Читать книгу Die Zwei und ihr Gestirn - Hans Sterneder - Страница 8

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„… Also, ich hoffe, dass dir nun der Sinn klar ist“, sprach Thomas Doo, sich von Clarences Horoskop zurückbeugend und in den Stuhl lehnend.

Viscount John O’Neill nickte ernst. Sein Auge haftete wie gebannt an der geheimnisvollen Scheibe, die das Schick­sal seines Sohnes barg.

„Karma, das Gesetz von Ursache und Wirkung, ist die große Weltenangel des Alls, Karma ist der Träger aller Entwicklung, der Weisheit Gottes!

Es gibt nicht Gut noch Böse, nicht Schuld noch Tugend, es gibt nur Einen Sinn, nur Ein Ziel in allen Höhen und Tiefen der Weltenräume: – Harmonie!

Eine Welt, in der die leiseste Disharmonie bestehen könnte, und nicht bis zum letzten Hauch abgetragen werden müss­te, bis der volle Gleichklang mit Gott wieder hergestellt ist – eine solche Welt müsste im selben Augenblicke zerbrechen und vergehen, wo der erste Misston ihren Leib durchbebte.

Es hat nun dem Ewigen gefallen, dass die Auswirker Karmas, mit anderen Worten: die Hüter der Harmonie, jene hohen Intelligenzen und Lichtengel des Himmels sind, welche die Menschen – die Sterne nennen!

Es hat Ihm gefallen, wie ich dir zuvor auseinandersetzte, ihre Kräfte und Bahnen in ein so weises Gesetz zu bringen, dass sie jedem Ego, das sich auf der Wanderschaft befindet, bis ins Kleinste zum Hüter seines Karmas werden. Jenes Tierkreiszeichen nun, das im Augenblick der Geburt am Osthimmel über dem Horizont aufsteigt und das man deshalb ,Aszendent‘, den ,Heraufsteigenden‘ nennt, legt die Prägform seines Körpers fest und gießt seine Anlagen und seinen Charakter in das physische Gehäuse. Die Planeten hingegen – die Boten des Willens der Gottheit und großen, ständigen Prüfer – stellen dem Geborenen nun unermüdlich Frage um Frage, ihm so erst Gelegenheit gebend, seine Entwicklung fortsetzen zu können, die genau dort weitergeht, wo er sie im vorigen Leben beendete.

Dies Letztere kann ich nicht genug betonen, denn die Menschen geben sich so leicht dem Irrtum hin, wir seien so und so, weil im Augenblick unserer Geburt die Sterne diese und jene Stellung innegehabt. Die Wahrheit hingegen ist die, dass wir keine Sekunde früher ‚antreten‘ können noch müssen, als bis die Konstellation des Himmels jenes Bild anzeigt, das haargenau der Summe all unserer früheren Lebensführungen entspricht.

Dass die Gestirne tatsächlich Kräfte aussenden und diese alle Umstände bedingen, beweisen dir Sonne und Mond, und dass diese Wirkungen von der Stellung, also den Winkeln, in denen ihre Strahlen die Erde treffen, abhängen, zeigt dir nur zu beredt der Jahresrhythmus der Sonne!

Wenn aber Sonne und Mond Kräfte ausstrahlen, müssen wir es auch von allen anderen Sternen annehmen, die, ebenso wie unser Tag- und Nachtgestirn, nicht nur die Erde, sondern auch sich gegenseitig beeinflussen, und durch ihre verschiedenen Stellungen zueinander und zur Erde – also ihre Anblickungen oder Aspekte – die göttliche Fülle der verschiedenen Bedingungen schaffen.

So wie die Sonne in der Natur bei niederem Winkel den Winter, bei hohem den Sommer hervorbringt, ebenso bewirkt zum Beispiel der Mars beim Menschen Energie, Erfolg, Zorn wie auch Verwundung.

Es verhält sich hierbei so: Treffen zwei Sternenkräfte sich im rechten Winkel zur Erde, entsteht ein unheilvoller Zustand, durch den das höchste göttliche Gesetz gestört wird – also Disharmonie; blicken sie sich hingegen im Dreieck an, werden sie zu Strömen der Liebe, welche Glück – also Harmonie schaffen.

Deshalb sagt man: Die Harmonie ist im Trigon beschlossen, Disharmonie dagegen in der Quadratur.

Wer nun die Sprache der Sterne nicht versteht, der geht an den Glückszeiten seines Lebens ebenso blind vorbei, wie er ahnungslos in die Fallen des Unheils tappt, die ihm die großen Prüfer stellen. Wie viel Gesundheit, Kraft und gute Veranlagung dadurch sinn- und nutzlos vergeudet wird, muss ich dir nicht erst des Langen erklären!

Ein Mensch, der die Grenzen seines Wesens nicht kennt, ist wie ein Schiff, das ohne Kapitän auf dem Meere treibt und von dessen Strömen mitgerissen wird. Jener hingegen, der den göttlichen Sinn seines Daseins erfasst hat, wird zum Führer seines gleichsam auf dem Kräftestrom der Gestirne schwimmenden Lebensschiffes.

Wohl können auch ihn noch Dinge überraschen, die er trotz aller Vorsicht nicht voraussehen konnte – im Großen und Ganzen aber steuert er bewusst durch Klippen und Stürme.

Ich glaube, du wirst nun die ungeheure Bedeutung begreifen, welche die Astrologie für das Leben hat!“, endete Sir Thomas Doo, seine klaren Augen scharf auf den Freund heftend.

„Ja, ich beginne die wundersamen Zusammenhänge zu ahnen, Tom! Mehr wage ich nicht zu sagen! Denn was du mir über die Wechselbeziehungen von Mensch und Kosmos eröffnet, ist zu groß, als dass ich es sofort ganz zu fassen vermöchte!“

„Klarheit kann überall erst die Erfahrung schaffen, John! Doch ist alles schon gewonnen mit dem Augenblick, wo die Seele geneigt ist!“

„Das ist sie wahrhaftig!“, rief der Viscount.

„So wollen wir nun, damit dir dies wunderbare göttliche Walten klarer wird, Clarences Horoskop betrachten. Viel kündet seine Schicksalsscheibe und wir könnten stundenlang über ihr sitzen. Doch will ich nur das herausgreifen, was uns im Augenblick am meisten beschäftigt: Wir wollen nachforschen, ob das Horoskop uns seine Gabe des zweiten Gesichtes weist und durch welche Konstellation dies bedingt wäre; ob sein schwermütiges Wesen nur ein Sich-gehen-Lassen ist oder gar nicht anders sein kann und schließlich, welche Aspekte seine Lungenschwäche unverhinderlich bedingten!“

Und mit dem Finger auf ein Planetenzeichen weisend:

„Dies hier ist Neptun, der mystische Planet, dessen Schwingungen die Reiche des Übersinnlichen erschließen. Er steht, wie du siehst, im Augenblick der Geburt im Tierkreiszeichen Zwillinge. Da im gegenüberliegenden Zeichen Schütze der Mond steht, so kommt er mit diesem in Opposition oder in Gegenschein, wodurch die Kräfte der beiden Gestirne gesteigert werden. Dies allein schon würde ein hohes Einfühlen ins Übersinnliche begünstigen.

Doch nicht genug damit, steht er auch noch in guter Konjunktion oder in Zusammenschein“, sein Finger fuhr ein Stück herauf, „mit der Spitze des ersten Hauses.

Zufolge astrologischer Erfahrungen steigert sich nun die Stellung Neptun-Mond, wenn sie in das erste Haus fällt, zum Ahnungsvermögen, ja bis zum Hellsehen.

Clarence aber muss die Gabe des Hellsehens geradezu zwingend eigen sein, weil seine ganze Geneigtheit hierfür noch dadurch zur unweigerlichen Tatsache wird, dass seine Geburtssonne in engster Verbindung mit den Plejaden steht, welche übersinnliches Wahrnehmungsvermögen bedingen.“

Thomas Doo lehnte sich zurück. Der Viscount starrte unverwandt auf die gewiesenen Zeichen; auf seinem Gesicht drückte sich immer mehr ein innerer Kampf aus.

„Nun, John, rede doch nur ruhig!“, ermunterte der Gelehrte den Freund.

„Was du mir so deutlich gezeigt und entwickelt hast, überwältigt mich wohl und ich bin nur zu gerne geneigt, zu glauben, nur ist mir nicht klar, wie man all die Geheimnisse finden konnte! Du musst mich verstehen! Aber sieh: Wenn wir einen Stein erforschen wollen, dann nehmen wir denselben und zerlegen ihn in seine Teile; und wollen wir die Zusammensetzung eines Apfels ergründen, so analysieren wir ihn chemisch – hier aber ist jede Gelegenheit, den Dingen ,nahezukommen‘, so gänzlich menschenunmöglich, dass ich da nicht durchfinde!“

„Mein lieber Freund, das mit dem Apfel kommt mir gerade gelegen“, entgegnete Thomas Doo, „denn an ihm kann ich dir so recht beweisen, wie sehr du in der Irre bist, wenn du meinst, man könne von den Gestirnen nur deshalb kein Wissen haben, weil sie zu weit von uns entfernt sind! Sieh, wie nahe ist uns der Apfelbaum! Wir können seine Rinde betasten, sein Holz mikroskopisch untersuchen, wir können den Vorgang des Blühens Sekunde um Sekunde verfolgen; wir sehen das Reifen und wie er sich schließlich in die große Ruhe begibt – aber glaubst du, dass wir ihn dadurch tatsächlich ergründet haben!? … Wir haben wohl eine Unzahl von Beobachtungen gemacht – aber alles, was wir gewonnen, ist von gegenstandsloser Nebensächlichkeit, gemessen an der großen Frage über den Sinn des Baumes!

Und siehst du, trotzdem wir dem Wesen, dem Geiste der Dinge so fern bleiben wie den Sternen, können wir doch auf Grund von Beobachtungen ihre Wirkungen erfahren!

Nichts aber hat die Menschheit durch die unzählbare Flucht der Jahrtausende so glühend betrachtet und durchforscht wie den Sternenhimmel!“

Und wieder auf das Horoskop zeigend:

„Sieh zum Beispiel hier das Tierkreiszeichen Zwillinge! Es steht im Aszendenten, oder mit anderen Worten, es ist bei Clarence jenes Zeichen, das sich im Augenblick seiner Geburt über den östlichen Horizont erhob.

Da nun jeder in einem anderen Zeichen geboren ist, so ergab die vergleichende Betrachtung gar bald, dass es, der Zahl der Tierkreiszeichen entsprechend, zwölf verschiedene Menschentypen gibt, die wohl innerhalb des Typus die mannigfaltigsten Schattierungen aufweisen können – bedingt durch das ewig wechselnde Spiel der Planetenstellungen –, die Grundprägeform des aufsteigenden Tierkreiszeichens aber so unverlierbar tragen, dass man mit einem Blick von einem Wassermann-, Löwen-, Widder- oder Steinbock-Typ sprechen kann.

Clarence ist Zwillingstyp vollkommenster Reinheit. Und wenn ich dir nun sage, dass dieses Zeichen eine große, schlanke Gestalt, schmales Gesicht mit dünnen Lippen und gebogener Nase, dunkles Haar, braune Augen, ferner starkes Auffassungsvermögen und einen lebhaften, raschen Gang gibt – so habe ich Clarence wirklichkeitsgetreu gezeichnet.

Und wenn die Eltern solcher Geborener wissen, dass diese ganz besonders für die Wissenschaften befähigt sind, so ist das ein großer Segen für eine richtige, der inneren Veranlagung entsprechende Berufsbestimmung.“

Der Viscount schüttelte mehrmals den Kopf.

„Wahrhaftig, das Wunder wird immer gewaltiger!“

„Es gibt keine Wunder, John! Es gibt nur ein Wissen oder Nichtwissen des Tatsächlichen. Und jedem Wunder ist alsogleich sein Zauberschein genommen, wenn man sein Gesetz erfasst hat!“

„Ja, Tom, das mag sein – aber das eben Gehörte ist mir dennoch ein Wunder in seiner Herrlichkeit und Größe!“

„Wenn du es so nimmst, allerdings! Aber meine dann nur ja nicht, dass das weise Zusammenspiel der Organe deines Körpers, das wir so selbstverständlich nehmen, ein geringeres Wunder sei! Es ist alles die Offenbarung der Allmacht Gottes!“

Versonnen blickte der Viscount vor sich hin.

Da ging die Türe leise auf, und im Rahmen erschien die sehr bleiche, überschlanke Gestalt Clarences.

Ergriffen blickte der Viscount auf sein Kind.

„Verzeiht, wenn ich euch störe!“, sprach der Junge mit ein wenig verschleierter Stimme, „aber ich erfuhr eben, dass du hier seist, Onkel, und ich wollte dich begrüßen!“

„Komm her, Clarence!“, rief der Vater so zärtlich, wie es jener seit frühen Kindheitstagen nie mehr gehört.

„Wie hast du geschlafen, mein Junge?“, fragte Thomas Doo den sich innig an ihn lehnenden Knaben.

„Oh, ganz wundervoll, Onkel! Ich habe einen so überaus schönen und merkwürdigen Traum gehabt! Ich war in fernen Ländern voll märchenhaft fremdartiger Pracht, und immer war ein Freund bei mir, ein Freund mit rabenschwarzen Augen, die blitzten, wie ich in meinem Leben noch keine sah – höchstens deine, Onkel; doch deine Augen leuchten immer so ruhig und gütig. Diese aber funkelten in überschäumender Lust. Ich kenne ihn nicht, ich habe ihn nie gesehen, im Traum aber war er mir so lieb und vertraut, als wären wir Kameraden schon von Ewigkeit her. Es ging ein Glück von ihm aus, dass ich mich ganz verlassen fühle, wenn ich jetzt an ihn denke. Er hat mich von einem Wunder ins andere geführt, und immer, wenn ein neues bevorstand, hob er geheimnisvoll den Finger und strahlte mich an. Nach langer Zeit aber stieß er plötzlich die Hand empor, aus seinen Augen wich aller Glanz, ein undurchdringlicher, schwarzer Schleier senkte sich jäh auf uns herab und hüllte uns ein. Als ich morgens erwachte, trug ich den Traum noch so stark in mir, dass mich das Herz ordentlich schmerzte.

Ich habe den ganzen Morgen nachgedacht und mir vorgenommen, dich zu fragen, Onkel. Man träumt ja oft im Leben, aber sieh, es gibt immer wieder Träume dazwischen – wie diesen –, die eine solche Wirklichkeitsstärke haben, als wären sie tatsächlich gelebt worden, irgendwann … irgendwo. Sag, Onkel, wie kommt das nur? Was geht da nur in unserem Innern vor? …“ Groß heftete der Knabe seine Augen auf den Gefragten.

„Darüber wollen wir später reden, Clarence, wenn ich mit deinem Vater gesprochen habe! Ich will dir jetzt nur sagen: Ja, es hat ein besonderes Bewenden mit solchen Träumen! Und es liegt jedem irgendeine vergangene oder zukünftige Wahrheit zugrunde!“

Als Clarence die Bibliothek verlassen, fragte der Vis­count: „Du meinst wirklich, es habe mit derart nachhaltig empfundenen Träumen, wie sie jeder im Leben ab und zu hat, ein tieferes Bewenden?“

Der andere nickte,

Und nach einer Pause:

„Du musst wissen, dass sich die Seele nachts, wenn sie von den Fesseln des Verstandes befreit ist, vom Körper zu lösen und auf die Wanderschaft zu begeben vermag. Da sie aber göttlich ist, gibt es für sie dann nicht die Schranken von Raum und Zeit, und so vermag sie frei über alle Räume in Vergangenheit und Zukunft zu schauen.

Was sie geschaut, will sie uns bei ihrer Rückkehr ins irdische Gefängnis künden und spiegelt es uns in der Wirklichkeit oder im Symbol.

Wenn du die Heiligen Schriften aufschlägst, wirst du immer wieder der Traumfrage begegnen und finden, welch hohe Bedeutung die Weisen einst dieser göttlichen Sprache der Seele beimaßen; doch wir kommen zu sehr von unserem Gegenstande ab!“

Und sich wieder zum Horoskop neigend:

„Du siehst hier, dass Clarences Lebenssonne im Tierkreiszeichen Stier steht.“

„Sag, Tom, was ist die Lebenssonne?“

„Die Lebenssonne ist im Horoskop das Symbol für das unsterbliche Ego, also den menschlichen Geist. Alle Geborenen nun, bei welchen die Geburtssonne im Stier steht, müssen zur Schwermut neigen, weil dieses Tierkreiszeichen eines der drei irdischen ist und diese dem Geiste somit den Stempel ihrer Erdenschwere aufdrücken.

Dieser Hang zur Schwermut wird aber noch dadurch verschlimmert, dass der irdische Stier noch ein zweites hier dicht neben der Sonne stehendes Zeichen niederhält, nämlich den Merkur, der den menschlichen Intellekt symbolisiert.

Da dieser Merkur aber obendrein im zwölften Hause steht“, Thomas Doo umfuhr das Kreissegment, in welchem die Sonne und Merkur standen, „man teilt das Horoskop nämlich auch in zwölf Lebenshäuser des Menschen – dieses Haus aber Sorge, Trauer, In-sich-Verschlossenheit und Krankheit entspricht, so deutet diese Stellung auf große Vereinsamung im Leben. Dadurch, denke ich, habe ich dir nun zur Genüge dargelegt, woher Clarences Hang zur Schwermut kommt.

Und nun, John, höre weiter! Du weißt bereits, dass Kosmos und Mensch nach demselben Gesetz gebaut sind und jede Tierkreiszone einen bestimmten Teil des menschlichen Körpers bildet und bestimmt.

Nun aber vernimm ein neues, ganz wunderbares Gesetz des kosmisch-karmischen Waltens! Stets zeigt das im Augenblick der Geburt am Osthimmel aufsteigende Tierkreiszeichen – der Aszendent – den gefährdetsten Teil des Körpers an. Bei Clarence steigen die Zwillinge auf. Diese aber beherrschen die Lungen, und somit ist dir die große Schwäche dieses Organs bei ihm erklärt.“

Der Viscount fuhr wie von einem Schlage getroffen zurück. Groß blickte er auf den Freund.

Herzlich legte dieser seinen Arm um die Schultern des Lords.

„Ja, John, wenn du bedenkst, dass zwölf Zeichen am Geburtspunkt aufsteigen können – und umgekehrt siehst, dass die Gefahr bei Clarence, wie du längst weißt, immer in seinen schwachen Lungen liegt, da kann es einen wohl überwältigen, wenn man sieht, wie genau die göttliche Schick­salsuhr die karmisch notwendigen Umstände des Lebens anzeigt!“

John O’Neill presste seine Hände über die Augen, lange Zeit. Dann starrte er wie gebannt auf die Zeichen des Horoskopes.

Erst nach geraumer Weile kam es langsam, beinahe feierlich von seinen Lippen:

„Du weißt, ich bin diesen Dingen mein Leben lang skeptisch gegenübergestanden; nun aber bin ich gründlich bekehrt! Wohl ist die Gewalt des Geoffenbarten nahezu erdrü­ckend, aber es liegt eine Befreiung darin, die tief beglückt.“

„Ja, John, es ist das Glück jenes Befreitseins, welches die Erkenntnis gibt! Und nun höre weiter! Ich habe neben dem Geburts- oder Grundhoroskop, das also die Stellung des Kosmos im Augenblick von Clarences Geburt und somit seine körperlichen und seelischen Veranlagungen anzeigt, auch die Berechnungen für dieses sein dreizehntes Lebensjahr gemacht – du siehst die Planetenstellungen hier rot eingezeichnet.

Und aus diesen ergibt sich, dass die schwere Erkältung vor ungefähr Monatsfrist kein tückischer Zufall war, nein, dass sie unbedingt kommen und sich in dieser gefährlichen Heftigkeit auswirken musste, denn die planetarische Konstellation ist in dieser Zeit wohl die schlimmste seit seiner Geburt.

Da wir mit unseren Horoskopkenntnissen diesmal ja leider zu spät kommen, bleibt uns jetzt also nichts anderes übrig, als den Jungen in jene Umstände zu bringen, die geeignet sind, die hereingebrochene Gefahr am besten auszugleichen, weshalb wir ja schon vorher seine Reise nach Italien beschlossen hatten.

Wie ist dir nun aber zumute, John, wenn ich dir sage, dass unser Entschluss zusammenfällt mit dem Wunsche der Sterne, in deren Konstellation längst ausgedrückt war, was wir hier zu beschließen wähnten.

Sieh her, da hast du es: Jupiter hat auf seiner Bahn durch Clarences Lebensjahre das neunte Haus erreicht, welches nach allen Überlieferungen das Haus der Auslandsreisen ist.

Diese Reise aber wird nicht nur für seine Gesundheit von großem Heile sein, sondern ganz besonders auch für seine Seele, was wir ja für ihn sehnlichst wünschen, denn hier siehst du gleichzeitig, dass Jupiter, der ‚Glücksverheißer‘, den Ostpunkt günstig im Trigon bestrahlt, und dies besagt, dass Clarence in den nächsten Monaten eine große, für sein ganzes Leben ausschlaggebende Freundschaft finden wird.“

Der Viscount, vor dem blitzartig Clarences Traum stand, vermochte vor dieser Gewalt der Wunder des Lebens lange kein Wort hervorzubringen.

„Das ist ja reine Zauberei ... Zauberei des Himmels!“, bröckelte es endlich von seinen Lippen.

„... Aber höre!“, wandte er sich neuerdings lebhaft an den Freund: „haben wir denn dann noch Willensfreiheit? Kann dann noch von einer Freiheit des Menschen gesprochen werden?“

„Darum sollst du dich nicht sorgen, John! Wisse: Was geschieht, ist weise, und was geschieht, ist gut! Sorge dich nicht, sondern freue dich ganz im Gegenteil, dich in der Hand Gottes zu wissen! Eines ist sicher: dass der Erkennende die Lose sieht, die ihm hingehalten werden – und das ist viel, denn erst der kann wirklich frei werden, der wissend geworden ist. Ein immer bewussteres Einswerden mit dem Willen der Gottheit ist aber nicht Willenlosigkeit, sondern höchste Freiheit und stärkste Sammlung des Willens!“

Schweigen herrschte im Bibliotheksraume. Versonnen blickte John O’Neill vor sich ins Weite. Mehrmals nickte er langsam, als stimme er etwas bedächtig zu.

„Wie tief ist die Welt! Wie tief!“, kam es endlich halblaut von seinem Munde. „Tom, wie wird so das Leben erst schön – und menschenwürdig! Ein edles, ritterliches Spiel, kein blinder Krämergang!“

Die Zwei und ihr Gestirn

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