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Vorwort

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»Ein Mann, der die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd«, sagt Konfuzius. Ich fürchte mich nicht davor. Andere aber, von denen die Wahrheit durchaus verlangt werden darf, wagen es nicht, sie auszusprechen. Oder offenbaren sie nur lückenhaft. Weil ihnen das eine oder andere in ihrer Biografie peinlich ist. Weil sie sich gar dafür schämen. Oder weil sie fürchten, dass Geständnisse nicht ohne Konsequenzen blieben. Ich kenne etwa ein halbes Dutzend Menschen, die Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf der linksradikalen Rasierklinge balancierten. So wie ich. Bekannte und sehr bekannte Menschen. Frauen und Männer, die bedeutende Positionen im Staat erlangt haben. Sie hätten Unangenehmeres zu erinnern als ich. Doch sie achten die Omerta, das Schweigegebot, das wir aus der Mafia kennen. Bis heute. Bis ins Grab vermutlich.

Meine Haltung ist grundsätzlich anders. Lebensgeschichte ist erlebte Geschichte. In meinem Fall Zeitgeschichte und Geschichte der Medien. In jedem Leben ist das Schicksal der Gesellschaft eingekapselt wie die Fliege im Bernstein. Man braucht den Stein nur ins Licht zu halten und hindurchzuschauen, dann erkennt man. Deshalb, nicht aus Eitelkeit, habe ich mein Leben aufgeschrieben. Das ist mir nicht leichtgefallen. Doch ich bin vor der Scham nicht ausgewichen, obgleich es manches gibt, wofür ich mich heute schäme. Und ich habe versucht, nichts auszulassen, was verdrängt oder schon fast vergessen war. Denn mein Leben, in dem ich fünf verschiedene Leben entdecke, spiegelt die Qualen, die Irrtümer und die Wandlungen der deutschen Geschichte seit der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Dieses Leben kann Hoffnung machen, finde ich. Denn es offenbart, erstens, wie durchlässig diese Gesellschaft ist, von unten nach oben. Selbst vor sechs oder sieben Jahrzehnten, als es noch Elemente einer Klassengesellschaft gab, war sozialer Aufstieg möglich, durch Bildung und durch Leistung. Zweitens: Diese Gesellschaft verzeiht viel. Selbst schwere Irrtümer. Sie beweist eine erstaunliche Integrationskraft. Deshalb möchte ich davon erzählen. Ein Pferd brauche ich nicht.


Der Schrei des Hasen

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