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Zur Phänomenologie und Problematik der funktionellen Subjektspaltung

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Wir müssen zum besseren Verständnis dieses introversiven Rückzugs aus der Weltbegegnung etwas weiter ausholen. Ein solcher Akt entspringt, wie wir sagten, zuletzt der existenziellen Entscheidung des Menschen und somit der unbedingten Freiheit seines Selbst.

Aus dieser Freiheit des Selbst heraus hat der Mensch in sich die Macht des eigenen Willens. Sein Selbst »passt sich nicht an«, denn es ist nicht welthaft. Es »läuft auch nicht mit«, denn es ist nicht weltgebunden. Das Selbst des Menschen west souverän in sich selbst als dieses je und je Einzige und steht in seiner personell bestimmten Würde zunächst nur Gott, seinem Schöpfer, gegenüber. Es ist auf Anrede von Ihm her und auf Gehorsam zu Ihm hin angelegt und ist selbst darin noch frei, sich dieser Anrede zu verschließen und seinen Gehorsam zu verweigern – was es, so oder so, in selbstüberheblichem und sogar selbstmörderischem Trotz zu tun sich willens zeigen kann.

Wie aber verhält es sich mit dem Ich des Menschen, wenn es, wie in Jungs Komplexer Psychologie, als Bewusstseinsfunktion vom Selbst abgehoben und ihm gegenübergestellt wird?

Während sich das Selbst in seiner Freiheit von Gott und der Welt abzuwenden und sich autark zu behaupten vermag, kommt dem Ich des Menschen keine solche Eigenmächtigkeit zu. Das Ich ist nicht personale Instanz im Menschen, sondern dessen welthaftes und weltzugewandtes Organ. Es kann weltläufig werden, lässt sich von den Mächten der Welt mitnehmen und wird ihnen hörig. Festen Grund und Stand hat es nur in dem Selbst, zu dem es ursprunghaft gehört. Flieht aber dieses Selbst die Welt, verzirkelt es sich in seine geschlossene Eigensphäre, dann hängt das Ich als Organ der Begegnungsvermittlung gleichsam in der Luft und pendelt hin und her, zwischen Innen und Außen.

Dies gerade ist die charakteristische Situation der Neurose: das Ich, bestimmt vor allem zum Träger der Bewusstseinsbezüge, meidet als Satellit des begegnungsflüchtigen Selbst die Welt und wird demzufolge als Funktion, die es ist, erst recht die Beute der Anpassung fordernden Mächte. In seiner widersprüchlichen Abgelöstheit vom Selbst verliert es den legitimen Rückhalt, emanzipiert sich als Bewusstseinsorgan und entartet so mehr und mehr zur willkürlichen Weltfunktion. Ohne den personalen Rückhalt eines der echten Begegnung erschlossenen Selbstes verfällt es in seiner Weltbeziehung unweigerlich der Man-Welt (Heidegger) oder Fremdwelt und fügt sich schließlich deren »allgemeingültigen« Gesetzen und Ordnungen kritiklos ein: wenn es Glück hat, als »braves Glied« einer relativ gesunden Gemeinschaft. In dieser sozialen Einordnung macht es dann seine Karriere, im Guten wie im Schlechten. So wird jene maskenhafte Ichhaltung übermächtig, die Jung Persona genannt hat. Wir wollen hierbei einen Augenblick verweilen.

Jungs »Persona« stellt sich im Gesamtaspekt der menschlichen Lebensgestaltung gewiss als recht fragwürdige Einordnung in die Sozietät dar. Diese weltbezogene Gestaltung der Persona konstituiert sich aus den »mehrwertigen« psychischen Funktionen des Bewusstseins, denen die nicht differenzierten, »minderwertigen« Funktionen, die weitgehend unbewusst sind, polar entsprechen. In gesunden Fällen bleiben diese »minderwertigen Funktionen« der bewussten Verarbeitung doch noch relativ zugänglich. In der Neurose aber werden sie – in dem Maße, als »alle verfügbare Libido den begünstigten Funktionen zugeführt ist« – regressiv und archaisch. Durch die psychologische Analyse der im Unbewussten aktivierten Phantasien »soll die minderwertige Funktion wieder zum Bewusstsein und damit zur ganzheitlichen Integration gebracht werden«.

Hierzu ist zu bemerken, dass die praktische therapeutische Erfahrung diese psychologisch in die Wege geleitete Reintegration der minderwertigen Funktion insofern und so weit bestätigt, als dadurch eine bewusste Beziehung des Patienten zur Innenwelt seiner Seele hergestellt und so auch eine Art von Einbefassung ihrer unbewusst proponierten Möglichkeiten und Aufgaben angeregt wird. Ob aber auf diesem Wege einer funktionellen Differenzierung der Patient in seinem Selbst erreicht und in die Realbeziehung zur Welt zurückgeführt werden kann, bleibt in Frage gestellt. Denn vom Bewusstwerden und derart eingeleitetem Differenzieren der minderwertigen Funktion zur Realisierung wirklicher Weltbegegnungen ist es ein existenzieller Sprung – ohne diesen bleibt der »funktional« geeinte Mensch in der Introversion stecken.

Der psychologische Zusammenhang muss unseres Erachtens noch tiefer erfasst werden. Nach unserem Dafürhalten ist die »minderwertige Funktion« gar nicht an ein anonymes Unbewusstes gebunden, dem sie durch psychologische Bewusstmachung einfach entlockt werden könnte – woraus sich dann die konkrete Weltbegegnung quasi von selbst ergäbe –, sondern diese minderwertige Funktion ist letzterdings gebunden an das sich trotzig verschließende, personal bestimmte Selbst, das sich, wie wir darlegten, auf keine rationale Verlockung der Welt einlässt. Diesem »verlorenen Sohn« ist durch bloß vermittelnde psychologische Bewusstmachung entscheidend nicht zu helfen. Das Selbst bedient sich wohl in seiner Isolierung zu seinen eigenen Zwecken der weltfähigen Ichfunktion, ist aber dem psychotherapeutischen Anspruch auf funktionale Differenzierung und Anpassung an die soziale Welt prinzipiell unzugänglich.

Das Selbst des neurotischen Menschen ist und bleibt das zufolge seiner Weltabkehr verschlossene, misstrauische und unbotmäßige Selbst, das es nun einmal geworden ist. Soll es von neuem und in echter Weise mit der Welt kommunizieren, wonach es sich uneingestandenermaßen heimlich sehnt und wozu es auch, in seiner Eigenständigkeit und Einzigkeit, wesentlich qualifiziert ist, dann nur, wenn es als Verantwortungsträger der Seele, als der namentliche Partner einer personalen, nicht nur psychisch-funktionalen, Beziehung zur Welt, zur Welt als Schöpfung und Geschichte, aufgerufen ist und sich diesem Ruf zu stellen den Mut aufbringt. Und diesen Mut aufzubringen, gegen die eigene Angst und Vertrotzung zur Welt hin durchzubrechen, bedarf es der Ermutigung!

In unserem Verständnis ist das menschliche Selbst als Personenmitte daraufhin angelegt, das dialogisch ansprechbare und antwortfähige Subjekt einer echten partnerischen Begegnung des Menschen mit seiner Welt zu sein. In diese lebendige Begegnung und Beziehung ist das Ich des Menschen als vermittelnde Funktion mit einbezogen, steht legitimer weise in ihrem Dienst und hat sich darin zu bewähren. Es ist, wie wir aufzeigten, seinem Ursprung und seiner Bestimmung nach nicht eigenständiges Subjekt der Weltbegegnung – erst zufolge der Weltabkehr des Selbst wird das Ich zu dem mit willkürlichen Machtbefugnissen ausgestatteten Repräsentanten einer rein opportunistischen sozialen Anpassung und gewinnt dadurch jene quasi selbstständige Persona-Haltung, die ihm den Anschein einer originären Subjektivität verleiht.

Im Aspekt der dualistischen Weltanschauung, die dem geistig suchenden Menschen früher oder später zum äußerst bedrängenden Lebensproblem wird – und die im Aufbau der Jungschen Lehre entscheidende Bedeutung hat –, scheinen im menschlichen Individuum zwei substantiell geschiedene und abgrundtief geschiedene Subjektanlagen zu walten: eine wesentlich zentrale, nach innen gerichtete, und eine wesentlich periphere, die nach außen orientiert ist. Keines der beiden »Subjekte« lässt sich auf das andere zurückführen – keines von beiden kann aber auch, weder mit autoritativen noch mit psychologischen Mitteln, das andere in sich einbeziehen. Und trotzdem können sie sich auch nicht aus dem Wege gehen. Denn ihre in Erscheinung tretende Trennung ist eine nur spukhafte – ihrem Wesen und der Substanz nach aber sind sie Eines. In dieser Zweiheit, an der der Mensch subjektiv leidet – und die sich auch in objektiven Symptomen manifestiert –, die aber potenziell Einheit ist, 5 stellt sich uns der spezifisch menschliche, innerseelische Konflikt dar, durch den es zu jener funktionellen neurotischen Persönlichkeitsspaltung kommen kann, mit welcher sich der Psychotherapeut praktisch abzumühen hat. Die überaus schwierige Aufgabe des Psychotherapeuten ist es, die scheinbar schuldlos verlorene, in Wahrheit aber schuldhaft verwirkte subjektive Einheit im Patienten wiederherzustellen, auf dass er sich in der konkreten Weltsituation als verantwortlicher Partner wieder einfinde und sich darin bewähre.

Die Bewältigung dieser Aufgabe verlangt, um es immer wieder zu sagen, nicht nur den behandelnden »Psychologen« im Arzt, sondern vor allem und bis zuletzt den vollen Begegnungseinsatz seiner Person.

Heilung aus der Begegnung

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