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Der in der modernen Tiefenpsychologie bisher gültige Heilungsbegriff stammt noch aus einer früheren gesellschaftlichen Struktur und Lebenseinstellung, nämlich aus den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg.

Vergegenwärtigen wir uns das damalige Wien Freuds, unsere damalige Kulturwelt überhaupt! Die maßgebenden bürgerlichen Gesellschaftsschichten lebten noch gesichert in den Tag hinein, in Wohlstand und Sattheit. Äußerer Erfolg, gehobener Lebensstandard und soziale Geltung waren die selbstverständlichen Zielsetzungen jenes ausgehenden bürgerlichen Zeitalters. Wer da nicht mitmachte und deshalb danebengeriet, der war entweder faul, untauglich oder neurotisch. Der Status dieser bürgerlich gesicherten Welt wurde kaum je zum Problem. Die Lebensparole der bürgerlichen Schichten hieß daher: Anpassung an die gegebene Umwelt. Diese allgemeine Parole ging auch in die damals aufkommende Tiefenpsychologie und ihre therapeutische Praxis ein und beeinflusste ihren Heilungsbegriff stark. »Heilung« bedeutete – jedenfalls für Freud und Adler – letzterdings: Wiederherstellung der normalen, störungsfreien und genussfähigen Anpassung an die Umwelt, dies in der zeitgeschichtlichen Form, in der sie sich darbot.

Neben dieser allgemeingültigen Anpassungsforderung gab es nun aber in jenen Zeiten bürgerlicher Sicherheit als besonderen Bezirk auch noch das »aparte« Innenleben, das als Kultur der Seele gewissermaßen ein Sonntagsdasein führte und als das »höhere« und eigentlich menschliche Leben galt. Dies ist die andere Seite jenes Zeitalters, die zum besonderen Ausgangspunkt für die Psychologie C. G. Jungs wurde. Jung hat zwar von Freud und seiner Zeit her die Betonung der sozialen Anpassung als therapeutische Forderung mit übernommen und auch beibehalten. Er wurde jedoch in seiner Psychologie und Psychotherapie immer stärker der hervorragende Vertreter eben jener »Kultur der Seele«, und diese rückte, unter zunehmender Abwertung des sozialen Anpassungsbereichs, mehr und mehr in den Mittelpunkt seiner Lehre und Praxis.

So blieb Jung im Grunde jener dualistischen Lebensauffassung der bürgerlichen Ära verhaftet, nur das er, im Gegensatz zu Freud und Adler, den Wertakzent bewusstermaßen nach innen verschob. Die soziale Anpassung hat für ihn, auch wenn er sie immer wieder als gültiges Heilungsziel preist, keine eigentlich produktive Bedeutung mehr für die Selbstfindung des Menschen – auch nicht im Sinne einer echten Weltbejahung oder der Gemeinschaftspflege. Diese Forderung hat bei ihm nur noch den Wertgrad des unvermeidlichen Zugeständnisses. Auch diese Wertung gehört noch der Vorkriegszeit an. Sie wird in der damals gültigen Zweiteilung von »Kultur« und »Zivilisation« unterstrichen.3

Freuds Entdeckung und Erforschung der pathogen wirkenden seelischen Motiv- und Triebkomplexe und seine Therapie stehen noch ganz deutlich unter der ernsten Bemühung, die psychischen Störungen der Neurose zugunsten einer besseren Weltanpassung zu beseitigen. Dieses Bestreben mag, wie gesagt, als ein Kompromiss mit der Zeitsituation verstanden werden. Aber auch Jung ging der Zeitsituation gegenüber einen Kompromiss ein, nur vornehmlich mit der anderen Seite: mit der Kultur der Seele. Er erstrebte, auf Grund seiner Entdeckung und Erforschung des Kollektiven Unbewussten, die »Störungsfreiheit« mittels Introspektion und Introversion. Indem er den Menschen in jenem unermesslich tiefen inneren Seelenbereich gründen lässt und ihn dort zentriert, kann er den äußeren Bereich der Welt guten Gewissens weiter empfehlen, weil ja das »eigentliche« Leben des introversiv ausgerichteten Patienten davon nicht mehr wesentlich berührt wird.

Jung verlegt so das »eigentliche« menschliche Leben in die autonome Totalität der Seele, die zur einzig wahren, erstrebenswerten Wirklichkeit erhoben wird, und degradiert demgegenüber die soziale Welt zum rein zweckhaften Anpassungsbereich des Ich: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist«, »das Himmelreich aber ist inwendig in euch«. Hier das Leben der autarken, sich selbst betonenden Individualität, dort das periphere Ich, das sich anpasst – bis hin zu jener Maske der Anpassung, die als »Persona« bezeichnet wird. Hier Individuum, dort Kollektivum. Über diesen grundsätzlichen Dualismus kommt Jung nicht hinaus. Wir werden im zweiten Teil unserer Betrachtungen auf die unlösbaren Widersprüche, die sich daraus ergeben, näher eingehen.

Dass diese Geisteshaltung Jungs gnostischer Prägung ist, dass er jenes neutestamentliche Wort vom »Himmelreich«, 4 wie manches andere, gnostisch wendet und umdeutet, sei nur beiläufig erwähnt. Er gibt seine Verwandtschaft mit der Gnosis ja selber zu und hat sie gerade in jüngster Zeit durch seine Deutung alchemistischen Materials erhärtet. Mit diesem eigenartigen Dualismus, der durch Entwertung der konkreten Welt und der menschlichen Weltbegegnung, das heißt durch die Verlagerung der sozialen »Anpassung« an die Peripherie, das seelische Innenleben des Menschen freimachen und in seiner Eigensphäre kultivieren will, glaubt Jung seinerseits die therapeutische Forderung des störungsfreien Verhältnisses zur Welt vorbildlich realisieren zu können. In dieser dualistisch-gnostischen Weltauffassung sehen wir die besondere Voraussetzung, auf der Jung sein System errichtet hat.

Diese Weltauffassung entspricht seinem zweifellos introvertierten Charakter, und beides zusammen ist – so glauben wir deutlich zu erkennen – das Produkt einer geheimen existentiellen Entscheidung. Jung hat sich, wie wir später ausführen werden, in radikalem Entschluss der partnerischen Begegnung mit der Welt entzogen. Er hat seinen personalen Schwerpunkt von dieser äußern Begegnungsfront willentlich zurückgeholt und hat sich zum Schöpfer einer Innenwelt der Seele werden lassen. Nun verbirgt sich sein Selbst in einer imaginären Eigenwelt und lässt sich nur in diesem innerseelischen Wirkbereich finden.

Finden von wem? Von eben dem »Ich«, das sonst als Randfunktion der Psyche vornehmlich der Außenwelt zugekehrt ist, nun aber auch sich als geeignet erweist, in der Haltung des Psychologen eine radikale Schwenkung nach innen zu vollziehen. Diesem forschenden Ich wird jetzt das im unbewusstseelischen Geschehen verfangene Selbst zum Objekt der Suche – sowohl hinsichtlich des wissenschaftlichen Verständnisses als auch des therapeutischen Realisierungsprozesses. Auf dieser geheimen Entscheidung gründet unseres Erachtens Jungs dualistisch-gnostische Weltauffassung, seine introspektive Forschung und seine introversiv ausgerichtete Psychotherapie.

Heilung aus der Begegnung

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