Читать книгу Das Geheimnis der Pandemie - Hans-Peter Grünebach - Страница 11
5. KAPITEL
ОглавлениеNur etwa eine Autostunde war es für Lieutenant Dr. Randi Allen von dem County-Zentrum Frederick in Maryland in die Hauptstadt Washington DC, wo sie seit ihrer Verwendung im Fort Derrick im Mai 2019 manchmal dienstlich zu tun hatte.
Etwa drei Stunden mehr brauchte sie zu ihren Eltern nach New York City, je nachdem, ob sie die 250 Meilen über Philadelphia fuhr, oder die Route über Harrisburg nahm.
Nach ihrer Ausbildung zur Veterinärmedizinerin im Fachbereich »Laboranalytik«, die sie im Januar 2019 abgeschlossen hatte, war die Stadt an dem zwischen grünen Hügeln, Golfplätzen und »National Battlefield« mäandernden Monocacy River ihre zweite Heimat geworden.
Ihre Mutter Marta war dort aufgewachsen und hatte ihr viel von der 1745 von Deutschen gegründeten Siedlung erzählt.
Am 9. Juli 1864 kämpften dort Amerikaner gegen Amerikaner im Bürgerkrieg.
Die Konföderierten unter Lieutenant General Early verteidigten gegen die Unierten unter Major General Wallace und gewannen die Etappe auf dem Zwischenspurt nach Washington. In dem endgültigen Wettlauf siegten aber die Unierten des Nordens. Der Sezessionskrieg ging im Folgejahr zu Ende. Rund eine Million Tote waren zu beklagen. Die Infrastruktur in den Südstaaten war zerstört, aber Abraham Lincoln hatte der Sklaverei ein Ende gesetzt, und die »Vereinigten Staaten von Amerika« waren gegründet.
2019, es war in der Karwoche, kam es zu einem touristischen Wiedersehen von Dr. Daniel Lutschyna und Dr. Randi Allen in Rom.
Randi war bereits angekommen und kurierte ihren Jetlag im Smart Hotel aus.
Randi hatte das Hotel an der Piazza dell’Indipendenza aus taktischen Gründen ausgesucht: Es waren nur ein paar hundert Meter vom Bahnhof Termini, vorbei an der Basilika del Sacro Cuore di Gesu als Orientierungspunkt, entlang der Via Vicenza und Via Magenta; leicht zu finden.
Beim Aussteigen aus dem Transferwaggon wurde sie im Gedränge des Bahnsteigs von einer langhaarigen Britin, barfuß, im Hängekleid, angehalten. In Englisch bettelte sie Randi um zehn Dollar an. Sie sei bestohlen worden und benötige Fahrgeld zu ihrer Botschaft.
Randi war vor Trickdieben gewarnt, ließ die junge Frau stehen und ihr Portemonnaie in der Handtasche.
Sie verließ den quirligen Bahnhof mit ihrem Rollkoffer rasch.
Da sie über Washington und Amsterdam hatte fliegen müssen, war sie rechtschaffen müde; mehr als fünfzehn Stunden war sie unterwegs gewesen. Ein wenig Bewegung tat gut.
Im Hotel gab es römische Spezialitäten; es hatte ein gut beschriebenes In-Haus-Restaurant. Darauf freute Randi sich, nach den Sandwichs von unterwegs, deren Unter- und Oberbau eher nach ausgedrückten Schwämmen als nach Brötchen geschmeckt hatten und der Belag nach lapprigem Kunstkäse auf Salatblatt. Sie war pingelig, wenn es um gesundes Essen ging.
Beim Check-In im Hotel war man sehr zuvorkommend. Die blondierte, schlanke Römerin im hellblauen Hosenanzug gab ihr einen Stapel Informationsmaterial zum »Einlesen in die ewige Stadt« mit, wie sie in atemberaubender Geschwindigkeit erklärte.
Das Zimmer war mit siebzehn Quadratmetern nicht besonders groß, aber es hatte einen Austritt, einen Miniaturbalkon, zum Platz hin. Alles war rein. Randi prüfte die Sauberkeit aus Gewohnheit mittels einer UV-Taschenlampe, die sie immer bei sich trug.
WLAN und Premium-TV würden sie sowohl mit Daniel als auch mit ihren Eltern in Kontakt halten und ihren Hunger an Nachrichten aus der Heimat stillen. Die Minibar war prall gefüllt.
Ihre Wahl war auch wegen der guten Anbindung in die Innenstadt auf dieses Hotel gefallen.
Online-Empfehlungen verwiesen auf die sehr nahe Bushaltestelle des »Terravision«, auf die U-Bahn und Bus-Haltestellen am Bahnhof, und auf den gut erreichbaren Zoo mit Reptilienhaus und eine Kunstgalerie vor der Tür.
Im Restaurant war ein kleiner Tisch für sie reserviert. Nach dem Blick in die Karte stand Randis Entschluss rasch fest. Sie entschied sich ausnahmsweise für eine Saltimbocca alla Romana, ein sehr dünn geschnittenes Kalbsschnitzel mit Parmaschinken mit Rosmarinkartoffeln und Blattsalat. Sie verzichtete auf Vorspeise und »Primo«, und orderte nach dem »Secondo« noch einen Nachtisch, ein Tiramisu.
Der Kellner empfahl ihr zunächst einen Weißwein, den man zur Saltimbocca trinke. Da sie sich aber einen sehr guten Rotwein dazu eingebildet hatte, brachte ihr der Cameriere einen »Brunello«. Der ging ihr wie intravenös verabreicht ins Blut über.
Warum wunderte sie sich? Hatte er nicht dieselbe Farbe wie ihr Blut?
Wenig später wunderte sich auch Daniel, während er in seinem Zimmer in Minsk vor seinem Laptop mit aktiviertem Skype auf Randi wartete.
Randi gestikulierte vor dem Bildschirm beim Erzählen wie eine Italienerin, und ihre Augen glänzten wie Kinderaugen zu Weihnachten, erhitzte Pausbacken darunter. Daniel fragte nichts.
Randi sprudelte. Er kam kaum zu Wort.
Es gelang Daniel immerhin, seine Ankunftszeit für den Folgetag durchzugeben.
Randi sah ihren Vater nur kurz auf Skype. Der freute sich über ihren Kurzbericht, war aber mit Marta auf dem Sprung ins Theater.
Randis erste Nacht im Rom verlief durchwachsen.
Der Wein hatte nur zwei Stunden als Schlafmittel gewirkt. Jetlag, Verkehr und Nachtschwärmer bescherten ihr Stunden des Nichtstuns in einem Clubsessel vor dem Miniaturbalkon. Die Nachtluft war milder als die in Maryland.
Mit der Meeresbrise wehten Abgase bis in den dritten Stock.
So wie aufdrehende Motoren und Hupkonzerte ihren Weg zum Hotel begleitet hatten, so begleitete sie während der Wachzeiten fortwährende Betriebsamkeit auf der Piazza dell‘Indipendenza.
Erst gegen vier Uhr Ortszeit ging die Stadt für kurze Dauer schlafen und mit ihr Geheimnisträgerin Lieutenant Dr. Randi Allen, Projektleiterin »Mutationen von Coronaviren bei ausgewählten Säugetieren« in einem Biolabor, Fort Derrick, Maryland, USA.
Seit Antritt ihres Dienstes zum 2. Mai 2019 in Fort Derrick war Lieutenant Dr. Randi Allen Geheimnisträgerin. Ihr Umfeld war vorher durch den zuständigen Geheimdienst abgeklopft worden und zwei von ihr angegebene Referenzen waren befragt worden.
Sie hatte eine Befragung zu ihren bisherigen Reisen durchstehen müssen und in Fragebögen Erklärungen dazu sowie zu Kontakten mit bestimmten Ländern abgeben müssen.
Natürlich hatte sie auch ihre Beziehung zu Dr. Daniel Lutschyna pflichtgemäß erwähnt, dass sie ihn in Minsk besucht hatte, mit einem Abstecher zu seiner Familie an die Beresina, und dass er demnächst in Moskau arbeiten würde. »Cosmic Top-Secret« war eine sehr hohe Geheimhaltungsstufe, zu der sie ermächtigt worden war, um Zugang zu streng geheimen Dokumenten zu erlangen.
Sonderrechte ermöglichten ihr sogar die Einsicht in Dokumente zur Abwehr atomarer, biologischer und chemischer Angriffe.
Sie musste die Gefährlichkeit der Waffen verstehen, um in ihrem Labor, zusammen mit Kollegen aus der Mikrobiologie, den Militärmedizinern und den Apothekern, Abwehrmaßnahmen zu entwickeln und vorzuhalten.
Der »worst case« wurde bei Stabsübungen des Pentagon regelmäßig von einem begrenzten Personenkreis durchgespielt. Als »Berater« der eigenen Truppen oder als Mitglied der »Leitung« konnte von nun an auch Lieutenant Dr. Randi Allen Teil dieses »Kriegspiels« sein.
Ihr Wissen darum war von nationalem Interesse.
Nachdem Daniel erst am Spätnachmittag einfliegen würde, hatte Randi für den Vormittag einen Besuch des für sein Bemühen um Arterhaltung bekannten Tiergartens eingeplant.
Nach dem Frühstück fuhr sie mit der Metro in Richtung Villa Borghese.
Von der Metrostation zur Piazzale Brasile passierte Randi die Porta Pinciana, ein Tor der alten Stadtmauer, überquerte die Kreuzung und betrat den weiten Park der Villa Borghese.
Sie hatte den Ortsplan auf ihrem Smartphone vor sich.
Plötzlich stand sie vor Lord Byron, dem britischen Dichter, Gönner antiker Kunst und Freiheitskämpfer. Imposant, wie er da in Stein im aufgeknöpften Gehrock stand, den Blick in die Ferne gerichtet, ein Buch in der Linken, eine Nelke in der Rechten. Sie hatten in der Schule ein Gedicht von ihm gelesen. An die erste Strophe erinnerte sie sich noch: »Sie schreitet in Schönheit, wie die Nacht bei wolkenlosen Atmosphären und sternenklaren Himmeln; und alte Vorzüge des Dunklen und Hellen vereinigen sich in ihrer Erscheinung und ihren Augen: so gemildert zu jenem zarten Licht, das der Himmel dem grellen Tag verweigert …«
Nicht ein »George Gordon Lord Byron« benannte am Sockel den 1824 verstorbenen Aristokraten, sondern die schlichte Inschrift »Byron«
Sie grüßte Lord Byron und ging weiter auf der Viale del Museo Borghese. Noch über die weiteren Gedichtstrophen nachdenkend bog sie in die Viale dei Cavalli Marini ein.
Kinderkino mit Spielplatz ließ Randi rechts liegen. Beim kleinen Dianatempel hielt sie sich rechts.
Da in der Viale Pupazzi noch kaum Menschen unterwegs waren, fiel ihr beim Aufheben ihres vom Wind verwehten Papiertaschentuches ein Herr mit Bluejeans, blauem Sommerhemd, Baseballmütze und umgehängter Kamera auf, den sie bereits in der Lounge ihres Hotels sitzen gesehen hatte.
Einen Augenblick bezweifelte sie den Zufall.
Im nächsten Moment verwarf sie den Absichtsgedanken wieder. Die Wege von Rom-Touristen kreuzten sich doch zwangsläufig, da alle dieselben Ziele ansteuerten. Die Villa Borghese stand sicher bei allen auf der Liste.
Sie hielt am viel besungenen Brunnen der Meeresrösser kurz inne und kramte eine Münze aus ihrer Umhängetasche. Das Geldstück warf sie rückwärts ins Nass, als wenn dieser Kaskadenbrunnen mit den schnaubenden Pferden die berühmtere Fontana di Trevi wäre.
Die Baseballmütze war an ihr vorbeigegangen.
Parallel zur Viale dei Cavalli Marini ging sie nun schnelleren Schrittes, sich rechts haltend, zum Zoo.
Durch einen monumentalen Marmorbogen gelangte sie in den Tierpark.
Im Zentrum des grünen Herzens von Rom, dem Park der Villa Borghese, hatten die Schöpfer des Parks bereits 1911 nicht an einen Zoo mit Tieren hinter Gittern gedacht, sondern an einen Park mit viel Landchaftsarchitektur, an großzügige Grünflächen, Gräben, Bäche, Kanäle, Wasserfälle, Teiche und an natürliche Felsformationen.
Randi bestaunte das ausladende Löwengehege mit einem zusätzlichen Außenbereich, zu dem die Besucher keine Blickverbindung hatten. Man gab dem König der Tiere Raum für Privatsphäre.
Das »Tal der Bären« weitete sich seit dem Jahr 2000 auf einer Fläche von 3500 Quadratmetern aus; Wasserfall speist Bach und Bach speist Pools, gestaut zwischen Naturfelsen. Begeistert sah Randi den Bären von unten beim Schwimmen zu; Sichtglasscheiben am Teich machten es möglich. Wann hatte sie schon diese Gelegenheit?
Die Edelstahlvoliere des Bioparco war einzigartig. Randi sah selbst große Vögel längere Zeit fliegen.
Die seltenen Lemuren aus Madagaskar schienen Publikumslieblinge zu sein.
Leider hatten sie keine Alpakas in den Gehegen. Sehr schade, befand Randi.
Aber was war sonst alles zu sehen? Schneeeulen, Gürteltiere, Warane, Giraffen, Leoparden, Tiger, Anakondas; zweihundert Arten von Säugetieren, Reptilien, Vögeln, Amphibien, Tausendeinhundert Tiere insgesamt.
Alles konnte sie sich aus Zeitgründen nicht anschauen. Aber ins Reptilienhaus wollte sie noch, das lag dem Haupteingang gegenüber.
Randi freute sich, dass es der Direktion dort nicht nur darum ging, die Reptilien, Amphibien und wirbellosen Tiere zur Schau zu stellen. Hier wollte die Leitung die Besucher auch bewusst gegen den illegalen Handel mit Fauna und Flora sensibilisieren – eine gute Idee, wie Randi fand.
In der Oase am See, wo Kinder ihren Spaß hatten, und die Einheimischen Brot, Käse und Wein auf dem Grün und auf Beton- und Holztischen ausbreiteten, holte sie sich am Stand ein Stück »Pizza Vegetariana« und eine Coke und rückte einen Klappstuhl an den einzigen unbesetzten Tisch.
Sie kaute noch, als Herr Baseballmütze, den sie zuletzt im Reptilienhaus fotografierend gesehen hatte, an ihren Tisch trat.
»May I?« und schon saß er.
»I am Stan«, machte er sich bekannt.
»I am Randi, nice to meet you«.
Mr. Stan Pennyhouse war ein brillenloser Endzwanziger.
Er war glattrasiert und wohlerzogen, hatte seine Mütze abgenommen.
Stan war Angehöriger der amerikanischen Botschaft in Italien und »betreute«, seinem Bekunden nach, amerikanische Staatsbürger, die in Rom unterwegs waren und Hilfe benötigten.
Randi brauchte keine Hilfe und war vorsichtig mit dem was sie sagte.
Woher sollte dieser Stan Pennyhouse vom Zweck ihres Aufenthalts wissen? War das Aufeinandertreffen nun doch rein zufällig? Ob er ein männliches Interesse an ihr hatte?
Sie würde es herausfinden. Mindestens war er scheinbar kein Tourist, wie vorher angenommen.
Warum also kreuzten sich ihre Wege, und warum hatte er sie nicht auf Italienisch angesprochen? Randi würde ihn das später einfach fragen.
Aber zunächst einmal ließ sie Stan reden und verschwieg, dass sie ihn im Hotel und im Reptilienhaus bereits bemerkt hatte.
Ob er denn öfter in den Tierpark gehe, erkundigte sie sich?
Ja, er fände Riesenschlangen so attraktiv. In einem französischen Märchenbuch hatte ein Bub seinen Eltern ein selbstgemaltes Bild präsentiert und von ihnen wissen wollen, was es darstellte. Der Kleine war bitter enttäuscht, dass die Großen nur einen Hut sahen, wo er doch einen Elefanten in einer Riesenschlange gezeichnet hatte.
Seitdem mochte Stan Riesenschlangen.
Randi war belustigt.
Stan schmunzelte.
Woran er sie denn als Amerikanerin erkannt habe, wollte Randi wissen.
Na, »I like N.Y.« auf der Umhängetasche legt nicht gerade den Verdacht nahe, dass die Trägerin aus Tokyo oder aus Moskau kommt, konterte Stan.
Randi schaute verlegen auf ihre Tasche. Ja, das ist wahr. Das war ihrer Aufmerksamkeit entgangen.
Stan gab ihr seine Karte und schrieb eine Handynummer mit Kuli dazu.
Sollte Randi Hilfe brauchen, oder über Informationen verfügen, die im Interesse ihrer Nation waren, so genügte eine SMS, und er würde für sie Tag und Nacht bereitstehen.
Ohne etwas zu sich genommen zu haben, verabschiedete sich Mr. Stan Pennyhouse höflich, wünschte Randi noch einen schönen Aufenthalt in Italien, setzte seine Baseballkappe auf und verschwand zwischen den Bäumen.