Читать книгу Das Geheimnis der Pandemie - Hans-Peter Grünebach - Страница 12
6. KAPITEL
ОглавлениеWegen des Visums hatte Daniel bereits am Dienstag vor dem katholischen Ostern bei der Botschaft Italiens vorgesprochen.
Am Reisetag stand für ihn vormittags noch ein Gespräch im Außenministerium an. Bei dem ging es um sein dreimonatiges Praktikum.
Seine Anstellung in Moskau zum 1. Juli 2019 nahte.
Daniels künftige Personalführerin hatte ihm erklärt, dass sein Dienstposten »Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Handelsattaché« extra für ihn geschaffen wurde. Die Dienstpostenbeschreibung sei bewusst allgemein gehalten worden: »Unterstützung der Aufgaben des Handelsattachés, Unterstützung der Aufgaben des Botschafters, Studien, Analysen«. Der Botschafter würde ihn für Sonderaufgaben einsetzen. Die russische Seite habe aufgrund der guten Beziehungen seiner Akkreditierung bereits zugestimmt.
Er verstand, dass das Präsidialamt diesen Weg im Rahmen der Förderung von Studienabsolventen mit Auszeichnung frei gemacht hatte.
Zwei Jahre im diplomatischen Dienst seien für die berufliche Entwicklung genauso wichtig wie für die staatliche Bestenauslese, hieß es von Seiten des Präsidialamtes.
Der Staatspräsident persönlich wache über seine Staatsdiener, ließ Dr. Janina Petrowka, eine etwas matronenhafte, aber sehr zuvorkommende Juristin, Daniel wissen.
Daniel musste nicht durch die Diplomatenschule und sich durch die Ausnahmeregelung auch keinem sogenannten »Concours« stellen.
Seine Ausbildung sollte sich auf eine dreimonatige Praktikantenzeit im Außenministerium beschränken, bei der ihm ein Eindruck über die Arbeitsabläufe im Ministerium vermittelt werden würde.
Während dieser Zeit musste er auch die Sprachprüfungen in Französisch und Deutsch ablegen und seine Sicherheitsstufe erhalten. Die Überprüfung sei fast abgeschlossen, ließ man ihn wissen.
Aufgrund dieses Sonderweges – Daniel hatte vorher erklärt, dass er später in der Forschung tätig sein wollte – entfiel auch die vom Diplomatennachwuchs gefürchtete Schlussevaluation.
Das morgendliche Personalgespräch hatte ihm Mut gemacht.
Nun hatte er es eilig.
Mit der Bahn fuhr er zum im Südosten gelegenen Flughafen.
Um 13:30 Uhr wollte er mit Austrian Airlines abfliegen und, nach einer Zwischenstation in Wien, um 19:10 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit in Rom, Fiumincino, landen. Es blieb nicht viel Zeit; er musste sich sputen.
Obwohl er noch seinen Tagesanzug trug, fing Daniel auf dem Weg zum Gate an zu rennen. Der Gedanke, die Maschine zu verpassen, war unerträglich.
Gott sei Dank hatte er nur seine Reisetasche mit Waschzeug und wenig Bekleidung zum Wechseln dabei, aber mit Laptop und Zubehör wog sie dann doch einiges mehr als geplant.
Der Flug war schon aufgerufen, die Passagiere hatten eingecheckt als er seinen Namen vernahm.
Am Schalter angekommen erwartete ihn nicht nur die Hostess der Airline, die seine Bordkarte einscannte, sondern auch ein Herr mit Regenmantel und Hut, der ihn zur Maschine begleitete.
Es war ein einseitiges Gespräch.
Er gab vor, für die nationale Sicherheit zuständig zu sein und Kenntnis über Daniels Reisezweck zu haben.
Der »Regenmantel« forderte Rückmeldung bei außergewöhnlichen Vorfällen und Diskretion gegenüber Ausländern.
Er steckte Daniel sein Kärtchen zu und verließ den Ziehhamonika-Korridor über die mobile Leiter für das Flughafenpersonal.
Daniel war genervt, doch er hatte Haltung bewahrt, sich bedankt und zugesagt, die nationalen Belange stets besonders zu achten.
Nach Mr. Moon nun ein weiterer geheimdienstlicher Kontakt? Wo sollte das hinführen?
Auf der Karte stand: »Juri Smichow«. Sie wanderte in die Hosentasche; er wollte sie später in sein Adressbuch übertragen.
Die Chefstewardess klemmte Daniel – er konnte Deutsch lesen – eine »Kronenzeitung« unter den Arm und verwies ihn auf den freien Platz gleich hinter der Business Class.
Daniel war froh, auf Reihe 17 einen Innensitz zugeteilt bekommen zu haben. Niemand musste wegen seines Spätkommens noch einmal aufstehen. Seinen Laptop hatte er in der Tasche verwahrt.
Die Dame mit den listigen Augen und dem grauen Kurzhaarschnitt auf dem Nachbarsitz nickte ihm aufmunternd zu.
Kaum war die Gepäckklappe über ihm geschlossen, kamen die Durchsagen für die Startvorbereitung. Seine Nachbarin erinnerte ihn an die Anschnallpflicht und reichte ihm seinen Gurt. Er bedankte sich. Daniel war in Gedanken woanders gewesen. Nun konzentrierte er sich und steckte seine Zeitung zu dem Pamphlet mit den bebilderten Anweisungen für Notfälle in das Netz an der Sitzlehne vor ihm. Er unterließ es, die Notfallpläne zu studieren, wandte sich aber aufmerksam der Stewardess zu, die den Gebrauch von Sauerstoffmaske, und Rettungsweste erklärte.
Ein bisschen Flugangst hatte er beim Start. Die hilfreiche Nachbarin auch, wie es schien. Sie wollte nach Rom, wie er.
Wenig später sah Daniel im Kurvenflug flüchtig noch Minsk, die westlichste Stadt des Ostens, kleiner werden. Die Studenten aus aller Welt waren aus der Vogelperspektive verschwunden. Die Riesen stalinistischer Bausünden und die Giganten moderner Zweckarchitektur verwandelten sich zunehmend in Zwerge, bis sich ihre Konturen gänzlich vernebelten. Regenschwangere Schwaden zogen an den Luken vorbei. Gerade als Daniel des langen Blindflugs vollends überdrüssig wurde, fielen Strahlenbündel auf Passagiergesichter und blauer Himmel hatte die düsteren Wolken abgelöst. Für die nächsten zwei Stunden glitt der Schatten ihrer Boeing 777 unter ihnen wie auf weißen Dünen dahin in Richtung Wien.
Von Österreichs Hauptstadt konnte er den immerhin 136 Meter hohen Stephansdom mit dem Stadtwappen auf dem Kirchendach, das normalerweise weithin sichtbare Riesenrad über dem Prater und die »Donauwellen« beim Überflug über Europas zweitgrößtem Fluss nur erahnen. Es regnete in Strömen. Nebel lag über dem ehemaligen Machtzentrum der Doppelmonarchie. Dementsprechend ruppig war die Landung. Seine Nachbarin sah Daniel hilfesuchend an, als wäre er der Pilot, und drückte seinen Unterarm dankbar, als die Maschine zum Stehen gekommen war.
Daniel und seine elegante Platznachbarin bewegten sich beim Transfer gemeinsam über die Laufbänder und unter verwirrenden Anzeigen vorwärts.
Schließlich fanden sie ihr »Gate« und hatten noch Zeit für einen Espresso. Zu dem wurde Sahne gereicht.
Sie mussten nicht lange warten.
Beim erneuten »Check In« hatte seine flotte Begleiterin, deren Alter er nicht einzuschätzen wusste, so viel Vertrauen zu Daniel gefasst, dass sie ihn bat, wieder neben ihr Platz zu nehmen.
Er hatte nichts dagegen, warum auch.
Schon winkte sie eine Stewardess herbei und arrangierte die neue Sitzordnung; statt Reihe 8 und 13 saßen nun beide, etwas abgesetzt, auf hinteren, freigebliebenen Plätzen der Reihe 23.
Bei Start Nummer zwei musste Daniel ihr die Hand halten. Solche Angst hatte sie vor den, dem Sturm über Wien geschuldeten Turbulenzen.
Die Dame im grau-braun-beige-längsgestreiften Pradakostüm mit rot-hellblauem Pullunder im Rautendesign unter kantiger, weiter Jacke, mit seidenem Leopardenhalstuch, silberfarbenen Stiefeln mit weißen Spitzkappen und mit einer Reisetasche von Gucci hatte sich erst wieder gefasst, als sie ihre Flughöhe erreicht hatten. Die ihnen entgegenstrebenden Gletscher der Hohen Tauern schürten neue Ängste.
Daniel fragte, warum sie trotz Flugangst Fensterplätze belege.
Mit »Ich brauche den Nervenkitzel« überraschte und belustigte sie Daniel; er wurde neugierig. Die interessante Nachbarin plauderte über ihre Mode-Affinität. Sie wollte, dass er verstand, warum sie trotz ihres Alters so modern gekleidet war, und erklärte ihm, welche Oberbekleidung sie persönlich bevorzuge, nämlich ausschließlich italienische. Sie schwöre noch auf »Made in Italy«. Dabei sei sie sich bewusst, dass das Label in Verruf geraten sei. Die »Pronta Moda« oder »Fast Fashion« werde oft in chinesischen Fabriken in Norditalien gefertigt. Die Kollektionen würden laufend geändert, und der Weg vom Designer zur Massenware werde immer kürzer. Der steigende Produktionsdruck könne nur durch chinesische Akkordarbeiter bedient werden.
»Wissen Sie, junger Mann, dass in Italien über 300000 Chinesen leben, die in Textilfirmen mitunter für Armutslöhne und bei gedrängter Unterbringung bis zu 14 Stunden schuften müssen?«
»Nein«, das wusste Daniel nicht.
Überhaupt hatte sie in Daniel einen blutigen Laien als Zuhörer neben sich, der weder so aussah, als verstünde er etwas von Mode, noch aus der Theorie etwas zum Gespräch beitragen könnte. Aber er konnte zuhören.
Seine neue Freundin jedenfalls freute sich über sein nicht gespieltes Interesse.
»Dann wissen Sie auch nicht, dass es allein in Mailand – für diese Stadt schlägt mein Herz – 40400 Chinesen gibt. Und dass Mailand eine ‚China Town‘ besitzt, rund um die ‚Via Paolo Scarpi? Zu Fuß ist sie leicht zu erreichen vom ‚Castello Sforzesco‘ oder vom ‚Arco della Pace‘ aus. Wenn Sie Mailand einmal besuchen wollen, dann besser mit dem Zug als mit dem Auto. Dann müssen Sie auch den Spuren Leonardo Da Vincis folgen und wenigstens einen Blick auf die Auslagen in der ‚Via Monte Napoleone‘ werfen. Kalbslederne Podestschuhe des französischen Hauses ‚Luis Vuitton‘ für 935 Euro werden Sie da zum Beispiel finden, fantasievoll dekoriert. Solche Schuhe lassen Frauenherzen höherschlagen. Sie werden es nicht verstehen, aber Käuferinnen, die für ein Paar Pumps 600 Euro zahlen, gibt es genug. Es sind Leute, die es sich leisten können. Wo das Geld locker sitzt, da gibt es auch Macht und Prestige. Das ist meine Welt, in der ich wandle und über die ich schreibe. Und so ein Schuh hebt das Prestige. Aber glauben Sie mir: Diese Schuhe sind unbequem. Manchmal trügt bei bekannten Designern sogar das Label ‚Made in Italy‘ und die Schuhe sind in Transsilvanien gefertigt. In Italien wird nur die Sohle angeklebt, damit ‚Made in Italy‘ den Treter verkäuflich macht. So etwas trage ich nicht. Ich liebe meine Tasche hier, aber auch die Marke ‚Gucci‘ musste sich den Vorwurf gefallen lassen, beim Chinesen billig einzukaufen und dieselbe Ware in Mailands Modeläden überteuert zu verkaufen. Aber, genügend Dumme gibt es. Schauen Sie mich an!«
Beide lachten.
Um das vielgerühmte »Bella Italia« unten zu sehen – vielleicht Venedig, die Po Ebene, Florenz zu erkennen – musste Daniel den Hals recken und seiner Nachbarin über die Schulter schauen. Sie beugte sich vor und ließ ihm Platz.
Die Wolken unter ihnen hatten sich aufgelöst und gaben Daniel kurze Blicke auf das Meer frei, als die Maschine gerade den Luftkorridor wechselte und in Schräglage war.
Daniel freute sich auf Randi und auf Rom.
Mit der Krimiautorin Eleonore Fairfield hatte er noch so anregende Gespräche, dass er mit ihr einen Prosecco trank und über ihre Mordszenarien aus der Mailänder Modeszene fast vergessen hätte, das Flugzeug nach der Landung in Rom zu verlassen. Eleonore Fairfield aus Sheffield schrieb Mailand-Krimis, von denen einige schon verfilmt waren.
Sie hatte, nach einem Krimi-Forum in Minsk, einen Termin in Rom wahrzunehmen und wollte dann mit dem Zug nach Mailand weiterreisen.
Dort gehöre ihr ein »Palazzo« im Brera-Viertel, sagte sie. Eleonore gab Daniel ihr Kärtchen, zum Abschied ein Küsschen und lud ihn in die lombardische Hauptstadt ein.
»Deine Randi ist auch willkommen«, betonte sie und ließ Daniel im Unklaren, was sie mit ihrem Augenzwinkern meinte.