Читать книгу Die Hure. Aus dem Leben eines Calllgirls - Harald Dasinger - Страница 5
Professor
ОглавлениеDie Plattform wird, wie in der 1. Szene - Straßencafé - von rechts aus den Kulissen gezogen
Jennie und Melanie sitzen an einem Tisch
Melanie: Für mich wirken Männer attraktiver, wenn sie mir beim ersten Date etwas Aufregendes bieten, etwas, das mich erregt, wie zum Beispiel Achterbahn fahren oder ins Horrorhaus gehen...
Jennie: Wir haben hier weder Achterbahn, noch Horrorhaus...
Melanie: Ein spannender Film tut es auch... Es muss irgend etwas sein, dass mir Nervenkitzel verursacht - meinetwegen auch ein Horrorfilm.
Jennie: Aber du hasst doch Horrorfilme...
Melanie: Ist doch egal, ob ich sie hasse oder nicht, Hauptsache ich spüre dieses Prickeln... Und dann kann ich mich an ihn kuscheln und... Na ja... (Lacht) Jennie: Ich stehe mehr auf die romantische Art - gutes Essen, Kerzenschein, Musik und so...
Melanie (Schmunzelnd): Romantikerin...
Jennie: Ich mag das eben... Ein gutes Glas Wein, ein gepflegtes Gespräch... Ist doch toll...
Melanie: Und dann erzählt ihr euch noch Geschichten aus der Kindheit und frühen Jugend...
Jennie: Warum nicht?! Das baut Nähe und Intimität auf.
Melanie (Leicht spöttisch): Und dann gesteht ihr euch die große Liebe - so ad hoc, auf den ersten Blick und: wie wundervoll war die erste Nacht...!
Jennie: Hör doch auf. Du kennst mich schon lange genug und weißt, dass ich noch nie mit einem Kerl gleich nach dem ersten Date in die Kiste gesprungen bin.
Melanie: Warum nicht? Was ist falsch daran?
Jennie: Wenn ich einen Typen mag, so lasse ich ihn einige Wochen zappeln, bevor ich die Beine für ihn breit mache.
Melanie: Das kann aber böse in die Hose gehen.
Jennie: Wieso?
Melanie: Ganz einfach - die Kerle lassen sich nicht gerne verarschen.
Jennie: Das hat mit Verarschen nichts tun. Ich will nur sehen, ob er es ernst meint und eine Beziehung will oder nur einen One-Night-Stand oder nur ein paar mal...
Melanie: Das ist ganz einfach. Wenn er an dir interessiert ist, lehnt er sich im Gespräch zu dir, nickt, lächelt, macht dir Komplimente...
Jennie: Das tun sie alle...
Melanie: Aber so schlau dürftest doch wohl auch du sein, um zu erkennen, ob er es ernst meinst... Bauchgefühl, weibliche Intuition - klingeltś?! Du bist doch eine Frau und dazu noch angehende Seelenklempnerin.
Jennie: Ich glaube nun mal an das Gute im Menschen.
Melanie (Lachend): Selig sind die, die arm sind im Geiste, habe ich irgend wann mal irgend wo gelesen.
Jennie: Klar glaube ich einem Typ nicht, wenn er mir beim ersten Date seine Liebe gesteht - das ist lächerlich und unglaubwürdig, aber ich mag es, wenn er mich anlächelt, mir in die Augen schaut und Komplimente macht und dabei meinen Oberarm leicht und kurz berührt. Das schafft Nähe, Zutrauen.
Melanie: Du stehst also mehr auf reservierte Typen...!?
Jennie: Ja, ich mag es, wenn er zunächst etwas reserviert ist, gelegentlich sogar etwas dezent, jedoch höflich widerspricht und erst langsam auftaut.
Melanie: Nein, danke. Ich mag Draufgänger. Ich will von Anfang an sehen, dass er mich will und sich um mich bemüht, das er „cojones“ hat. (Lacht) Was soll ich mit einem romantischen Waschlappen...
Jennie: Na ja, aber es gibt auch genügend „falsche Fuffziger“, Blender...
Melanie (Lächelnd abwinkend): Solche Vögel erkenne ich sofort an ihrem Gefie-der... Nicht mit mir! Aber weißt du, was ich erotisch finde?
Jennie: Was?
Melanie: Wenn eine andere Frau mit ihm zu flirten beginnt - das turnt mich an...
Jennie: Mich nicht. Und wenn er dabei noch darauf eingeht, so ist er sofort für mich gestorben - Schluss, aus, Ende, vorbei. Ich stehe auf dezente und intelligente Männer und nicht auf hier oben (Tippt mit dem linken Zeigefinger an die Schläfe) hohle Muskelprotze.
Melanie: Klar muss er was da oben haben, jedoch unten genau so. (Lacht) „Cojones“.
Jennie: Ich habe mal in irgend so einer Hausfrauenzeitschrift gelesen, dass Muskelprotze weder oben, noch unten was hätten... Ob das stimmt - keine Ahnung...
Melanie: In der Regel schon. Große Männer haben gewöhnlich kleine Schwänze; kleinere Männer sind potenter und ausdauernder. Davon kann ich ein Liedchen singen... Wenn nicht sogar mehrere... (Lacht)
Jennie (Leicht nachdenklich): Weißt du jedoch, was ich seltsam finde?
Melanie (Schmunzelnd): Das wirst du mir bestimmt gleich sagen.
Jennie: Immer, wenn ich meine fruchtbaren Tage habe, wild ich hart ran genommen werden... Dann fühle ich mich zu großen, starken Kerlen mit Macho-Gehabe hingezogen - obwohl ich weiß, dass... (Schüttelt den Kopf) Melanie: Das ist normal, das ist bei den meisten Frauen so. Es ist nichts anderes als der Urinstinkt der Arterhaltung. Wir wollen durch unsere Kinder weiter leben und glauben fälschlicherweise - wohlgemerkt, fälschlicherweise - dass nur ein starker, animalischer Erzeuger in der Lage ist, den Fortbestand zu sichern. Was völlig falsch ist, denn nicht die Stärksten, sondern die Anpassungsfähigsten überle-
ben.
Jennie: Ja - und wir suchen uns immer wieder Männer aus, die unseren Vätern ähneln...
Melanie: Der berühmt-berüchtigte Ödipus Komplex in abgeschwächter Form...
Um ehrlich zu sein: ich würde mir nie einen Typ angeln und Kinder mit ihm zeugen, der meinem Alten ähnelt... Ich habe ihn nämlich gehasst... Und tue es immer noch für das, was er mir und meiner Mutter angetan hat... Doch Schwamm drü-
ber...! Ah, sieh mal, der Professor kommt.
Aus dem Hintergrund kommt der Professor mit einem Tablett in der Hand, auf dem drei Gläsern Wein stehen, die Aktentasche unter dem Arm Professor: Meine Damen...!
Jennie und Melanie: Herr Professor! ... Guten Tag.
Professor (Stellt das Tablett hin, setzt sich, jovial): Ich war so frei - bitte sehr.
Jennie und Melanie: Dankeschön. ... Vielen Dank.
Professor (Hebt das Glas): Dann wollen wir mal. Prost. (Alle drei stoßen an) Gar nicht schlecht, oder was denken Sie?
Melanie: Eine liebliche Note (Riecht am Glas)... Schön gekühlt - bestens...!
Professor: Zuerst möchte ich Ihnen danken, dass Sie dem heutigen Treffen zuge-stimmt haben, obwohl es so kurzfristig war...
Melanie: Kein Problem, Herr Professor.
Professor: ... jedoch wollte ich mit Ihnen Ihre Vorschläge betreffend den Fragebogen durch gehen. (Öffnet seine Aktentasche, die neben seinem Stuhl steht) Melanie: Und - was halten Sie davon?
Professor: Sie haben sich wirklich sehr viel Mühe gegeben, alle Achtung. Ich weiß das zu schätzen... (Legt einige Papiere auf den Tisch) Sie haben sich beide in Ihren Fragenkatalogen auf Persönlichkeit konzentriert, was auch richtig ist. Sie, Melanie, haben sich für „multiple choice“ entschieden, was grundsätzlich auch
richtig ist, jedoch glaube ich, dass es in diesem Fall nicht von Vorteil ist, den „Damen“ die Antworten, mehr oder weniger in den Mund zu legen. Sinn und Zweck ist es, dass sie aus sich heraus gehen und Ihnen von sich erzählen. Auch glaube ich nicht, dass sich irgend eine der „Damen“ die Zeit nehmen wird, wie ein Schulmädchen Fragen zu beantworten - im Gegenteil, einige würden sich, sagen wir mal vorsichtig, „angegriffen“ fühlen... Sie, Jennie, haben einen sehr detaillierten Fragenkatalog mit „ja - nein“ Antworten ausgearbeitet, aber niemand wird Ihnen sechzig Fragen beantworten, diese Zeit haben die „Damen“ nicht... Wenn Sie diese Art des Interviews bevorzugen, sollten Sie sich auf maximal fünfzehn bis fünfundzwanzig Fragen konzentrieren. (Reicht ihr ein Blatt) Ich habe die meiner Ansicht nach zwanzig relevantesten ausgewählt. Außerdem könnten Sie neben „ja“ und
„nein“ noch „manchmal“ und „ich weiß nicht“ hinzu fügen... Es liegt ganz an Ihnen. Bitte bedenken Sie, meine Damen: ein Persönlichkeitstest versucht, gewisse Besonderheiten zu testen und zu erfassen. Natürlich sind solche Unterschiede nicht ausschließlich auf die Persönlichkeit von Menschen zurückzuführen - sie ent-stehen immer auch im Zusammenwirken mit bestimmten Situationen. Was ist diesem Fall, bei Ihren Zielpersonen, von besonderer Bedeutung ist. (Trinkt) Dennoch ist es plausibel, bestimmte Eigenschaften einer Person anzunehmen, die dazu beitragen, dass sich ein Individuum bezüglich bestimmter Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen ähnlich verhält.
Melanie (Zu Jennie): Ich finde, der Prof. hat recht. (Zum Professor) Entschuldigen Sie bitte...
Professor (Lächelnd): Kein Problem, so lange ich nicht „der Alte“ oder sonst irgend wer bin... (Alle lachen)
Jennie: Ich habe mich bei meinen Fragen auf die „Big-Five-Merkmale“ von J. M.
Digman axiert - Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extroversion, Verträglichkeit und Neurotizismus.
Melanie (Auf den Papierbogen schauend): Offenheit ist klar - Neues ausprobie-ren, einfühlsam sein, ein breites Interessenspektrum haben... Stellt sich nur die
Frage was für ein Interessenspektrum bei diesem Beruf...
Professor: Sie sollten bedenken, dass das für viele Frauen nur ein Beruf ist - in vielen Fällen ein acht Stunden Job und diese Frauen dann nach Hause gehen und ihr eigenes Leben führen - Freunde, Interessen, vielleicht sogar Familie haben.
Selbstverständlich gibt es sehr viele Fälle, wo diese Frauen in den Etablissements, in denen sie arbeiten auch wohnen und wo es dann ein 24-Stunden-Job sein dürf-te...
Melanie: So habe ich mir das immer vorgestellt...
Professor: In der nächsten Vorlesung werden wir über die verschiedenen Arten von Prostitution sprechen und die Unterschiede hervor heben.
Melanie: Gewissenhaftigkeit... Zuverlässig, organisiert, methodisch, sorgfältig...
Nun ja, ich weiß nicht... Und dann Extraversion...
Jennie: Ja. Extrovertierte Personen schöpfen Kraft aus der Interaktion mit anderen, sie sind energiegeladen, gesprächig und durchsetzungsstark, Und genau das ist es meiner Ansicht nach, was eine Prostituierte ausmacht. Diese Frauen müssen eine besondere innere Stärke und Kraft haben, um diesen Job zu machen, ansonsten würden sie daran zerbrechen.
Professor: Richtig. Das gilt es, unter anderem, in dieser Feldstudie zu „beweisen“
- insofern man von Beweisen in dieser Pseudowissenschaft namens Psychologie überhaupt sprechen kann... Genau so wie die so genannte „Verträglichkeit“ wie Digman sie nennt - insbesondere die Empathie. Es wäre gut, heraus zu finden, in-wiefern die „Damen“ in ihrem Privatleben mitfühlend, freundlich und hilfsbereit sind, oder ob der Job sie völlig abgestumpft hat.
Jennie: In meinem Fragenkatalog habe ich den Aspekt des Neurotizimus, der emotionalen Stabilität, besonders hervor gehoben. Personen mit hohen Neurotizis-muswerten empfinden häufig emotionale Instabilität und negative Emotionen, sie sind launisch und angespannt.
Melanie: Was bei diesem Job auch nicht erstaunlich ist...
Jennie: Und darum habe ich in den Fragenkatalog auch Aussagen einfließen las-
sen wie: Ich mache mir oft Sorgen. - Ich bin oft betrübt. - Ich erfahre tiefe und unterschiedliche Gefühle. - Ich habe vor vielen Dingen Angst. - Ich bin oft niedergeschlagen. - Ich nehme meine emotionalen Reaktionen kaum wahr... Etc. etc.
Melanie: Nur mit „ja“ oder „nein“ darauf zu antworten - nun, ich weiß nicht...
Jennie: Aus diesem Grund hat der Herr Professor auch den Vorschlag mit „manchmal“ und „ich weiß nicht“ unterbreitet.
Melanie: Das mit „ich weiß nicht“ würde ich nicht rein schreiben. Man muss doch wissen was man fühlt, was man will, was man denkt...
Professor (Schmunzelnd): Sollte man eigentlich... Jedoch wie gesagt, meine Damen: ich überlasse es Ihnen, wofür Sie sich entscheiden und wie Sie vorgehen...
Die Plattform wird nach rechts zurück in die Kulissen gezogen
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Von links wird die Plattform wie in der 2. Szene - Biergarten - in die Mitte der Bühne gezogen
Markus, Thomas, Andreas sitzen am Tisch, haben einige Bierflaschen vor sich stehen
Markus
Thomas