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Schrittweises Bite Jumping bis zum frontalen Kreuzbiss bei der Herbst-Behandlung

Einleitung

Bei der Herbst-Behandlung des Distalbisses gibt es unterschiedliche Meinungen über das Ausmaß und die Art der Unterkiefer-Vorverlagerung (Bite Jumping) während der Behandlung. Am häufigsten wird der Unterkiefer in einem Schritt zu einem normalen Overjet oder zu einer Kopfbissstellung der oberen und unteren Inzisivi vorverlagert1,2. Wissenschaftlich hat man nachweisen können, dass sich ein größeres Bite Jumping stärker auf die Okklusion und das Unterkieferwachstum auswirkt als ein kleineres Bite Jumping2. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass eine schrittweise Unterkiefer-Vorverlagerung effizienter ist als eine Einschritt-Vorverlagerung3,4.

Seit 1984 verwendet der Autor des Beitrags eine extreme Methode des schrittweisen Bite Jumpings, indem der Unterkiefer im letzten Schritt zu einem frontalen Kreuzbiss (Klasse III) vorverlagert wird.

In diesem Beitrag werden als Beispiel drei Herbst-Patienten vorgestellt, bei denen der Unterkiefer während der Behandlung in mehreren Schritten bis zum frontalen Kreuzbiss vorverlagert wurde: im ersten Schritt zu einer Kopfbissstellung der oberen und unteren Inzisivi und im zweiten Schritt zu einem umgekehrten frontalen Überbiss. Die Behandlung der Patienten fand an den Universitäten in Malmö/Schweden (Fall 1) und in Gießen/Deutschland (Fälle 2 und 3) statt.

Patientenfall 1

Ein 12,5 Jahre altes Mädchen mit einem Distalbiss (Klasse II:1) wurde erfolgreich mit einer Bänder-Herbst-Apparatur behandelt (Abb. 1). Während der Behandlung wurde der Unterkiefer in drei Schritten zu einem frontalen Kreuzbiss vorverlagert. Nach der Herbst-Behandlung erfolgte keine weitere Multibracket-Behandlung (MB) oder Retention. Bei der Nachuntersuchung 3 Jahre später, war das Ergebnis stabil.

Abb. 1 Ein 12,5 Jahre altes Mädchen, das erfolgreich mit einer Bänder-Herbst-Apparatur und schrittweisem Bite Jumping bis zum frontalen Kreuzbiss behandelt wurde. a) Vor der Behandlung. b) Start der Herbst-Behandlung (zu beachten ist der erste Bite-Jumping-Schritt bis zum inzisalen Kopfbiss). c) Nach 5-monatiger Herbst-Behandlung (zu beachten ist die Reaktivierung der Teleskope mit einer Vorverlagerung des Unterkiefers bis zum frontalen Kreuzbiss). d) Nach 7-monatiger Herbst-Behandlung und Entfernung der Apparatur (zu beachten ist der frontale Kreuzbiss). Nach der Herbst-Behandlung fand keine weitere Behandlung und keine Retention statt. e) 3 Wochen nach Abschluss der Herbst-Behandlung (zu beachten ist das frontale Rezidiv mit den Inzisivi in Kopfbissrelation). f) 3,5 Monate nach der Behandlung (zu beachten ist der normale Overjet). g) 3 Jahre nach der Behandlung (zu beachten ist das stabile Behandlungsergebnis).

Patientenfall 2

Ein 12 Jahre altes Mädchen mit einem Distalbiss (Angle-Klasse II:1) wurde erfolgreich mit einer gegossenen Schienen-Herbst-Apparatur, gefolgt von einer MB-Apparatur im Ober- und Unterkiefer, behandelt (Abb. 2). Während der Herbst-Behandlung wurde der Unterkiefer in zwei Schritten zu einem frontalen Kreuzbiss (Klasse III) vorverlagert. Ein Positioner wurde 6 Monate zur Retention nach der Herbst-MB-Therapie verwendet. Bei der Nachuntersuchung 3 Jahre nach der Herbst-MB-Behandlung, war das Ergebnis stabil.

Abb. 2 Ein 12 Jahre altes Mädchen, das erfolgreich mit einer gegossenen Schienen-Herbst-Apparatur und schrittweisem Bite Jumping bis zum frontalen Kreuzbiss behandelt wurde. a) Vor der Behandlung. b) Start der Herbst-Behandlung (zu beachten ist der erste Bite-Jumping-Schritt bis zum inzisalen Kopfbiss). c) Nach 5-monatiger Herbst-Behandlung (zu beachten ist die Reaktivierung der Teleskope durch Austausch der Führungsrohre zu längeren Varianten; der Unterkiefer ist bis zum frontalen Kreuzbiss vorverlagert). d) Nach 7-monatiger Herbst-Behandlung und Entfernung der Apparatur (zu beachten ist der frontale Kreuzbiss). e) Nach 1-monatiger MB-Behandlung, nach der Herbst-Behandlungsphase (zu beachten ist das frontale Rezidiv zu einem normalen Overjet). f) Nach Abschluss der Herbst-MB-Behandlung. g) 3 Jahre nach der Herbst-MB-Behandlung (zu beachten ist das stabile Behandlungsergebnis).

Patientenfall 3

Ein 18 Jahre alter männlicher Erwachsener mit einem Distalbiss (Angle-Klasse II:2) wurde erfolgreich mit einer gegossenen Schienen-Herbst-Apparatur, gefolgt von einer MB-Apparatur im Ober- und Unterkiefer, behandelt (Abb. 3). Vor der Herbst-Phase wurden die Oberkiefer-Inzisivi mit einer MB-Apparatur prokliniert, um eine Vorverlagerung des Unterkiefers zu ermöglichen. Während der Herbst-Behandlung wurde der Unterkiefer in zwei Schritten zu einem frontalen Kreuzbiss (Klasse III), vorverlagert. Eine 2-jährige Retention nach der Herbst-MB-Behandlung erfolgte mit einem Plattengerät im Oberkiefer und einem geklebten lingualen Eckzahn-zu-Eckzahn-Retainer im Unterkiefer. Bei der Nachuntersuchung 3 Jahre nach der Herbst-MB-Behandlung, war das Ergebnis stabil.

Abb. 3 Ein 18 Jahre alter männlicher Erwachsener, der erfolgreich mit einer gegossenen Schienen-Herbst-Apparatur und schrittweisem Bite Jumping bis zum frontalen Kreuzbiss behandelt wurde. a) Vor der Behandlung, nach der Proklination der oberen Inzisivi. b) Start der Herbst-Behandlung (zu beachten ist der erste Bite-Jumping-Schritt bis zum inzisalen Kopfbiss). c) Nach 2,5-monatiger Herbst-Behandlung (zu beachten ist die Reaktivierung der Teleskope mit einer Vorverlagerung des Unterkiefers bis zum frontalen Kreuzbiss). d) Nach 9-monatiger Herbst-Behandlung und Entfernung der Apparatur (zu beachten ist der frontale Kreuzbiss). e) Nach 1-monatiger MB-Behandlung, nach der Herbst-Behandlungsphase (zu beachten ist das frontale Rezidiv zu einem normalen Overjet). f) Nach Abschluss der Herbst-MB-Behandlung. g) 3 Jahre nach der Herbst-MB-Behandlung (zu beachten ist das stabile Behandlungsergebnis).

Diskussion

Die Methode der schrittweisen Vorverlagerung des Unterkiefers bis zum frontalen Kreuzbiss ist ein zuverlässiges klinisches Verfahren bei der Herbst-Behandlung des Distalbisses von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Die Methode ist komplikationsarm und wird von den Patienten in allen Altersgruppen gut akzeptiert.

Die klinische Überlegung zu den Vorteilen dieses Bite-Jumping-Verfahrens beruht auf der Erkenntnis, dass bei einer üblichen Herbst-Behandlung unabhängig von dem Ausmaß der Unterkiefervorverlagerung eine Proklination der unteren Frontzähne nicht zu vermeiden ist und dass nach der Behandlung die Frontzahnstellung zu rezidivieren neigt5. Das sollte bedeuten, dass auch bei einer Unterkiefer-Vorverlagerung bis zu einem frontalen Kreuzbiss eine Proklination der unteren Inzisivi stattfindet, aber dass das darauffolgende Rezidiv der Frontzahnneigung zu einem normalen Überbiss (Overjet) führt. Diese Klasse-III-Überbehandlung könnte somit letztendlich eine stabilere Okklusion sowie eine verkürzte Retentionszeit bedeuten.

Ein weiterer Vorteil des Klasse-III-Bite-Jumpings ist, dass die Patienten mit den Zähnen in einer frontalen Kreuzbissrelation nicht knirschen können. Somit wird eine Überbelastung des Teleskop-Mechanismus und ein damit verbundener Geräteschaden vermieden.

Speziell günstig ist das Klasse-III-Bite-Jumping-Verfahren bei Patienten mit einer vollen Distalokklusion im Bereich der Seitenzähne und einem moderat vergrößerten Overjet (weniger als 6 mm). Hier ist ein großes Jumping (in einem Schritt) bis zum frontalen Kreuzbiss vorteilhaft, um eine große Wirkung auf die Okklusion und das Unterkieferwachstum zu erreichen2,3,4.

Dagegen werden die Kiefergelenke bei einer vollen Distalokklusion in Kombination mit einem sehr großen Overjet (mehr als 10 mm) eine Klasse-III-Unterkiefervorverlagerung in einem Schritt nicht erlauben, da die maximale Bewegungsfreiheit des Unterkiefers nach vorne nur bei ca. 7 mm liegt. Somit ist hier ein Jumping in wenigstens drei Schritten notwendig:

•Im ersten Schritt ca. 4 bis 5 mm,

•im zweiten Schritt bis zum inzisalen Kopfbiss und

•im dritten Schritt bis zum inzisalen Kreuzbiss.

Auch wenn die klinischen Ergebnisse des extremen Bite Jumpings sehr zufriedenstellend sind, liegen bis heute keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema vor. Interessant zu untersuchen wären folgende Fragestellungen:

•Wie beeinflusst das Verfahren die Position und das Parodontium der unteren Frontzähne?

•Wie wirkt sich das Verfahren auf das Wachstum und die Funktion der Kiefergelenke aus?

Literatur

1.Pancherz, H. Treatment of Class II malocclusions by jumping the bite with the Herbst appliance. Am J Orthod 1979;76: 423–442.

2.Pancherz, H. The mechanism of Class II correction in Herbst appliance treatment. Am J Orthod 1982;82:104–113.

3.Du, X; Hägg, U, Rabie, ABM. Effects of Headgear Herbst and mandibular step-by-step advancement vs conventional Herbst appliance and maximal bite jumping of the mandible. Eur J Orthod 2002;24:167–174.

4.Rabie, ABM, Tsai, M-LM, Hägg, U, Du, X, Chou, B-W. The correlation of replicating cells and osteogenesis in the condyle during stepwise advancement. Angle Orthod 2003; 73:457–465.

5.Hansen, K, Koutsonas, TG, Pancherz, H. Long-term effects of Herbst treatment on the mandibular incisor segment: A cephalometric and biometric investigation. Am J Orthod Dentofac Orthop 1997;112:92–103.

Die Herbst-Apparatur

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