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Die Forscherpersönlichkeit C. G. Jungs

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Wenn ich, zurückblickend auf die letzten Ausführungen, es nun unternehme, einige wesentliche Züge der Forscherpersönlichkeit C. G. Jungs besonders ins Licht zu heben, so deshalb, weil sie zum kritischen Verständnis seiner Lehre und Therapie wesentlich beitragen. Dieses Unternehmen ist gewiss ein gewagtes, insofern als ich mich damit vor der Öffentlichkeit peinlichen Missverständnissen aussetze. Ich bin zu diesem Wagnis aber aus sachlichen Gründen herausgefordert, und es bleibt mir nur die Wahl, entweder durch Schweigen die Sache preiszugeben oder aber, um der Sache willen, die in diesem Falle sehr bedeutsame persönliche Seite auch zu besprechen.

Jungs schöpferische Leistungen im Gebiete der wissenschaftlichen Tiefenpsychologie, wir betonen es immer wieder, können wohl kaum hoch genug veranschlagt – sein Einfluss jedoch auf die praktische Psychotherapie nicht vorsichtig genug überprüft werden. Denn auch als Psychotherapeut war Jung vor allem Forscher. Das heißt: ihn interessierten bei der Neurosenbehandlung und -heilung mehr die objektivierbaren psychologischen Befunde als die konkreten Lebensschicksale der einzelnen Patienten. Mit dieser Aussage soll unterstrichen werden, dass die Grundtendenz seiner Therapie von der forscherischen Leidenschaft her bestimmt und geprägt wurde, und dass von daher seine Behandlungsmethode in ihrer Struktur einen eigenartig objektiven und unpersönlichen Charakter hat. Von diesem unpersönlichen Charakter seiner Behandlungsmethode wird zunächst weniger das Arzt-Patientenverhältnis als solches betroffen – betroffen wird vielmehr vor allen Dingen das Verhältnis des Patienten zu sich selbst.8

Hierzu einige Erläuterungen: auf Grund seiner Konzeption des Kollektiven Unbewussten konstelliert Jung im Patienten ein »Objektiv-Psychisches«, zu welchem dieser in bewusste, also wesentlich psychologische Beziehung treten soll. Der Analysand, der als »Ich« angesprochen und damit auf sein peripheres Ichbewusstsein reduziert wird, sieht sich in diesem introversiven Heilverfahren einer autonomen Psyche gegenüber, die zwar de facto seine Psyche ist, ihm -aber noch als einzigartige Möglichkeit gegenübersteht, mit dem Anspruch, dass er in ihrem virtuellen Mittelpunkt – bildhaft ausgeprägt im Mandala – sich selbst suche und auf ihn hin sich selbst realisiere. Das methodisch erstrebte Endziel dieses introversiven Realisierungsprozesses – des »Individuationsprozesses« – ist der »in sich selbst« geschlossene, individualisierte Mensch.

Auf diesen typischen Entwicklungsprozess, der sich jeweils individuell modifiziert, kommt es der Jungschen Therapie wesentlich an. Gewinnt der Patient im konsequenten Fortschreiten des tiefenpsychologischen Erkenntnis- und Integrationsprozesses seine »Individualität« zu eigen, dann ist er zu sich selbst heimgekehrt: er hat sich aus den schicksalhaften Verstrickungen mit der realen Welt innerlich befreit und verfällt nicht mehr der weltläufigen Tendenz seiner Ichfunktion. Indem er sich auf diesem introversiven Weg zu einem eigenständigen psychischen Kosmos ausbildet, wird er gleichsam zum mikrokosmischen Gegenspieler des Makrokosmos der Welt. Und so wird diese Welt, in ihrer abgehobenen Anderheit, seiner Selbstmächtigkeit ein Mittel zum Zweck der seelischen Bereicherung und Vervollkommnung.

Von meiner eigenen ärztlichen Erfahrung her glaubte ich bis vor kurzem, dass diese introversive Selbstrealisierung Jungs als erstes Stadium im Gesamtheilungsprozess der Neurose aufgefasst und beibehalten werden dürfe, sofern sich daran, als zweites Stadium, das der Wiederherstellung der »konkreten Weltbegegnung« anschließt.9 Auf die Aussichtslosigkeit dieses Versuchs, seine Heilungsmethode festzuhalten und weiterzuentwickeln, hat mich dann aber Jung selber aufmerksam gemacht. Er ließ mich wissen, dass für das Selbst, zu dem die Individuation im Sinne seiner Lehre hinführe, kein Weg zur Welt mehr gesucht werden müsse, weil in diesem Begriff des Selbst die Beziehung zur Welt schon eingeschlossen sei. Dieser Hinweis, der Jungs Missverständnis der ganzen Problemstellung mir erst völlig deutlich machte, gab für mich den Anstoß zur weiteren Vertiefung in Theorie und Praxis der Komplexen Psychologie.

So weiß ich jetzt endgültig, dass mein Aspekt der partnerischen Begegnung von Arzt und Patient, die ich nicht als Mittel zur »introversiven« Individuation des Patienten, sondern als entscheidenden ersten Ansatz zur neuen Weltbegegnung bewerte, sich nimmermehr mit der therapeutischen Zielsetzung Jungs vereinbaren lässt. Denn in Jungs Individuationsprozess empfängt der Mensch seine wesentliche Bestimmung nicht in der Begegnungsfähigkeit und Begegnungsbereitschaft zur Welt hin, sondern in der innerpsychischen Begegnung des »Ich« mit den Schichten des Unbewussten, in welcher Begegnung erst das Selbst wird und auch erst in Erscheinung tritt. Jung sucht also, wie wir es darstellten, die wesentliche Bestimmung des Menschen letztlich im Prozess des psychologischen Selbstbezugs.

Wenn ich so Jungs introversive Individuation als einen Abweg vom eigentlichen Heilungsziel ansehen muss und sie deshalb für die praktische Psychotherapie nun mehr grundsätzlich in Frage stelle, müssen wir aber die Art seines personalen Einsatzes für sein Werk als beispielhaft bezeichnen. Jung hat sich für seine Forschung nicht nur im üblichen Sinne ganz eingesetzt, sondern er hat sich selbst als den weltbezogenen Begegnungspartner gewissermaßen »aus der Welt geschafft« und auf Lebzeiten in den Forschungsbereich der Seele, ja in deren kollektiv-unbewusste Tiefen verbannt. Auf Grund dieser Richtungswahl und im existenziellen Vollzug derselben hat er sich systematisch zum Psychologen ausgebildet und hat so jene Fülle der seelisch immanenten »Welt« und ihrer Prozesse entdeckt, die sich in der Lehre seiner Komplexen Psychologie niederschlug.

Das Entscheidende an diesem Vollzug ist hier nicht, dass Jung sich als Forscher der unbewussten Tiefe der Seele zugewendet und sie ausgelotet hat – das haben andere auch getan, und darin wäre er nur einer der großen Entdecker und Meister. Ausschlaggebend ist, dass Jung es offensichtlich unternommen hat, sich selbst im introversiven Prozess existentiell zu verwirklichen und dann, darüber hinausgehend, diesen seinen Weg der Selbstverwirklichung in Lehre und Praxis zum allgemeinen Heilziel erhob.

Für den Psychologen, der sich selbst versteht, dürften Forschung und Existenz nicht derart eine unzertrennliche Einheit sein. Jung, der so gerne den rein wissenschaftlichen Charakter seiner Lehre betont, sollte die Grenzen aller Wissenschaft nicht aus dem Wege verlieren. Bliebe er sich ihrer ganz bewusst, dann dürfte seine Psychologie meines Erachtens weit zurückhaltender sein, als sie es tatsächlich ist. Hier aber wurde ein psychologisches System über seinen partiellen Geltungsbereich hinaus zum Ausdruck einer vorbildlich sein wollenden Existenzhaltung und erhob den Anspruch, als Weltanschauung entweder total angenommen oder abgelehnt zu werden. Jungs Lehre in ihrem Ganzheitsanspruch annehmen heißt sodann: seine existenziell gewollte introvertierte Haltung der Weltabkehr und des psychologischen Selbstbezugs sich zu Eigen machen und beides an sich selbst und an anderen als verpflichtendes Lebensbeispiel wiederholen.

Der Kampf, in den ich mich seit Jahren hineingezwungen sah, hat sich so zu richten – muss es ausdrücklich betont werden? – nicht gegen C. G. Jung im engeren Sinne seines persönlichen Lebens, sondern eben gegen jenen Anspruch auf totale Nachfolge, der in seiner Forscherpersönlichkeit mitgesetzt ist und der als solcher über alle rein sachlichen Belange hinausreicht. Mein Kampf gilt dem in Jungs Persönlichkeit verführerisch auftretenden Vorbild einer introvertiert-gnostischen Grundhaltung, die dann zugleich therapeutische Zielsetzung ist. Das, was an dieser »Symbiose« Irrtum und Fehlweg ist, musste zur Diskussion gestellt werden.

Heilung aus der Begegnung

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