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6.Kapitel

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Nach dem zweiten, schon etwas energischeren Klopfen hörte Worthington Schritte näher kommen und mit einem leicht quietschenden Geräusch einen Riegel der zurückgeschoben wurde, worauf sich die Tür endlich öffnete und den Blick auf das Vorzimmer und eine kleine, etwas unscheinbare Frau freigab.

”Kommen Sie doch näher, Herr Worthington, ich bin Ingrid Waller“, sagte sie freundlich, nachdem er sich vorgestellt hatte.

“Als Engländer trinken Sie doch bestimmt gerne eine Tasse Tee“, und ohne seine höfliche Zustimmung abzuwarten, ging sie in die gleich neben dem Flur gelegene Küche, um den Wasserkessel aufzusetzen. Danach bat sie ihn, auf dem abgewetzten Sofa Platz zu nehmen und fing sofort an, ihm die herrliche Lage ihres Häuschens in Mariatrost, einem Vorort von Graz, zu schildern, was ihn doch etwas misstrauisch machte.

Wenn sie so viel von der Umgebung spricht, wird das Zimmer wohl nicht mehr als eine umgebaute Besenkammer sein, dachte er im Stillen. Weil inzwischen der Wasserkessel durch sein durchdringendes Pfeifen auf sich aufmerksam machte, blieb ihm etwas Zeit, sich unauffällig im Wohnzimmer umzusehen.

“ Das Haus habe ich von meinen Eltern geerbt, ansonsten wäre es mir bestimmt weggenommen worden“, meinte Frau Waller leise seufzend, während sie mit einem Tablett zwei altmodische, aber hübsche Teetassen, eine Teekanne und einen Zuckertopf an den Tisch brachte. Auf seinen erstaunten Blick hin erklärte sie ihm etwas zögernd aber trotzig,

“Mein Mann war ein ziemlich hohes Tier bei der SS, aber er hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen”.

“Da ist wohl mehr der Wunsch der Vater des Gedankens”, schoss es Worthington durch den Kopf, ohne sich seine etwas abfälligen Gedanken anmerken zu lassen.

“Er ist zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden, obwohl er nur das Beste für Deutschland wollte. Ich muss mich hier mit einer schlecht bezahlten Stelle als Putzfrau über Wasser halten, obwohl ich mit meiner Ausbildung als Lehrerin wohl etwas Nützlicheres machen könnte!”

fuhr Frau Waller fort, sich zu beklagen. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass ein britischer Exsoldat wohl kaum ein allzu großes Verständnis für ihre Nöte aufbringen würde, zumal er ja schließlich hier war, um ein möbliertes Zimmer zu mieten.

”Entschuldigen Sie bitte vielmals, dass ich Sie mit meinen Sorgen belästige, ich habe ja vor lauter Klagen ganz vergessen, ihnen Tee einzuschenken. Leider habe ich keine Zitronen für den Tee, sie sind unerschwinglich, wenn man sie überhaupt zu kaufen bekommt.”

Er machte ihr klar, dass er wie die meisten Briten seinen Tee mit Milch trinken würde und sie sich deshalb keine Gedanken wegen der fehlenden Zitrone zu machen brauchte.

Dennoch bot er ihr an, aus dem britischen Lebensmittel Shop, der nur für die Angehörigen der Besatzungstruppen eingerichtet worden war und zu dem Österreicher keinen Zutritt hatten, hin und wieder echten Ceylon Tee mit zu bringen, was ihm aber gleich wieder Leid tat, weil Frau Waller das wohl leicht als leise Kritik an ihrem wahrlich nicht sehr berauschenden Tee auffassen hätte können.

Wie er sie so betrachtete, fand er mehr und mehr Gefallen an dieser auf den ersten Blick ziemlich schlichten Frau. Klar, das Kleid hatte schon bessere Tage gesehen, die Haare trug sie hochgesteckt, ein Friseurbesuch mit Dauerwelle war wohl finanziell einfach nicht drin. Aber der warmherzige Blick, ihr herzliches Lachen ohne jede Überspitztheit hatten auf ihn einigen Eindruck gemacht.

Auch die Art und Weise, wie sie ihren Mann verteidigte, imponierten ihm doch irgendwie, wenngleich er dessen Vergangenheit naturgemäß etwas anders sah als Frau Waller.

Nun bat sie ihn endlich, ihr über die knarrende Treppe nach oben zu folgen um ihm sein Zimmer zu zeigen.

Gemessen an seinen heimlichen Befürchtungen war es eigentlich gar nicht so schlecht. Vom Fenster aus konnte man die Kirche von Mariatrost sehen, die auf einem kleinen Hügel gelegen weithin sichtbar der markanteste Punkt in der ganzen Umgebung war.

Worthington beschloss, sich diese wunderschöne Kirche bei nächster Gelegenheit anzusehen, wenngleich er in seiner Heimat um Kirchen meist einen großen Bogen machte. Das lag wohl daran, dass er als Kind meist von der Großmutter unter leichtem Druck überredet worden war, zum Gottesdienst zu gehen, wo man ewig still sitzen und seltsame Gebete und Gesänge über sich ergehen lassen musste. Die Luft war wegen der zumeist schon recht alten Besucher für eine Kindernase auch nicht besonders verlockend. Aber seine Nanny hatte es doch immer wieder geschafft, allerdings oft nur mit dem in Aussicht gestellten Eis oder im Winter einer Lakritzstange, den kleinen Albert in die Kirche zu locken.

Während er also gedankenverloren die Aussicht aus dem Fenster genoss, hatte er darüber beinahe Frau Waller vergessen.

“Sagt Ihnen das Zimmer zu, Herr Worthington?“ fragte sie ihn leise zweifelnd. Sie hoffte sehr auf eine positive Antwort, schließlich hatte sie sich bereits in der Hoffnung auf den neuen Mieter und dessen Geld in Unkosten gestürzt und einen wunderschönen Stoff für neue Vorhänge besorgt. Der war aber auch ein Schnäppchen gewesen auf dem Schwarzmarkt, zu dem man einfach nicht nein sagen konnte!

Zu Frau Wallers Erleichterung stimmte Worthington sofort zu, als sie ihm die Miete für das Zimmer nannte.

Und so als ob sie wegen des Preises ein schlechtes Gewissen hätte, bot sie ihm auch noch an, seine Wäsche zu waschen und zu bügeln. Ein solches Angebot war ganz nach seinem Geschmack, natürlich akzeptierte er es nur allzu gerne.

Er unterschrieb eine kleine schriftliche Vereinbarung, die Frau Waller schon vorbereitet hatte. Dass es kein offizieller Mietvertrag war, wunderte ihn keineswegs, sie hatte wohl kaum vor, das bisschen Geld auch noch dem Finanzamt anzugeben.

So fragte er auch nicht weiter nach, als Angehöriger der Besatzungsmacht brauchte er sich sowieso keine Sorgen zu machen, dass seine Zimmerwirtin sich nicht an mündliche Abmachungen halten würde, wer hätte sich in dieser schweren Zeit wohl mit den Engländern angelegt? Da das Zimmer ja frei war, brauchte er auch nicht bis zum Ersten zu warten, sondern konnte sofort einziehen.

Er winkte dem vor dem Haus wartenden Fahrer durchs Fenster zu, worauf dieser ihm den Koffer ins Haus brachte und danach wegfuhr.

Ein leises, fast schüchternes Klopfen weckte Albert Worthington am nächsten Morgen. Verschlafen rieb er sich die Augen, zuerst wusste er gar nicht so recht, wo er war.

Dann fiel es ihm wieder ein, er hatte ja abends noch mit seiner neuen Zimmerwirtin einen kleinen Begrüßungsschluck genommen. Es waren wohl offenbar ein paar Schlucke mehr daraus geworden, jedenfalls brummte ihm gehörig der Schädel.

Diese Frau hatte wirklich Eindruck auf den guten Albert gemacht! Noch hielt ihn zwar das schlechte Gewissen davon ab, die durch die erzwungene lange Abwesenheit ihres Mannes einsame Frau Waller mit seinem jugendlichen Charme zu Dingen zu überreden, die sie unter anderen Umständen wohl empört abgelehnt hätte. Aber auf die Dauer würde er seine Gefühle wohl kaum in Zaum halten können. Seine kleine Freundin Ann war weit weg, er war nach der langen Rekonvaleszenz wieder in blendender Verfassung und deshalb lag es nahe, diese gute Gelegenheit zu nutzen.

Aber zuerst musste er natürlich seinen neuen Arbeitsplatz antreten und so fuhr er nach einem eher bescheidenen Frühstück mit der Straßenbahn zur Haltestelle Opernring, um die letzten Meter bis zur Burg über die steil ansteigende Burggasse zu Fuß zurückzulegen.

Lieutenant Fisher erwartete ihn schon und gab ihm zu Beginn eine kurze Einweisung in die momentane politische Lage in Graz, sowie in die Aufteilung der kommunalen Verantwortung und stellte ihm gleich ein paar Lokalpolitiker vor, die gerade mit Bittgesuchen beim britischen Stadtkommandanten vorstellig geworden waren.

Worthington sollte bei solchen Gelegenheiten den Dolmetscher spielen und außerdem auch Weisungen der Besatzungsmacht bei Bedarf persönlich den Adressaten überbringen.

Das war ein Job so richtig nach seinem Geschmack. Da er durch einige Besuche bei seiner Tante in Hamburg einigermaßen gut Deutsch sprach, war er den meisten seiner Kollegen und Vorgesetzten in dieser Hinsicht überlegen. Zudem musste er durch die zahlreichen Botengänge nicht den ganzen Tag in einem muffigen Büro zubringen und konnte sich seine Zeit gut einteilen.

So vergingen die Tage wie im Flug, und die Abende wurden immer interessanter.

Ingrid man war inzwischen beim vertrauten du angelangt verwöhnte ihn nach Strich und Faden. Sie kochte, soweit es bei der Lebensmittelrationierung möglich war, die köstlichsten Gerichte, dazu trank man Schilcher. Das ist eine Art trockener Rose´ Wein, den sie von einem Bruder, der einen kleinen Bauernhof und einen Weinberg sein eigen nannte, bekam. Ingrid war froh, nun endlich etwas Gesellschaft zu haben, Albert freute sich über den Familienanschluss und der Wein tat sein Übriges.

So blieb es nicht aus, dass die Beziehung zwischen den Beiden immer enger wurde und Albert öfters nicht in seiner eigenen Kammer übernachtete.

Ingrid hatte zwar noch hin und wieder Gewissensbisse, aber Albert redete sie ihr schnell wieder aus. Abgesehen davon, dass er mit seiner jugendlichen Unbekümmertheit gerne darüber hinwegsah, dass Ingrid verheiratet war, so wähnte er ihren Mann ja weitab vom Schuss im Gefängnis. Und dort sollte er auch noch eine Weile bleiben, so sah er das als Engländer und ehemaliger Kriegsgegner.

Tagsüber repräsentierte er die Besatzungsmacht, war durch seine guten Deutschkenntnisse auch für seine Vorgesetzten immer unentbehrlicher geworden und bekam dadurch so einiges mit, was jemanden mit seinem Dienstgrad eigentlich gar nichts anging.

Bald kannte er auch einige Stellen in Graz, wo es das eine oder andere günstig zu kaufen gab. Ganz besonders angetan hatte es ihm eine kleine Konditorei in der Mariahilferstrasse, wo trotz der strengen Mehlrationierung hin und wieder ein leckerer frisch gebackener Rührkuchen angeboten wurde. Der einfache Kuchen erinnerte ihn etwas an die geliebten Scones, die ihm seine Mutter immer zum Afternoon Tea am Sonntag gebacken hatte.

Vor dem Geschäft hatte sich mal wieder eine lange Schlange gebildet, die Tochter des Konditors schenkte in alten kunterbunt gemischten Bechern Ersatzkaffee aus, und die Kunden rissen ihr den Kaffee und den Kuchen nur so aus den Händen.

Unter all den Leuten, die vor der Konditorei warteten, fiel ihm ein großer, hagerer Mann auf, sein stechender Blick kam ihm irgendwie bekannt vor.

Worthington glaubte sich zu erinnern, dass er diese Person schon mehrmals gesehen hatte. Als er ihm direkt in die Augen sah, wandte dieser sofort den Blick ab, was ihn noch misstrauischer machte. Er beschloss, ihm unauffällig zu folgen.

Der geheimnisvolle Unbekannte ging eilig davon und er hatte Mühe ihm zu folgen. Es dauerte nicht lange, dann hatte er den Mann aus den Augen verloren.

Bei seinem nächsten Besuch im Polizeipräsidium schaute er im Archiv vorbei und nach kurzer Beschreibung des Gesuchten zeigte man ihm eine Karteikarte mit einem Foto, das ohne jeden Zweifel den lästigen Verfolger zeigte. Der Beamte erklärte ihm, dass es sich um einen gewissen Alfons Sulic handle, im Krieg bei der Waffen SS, der sich jetzt mit Schwarzmarktgeschäften und kleinen Gaunereien über Wasser halte.

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