, ungestört darin zu liegen.
In der Finnischen Sauna lieben es manche Saunagäste, sich mit Honig einzucremen. Der an sich zähe Honig wird unter Hitzeeinwirkung flüssig, duftet gut und zieht in die Haut ein, wo er reinigend und pflegend wirkt. Es gibt mittlerweile besondere Honigarten für Saunen, die spezielle Zusätze enthalten.
Die meisten Saunagäste tragen einen Bademantel, wenn sie sich außerhalb der Saunakabinen befinden und haben große Saunabadetücher. Auch Saunalatschen sind ein Muss. Die Gefahr, sich auf den feuchten Böden einen Fußpilz zu fangen, ist groß.
Im Inneren des Saunabereiches steht ein Zeitschriftenständer, aus dem man sich nach dem Betreten der Sauna bedient. Es spielt eigentlich kaum eine Rolle, welche Zeitschrift man da gerade bekommt, man blättert sie ohnehin nur durch und sieht sich die Bilder an, zu mehr ist man vor lauter Müdigkeit nicht in der Lage.
Seit Neuestem gibt es eine Infrarotkabine. Sie ist winzig klein, es passen nur zwei Personen hinein. Es gibt großartige Erklärungen zum Sinn der Infrarotsauna, so sehr überzeugend ist das alles aber nicht.
Im Liegebereich steht ein Kaffeeautomat, man kann sich aber auch am Schalter einen Cappuccino bestellen. Die Liegen sind im Winter immer alle belegt. Es ist zwar verboten, sich eine Liege zu reservieren, dennoch gibt es stille Absprachen, wer welche Liege hat, man kennt sich inzwischen. Manche entfernen einfach die Handtücher, die zur Reservierung auf die Liegen gelegt werden und werfen sie auf die Seite. Die Besitzer verfallen dann in ein leichtes Grummeln, verziehen sich aber danach.
Der Eintritt in die Sauna ist nicht ganz ohne, die Tageskarte kostet vierzehn Euro. Man kann den Preis etwas drücken, indem man zum Beispiel eine Geldwertkarte kauft. Legt man fünfzig Euro an, bekommt man eine Karte, die dem Wert von sechzig Euro entspricht, das heißt, man spart knapp zwanzig Prozent.
Oder man kauft sich einmal im Jahr eine Saunamembercard, die dreißig Euro kostet. Der Besitz dieser Karte ermäßigt den Saunaeintritt von vierzehn auf elf Euro.
Man muss kein großer Rechenkünstler sein, um den Preisvorteil zu ermessen: geht man als Besitzer einer Membercard vierzig mal pro Jahr in die Sauna, zahlt man vierhundertvierzig Euro Eintritt plus 30 Euro für die Membercard, also 470 Euro. Der Normaltarif hätte aber 560 Euro gekostet, man spart etwa 16 %. Je öfter man geht, desto größer die prozentuale Ersparnis.
Der regelmäßige Saunagänger geht sicher fünfundvierzig mal, da bleiben immer noch sieben Urlaubswochen. Wichtig ist der regelmäßige Saunabesuch, auch bei großer Sommerhitze.
Wenn andere die Freibäder aufsuchen, geht der echte Saunagänger in die Sauna, auch wenn andere ihn deswegen verspotten.
In Russland ist die Banja, die dortige Version der Sauna, bei Geschäftsleuten und Politikern sehr beliebt, um sich zu treffen und Entscheidungen zu fällen. Tradition haben in der Banja Birkenzweige, mit denen der gesamte Körper abgeschlagen wird, um die Blutzirkulation anzuregen. Im Sommer nimmt man frische Birkenzweige, im Winter getrocknete, die im Sommer gebunden wurden. In Finnland kann man sogar tief gefrorene Büschel kaufen und mit in die Sauna nehmen. Das Schlagen mit den Büscheln soll vor allem der Abhärtung und dem Schutz vor Erkältungskrankheiten dienen.
Die Erhöhung der Körpertemperatur auf bis zu 39° C simuliert ein Fieber, das die im Körper befindlichen Krankheitserreger abtöten soll. Wichtig ist die Abfolge von Hitzezufuhr und anschließendem Kaltbad oder erfolgender Kaltdusche, dadurch entspannt sich die Muskulatur, sinkt der Blutdruck, wird der Kreislauf angeregt, auch der Stoffwechsel, das Immunsystem und die Atmung. Insgesamt fördert das Saunieren das subjektive Wohlbefinden.
Die Haut profitiert sehr stark von der Sauna. Die Blutgefäße weiten sich, die Oberflächentemperatur steigt auf vierzig bis zweiundvierzig Grad an, in der Abkühlphase verengen sich die Gefäße dann wieder. Dieses Gefäßtraining wirkt der Alterung der Haut entgegen. Das Schwitzen bewirkt eine sehr gründliche und gleichzeitig schonende Körperreinigung.
Familie Keller aus Vluyn ging seit jeher regelmäßig in die Sauna
Siegfreid Keller und seine Ehefra Christa hatten zwei Kinder, Jana und Anna, elf und zwölf Jahre alt.
Sie besuchten beide das Julius-Stursberg-Gymnasium und waren recht erfolgreiche Schülerinnen.Sie besuchten die fünfte und die sechste Klasse.
Samstags ging die ganze Familie Keller in die Sauna. Siegfried und Christa hatten eine Membercard, Jana und Anna zahlten in Begleitung Erwachsener nur vier Euro.
Am Samstag war in der Sauna eine Menge los, viele Familien besuchten mit ihren Kindern das Freizeitbad und die Sauna. Es fand sich aber immer genügend Platz zum Entspannen.
Die Mädchen hatten anfangs etwas Hemmung, sich vor allen anderen Saunabesuchern nackt zu zeigen. Ab dem dritten Male war das Schamgefühl aber völlig verschwunden. Die Mädchen liebten die Biosauna ganz besonders. Sie strengte den Körper nicht so sehr an und war deshalb nicht ermüdend. Die Mädchen begleiteten ihre Eltern aber auch in die Kristall- und in die Dampfsauna. Nach eineinhalb bis zwei Stunden spendierte Herr Keller eine heiße Schokolade, darauf freuten sich alle schon beim Betreten der Sauna.
Im Winter lag im Saunagarten manchmal Schnee, dann wälzten sich einige Besucher der Kristallsauna im Schnee.
Niemand kam unter normalen Umständen auf die Idee, sich nackt im Schnee zu wälzen oder in ein eiskaltes Wasserbecken zu tauchen. Familie Keller machte nach den Saunagängen immer ausgedehnte Pausen.
Die Mädchen hatten sich von zu Hause etwas zu lesen mitgebracht. Christa und Siegfried nahmen sich eine Zeitschrift. Die Zeitschriften wurden aber immer zu schwer auf dem Arm, sodass sie sich dem Gesicht näherten. Kurze Zeit später machte Siegfried Keller dann die Augen zu und schlief. Das wäre ja in Ordnung gewesen, wenn er den Mund dabei geschlossen hielte. So aber lag er dann immer da wie entrückt, hatte den Mund sperrangelweit geöffnet und schnarchte laut. Eigentlich konnte man das nicht mehr Schnarchen nennen, Siegfried Keller gab Geräusche von sich, die an einen ausgeschlagenen Bohrer oder an ein arbeitendes Sägewerk erinnerten.
Das war Christa Keller und auch den Kindern dann immer peinlich. Sie schauten sich pikiert um und stießen Siegfried kräftig in die Seite. Erschreckt fuhr der dann hoch und fragte, was denn los wäre. Wenn man ihn auf sein Schnarchen hinwies, zuckte er nur mit den Schultern, drehte sich um und schnarchte weiter. Zum Glück dauerte es bis zum nächsten Saunagang nicht so lange, sodass man ihn wieder weckte.
Den Abschluss bildete bei allen ein Gang in die Blockbohlensauna und in die Dampfsauna mit anschließendem Kaltduschen.
Die Dampfsauna mochte Herr Keller ganz besonders, bei den anderen war sie nicht so beliebt. An einem Samstag im November des letzten Jahres waren alle Kellers in der Sauna des Freizeitbades.
Alles lief wie immer, die Mädchen waren in der Biosauna, man las viel in den Pausen, trank heiße Schokolade, Herr Keller schlief und schnarchte mit offenem Mund, Frau Keller schaute sich verschämt um. Nach dem dritten Gang hörte man auf, ging duschen und anschließend in die Umkleide.
Als sie angezogen waren, föhnten Frau Keller und die Mädchen sich die Haare. Herr Keller saß auf der Bank neben dem Ticketautomaten und wartete. Jana war früh fertig mit dem Föhnen und ging schon mal raus.
Es war schon dunkel draußen, im November setzt um 16.30 h die Dunkelheit ein.
Als alle fertig waren und raus gingen, war von Jana nichts zu sehen. Sie gingen zum Auto in der Annahme, sie dort zu treffen, nichts. Herr Keller ging noch mal zurück zum Einangsbereich, die Kassiererin fragte, ob er etwas vergessen hätte, was er verneinte, er suchte nur seine Tochter Jana.
Dann ging er wieder hinaus. Draußen hörte er Christa und Anna rufen, „Jana, Jana“, nichts. Herrn Keller schwante nichts Gutes.
Er lief ein Stück in die Döpperstraße, die direkt am Saunagarten vorbeiführte. Da sah er plötzlich Janas Kleidung am Wegrand verstreut liegen, und zwar die komplette Kleidung, einschließlich Unterwäsche und Schuhe.
Er schrie nach seiner Frau, völlig außer sich. Christa kam mit Anna angerannt. Beide fingen sofort an zu weinen, als sie Janas Kleidung da liegen sahen. Siegfried Keller zog sein Handy aus der Tasche und rief die Polizei an, nicht die Neukirchener, sondern gleich die Moerser von der Asberger Straße. Die war nach zwanzig Minuten vor Ort.
Auch Herr Keller weinte inzwischen, die Polizei versuchte, Familie Keller zu beruhigen. Das war aber nicht so leicht. Die Indizien sprachen für sich. Vermutlich ein Sexualstraftäter, der Jana entkleidet und dann nackt entführt hatte.
Die Polizei orderte Suchhunde, die an Janas Kleidung schnüffeln und dann die Spur aufnehmen sollten. Die Kleidung roch aber sehr merkwürdig nach Erbrochenem, so gab sie jedenfalls keinen Hinweis auf Jana. Im Licht der Taschenlampen sahen die Beamten kleine weiße Röllchen herum kullern, wie aus ganz leichtem Kunststoff.
Sie nahmen alles mit, ließen sich Kellers Adresse und Telefonnummer geben und wollten sich am nächsten Tag noch einmal melden.
Jana tauchte nie wieder auf.