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Kapitel 3

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Ich wache auf, langsam nehme ich mein Umfeld wahr und stelle fest, ich liege in einem fremden Bett. Herrlich weich und kuschelig warm. Die Wattierung in meinem Kopf ist heute weniger stark, irgendwie fühle ich mich gut. Bis mein Gehirn auf „Senden“ geschaltet hat, vergeht eine geraume Zeit, dann treten schön langsam die Erinnerungen ans Licht.

Sonja! Genau! Dieses wunderbare Weib hat mich abgeschleppt. Jetzt sehe ich alles wieder deutlich vor mir. Sie hat den Kiosk früher geschlossen als sonst, hat meine Kumpane verjagt und ist mit mir zu sich nach Hause gefahren. Und ich glaube, ich war ganz gut, ich habe sie nämlich zwei Mal jodeln gehört. Wenn es nicht gespielt war. Aber Sonja dürfte eher nicht der Typ Frau sein, der einem Mann so etwas vorspielt. Also muss ich wirklich gut gewesen sein. Im Geiste klopfe ich mir auf die Schulter. Ich richte mich auf, schaue mich um, aber der Platz neben mir ist leer. Wie spät ist es?, überlege ich und steige aus dem Bett. Von Sonja ist weit und breit nichts zu sehen. Nackt streune ich durch ihre Wohnung – keine Sonja.

Auf dem Küchentisch finde ich schließlich einen Zettel mit einer Nachricht: „Hallo, Edamer, war schön mit dir. Nach Anlaufschwierigkeiten bist du zur Hochform aufgelaufen. Vergiss nicht zu duschen. Sonja.“

Also, hier ist die Bestätigung: ich war in Hochform. Aber den Nachsatz mit dem Duschen hätte sie sich ruhig sparen können. Ich rieche an mir, leichter Schweißgeruch, daraus macht man doch kein solches Gezeter. Vergnügt begebe ich mich in die Dusche unter den warmen Wasserstrahl und bleibe eine halbe Ewigkeit. Ich genieße es, verbrauche Unmengen von heißem Wasser. Wer weiß, wann sich wieder eine solche Gelegenheit bietet. Vielleicht gibt es ja ein da capo – an mir soll es nicht liegen.

In besonders guter Laune verlasse ich das Liebesnest und stelle mich der rauen Wirklichkeit.

Ich kehre zurück zu meinem Einzimmer-Appartement, um den Lottoschein genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Geldbörse vom Hofrat stecke ich ein. Beim Verlassen meiner Wohnung finde ich wieder eine Nachricht im Briefkasten. Sofort ordne ich den Absender richtig zu und mit einem flauen Gefühl im Magen öffne ich den Brief.

„Lieber Alfred, die Teilzahlung habe ich erhalten, danke. Ich bin mir nicht sicher, ob du überhaupt deinen genauen Mietrückstand kennst. Ich glaube nämlich nicht, ansonsten würdest du mich nicht mit einem Trinkgeld abspeisen. Wir reden hier von 1846 Euro, die nach Abzug deiner großzügigen 200 Euro noch offen sind. Da ich Realist bin, weiß ich, dass ich dieses Geld nie mehr sehen werde. Was ich auch nie mehr sehen werde (und auch nicht will), bist du, Alfred. Das Gelände habe ich inzwischen verkauft, daher hast du eine Woche, um deine Habseligkeiten zusammenzupacken. Bleibt nur noch zu wünschen, dass du vielleicht doch noch die Kurve kratzt und wieder an der Oberfläche der kultivierten Menschheit auftauchst. Ich wünsche dir trotz allem das Beste. Der gute Freund deines Vaters.“

Das ist Klartext, und zwar kristallklar. Ich muss mich setzen, um diese Ansage zu verdauen. Er hat recht, es gibt nichts zu beschönigen, es ist die Wirklichkeit in der ich, Alfred Hauser, lebe. Blöd nur, dass ich jetzt kein Dach mehr über dem Kopf habe. Gerade jetzt, wo der Winter bevorsteht. Ein leichtes Frösteln überkommt mich. Ich sollte jetzt tatsächlich ernsthaft nachdenken. Am besten die klügste Vorgangsweise bei einem Bier mit meinen „Kollegen“ erörtern.

Ein Kassasturz beschert mir restliche neun Euro und dreiundvierzig Cent; das ist gewiss eine finanzielle Delle, aber noch kein Shut-down. Morgen gibt es ja wieder Geld vom Vater Staat. Hoch lebe unser Sozialsystem.

Draußen ist es bewölkt. Ich nehme die Trainingsjacke in Grün, die ich zur bestandenen Matura gekauft habe. In Sachen Mode bin ich nicht unbedingt wählerisch, vor allem habe ich kein ausgeprägtes Markendenken. Ganz anders ist das beim Bier.

Heute trifft sich die honorige Gesellschaft im Hessenpark, ein umstrittener Hotspot in der Landeshauptstadt. Die Gesellschaft ist wieder vollzählig. Auch Eimer ist wieder dabei, der die letzten zwei Tage abwesend war. Homo war neugierig und wollte den Grund seiner Absenz wissen.

„Ich war im Dienste der Wissenschaft unterwegs“, erklärt er uns mit einem überlegenen Lächeln.

„Du und die Wissenschaft. Das ist so weit hergeholt, dass die Burenwurst vor Lachen platzt“, ätzt der Kanzler, weiß aber im selben Moment, dass der Vergleich ein Nichtgenügend verdient.

„Ehrlich“, erklärt Eimer, „für Medizinstudenten habe ich meine Leber hergezeigt. Die waren ganz beeindruckt. Dafür habe ich einen Gutschein für das Vinzi-Stüberl bekommen.“ Wir alle glauben ihm kein Wort, egal, er war wieder da – und das ist ein Extra-Bier wert.

Ich fühle mich heute nicht so locker, wie sonst unter meinesgleichen. Immer wieder denke ich an die Delogierung, die mir in einer Woche bevorsteht. Wohin soll ich gehen? Irgendwie bin ich ein verwöhnter Obdachloser, schlafen möchte ich unter allen Umständen in einem geschlossenen Raum und nicht unter der Donaubrücke. Der einzige Pluspunkt für mich ist die Streichung meiner Verbindlichkeit, ich bin sozusagen ein Schuldenfreier unter freiem Himmel.

Gerade jetzt fällt mir dieser Hofrat ein, beziehungsweise seine Adresse: Tulpenweg 8. Den Ort muss ich mir anschauen, vielleicht wäre das eine gute Adresse für Edamer. Erleichtert klinke ich mich wieder in die hochgeistige Diskussion ein und lege nach mit einem Bier.

Das Wetter ändert sich, es regnet. Ein Horror für mich, nur daran zu denken, solche Nächte im Freien verbringen zu müssen.

Ich bin für meine Begriffe schon zeitig unterwegs.Mein Ziel: Tulpenweg 8. Das liegt ziemlich nah am Zentrum, und es handelt sich dennoch um eine ruhige Wohngegend, sozusagen ein Zuhause für Betuchte. Der Herr Hofrat gehört ohne Zweifel zu dieser elitären Schicht. Entlang einer verkehrsberuhigten Straße gelange ich zur gewünschten Adresse. Nun stehe ich davor und staune: ein entzückendes altes Haus mit einem kleinen, verwilderten Garten. Hier wohnt er also, der Herr Pokorny. In diesem Haus, meinetwegen im Keller, eine Schlafstelle zu finden, das wäre mein Traum. Wie ich das bewerkstelligen soll? Keine Ahnung. Aber ich werde daran arbeiten. Zumindest kommen wir in Kontakt, wenn ich ihm seine Geldbörse bringe und ihm erzähle, wo ich sie gefunden habe. Außer dem Geld fehlt nichts, und mit meinem ehrlichen Gesicht kann ich ohne Mühe darlegen, dass ich seine Börse in diesem Zustand gefunden hätte und sie ihm jetzt zurückbrächte. Da könnte ich auch über einen Finderlohn mit dem Hofrat sprechen. Ich frage mich nur, ob ich wirklich so vertrauenswürdig aussehe?

Vielleicht finden wir beide über so einen verbalen Austausch zueinander und werden Freunde? Blödsinn – ich glaube, ich fantasiere. Aber irgendwie so könnte es funktionieren. Wieder einmal so eine nicht ausgereifte Idee, von denen ich ja ständig unzählige ausbrüte. Aber dieses Thema kann ich in meiner Bruderschaft der Alkoholiker nicht vorbringen. Die würden alle gerne dort einziehen, damit wäre mein Wunsch jetzt schon Schall und Rauch. Ich komme wieder, lieber Hofrat, sage ich halblaut und trete den Rückzug an.

Ich wäre jetzt gerne zu Sonjas Kiosk gegangen, doch meine Barschaft ist bereits verbraucht und anpumpen will ich sie auf keinen Fall. Ich verschiebe den Besuch auf morgen, wenn der Geldbeutel wieder voll ist. Erreicht habe ich heute gar nichts, eigentlich kein guter Tag. Keine neue Bleibe, keine Sonja und zwei leere Taschen. Jetzt kommt mir wieder der Lottoschein zwischen die Finger, auch den habe wieder vergessen. Ich kehre in meine Miniwohnung zurück – dunkel und kalt, aber um einigess besser, als neben Eimer oder dem Bladen zu liegen, zu frieren und sich den Regen, den der Wind durch alle Ritzen treibt, ständig aus dem Gesicht wischen zu müssen.

Lotterleben

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