Читать книгу Staatsmann im Sturm - Hanspeter Born - Страница 24
19. Umschiffte Klippen
ОглавлениеZwei Fragen beschäftigen im Februar 1940 die eidgenössischen Räte: 1. Wer soll als Nachfolger Mottas in den Bundesrat gewählt werden? 2. Soll der Bundesratsbeschluss über die Ordnung des Pressewesens – auch Neutralitätsverfügung oder Zensurartikel genannt – in Kraft bleiben oder aufgehoben werden?
Die Motta-Nachfolge ist Gegenstand von Rangeleien und Ränkespielen. Aus staats- und aussenpolitischen Erwägungen drängt sich die Wahl eines Tessiner Konservativen auf. Im allseits geachteten Finanzexperten Ruggero Dollfus, dem Generaladjutanten der Armee, hat die Tessiner Kantonspartei einen Mann von Format zur Verfügung. Doch dann bringen Rivalen in der eigenen Kantonspartei, Tessiner Liberale, Walliser und Freiburger Konservative, die selber gerne einen eigenen Bundesrat hätten, die Kandidatur des in einem Schloss im bernischen Kiesen wohnenden schwerreichen, überdies protestantischen Bankiers zu Fall.
Es wird über mögliche weitere Vakanzen diskutiert. Kann der kranke Obrecht weitermachen? Ist Minger oder Baumann amtsmüde? Allerhand Kombinationen wären bei einer Zweierwahl denkbar, auch der Einbezug der Sozialisten. Weil jedoch kein anderer Bundesrat zurücktritt, präsentiert «Königmacher» Heinrich Walther den in Bern kaum bekannten Tessiner Staatsrat Enrico Celio. Walther trägt den Ruf des Königmachers zurecht. Der 78-jährige Luzerner ist seit 1919 Fraktionschef der Katholisch-Konservativen und als solcher steuert er seither erfolgreich die Bundesratswahlen. Pilet wie auch die Kollegen Minger, Etter, Wetter und Baumann verdanken ihre Wahl der Unterstützung durch Walther. Der Luzerner ist zudem Verwaltungsratpräsident der SBB und des Parteiblatts Vaterland.
Celio, dessen Name Walther gewissermassen aus dem Ärmel geschüttelt hat, ist ein Verlegenheitskandidat. Freisinnige halten ihn für «eine wahre Null». Er sei einzig fähig, «einige schöne Phrasen zu dreschen, den Damen Augen zu machen und zu nichts anderem». Walther kann den sprachgewandten Juristen schliesslich dem Parlament als «Persönlichkeit von hoher Kultur» und vornehmem Charakter verkaufen. Am 22. Februar wird Celio mit 118 Stimmen gewählt. Die Journalisten, denen er sich später vorstellt, finden ihn «sympathisch».
Die Auseinandersetzung um die von der Abteilung Presse und Funkspruch ausgeübte Zensur schlägt weiter hohe Wellen. Muss die Presse «Gesinnungsneutralität» üben, um die Nazis, vor allem den allmächtigen «Führer», nicht zu reizen? Können «freche» Zeitungsartikel gar einen deutschen Einmarsch in die Schweiz provozieren oder zumindest rechtfertigen?
Im Nationalrat kritisieren führende Sozialdemokraten das «Übergewicht der bürgerlichen Behörden über die Militärgewalt». Eine neuerliche heftige Debatte über die heikle Zensurfrage droht das Klima zwischen Presse und Armee wie auch zwischen Parlament und Bundesrat zu vergiften.
Im Vorfeld der Zensurdebatte im Nationalrat versucht Markus Feldmann in einem Gespräch mit Pilet die «dramatisch zugespitzte Situation» zu entschärfen. Der Bundesratsbeschluss über das Nachrichtenwesen, meint Feldmann, sei «unpraktikabel geworden, da politisch ungenügend orientierte Offiziere mit Befehlsgewalt durchsetzten, was ihnen geeignet scheine, die Beziehungen zu Deutschland positiv zu beeinflussen ». Man müsse einen Eclat im Plenum des Nationalrats «wenn irgendwie möglich verhindern».
Wie Feldmann in seinem Tagebuch festhält, zeigt Pilet «grosses Verständnis» und ist im Übrigen «sehr offenherzig». Der Bundespräsident habe ihm ungefähr Folgendes erklärt:
«Die Regelung, welche die Armee mit politischen Funktionen belastet, ist in der Tat fragwürdig und ich war im Grunde immer dagegen. Dass man die Sache trotzdem so geordnet hat, liegt in zwei Ursachen begründet: Das politische Departement war seit langem nicht mehr so geführt, wie es hätte geführt sein sollen (wegen der Erkrankung Mottas); im Justizdepartement war man in keiner Weise auf die Erfordernisse des Zustands der bewaffneten Neutralität vorbereitet. Im Militärdepartement nimmt Bundesrat Minger von jeher zu sehr Rücksicht auf «die Obersten». So hat der Bundesrat aus einer Art «Hilflosigkeit» heraus der Armeeleitung Aufgaben angehängt, zu deren Lösung sie in keiner Weise geeignet ist.»
Pilet hält nichts von der sogenannten «Blutschuldthese», wonach böse Zeitungsartikel eine Kriegsursache werden könnten. Feldmann zitiert ihn so:
«Was die Einstellung zu Deutschland betrifft, so stehe auch ich grundsätzlich auf dem Standpunkt, dass Schwäche und Nachgiebigkeit nichts nützen; sind keine Ursachen zum Kriege vorhanden, so wird man in Berlin nicht in Verlegenheit sein, sie zu erfinden.»
Am nächsten Tag findet eine von der parlamentarischen Pressegruppe verlangte «dringende» Aussprache statt, an der die Bundesräte Pilet, Baumann und Etter den Nationalräten Feldmann und Meierhans und Oberst Hasler, Chef der APF, gegenübersitzen. Pilet fasst das Ergebnis der Diskussion zusammen. Eine Klärung müsse unbedingt kommen, aber aussenpolitischer oder militärischer Schaden sei unter allen Umständen zu vermeiden. Insbesondere dürfe «die Stellung des Generals nicht in eine Krise hineingeraten, die ihn vielleicht zu weittragenden Entschlüssen veranlassen könnte». Feldmann versteht Pilets Bemerkung so, dass General Guisan auf eine Misstrauenskundgebung des Parlaments mit Rücktritt reagieren könnte. Pilet sichert Feldmann und Meierhans zu, dass der Bundesrat vor dem Parlament eine beruhigende Erklärung abgeben werde.
Tags darauf, Mittwoch, 21. Februar, die Debatte im Rat. Sie ist lang und viele der an Pressefragen interessierten Nationalräte melden sich zu Wort. Der Ton bleibt meist sachlich. Natürlich gibt es Kritik an der Praxis der militärischen Zensoren. Beispiele von absurden Entscheiden werden aufgetischt. Sozialistischen Nationalräten geht es vor allem darum, dass die Armee sich nicht in politische Dinge einmische. Bundesrat Baumann gibt die gewünschte und von Pilet versprochene Erklärung, «wonach wir die Gesinnungsneutralität ablehnen». Er weist aber auch darauf hin, dass «in schweren Zeiten, wie wir sie erleben, freundliche Beziehungen zu allen Nachbarn «doppelt wertvoll» seien.
Johannes Huber erklärt sich befriedigt, dass der Bundesrat die Forderungen auf eine Sicherstellung der Suprematie der zivilen über die militärischen Behörden und auf einen verstärkten Einfluss der Presse angenommen hat, und fügt hinzu:
Wir haben soeben erfahren, dass auch der General selber diese Grundsätze anerkennt. Wir nehmen von dieser Erklärung mit Genugtuung Notiz. Damit ist der Zweck unserer Aussprache erreicht.
Huber zieht seinen Antrag zurück. Es gibt keine Abstimmung.