Читать книгу Mondgesicht und Panne im Archenland - Hans-Walter Euhus - Страница 5
Vorsicht! Der Mond geht auf.
ОглавлениеAuch wenn Annes Mitschülerinnen nicht mehr über sie lästerten und Reizthemen aus dem Weg gingen, sprachen sie im Unterricht gelegentlich darüber, so wie bei der Rückgabe des letzten Biotests. Und der hatte natürlich die Entstehung des Lebens und die Steinzeit zum Thema. Die letzte Zusatzfrage im Test lautete: ›Wie ist deiner Meinung nach die erste lebende Zelle auf der Ur-Erde entstanden?
a) durch Blitze und chemische Reaktionen in einer Ur-Suppe,
b) durch fertige Zellen, die durch Meteoriten auf die Erde geschleudert wurden, oder
c) durch den Urknall ?‹
Da hatte Anne statt anzukreuzen geschrieben: ›Die gewünschte Antwort sollte wohl a) sein. Daran glaube ich aber nicht, weil Louis Pasteur mit Experimenten nachgewiesen hat, dass Leben nur aus Leben entstehen kann und nicht aus totem Urschlamm oder irgendwelcher Materie‹.
Obwohl alle anderen Fragen von ihr richtig beantwortet waren und nur diese letzte nicht nach Wunsch ihres Biologielehrers, erhielt sie statt eines „Sehr gut“ nur die Note „Gut“. Herr Moosbach ließ es sich nicht nehmen, Annes Kommentar vorzulesen, und teilte ihr mit: „Anne Mitscherlich, leider hast Du die richtige Antwort a) nicht angekreuzt und stattdessen Deinen Glauben bezeugt. Hier geht es aber nicht um Glauben, sondern um Naturwissenschaft. Daher leider nur eine Zwei statt einer Eins.“ Da meldete sich Philipp und
fragte: „Herr Moosbach, war Louis Pasteur kein Naturwissenschaftler?“ „Aber sicher. Das bekannte ›Institut Pasteur‹ ist ja nach ihm benannt worden.“ „Aber dann hat doch Anne nicht ihren Glauben an Gott, sondern ihren Glauben an ein naturwissenschaftliches Experiment bezeugt, oder?“ Anne machte große Augen. Philipp, dieses freche Babygesicht, hatte für sie Partei ergriffen.
Herr Moosbach stutzte kurz, las noch einmal etwas verlegen Annes Bemerkung durch und gab dann säuerlich zu: „Na gut, Anne, aufgrund von Philipps Einspruch korrigiere ich mein etwas vorschnelles Urteil. Er hat im Grunde recht. Also dann doch eine Eins.“ Die Klasse klatschte Beifall. Anne war verwirrt, freute sich aber über ihre späte Rechtfertigung und warf einen kurzen, dankbaren Blick zu Philipp hinüber, der sich die Hände über diesen leichten Triumph rieb.
Als Herr Moosbach draußen war und die meisten Schüler die Toilettenpause nutzten, um sich kurz die Beine zu vertreten, sprang Sascha schnell zur Tafel, schnappte sich die Kreide, zeichnete einen kreisrunden Kopf und schrieb darunter: „Mondgesicht bewahrte Anne in Bio vor ´ner neuen Panne.“ Als Anne und Philipp mit anderen Schülern die Klasse betraten und den Tafelanschrieb bemerkten, zeterte Philipp in die Klasse hinein: „Wer war das?“ Weil Sascha grinste, ging er drohend auf ihn zu und Wolf rief lachend: „Pass auf Sascha, der Mond geht auf!“
Aber bevor sich die Auseinandersetzung zu einem handfesten Streit entwickeln konnte, betrat Frau Moltke die Klasse und jeder strebte schnell seinem Platz zu,
nachdem Philipp Sascha noch zuflüsterte: „Na warte, das werde ich dir heimzahlen!“ Während er sich setzte, sah er, wie Panne schnell den Schwamm nahm und Philipps Mondgesicht nebst Spruch von der Tafel wischte. „Eine Hand wäscht die andere“, dachte Philipp anerkennend, bevor Frau Moltke die Klasse in launigem Kommandoton begrüßte: „Guten Morgen! Nehmt bitte die Hefte raus, wir schreiben eine Lernzielkontrolle!“
Nach diesen Zwischenfällen war sich Anne nicht mehr so sicher, ob Philipp immer noch ihr Feind war, und sah ihn sich aufmerksamer an. Es war etwas dran, dass Sascha ihn als Mondgesicht veräppelt hatte. Sein Portrait mit der aufgeklatschten schwarzen Frisur sah aus, als hätte der Mond eine schwarze Kappe auf. Pausbäckig grinsend, mit etwas breiten Nasenflügeln und von Statur pummelig, machte er den Eindruck eines großen Kleinkinds. Niemand ahnte, dass in diesem wandelnden Rollmops sportliche Talente lauerten. Denn Philipp radelte leidenschaftlich gern mit seinem Mountainbike durch die nachbarschaftlichen Wälder und Berge im Sauerland und nutzte die Freibad-Jahreskarte aus, um jede freie Zeit seine gesteckten Leistungsziele zu erhöhen. Sein Traumziel war, einmal ›Ironman‹ zu werden. Dann würde ihn niemand mehr Mondgesicht nennen. Aber diesen Traum band er keinem auf die Nase, nicht einmal seiner Mutter. Nur mit dem Laufen hatte er es noch nicht so. Er schaffte nur mittlere Entfernungen und wollte im Sommer allmählich auf Langstrecke trainieren.
Als Panne am nächsten Tag in der großen Pause etwas abseits unter der Birke am Schulzaun stand und an ihrem Pausenbrot kaute, kam Mondgesicht auffallend unauffällig auf sie zugeschlendert und fragte sie: „Hey Anne, woher kennst du eigentlich Louis Pasteur?“ „Von meinem Onkel. Der hat so ein Experiment von ihm nachgemacht. Übrigens fand ich das fair von dir gestern bei Moosbach wegen meiner Arbeit.“ „Schon okay. Wenigstens hat er zugegeben, dass er dich ungerecht beurteilt hatte. Aber du hast ja auch das bescheuerte Mondgesicht abgewischt. Danke!“ „Jetzt haben wir beide unsere Spitznamen: „Panne!“, sagte sie verächtlich, „und Mondgesicht!“, ergänzte Philipp. „Machst du dir was draus?“ – „Was kann ich denn für mein Gesicht? Dafür sind höchstens meine Eltern verantwortlich. Aber manchmal wurmt es mich schon.“ „Panne find ich auch bescheuert. Das klingt so nach Loser.“ „Was soll`s. Wenn es keine Anmache ist, kann es mir wurscht sein, wie ich heiße. Ein Vollmond hat auch seine guten Seiten.“ „Von mir aus kannst du mich auch Panne nennen, wenn du mich nicht mit so blöden Reimen wie neulich beleidigst, okay?“
„`tschuldigung, war nicht so gemeint. Ist übrigens besser, wenn wir uns gegenseitig so nennen, sonst könnten die anderen etwa denken, wir gehen miteinander.“ Anne wurde etwas rot und lachte verlegen auf: “Das wäre wohl das Letzte!“ „Also, dann sind wir uns ja einig, Panne!“, grinste Philipp. „Man sieht sich, Mondgesicht!“, feixte Anne zurück.
Nachdenklich bog Philipp Noffke, genannt Mondgesicht, nach der Schule mit seinem Fahrrad in den Südengraben ein, wo seine Mutter eine Pension betrieb. Sie hatte ein geräumiges Haus geerbt und umgebaut, so dass sie mit Philipp von der Witwenrente und den Einkünften aus der Ferienpension gut leben konnte. Sein Vater war früher Dachdecker und, als Philipp keine zwei Jahre alt war, durch einen Sturz von einem Hochhaus ums Leben gekommen. Er hatte seinen Vater nie richtig kennengelernt und keine Erinnerungen an ihn. – ›Eigentlich ist Panne ganz nett, wenn sie nur nicht so komische Ansichten über Gott und die Evolution hätte. Was hat sie wohl für Hobbies?‹, fragte er sich. „Hallo!“, rief er in der Haustür. „Hallo Phil, Essen ist gleich fertig. Wie war’s in der Schule?“ – „Gut!“ – „Was Besonderes?“ „Nee! – Das heißt, hab ich dir schon mal was von Panne erzählt?“ „Wieso? Hat dein Mountainbike eine Panne? Bist du über einen Nagel gefahren?“ – „Nee, Mama“, lachte Philipp. „Panne ist der Spitzname von Anne Mitscherlich, die letztes Jahr mitten im Schuljahr zu uns in die Klasse gekommen ist. Die ist eigentlich ganz okay.“ „Und ich dachte, du findest Anne zickig.“ „Übrigens heiße ich jetzt Mondgesicht. Das ist deine Schuld, Mama“, wich Philipp aus. „Ach du Schlingel, lass das! Ich finde unsere runden Gesichter jedenfalls ganz in Ordnung. Kann sich wenigstens keiner dran stoßen“, zwinkerte sie Philipp zu. „Nun iss! Das Essen wird ja kalt.“