Читать книгу Weihnachtswunsch - Hans-Peter Schneider - Страница 11
ОглавлениеZu früh gekauft – zu früh gefreut?
Was für ein wunderbarer Anblick, den Sepp mit seligem Lachen durch die heimische Tür kommen zu sehen. Er strahlt bis über beide Ohren, und das, obwohl er anscheinend nur beim Einkaufen war. Doch er hat an diesem heutigen 24. September einen wahren Schatz für sich entdeckt und präsentiert ihn nun zu Hause im Wohnzimmer glücklich seiner Frau.
Sepp: Ich habe mir heute eine Packung Spekulatius und eine Packung Elisen-Lebkuchen gekauft, Spatzl.
Seine Frau: Was?!? Heute?!? Es ist doch erst der 24. September!
Sepp: Das ist meinem Bauch wurscht, welcher Tag heute ist.
Seine Frau: Aber so was macht man doch nicht.
Sepp: Was macht man nicht?
Seine Frau: Ja, im September schon Weihnachtssachen kaufen.
Sepp: Wann kauft man die denn dann?
Seine Frau: Wenn’s Zeit dafür ist, kauft man die!
Sepp: Aber woher weiß ich denn, wann wirklich Zeit dafür ist, wenn mein Bauch mir jetzt schon sagt, dass es Zeit dafür ist?
Seine Frau: Ach geh! Es ist doch unmöglich, dass die Supermärkte Lebkuchen und Spekulatius jetzt schon haben.
Sepp: Ich find’s nicht unmöglich. Mir schmeckt’s ja schließlich.
Seine Frau: Mir schmeckt das auch. Aber halt im September noch nicht.
Sepp: Ach so, du hast also einen Magen, der seinen Geschmack monatlich umstellt.
Seine Frau: Depp! Aber die brauchen das doch im September noch nicht im Supermarkt verkaufen.
Sepp: Wo sollen sie’s denn dann verkaufen?
Seine Frau: Ja, irgendwo, wo ich’s nicht seh!
Sepp: Ach so! Aber es ist doch auch doof, im September in der Allianz Arena Spekulatius zu verkaufen.
Seine Frau: Du verstehst mich einfach nicht!
Sepp: Oh doch, ich versteh dich schon! Nur deinen Bauch, den versteh ich nicht!
Seine Frau: Sepp, ich erklär’s dir jetzt noch mal: Spekulatius kauft man noch nicht im September, sondern erst, wenn’s Weihnachten wird.
Sepp: Aber genau genommen geht es doch ab dem 27. Dezember schon wieder in Richtung nächstes Weihnachten.
Seine Frau: Ich meine, man kauft so was im Dezember und nicht vorher.
Sepp: Wenn ich mir im Dezember Spekulatius und Lebkuchen im Supermarkt kaufe, dann hast du aber schon Plätzchen gebacken.
Seine Frau: Na und? Ist doch egal!
Sepp: Nix egal! Wenn ich im Dezember mit Spekulatius und Lebkuchen heimkomme, muss ich mir anhören: »Mei Sepp, das macht mich jetzt aber schon traurig. Schmecken dir meine selbst gemachten Plätzchen etwa nicht?!? Kaufst du dir lieber so ein maschinell gefertigtes Supermarktgebäck?!? Und ich hab mich tagelang zum Backen in die Küche gestellt?!?« Schluchz! Heul! Schnief!
Seine Frau: Das ist ja wohl völlig an den Haaren herbeigezogen. Als ob ich bei meinem Backtalent die Konkurrenz von irgendwelchen Billiglebkuchen vom Discounter fürchten würde. Phhh! Dann iss doch Spekulatius und Lebkuchen aus dem Supermarkt, wenn’s dir besser schmecken!
Sepp: Mir schmecken’s doch gar nicht besser. Deswegen esse ich die jetzt und deine Plätzchen im Dezember.
Seine Frau: Man kauft trotzdem im September noch keine Spekulatius! Das macht man einfach nicht.
Sepp: Aber im Dezember ist doch das meistens schon alles ausverkauft! Da krieg ich nur noch die Reste, die keiner mag, solche Herzlebkuchen mit Zartbitterschokoladen-Überzug und ekliger Aprikosenfüllung.
Seine Frau: Also die sind ja wohl absolut lecker!
Sepp: Na, dann ist mir’s klar.
Seine Frau: Was ist dir klar?
Sepp: Mir ist klar, dass du, wenn du solche Herzlebkuchen mit Zartbitterschokoladen-Überzug und ekliger Aprikosenfüllung magst, weder einen Zeitdruck beim Einkauf noch ein großes Drängen deines Bauchs verspürst.
Seine Frau: Das Einzige, was ich verspür, ist eine Abneigung gegen Weihnachtsgebäck-Einkäufe am 24. September.
Sepp: Und gegen Weihnachtseinkäufe nicht?!? Du hast dich doch letzte Woche gefreut, dass du schon ein Geschenk für deine Eltern und den Maxl hast.
Seine Frau: Das ist was anderes.
Sepp: Klar, bei dir ist es natürlich was anderes.
Seine Frau: Ganz recht! Denn der frühzeitige Kauf erspart mir den Stress im Dezember, wo alle zum Einkaufen rennen. Und für den Maxl habe ich die Playmobil-Burg zehn Prozent billiger bekommen, die musste ich also kaufen.
Sepp: Und ich musste die Spekulatius kaufen, damit ich keinen Stress mit meinen Entzugserscheinungen bekomme.
Seine Frau: Schmarrn! Spekulatius und Lebkuchen sind Weihnachtsgebäck, die heißen Weihnachtsgebäck, weil man sie zu Weihnachten kauft.
Sepp: Stimmt! Und Weihnachtsgeschenke heißen Weihnachtsgeschenke, weil man sie vor der Weihnachtszeit kauft, damit man nicht in den Weihnachtsstress gerät.
Seine Frau: Na Gott sei Dank! Jetzt hat er’s also doch noch verstanden!
Mit gedrückter Stimmung verlässt Sepp nach diesem Gespräch das Wohnzimmer in Richtung Küche. Dort schenkt er sich eine Tasse Milch ein, setzt sich auf seine Eckbank und nimmt verstohlen die Spekulatius-Packung zur Hand. Zufrieden holt er den ersten Spekulatius des Jahres in Nikolausform heraus, lächelt ihn an und beißt genüsslich hinein. Sepp ist glücklich. Jetzt kann Weihnachten endlich kommen.