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Das zweite Kapitel.

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Inhaltsverzeichnis

Eine rothe Laterne hing über der Thür der Destille. Die Thür war schräg eingestellt nach der Strassenecke zu. Drei schlechte Eisenstufen führten hinauf. Sie hallten und dröhnten, wenn schwere, nägelbeschlagene Schuhe darauf traten. Nach der andern Seite leuchtete ein grosses Fenster. Eine breite, grüne Aufschrift zog sich quer darüber hin, auf der zu lesen stand, dass der Pfiff Bier fünf Pfennige kostete. Sonst Reklamen in grossen Lettern von Wein, Bier, Rum, Punsch, Zettel in lebhaften Farben so zusammengestellt, dass sie sich möglichst schnitten, das Auge herausforderten. Aber der Strassenstaub hatte sie ausgebleicht, Alles war von derselben schmutziggrauen Schleimschicht überzogen. Die Fenster hingen schief in ihren Rahmen. Gegen das Haus lagen schwarze, [pg 28]faulende Holzplanken aufgeschichtet von irgend einem Neubau, der nie fertig wurde. Die Fenster nach der Strasse zu waren durch schwere Rollbretter geschützt. In den oberen Stockwerken hatte man die Jalousien heruntergelassen. Nur die Laterne blinkte wie ein trübes, rothes Auge durch die Nacht.

Es war Weihnachtsnacht. Man war lustig. Die Frau des Destillateurs hatte Fische in süsser Sauce gemacht, von denen man für fünfzig Pfennige ein Gericht bekam. Dazu gab es Punsch. Auch ein Weihnachtsbaum war geschmückt, auf den sie stolz waren. Mit Papierblumen und ein paar dicken Stearinlichtern prangte er. Im Nebenraum zwischen alten Lumpen schliefen die beiden kleinen Mädchen, die Kinder des Ehepaars. Sie hielten die Holzpuppen, die ihnen bescheert worden waren. Man hatte ihnen auch Punsch gegeben. Sie schliefen ganz fest mit feuerroten Backen, im Luftzug ihres Athems leise zitternden, langen Wimpern.

August Matzke war ein schwerer Mann, erst an die Vierzig, obgleich er älter aussah, ganz und gar ruinirt, vergiftet durch den Trunk. Er war schon zweimal wegen Delirium tremens im [pg 29]Krankenhaus gewesen. Alle hofften, dass das sein Ende bedeutete. Aber er kam zurück, graublass, verblödet, schrecklicher als vorher. Dieser Mann hatte mit Auszeichnung seine Dienstzeit absolvirt und war zum Sergeanten aufgerückt. Bei einer Schiessübung kam er durch Unvorsichtigkeit um ein Auge. Er erhielt die Verstümmelungszulage und nahm seinen Abschied. Die Frau war aus ganz gutem Hause, eine Süddeutsche von zierlichen Formen, freundlichem, einnehmendem Wesen. Sie hatten ein ganz hübsches kleines Kapital gehabt, als sie heiratheten, und fingen nach seiner Verabschiedung eine Gastwirthschaft an. Man sagte, dass die sehr zuvorkommenden Manieren seiner Frau gegen Fremde ihn zuerst an die Flasche getrieben hatten. Jetzt war er unheilbar; das Geld ihrer Liebhaber hielt die Wirthschaft flott. Sie liessen sich nicht scheiden, weil er ihr dann ihr Eingebrachtes auszahlen musste. Er schlug sie. Sie insultirte ihn. Dann kam wieder anfallweise die alte Verliebtheit; sie schliefen zusammen. Zwischen alledem, Schlägen, Zänken, Liebkosungen, wuchsen die Kinder auf, behend und geschmeidig wie kleine Katzen, beide der Mutter auffallend ähnlich, schon spürend, horchend, zwischentragend....

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Kuhlemann wurde mit lärmender Freude begrüsst. Matzke hatte schon schwer gesoffen und sah schief. Es war da noch ein älterer Mann mit breitem, krummem Rücken, der stumm in sich hineintrank. Ein junger Tapezier mit aufgebürstetem Lieutenantsschnurrbart spielte den Forschen, zog die Andern auf und scharmuzirte mit Frau Matzke. Ein Dienstmädchen aus dem Hause, eine grobe, gewöhnliche Person, kam zuweilen, um sich auch einen Schnaps stossen zu lassen, die Neuigkeiten zu hören. Ein paar zerlesene Nummern des Vorwärts und des Lokalanzeigers lagen auf dem Tisch. Im Hintergrund stand ein Klavier. Matzke als alter Soldat war Patriot und kaisertreu, er hielt das socialdemokratische Blatt um seiner Kunden willen. Er selbst liebte patriotische Lieder und erging sich, wenn er voll war, sehr gern in hochtrabenden Erinnerungen an Gravelotte und Sedan, „unsern ollen Kaiser Willem“ und Prinz Friedrich Karl, auf deren Wohl er dann die ganze Gesellschaft anzustossen zwang. Heute war er noch nicht ganz so weit.

Frau Matzke hatte sofort ein Punschglas vor Fritz Kuhlemann aufgestellt und eins vor dem Fremden, der sich bescheiden mit an den Tisch [pg 31]setzte. Das grosse Dienstmädchen strebte neugierig näher. Sie war ein durchaus anständiges Mädchen und stolz auf ihre Anständigkeit, aber sie hatte es doch gern, wenn man sie kitzelte, Witzchen mit ihr machte. So zum Beispiel foppte sie sich stets mit Matzke, dass er sie heirathen sollte. Er wollte dann von ihrem Gelde seine Frau auszahlen und sich scheiden lassen. Das amüsirte sie königlich.

„Ich möchte nur um ein Glas Wasser bitten und ein Stück Brot, wenn ich es haben kann,“ sagte der Fremde.

Die Frau sah ihn erstaunt an, willfahrte aber der Bitte. Matzke schoss aus seinen geschwollenen Augen einen trüben, gehässigen Blick.

„Wer’n rechter Kerl is, der is Soldat jewesen. Wer nich Soldat jewesen is, der is überhaupt kein Mann nich, sag ick!“

Er wiederholte das mit der Faust aufschlagend gegen den Tapezier, der sich damit belustigte, ihn aufzuziehen. Er schien sich damit das besondre Wohlwollen der Frau Matzke verdienen zu wollen, denn er blinzte ihr zu. Die grosse Hanne juchzte lärmend auf.

„Un eene volle Pulle liebt er ooch, was ’n [pg 32]rechter Mann is? Was Aujust? Tapfre, olle Kriegsgurgel?“

Der Trunkenbold stierte ihn giftig an, that aber Bescheid. In der Hülflosigkeit seines benebelten Gehirns gegen die Kniffe und Finten des Andern blieb ihm nur dies eine Bedürfniss, zuzuschlagen, seine Fäuste zu gebrauchen.

„Kanonen ufffahren und derzwischen jepfeffert, denn würden sie schon fertig mit det Jesindel!“

„Und Du wärst der commandirende Jeneral von det Janze! Herr Aujust Matzke mit dem schwarzen Adlerorden da vorne aus der Weste.“

Der Tapezier amüsirte sich königlich. Frau Matzke zog verächtlich die Lippen. Das Dienstmädchen bog sich vor Vergnügen.

„Ick sage: Wer seinen Kaiser nich ehrt, der is kein deutscher Mann, der jehört in den Schweinestall.“

„Sieh man zu, dass Du nich selber zuerst reinbummelst, oller Freund. Wer so schwach uff seine eijnen Beene steht, sollte man ja nich so forsch jejen Andre losziehen.“

„Ick nich fest uff meine Beene! Ick bin Dein oller Freund nich. Ick will Dich lehren, mir Aujust zu heissen. Aujust Dir wat in Deine [pg 33]unjewaschne Schnauze. Du – Du – Hurenjäger Du!“

Er hatte sich schwerfällig erhoben und griff nach der Stuhllehne, um sich daran festzuhalten. Der Tapezier lachte, er gehörte zu Frau Matzke’s eleganten Freunden, die den Haushalt im Gang erhielten. Der Mann in der braunen Weste rührte sich nicht.

„Aber August! so lass doch!“ machte die Frau gelangweilt. Sie zwinkerte Wernicke zu, Hanne in ihrer sicheren Ecke am Büffet erstickte fast vor unterdrückter Heiterkeit. Sie fand das einen ausgezeichneten Spass.

Nun wandte sich der Wüthende gegen sie, die Ehebrecherin, in den unfläthigsten Ausdrücken. „Ick will Dir ... Ick will Dir ... Hure ... Hure ... Hure!“ Er sah schrecklich aus mit den sabbernden Lippen, seinen blutunterschossenen Augen, von denen das eine, künstliche, immer gerade blieb, glotzend, ungeheuerlich. Das Wort in seinem dumpfen Laut des Stiergebrülls wiederholte sich. Er packte sein schweres Bierseidel; es flog dicht an ihrem Kopf vorbei in die Fensterscheibe, die splitternd zerbrach. Der Ton schien ihn vollends wahnsinnig zu machen. Er ergriff [pg 34]eins der Seidel nach dem andern und fensterte sie in das Glas. Leere und halbvolle Flaschen flogen nach. Man hörte die Scherben auf dem Strassenpflaster sich knisternd zusammenhäufen. Gleichzeitig drang die kalte, klare Winterluft ein. Der Tapezier weidete sich an seinem Heldenstück. Hanne kreischte, die Hände vor den Ohren, dachte aber nicht daran zu flüchten. Der andre Gast blieb ganz stumpfsinnig.

„Das giebt ein nettes Christkindchen für morgen. Na, ich bin nur froh, dass ich die Rechnung nicht zu bezahlen brauche.“ Der junge Mann griff nach seinem Hut und Paletot, einem eleganten Paletot mit Sammetaufschlag und hellem Futter. Er hing ihn immer so, dass man das Futter sah. „Ich gehe jetzt, Frau Matzke. Adieu auch. Ich werde erwartet.“

Sie sagte nichts. In der Thür drückte sie ihm die Hand sehr stark, ihre Nüstern bebten. „Nimm Dich in acht!“ ...

Durch den Thürspalt nach der Kammer guckten die beiden Kinder. Der Lärm des klirrenden Glases hatte sie aufgeweckt. Sie witterten eine Scene, und waren nun dabei, neugierig, erwartungsvoll.

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Matzke hatte seine letzte Bierflasche dem Abgehenden gegen die Thür nachgeschleudert. Sie zerbrach auf dem Fussboden in ihrer braunen Sauce. Frau Matzke fing ruhig an, die Unordnung des Fensters zu repariren. Sie steckte eine weisse Bettplane auf; sie kannte das schon.

„Nanu? Hier is wohl Polterabend heut’?“ sagte eine lustige Stimme.

Es war ein Mädchen. Sie trug gescheitelte Haare und ein einfaches Umschlagetüchelchen. An einer gewissen Unordnung des lose gewundenen Nackenknotens, der zerschlissenen, rothen Seidentaille erkannte man die Leichtfertigkeit ihres Berufs.

„Ich konnte nicht früher kommen, habe auch den Kindern noch was mitgebracht.“

„Ach Lene! Lenchen!“ In ihren Hemden drängten sie sich um sie. Das Mädchen küsste sie leidenschaftlich. Frau Matzke sah zu.

Fritz Kuhlemann lachte. „Geht’s Geschäft auch heut’ Abend?“ fragte er boshaft. Der Fuhrmann starrte sie an. Lene Hoff war der eigentliche Grund, weshalb er jeden Abend kam. Er hätte nie gewagt, es ihr zu sagen, ausserdem wusste er ja, dass sie unter Sittenkontrolle stand. Die grosse Hanne zog eine höhnische Fluntsch. Sie [pg 36]hatte das Mädchen nicht begrüsst, als sie eintrat, stand jetzt, einen Arm in die Hüfte gestützt, und musterte sie von oben bis unten. Dann drehte sie sich nach der Thür zu: „Ich muss jetzt raufgehen. Es ist meine Zeit.“ Sie beschäftigte sich sehr viel mit der jungen Prostituirten, ihren Toiletten, ihrem Thun und Lassen. In ihren Gedanken stand sie weit unter ihr; sie war ein anständiges Mädchen.

Lene pustete sich in die Finger. Sie war immer ein bischen genirt, so lange die Grosse da war. „Kalt ist’s. So’n Weihnachten! Lustig sein! Wir wollen Klavier spielen.“

Sie hatte sich an’s Klavier gesetzt. Ein Tanz wirbelte hervor unter ihren flinken Fingern.

Niemand tanzte.

„Das ist nichts.“ Sie stand wieder auf, schloss den Deckel. Sie näherte sich Fritz Kuhlemann, kraute mit der Hand den untern Teil seines rothen Schopfes: „Na Du?“ ... Die ganze gewerbsmässige Schmeichelei ihres Berufs lag in dem Ton, vielleicht noch mehr. „Bist so eklig heut’, geh! Spendirst mir nicht mal was?“

„Seh’ ich Dir nach Spendiren aus?“ Man hörte die Leidenschaft aus seiner Stimme. Diese [pg 37]Liebkosung einer Frau stachelte ihn. Er verschlang sie mit den Augen.

Sie hatte sich auf seinen Schoss gesetzt. „Armer Kerl! Keine Chance. So viel Pech gehabt.“ Er zerdrückte ihr die Lippen mit einem brutalen Kuss. „Du – frech biste!“

Sie sah den Fuhrmann an. Dieser Mann hätte sie geheirathet. Er hatte vier Kinder zu Haus. Aber ihr graute vor der Langeweile. Ihr Vogelgehirn arbeitete schon auf einer andern Spur wieder, sie hatte den Fremden entdeckt.

„Wer is denn der?“ fragte sie Frau Matzke.

Die Frau zuckte die Achseln.

„War der Josef hier heute?“

„Er ist eben fort.“

„Ach darum ...“ Das Mädchen kannte die Leidenschaft der Freundin. Der schöne Tapezier hätte ihr auch gefallen. Sie seufzte.

„Oed’ ist’s heute. Ich bin vorher gegangen und hab’ mir die Christbäume angesehen. Christbäume, das ist so rührend. Einen ganz grossen sah ich mit Lametta wie Haare. Das möcht’ ich haben.“

Sie hatte sich wieder an’s Klavier gesetzt. Ein Weihnachtslied klang aus den Tasten.

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„Hübsch war das, die Engelchen und Schäfchen in der Krippe. Ich hab’ das mal gesehen, wie ich klein war. In der Kirche.“

Sie wandte sich wieder an Kuhlemann. „Sag’ mal, Du hast nicht einen Nickel für mich? Zu einer neuen Schleife für den Ball am Sonntag. Kommste mit zum Ball, Schätzchen?“

Er drehte ein zerfetztes Portemonnaie um vor ihren Augen: „Da sieh.“ ... Der Fuhrmann warf einen Thaler auf den Tisch. Hart klang das Metall auf der Holzplatte. Alle sahen auf. Frau Matzke hatte ihren Besen, mit dem sie die Scherben zusammenfegte, hingestellt.

Die Lene war näher gekommen wie ein naschhaftes Kind. Der Thaler lag da, und blinkte – brutal, schmutzig gleissend. Sie sog lang den Athem ein.

„Du rührst nicht dran!“ schrie Fritz Kuhlemann.

„Wenn man selber keinen Pfennig hat, hat man nichts dreinzureden,“ entschied Frau Matzke schneidend.

Der Andre wartete, schwerfällig, lauernd, wie ein Jäger, der das Wild in der Falle hat.

„Ich schlag’ ihn todt!“

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Ein scharfes Lachen der Frau traf den Burschen wie ein Hieb.

Das Mädchen war wie ein lüsternes Mäuschen noch näher gekrochen. Die feinen Zähne blinkten zwischen ihren gespitzten Lippen hervor.

Der Trunkenbold machte einen scheusslichen Witz: „Wer das Geld hat, hat das Recht,“ bestimmte Frau Matzke.

Sie streckte die Hand aus.

Ein gurgelnder Laut wie Tigergebrüll entrang sich der Brust des Burschen.

Der Fremde hatte die Hand auf den Tisch gelegt. Diese feine, blasse, bläulich geäderte, abgezehrte Hand bedeckte das Geldstück. Sie bildete eine Weisse auf der mit Bier- und Fettflecken besudelten Tischplatte.

„Komm’ zu mir!“ sagte der Fremde.

Er hatte sich aufgerichtet. Er stand ganz gerade. Die andere Hand, die nicht das Geldstück deckte, streckte sich gebietend vor.

„Komm hierher!“ befahl der Fremde.

Sie kam. Sie gehorchte. Wie mit durchgeschnittnen Flechsen schleppte sie sich. Sie kroch. Plötzlich schlug sie beide Hände vor’s Gesicht, mit einem dumpfen Schmerzenslaut sank sie in die Knie.

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„Nimm Dein Geld!“

Der Fremde hatte den Thaler ergriffen. Er schleuderte ihn nach der Thür. Das Silber schlug hart auf, kugelte sich im Weiterrollen. Der Fuhrmann bückte sich gierig danach und verschwand.

Fritz Kuhlemann stand mit unter der Brust gekrampfter Hand. Es war der Blick des Mörders, mit dem er sah, der Bestie, des wilden Thieres.

„Geh!“

Er ging.

Der Trunkenbold lachte auf mit einem hässlichen Gluckser. „Ein Schmatzchen, Haseken. Du – Du ...“ Er griff schwankend in die Luft. Es reichte nicht mehr, wie ein Bleisack sank er schwer zusammen.

„Leg ihn schlafen,“ sagte der Fremde. Das Weib schnellte gegen ihn an wie eine gereizte Viper. Dann gab sie der schnarchenden Masse einen verächtlichen Fussstoss. „Vieh!“

Sie stiess ihn gegen die Kammer mit rachsüchtigen Püffen und Tritten, dann nahm sie ihren Besen und kehrte wüthend.

Die kühle Nachtluft strich durch den schweren Fuseldunst. Alle Lampen brannten. An den [pg 41]Wänden hingen patriotische Bilder, Reklameschilder mit Emblemen der Arbeit, eine schwere Faust, die den Hammer emporhält, einem Tischler an der Hobelbank. Jemand hatte allerlei Unfläthigkeiten angeschrieben. Dazwischen machte sich ein widerliches, süsses Moschusparfüm fühlbar, der von dem Mädchen ausging. Sie hatte die Hände vom Gesicht genommen. Sie schielte zwischen den Fingern wie ein unartiges, gescholtnes Kind. Es erschreckte sie, dass sie so allein waren. Sie begriff nicht. „Sie sollen nicht weggehen! Der Dicke würde mich heirathen. Vier Göhren hat er zu Haus. Hundertundfünfzig Mark im Monat und die ganze Einrichtung. – So Einer; der’s Einem hinterher alle Tage vorwirft! Zweiundvierzig Jahre ist er schon, krumm wie’n oller Zumpelbär. Der drückt Einen ja todt. Taps, dämlicher!“

Sie lachte leichtfertig, ihre blonde Mähne schüttelnd, die Augen eingekniffen.

„Der Andre, Wernicke, der ist ein ganz Feiner. Gestärkte Hemden trägt er sogar am Alltag. Er kriegt auch einen guten Lohn bei Krüger. Er ist der Erste da, der Alles allein macht. – Dieser Fritze! Das ist so komisch. Komisch ist der!“

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Ihr Lachen rang sich auf in hellen, klingenden Trillern. Sie lachte, dass ihr die Augen übergingen. Ihr ganzer Körper krampfte sich unter dem Lachen.

„Alle Leute haben mich gern, weil ich immer lustig bin. Und Kinder! – das is immer Leneken hier, Leneken da! Wir haben eine alte Frau im Haus, die lahm ist und zu Bett liegt. Ich bringe ihr Kaffee und Chocolade. O, ich thue auch das Meine.

„... Wie die vornehmen Damen, die aus dem Wagen steigen, die Näsen kraus ziehen.... Beten und trocknes Brot und Arbeit. Als ob wir’s nicht wüssten, wie die’s treiben!

„Warum ist denn Unsereins schlecht? Weil’s einen schlechten Rock anhat, einen billigen Hut trägt. Die sind nicht besser wie wir! Pfui!“

Sie spuckte aus.

„Einen Spatz hatte ich mal, den ich unter’m Baum fand. Hier im Kleid unter der Brust trug ich ihn. Den schlugen mir die Jungen todt.

„Schweine sind die Männer! Ach, solche Hunde! Hunde! Nicht mal Geld geben sie Einem. Aber schlagen! Sie stehlen’s noch von uns.“ Ihre Fäuste krampften sich megärenartig. Das junge Gesicht wurde erdfahl, verzerrt.

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„Ich hab’ Klavier spielen gelernt. O, ich hatte mal Einen in der Georgenstrasse. Der war sehr gebildet. Sogar Verse hat er auf mich gemacht. ‚Du hast ja die schönsten Augen, Feinsliebchen, was willst Du noch mehr?‘“

Sie wiederholte die Worte liebkosend, den Oberkörper wiegend wie im Tanze. Sie blähte sich eitel.

„Warum sprichst Du nicht mit mir? Wenn ich einen Vater gehabt hätte, eine Mutter, kleine Kinder – – –

„Ich bin ganz zufrieden. Was kommt auch drauf an? Man schlägt’s so um die Ohren. Lustig gelebt und fröhlich gestorben, das ist dem Teufel die Rechnung verdorben.

„Tanzen, Zuckerzeug, fein riechen! Hübsche Kleider!

„Eine Freundin von mir ist im Spital gestorben, Becker’s Lene, die lange. Sterben ist grässlich. Huh! Huh!“

Sie fing wieder an, ihr Gesicht zu verstecken. Sie rutschte auf den Knieen hin und her. Sie gab kleine Töne von sich, wie ein gescheuchter, flatternder Vogel. „Du machst mir Angst. Sprich doch. Guck mich nicht an! Guck mich nicht an!“

Sie streckte beide Arme aus, wie unter dem [pg 44]Schrecken einer Erscheinung. Sie bog den Kopf zurück. Ihre Augen weiteten sich starr. „Ich bin mal in der Wiese gewesen. Blumen wuchsen so reinlich mit weissen Gesichtchen. Auf dem Teich fuhren Schwäne. Grüner Wasserliesch schwamm. Wo sie fuhren, wurden dunkle, tiefe Flecken. Das hörte man gar nicht. Ueberall theilte sich der Sumpf. Klar war’s und dunkel ...

„Ich will Dir noch etwas sagen, was kein Mensch weiss. Ich hätte ein Kindchen gehabt, aber es ist nicht zur Welt gekommen. So gross war’s, todt und feucht. Es hätte nicht gelebt und nichts zu essen gehabt. Mein kleines Bübchen! Mein todtes, kleines Kindchen!

„Manchmal denk’ ich, die Sterne, wenn die so funkeln, dass man dort sein könnte. Alles weiss an mir runter.“ ... Sie strich an sich herunter mit glättenden Händen. Sie strich, als ob sie all’ ihre Gewänder abstreifen wollte. Wie im Fieber gingen die dünnen streichenden Hände. ... Das Hälschen über den zarten, fallenden Brüsten reckte sich wie ein Lilienstengel. Eine Bläue war in den Augen, die nicht mehr vom Leben war. Die Lippen seufzten wie die Jemandes, der trinkt. Sie trank – trank – trank.

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Der Fremde sagte nichts. Seine Hand legte sich auf diese junge, noch weisse Stirn. Zart und gütig lag sie, ganz leise.

Unter der Hand sank die Frau zusammen. Sie wurde klein. Sie wurde ein Wurm, der sich am Boden schleppte.

Sie weinte. Sie drückte sich ganz dicht an seine Füsse. Ihre Thränen tropften auf seine Füsse. Ihre blonden Haare hatten sich gelöst und fielen über ihr gebeugtes Haupt und seine benetzten Füsse. Er rührte sich nicht. Sie weinte – weinte.

Frau Matzke war mit dem Besen in der Hand in der Schlafzimmerthür erschienen. Sie stand da mit einem harten, steinernen Ausdruck, unbeweglich. Man hörte das tiefe, röchelnde Schnarchen des Trunkenbolds, unschuldige, tiefe Athemzüge der Kinder.

Jemand wartete in der Strasse mit einem weissen, elenden Gesicht. Er hatte die ganze Nacht gewartet. Nun war es Morgen.

Der Fremde rief den Burschen. Draussen begann schwerfällig, schlafbetäubt das Leben sich zu regen. Lastkarren fuhren müde. Einzelne dunkle Gestalten huschten. Man sah die lange graue [pg 46]Breite der Strasse mit Häusern zu beiden Seiten, unzähligen Fenstern und Thürluken, unter dem trüben Himmel, von dem es leise wie Thau tropfte.

Der Fremde wies auf die weinende Frau: „Geht!“

Sie gingen. Sie geknickt, an seine Schulter gelehnt mit schwankenden, irren Schritten. Er hochgehobenen Hauptes, sehr ernst und sehr gerade.

Frau Matzke in der Thür ihres Hauses sah sie sich entfernen. Sie sagte gar nichts. Sie nahm ihren Besen wieder auf und fegte. Man sah die Silhouette ihres gebückten Rückens, die wüthende Wucht der Besenstösse, mit denen sie den Staub aufwarf und in die Schaufel schob.

Sie fegte.

Der Fremde: Ein Gleichniss

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