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3. KAPITEL
ОглавлениеDirekt am Central Park zu wohnen war ein Privileg. Als Luxus galten in der dichtbebauten 5th Avenue die Penthäuser. Zwischen Konsulaten und Milliardärsvillen hatten die Allens den Blick ins Grüne und Zugang zum Pool der Wohnanlage. Die ehemalige Tierarztpraxis von Randis Vater Steve lag auch in Upper East Side, doch eine Ecke weg vom Park, fünf Minuten zu Fuß.
Wenige Wochen nach einem zweiten Treffen von Daniel mit dem CIA-Mann Terry Moon lud Randi Daniel in ihr Elternhaus ein.
Randis Mutter, eine gepflegte, an einigen Stellen rundlich gewordene 50erin, breitete schon an der Tür die Arme für Daniel aus. In der Küche erzählte sie ihm ein wenig von sich, dass sie Krankenschwester war, bis sie ihren Mann kennengelernt hatte und dass sie sich Jahrzehnte um den Ablauf in der Tierarztpraxis kümmern musste, neben Haushalt und Kind. Marta berichtete, dass sie direkt nach der Krankenschwesternschule für eine amerikanische Nichtregierungsorganisation in einem Urwaldhospital im Kongo gearbeitet und sich dabei eine Lungentuberkulose zugezogen hatte. »Die ist zwar ausgeheilt«, sagte sie lachend, »aber sie hindert mich vor allem daran, mit meiner Tochter joggen zu gehen. Joggen vermisse ich zwar nicht, aber ich glaube, dass das Joggen mich vermisst«, und deutete schmunzelnd auf ihre Hüftröllchen. Daniel machte ein hilfloses Kompliment.
Marta verwöhnte Daniel von diesem Tag an, als würde er zur Familie gehören. Da Daniel in seinem Studentenheim nicht viele Kontakte hatte, wurde Marta für ihn wie ein Ersatz der eigenen Mutter, die er für ein Jahr nicht sehen konnte.
Auch zu Randis Vater, Steven, hatte Daniel sofort einen guten Draht.
Steven erzählte, dass er 2004 als Reservist mit einer Civil Operations Brigade in Afghanistan im Einsatz gewesen war.
Mit einer »Galaxy«, dem größten Lufttransporter der Air Force, hatte man sie über Ramstein in Deutschland zur K2-Base in Uzbekistan gebracht. Von dort waren sie mit einer Herkules nach Kabul geflogen worden.
Steven war mit einem kleinen Team für die Hygienekontrollen bei den ISAF-Truppen zuständig gewesen. »Am schlimmsten war der kontaminierte Staub in der Luft«, sagte der drahtige Sechziger, dessen Erscheinungsbild sein wirkliches Alter nur anhand der ergrauten Schläfenhaare erkennen ließ.
»Die Abflussrohre der Toilettenanlagen in den ISAF-Camps führten in Ermangelung einer umfassenden Kanalisation in zentrale Auffangbehälter. Eine einheimische Vertragsfirma sollte regelmäßig abpumpen und für Abtransport und Desinfektion sorgen. Die Firma stellte Dünger und Heizmaterial her.«
Steven registrierte Daniels gespannte Aufmerksamkeit und fuhr fort: »Eines Tages wollten wir die Entsorgung prüfen und folgten einem dieser Containerfahrzeuge. Nach gerade einmal einem Kilometer hinter der Stadtgrenze ließ der Fahrer die Brühe auf freiem Feld ab. Dort, das war uns sofort klar, trocknete der Kot, Bakterien wurden durch die Sonne nicht vollends abgetötet und der Wind trug den kontaminierten Staub in die Stadt zurück, in unsere Camps und in die Lehmziegelhäuser der Kabuli.«
Randis Vater schaute Daniel an, so als ob er sich versichern wollte, dass seine Botschaft ankam.
»Kurz gesagt, zwei Millionen Menschen in Kabul atmeten Abgase, Smog und kontaminierten Staub. Die Gefahr von Erkrankungen der Atemwege war also latent vorhanden.
Wir intervenierten also beim zuständigen Minister und erreichten, dass die Vertragsfirma fortan ihre eigenen Deponien nutzte, mit Chlorkalk desinfizierte und dass die Behörden das Unternehmen überwachten.«
Steven schüttelte resigniert den Kopf. »Überall gab es Unterversorgung. Manche Häuser hatten nicht einmal einfachste Latrinensysteme mit Behältern zur Urin- und Kot-Trennung. Ich fragte einmal südlich von Kabul an einer Tankstelle nach dem Klo. Der Tankwart zeigte um das Gebäude herum. Da gab es nichts, außer einem Platz, der entsprechend stank. Man erledigte sein Geschäft im Freien. Die Exkremente trockneten. Der Wind tat den Rest. So war das in Afghanistan.«
Daniel dachte an die Viren- und Bakterienbelastung, die Mensch und Tier dort unnötigerweise gefährdeten. Solch zivilisatorische Mängel konnten schnell zur Ausbreitung von Seuchen führen.
»Klingt bedenklich. Gab es denn Krankheiten, die von Tieren ausgingen?«, fragte Daniel zurück.
»Wir hatten in unseren Feldlazaretten vereinzelt Malariapatienten, nicht aus Kabul, aber aus Kundus. Kabul lag zu hoch für Mücken. Ansonsten war es das Patientenbild eines Landes im Ausnahmezustand mit Influenzaerkrankungen, Frakturen, dermatologischen Indikationen und chirurgischer Nachsorge für Minen- und Schuss-Verletzte.«
»Keine Katzen und Hunde als Überträger?«
»Keine Auffälligkeiten. Präventiv kastrierten und impften wir Katzen, die in den Camps, zum Beispiel von der Besatzung einer Satellitenstation, durchgefüttert wurden. Diesen Katzen wurde zur Unterscheidung zu den Streunern ein Ohrspitz abgeschnitten; profan, aber wirksam. Die Soldaten sahen das zwar nicht gerne, akzeptierten die Maßnahmen aber, wenn man ihnen den Grund erklärte. Sie vertrieben sich die Zeit mit den Schmusetieren. Das war für sie Therapie gegen Langeweile.«
Steven musste schmunzeln, als er an seine frotzelnden Gespräche mit den SatCom-Teams dachte.
»Wo wurden verwurmte und Durchfall-erkrankte Tiere behandelt?«
»Vor Ort. Sie wurden eingeschläfert.«
Randi schaltete sich ein: »Mein Vater hat einer Tierkörperverwertungsfirma vertraut, die die Kadaver wahrscheinlich auch nur irgendwo am Rande Kabuls entsorgt hat.«
»Mir wurde gesagt, dass die Kadaver verbrannt wurden. Meine Tochter meint, ich hätte das persönlich kontrollieren sollen. Sie kann es besser machen, wenn sie sich für das Army Medical Corps entscheiden sollte. Hast du Daniel von deinen Plänen erzählt?«
»Noch nicht, Dad. Mir fehlte bislang die Gelegenheit.«
»Dann wissen Sie es jetzt, Daniel.«
Randi wunderte sich nur kurz, dass Daniel nicht näher nachfragte.
Sie wechselten das Thema.
Daniel erklärte, warum er an Biologie – Fauna und Flora – so interessiert war. Jetzt waren Steven und Marta überrascht, dass Randi ihnen noch nichts von Daniels Erststudium erzählt hatte. Daniel berichtete von seinem Begabtenstipendium und von seiner Doktorarbeit, »Coevolutionsmechanismen von Arboviren und ihren Wirten unter spezifischer Betrachtung von Coronaviren«.
»Seit sogar Science über meine Arbeit berichtet hat, häufen sich auch die Angebote. Die moralischen und die unmoralischen.«
»Was meinst du damit«, fragen Randi und ihr Vater fast im Chor.
»Es scheint so, als sei ich auf dem Radar von Geheimdiensten gelandet. Zumindest hier in Amerika.«
Randi sah ihn mit großen Augen an.
»Ich bin vor kurzem von einem Herrn direkt angesprochen worden. Auf offener Straße. Er hat versucht, mir das »Desease Prevention und Control Center« der USA in Atlanta mit einem Biolabor in Frederick schmackhaft zu machen.«
Sehr zur Erleichterung von Daniel schluckte Randi den Köder sofort. »Das ist ja witzig. In Frederick ist das Fort Derrick, in dem ich vermutlich meine berufliche Laufbahn beginnen werde.«
»Ist das Zufall?«, fragte Steven. »Woher kam dieser merkwürdige Herr nochmal?«
»Er hat sich als Diplomat ausgewiesen. Mit einer Akkreditierung bei den Vereinten Nationen. Beim ersten Mal hat er mich vor der Alma Mater kontaktiert, dann noch einmal auf dem Campus. Der Leiter dieses Laboratoriums soll ein Professor Dr. Jenkins sein. Der würde mich gerne in seinem Team aufnehmen, so mein Kontaktmann, und mich gut bezahlen.«
Randi war sprachlos.
»Erstaunlich« bemerkte Steven.
»Ich habe mich mit diesem Herrn auf nicht mehr als auf einen formlosen Informationsaustausch zu wissenschaftlichen Themen eingelassen. Wir haben Erreichbarkeiten ausgetauscht. Ich habe nichts unterschrieben und er hat versprochen, sich zu melden.«
»Das war die CIA, Daniel«, warf Steven ein, »da bin ich mir ganz sicher.«
Daniel musste lachen. »Egal. Ich bin kein Agent, sondern Wissenschaftler. Gegen jeglichen fachlichen Erfahrungsaustausch habe ich natürlich nichts«, stellte er klar. »Wobei die Armee als Arbeitgeber natürlich schon eine gewisse Abhängigkeit bedeutet, um es mal vorsichtig auszudrücken. Deshalb bin ich auch auf Randis Pläne neugierig, zur US-Army gehen zu wollen.«
Randi hatte verstanden: »Wir werden darüber sprechen.«
Daniel ergänzte noch, zum besseren Verständnis für Marta und Steven: »Mein jetziges Zweitstudium, die Informatik, ist für mich eher Hobby, aber die Computerwissenschaften werden nach dem Diplom erst einmal wichtiger Teil meines Berufs sein. Ich bin für zwei Jahre der weißrussischen Botschaft in Moskau verpflichtet. Als Stipendiat hatte ich keine Wahl. Die Zeit als Diplomat ist in Weißrussland das, was der Stipendiat seinem Land zurückgibt, zwei unfreiwillige »Freiwilligenjahre«, eine staatsverordnete Schule fürs Leben. Das ist bei uns so.«
Steven runzelte für einen Moment die Stirn, so, als müsse er gerade überschlagen, was Daniels Bemerkung für Randi bedeuten würde, dann aber nahm er Daniel in die Arme.
Er ahnte wohl, dass Daniel seiner Familie noch länger erhalten bleiben würde. Und er vermittelte Daniel auch das Gefühl, dass er sich darüber freuen würde.
Als Martha an den Kaffeetisch bat, erzählte Randi von ihrem Start ins wissenschaftliche Arbeiten. Sie habe sich zu Anfang ihres Studiums mit den Möglichkeiten der Begabtenförderung auseinandergesetzt. Sie stellte Anträge. Aber auch mit Empfehlungsschreiben von Kollegen ihres Vaters und mit der Unterstützung zweier College-Lehrer hatte sie keinen Erfolg. Sie bekam kein Stipendium. Das nagte an ihrem Selbstvertrauen. Es wäre ihr nicht um die finanzielle Hilfe gegangen; die hätte sie beim Einkommen des Vaters nicht nötig gehabt. Aber ihre konkreten Vorstellungen von der Zukunft und ihre Ansprüche an sich selbst verlangten auch den Kampf um Fördermöglichkeiten. Erst zum Schluss des Studiums waren ihre wahren Fähigkeiten erkannt worden, berichtete sie augenzwinkernd, war sie in den Genuss von Auszeichnung und Förderung gekommen.
Daniel streichelte Randi über die Schulter. Er kannte ihren Ehrgeiz und fand ihn auch nicht anmaßend oder störend, im Gegenteil. Außerdem freute er sich über die Übereinstimmung ihrer Interessen.
In den Wochen zuvor hatte Daniel seine Freundin Randi öfter bei der Lösung schwieriger Aufgaben der Stochastik unterstützen können. Und er hatte sie in die Arme genommen, wenn sie, nach ihrer Meinung, einmal den hohen Ansprüchen an sich selbst nicht gerecht werden konnte.
Marta war eines Abends bei einem gemeinsamen Barbecue aufgestanden und hatte feierlich verkündet, dass Randi und Daniel wie füreinander geschaffen seien.