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Prolog

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Dortmund-Hörde, September 1996

Er schrak zusammen, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. So wie jedes Mal in den letzten drei Wochen. Innerhalb von Sekunden zeigten sich feine Schweißperlen auf der Stirn, und sein Herz begann zu rasen.

Es war ein herrlicher Spätsommersamstag. Die Temperaturen hatten am Nachmittag nochmals 23 Grad erreicht, und er hatte es tatsächlich geschafft, mit seiner Frau den Garten soweit in Schuss zu bringen, dass mit einem weiteren Beschnitt Ende Oktober alles winterfest sein würde. Redlich müde von der anstrengenden Arbeit lag sie jetzt sicherlich vor dem Fernseher im Wohnzimmer und war friedlich eingeschlafen.

Bei ihm war an Schlaf nicht zu denken. Seit dem ersten Anruf vor drei Wochen und diesen seltsamen Forderungen eines ihm fremden Mannes wuchs seine Unruhe von Tag zu Tag. Wenn er doch nur wüsste, was der überhaupt wollte. Mit feuchten Händen nahm er das Telefon von der Ladestation und drückte auf die grüne Taste. »Hallo?«

»Sie wissen genau, warum ich anrufe. Und dieser Anruf ist der vorletzte. Ich gebe Ihnen noch eine Chance, mir zu verraten, wo sich das Objekt befindet. Sollten Sie es wirklich nicht wissen – was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann – kriegen Sie es, verdammt noch mal, raus. Ansonsten wird es Ihrer Frau an den Kragen gehen. Als Nächstes ist Ihre kleine süße Tochter dran und so weiter. Also: keine Spielchen mehr. Ich rufe Sie morgen um dieselbe Zeit erneut an und dann erwarte ich Antworten.«

»Warten Sie! Ich habe von solchen Dingen überhaupt keine Ahnung. Ich bin Arzt, das wissen Sie. Lassen Sie mich und meine Familie bitte in Ruhe. Sie fragen den Falschen! So glauben Sie mir doch endlich!«

Die Leitung war tot.

Zum wiederholten Mal überlegte er, ob er seine Familie oder die Polizei einweihen sollte. Es ging hier ja schließlich um eine massive Bedrohung. Aber seine Frau und seine Tochter würden sich nur ängstigen. Und die Polizei? Was könnte die schon ausrichten? Nein, er musste konsequent bleiben und noch mehr auf seine Familie achten. Es würde schon nichts passieren.

Am Montagmorgen saßen er und seine Frau am Frühstückstisch. Das Telefonat am Vorabend war wie angekündigt verlaufen: Keine Erpressungsversuche mehr, sondern die eiskalte Aussage, er müsse sich auf Konsequenzen einstellen.

Die Tochter war unterwegs zu einer Erstsemesterveranstaltung für Mediziner an der Uni Bochum. Er war stolz, dass seine »Kleine«, wie er sie immer noch nannte, wenn sie nicht anwesend war, in die Fußstapfen des Vaters treten wollte. Wer weiß? Vielleicht würde sie ja eines Tages die Praxis übernehmen? Im Moment war sie dabei, mit zwei Freunden aus Jugendtagen eine WG zu beziehen. Tja, die Kleinen wurden eben flügge. Sie würde ihm fehlen. Es war ihm schon schwergefallen, die anderen Kinder ziehen zu lassen. Aber gerade bei ihr tat es richtig weh. Ihr Verhältnis war mehr als einfach Vater und Tochter. Sie waren gleichzeitig beste Freunde und Kumpels. Er glaubte zu spüren, dass er für seine Tochter außerdem ein großes Vorbild darstellte. Was ihn natürlich auf der einen Seite mächtig stolz machte, auf der anderen Seite verspürte er ein wenig Angst, ob sie nicht zu viel in ihren Vater hineininterpretierte. Unwillkürlich stieß er einen leisen Seufzer aus.

»Was hast du?«, riss ihn seine Frau aus den Gedanken und biss beherzt in ihr Marmeladenbrötchen.

»Ach nichts, ist schon gut«, murmelte er.

»Ich fahr übrigens gleich zu IKEA nach Kamen. Brauchst du irgendetwas?«

Erschrocken wandte er sich seiner Frau zu. »Fährst du allein dahin?«

Überrascht sah sie ihn an. »Natürlich. Wer sollte denn mitkommen. Unsere Kleine ist nicht da, und du wirst ja wohl gleich in die Praxis müssen.« Sie lachte. »Machst du dir etwa Gedanken darüber, wie ich die Sachen ins Auto bekomme? Keine Sorge! Ich will nur ein paar Kleinigkeiten besorgen.«

»Ach, weißt du, ich glaube, ich habe heute Morgen gar nicht so viele Termine. Lass mich schnell anrufen, dann komme ich einfach mit. Was hältst du davon?«

»An einem Montagmorgen? Ich bitte dich! Was sollen denn die Patienten sagen? Sag mal, warum guckst du denn so besorgt? Ist irgendwas, was ich wissen sollte?«

»Nein, nein. Lass mich nur machen!« Damit stand er abrupt auf und verschwand im Arbeitszimmer. Nur wenige Augenblicke später erschien er mit einem strahlenden Grinsen auf dem Gesicht wieder in der Küche. »Alles klar! Ich komme mit«, verkündete er fröhlich. »Ich ziehe mich eben um.«

Nur wer ihn sehr gut kannte, hätte gemerkt, dass dieses Grinsen reichlich gekünstelt wirkte und etwas ganz anderes dahinter steckte. So wie seine Frau, die sich aber nur wunderte und keine Ahnung hatte, was das sein könnte.

Wenige Minuten später saßen sie in ihrem Suzuki Jimny, den sie für solche Einkäufe immer am liebsten nahm. Sie fuhren Richtung Schwerte, wo sie auf die A1 wechseln wollten. Der schnellste Weg nach Kamen, wie sie behauptete, obwohl er fand, dass man so einen Umweg in Kauf nähme. Er wäre über die B1 durch die Stadt gefahren. Vielleicht etwas längere Fahrtzeit, aber der kürzere Weg. Doch sie saß am Steuer und hatte damit das Sagen.

Gerade hatten sie das berühmte Waldlokal Freischütz passiert. Die Hörderstraße führte hier steil hinunter nach Schwerte.

»Schatz, entschuldige! Aber willst du nicht ein wenig langsamer fahren?« Besorgt sah er seiner Frau ins Gesicht, und was er dort zu sehen bekam, war die reine Panik.

»Die Bremsen, die Kupplung! Nichts geht mehr …«

Der blaue Jimny krachte in dem alltäglichen Stau vor der Kreuzung Heidestraße schräg auf einen Lieferwagen, sprang nach links auf die falsche Spur und stieß frontal mit einem Lkw zusammen, der sich den Berg hinaufquälte. Feuer züngelte aus dem Motorblock des kleinen Jeeps, und Sekunden später stand der ganze Wagen in Flammen.

Der Mann und seine Frau hinterließen fünf Kinder. Die Zweitjüngste wurde am frühen Nachmittag von der Polizei informiert und musste anschließend mit einem Schock in die Städtischen Kliniken eingeliefert werden.

Westfalengau

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