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„Dape Exclusive Software- und Systemlösungen GmbH & Co. KG, Sekretariat, Kürzlich am Apparat ...“ Gina geriet immer ein wenig außer Atem, wenn sie Gespräche annahm. Aber der Chef legte nunmal großen Wert darauf, dass die Kunden den klangvollen Namen seines Unternehmens in voller Länge zu hören bekamen. Die Abkürzung „Dape/ESSL“ gefiel Gina ohnehin nicht. Die beiden „S“ hintereinander konnten ja Ohrensausen auslösen.

„Verzeihung, wie bitte?“ Gina hatte offensichtlich Verständigungsprobleme. „Warten Sie, ich leg Sie mal um ...“ flötete sie in den Hörer und stellte den Anrufer durch.

Dape höchstpersönlich nahm das Gespräch an. „Crisis? What Crisis?“ Die Verbindung war leider ausgesprochen schlecht. Es war Scheich Machmud Ibn Engstlich, Staatsoberhaupt des Scheichtums W´r – W´ar. Dape hatte keine Ahnung, wo das genau lag. Er wusste nur, dass seine Leute auf dem Weg dorthin immer irgendwo zwischen Absurdien und Abstrusistan zwischenlanden mussten.

Scheich Machmud klang nicht sehr selbstbewusst. Er machte sich Sorgen, weil die Stammdaten-Speicherung bei Krisys, dem Kunden-Referenz- und Informations-System, nicht richtig funktionierte. Sein Schwager Wohammad Ibn Suchn hatte dieses System damals unbedingt haben wollen, aber er selbst hatte ja immer etwas Bedenken gehabt. Trotz des niedrigen Lohnniveaus in W´r – W´ar störte sich Scheich Machmud daran, dass die Kundenadressen, obwohl sie immer wieder neu eingegeben wurden, auf den Rechnungen jedes Mal von Hand nachgetragen werden mussten.

Dape hatte die Sache schnell geklärt. Er bot an, bei dem Menüpunkt „Stammdaten speichern“ die zugehörige Funktion gegen Aufpreis zu ergänzen. Scheich Machmud akzeptierte, nachdem Dape ihm einen Rabatt von 20 % eingeräumt hatte.

Dape lehnte sich in seinem Sessel zurück. Auch dieses Problem hatte er – wie so viele in seiner Karriere – in Rekordzeit gelöst. Man musste halt nur die richtigen Ideen haben und ein bisschen mit Kunden umgehen können. Aber das war es ja auch, was ihn nach oben gebracht hatte.

Das Telefon klingelte erneut. „Herr Frizze von der Lokalzeitung ist da, wegen dem Interview“, meldete sich Gina.

„Soll hereinkommen!“ Dape war in aufgeräumter Stimmung. Interviews waren die billigste Form von Werbung. Sie kosteten kein Geld und auch nur wenig Zeit. Obendrein machten sie Spaß.

„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Herr Dape.“ Der Zeitungs-Frizze verbeugte sich höflich. Dape reichte ihm, sich leicht aus seinem Chefsessel erhebend, über den Schreibtisch hinweg die Hand. „Ganz meinerseits, Herr Frizze.“

Dape ließ sich wieder in die großzügig ausgelegten Polster seines Sitzmöbels zurücksinken. Der Angesprochene sah sich unterdessen nach einem Stuhl um. In der Ecke links neben der Tür war noch ein Exemplar zu haben.

„Setzen Sie sich, Herr Frizze, damit wir loslegen können!“ Dape deutete mit einer großzügigen Geste auf jenen etwas wackeligen Gegenstand, den der Lokalreporter soeben vor den Schreibtisch verfrachtete. „Wie Sie wissen, hat ein Mann in meiner Position leider immer einen sehr vollen Terminkalender. Deswegen müssen wir uns ein klein wenig beeilen.“

Herr Frizze nahm Platz. Für einen Moment zog er in Erwägung, aus aktuellem Anlass seinem Interview eine Frage hinzuzufügen. „Woher nimmt ein Manager heutzutage überhaupt noch die Zeit, über Zeitdruck zu klagen?“ Er verkniff es sich.

„Als erstes, so hatte ich mir gedacht, könnten Sie vielleicht ein wenig über sich selbst und Ihren Werdegang erzählen“, begann der Zeitungsmann seine Befragung. Dieser Satz war für ihn immer das Schwierigste an den Gesprächen. Schließlich musste er dabei stets aufs Neue ein ernstes Gesicht behalten. Und das war gar nicht so einfach, wenn der Interviewte – wie alle anderen vor ihm – während dieser wenigen Worte tief Luft holte, um mit stolzgeschwellter Brust seine ausschließlich auf eigener Leistung und härtester Arbeit basierende Erfolgsstory zu präsentieren.

„Tja, wissen Sie, ich habe ja bereits auf der Schule mit der Plackerei angefangen, um den NC für Informatik zu schaffen.“ Herr Frizze musste erst einmal schalten. „NC“ war hier offensichtlich keine Abkürzung aus der Welt der Computer, sondern stand für „numerus clausus“.

Egal. Jedenfalls erfüllten sich die Erwartungen. Auch der Aufstieg dieses Unternehmers hatte in keiner Weise mit Glück zu tun. Und vor allem nicht damit, dass dem Erfolg vielleicht einmal mit etwas unsauberen Methoden nachgeholfen worden wäre. Derartiges sollte ja auch vorkommen.

„Schon als Gymnasiast wollte ich mit High-Tech an die Spitze kommen.“ Dape übertrieb ein bisschen. Die Fuschzettel bei den Klassenarbeiten hatten eigentlich wenig mit dem Erfindungsgeist fortschrittlicher Ingenieure zu tun. Und Handys verwendete man in seiner Jugendzeit noch nicht, um Bestnoten zu erzielen.

Aber das brauchte ja nicht unbedingt in der Zeitung zu stehen. „Wissen Sie,“ fuhr er fort, „Computer, das heißt mit dem Neusten vom Neusten zu tun haben – bei einer Entwicklung dabei zu sein, die einfach atemberaubend ist.“

Der Reporter nickte. Oh ja, hier wusste er, was Dape meinte. Noch allzu gut konnte er sich an jenen denkwürdigen Tag erinnern, als in der Redaktion die neuste Version des Textverarbeitungssystems eingespielt wurde. Es hatte wirklich allen den Atem verschlagen.

Knapp achtundvierzig Stunden standen die Ressorts seinerzeit dieses nicht vorgesehene Experiment durch. Dann gab die Geschäftsführung die Anweisung, wieder die alte Version zu verwenden. Selbst der Betriebsrat lobte daraufhin das rasche und entschlossene Eingreifen des Managements.

Damit wäre die Sache eigentlich erledigt gewesen. Nur ließen sich auf einmal die Dateien nicht mehr öffnen, die bereits mit diesem „top-aktuellen und in vielen Punkten verbesserten“ Programm geändert worden waren.

Herr Frizze vergaß nie, wie er sich mit dem Problem vertrauensvoll an die Service-Line des Herstellers gewandt hatte. Die Fachleute dort glänzten durch uneingeschränkte Ratlosigkeit. Und zu ihrem eigenen außerordentlichen Bedauern war auch nicht mit einer Änderung dieses Zustandes zu rechnen.

Also durfte das zuständige Opfer aus der EDV-Abteilung die neue Software nochmals einspielen und die bereits bearbeiteten Dateien damit zurück in das alte Format konvertieren. Glücklicherweise hatte der Bursche die Funktion dafür gefunden. Das war schon eine beachtliche Leistung. Nach Auskunft der Hotline existierte sie nämlich gar nicht.

Herr Frizze spürte förmlich noch die Erleichterung, wie sie sich in der Redaktion verbreitete. Und die Geschwindigkeit, mit der sie wieder abnahm. Denn einige Texte waren bei der Rückkonvertierungs-Aktion offensichtlich unerkannt entkommen.

Der Kamerad von der Blechtrottel-Brigade erhielt daher die Genehmigung, die Operation noch einmal zu wiederholen. An diesem Tag durften sie sage und schreibe dreieinhalb Stunden Kaffeepause machen. Feierabend war zum Ausgleich etwas später.

Erst am nächsten Morgen konnten alle wieder wie gewohnt arbeiten. Ein mächtiges Aufatmen ging damals durch das ganze Büro. Es blieb bis kurz vor der Frühstückspause.

Dann fand die Kollegin vom Ressort „Titelseite und Aktuelles“ in einer ihrer Dateien absonderliche kleine Änderungen. Obschon ihr Chef noch mehrfach nachfragte, beharrte sie darauf, niemals irgendwelche Wörter in kyrillischer Schrift eingegeben zu haben. Nein, auch nicht, wenn es sich um die Namen bayrischer Politiker handelte.

Der Manager der EDV-Abteilung musste sich jetzt persönlich um die Angelegenheit kümmern. Der Lokalreporter konnte ihn noch vor sich sehen, diesen wortkargen, schon leicht ergrauten Herrn, wie er den Bildschirm betrachtete.

„Bei Gott und bei den Bayern ist eben nichts unmöglich,“ waren seine vielsagenden Worte. Erst die leicht überraschten Blicke der Umstehenden konnten ihn zu einem ergänzenden Hinweis verleiten. „Natürlich kann man keine Ursache völlig ausschließen. Vielleicht hat der Hersteller des Systems auch die Rückkonvertierung etwas zu sparsam getestet.“

Die fehlerhaften Textstellen durften die Betroffenen sodann am Bildschirm Stück für Stück heraussuchen und einzeln korrigieren. Welch ein Glück, dass es in einer Redaktion niemals Zeitdruck gab!

Herr Frizze unterdrückte einen Seufzer. Na ja, man sollte nicht alles nur negativ sehen. Wozu hatte man unter den Kollegen auch ein paar wirklich alte Hasen? Der versierteste von ihnen schaffte es immerhin, in einem etwas betagten Aktenschrank noch eine mechanische Schreibmaschine aufzustöbern.

Aber eine alte, mechanische Schreibmaschine für sechzehn Leute war natürlich keine besonders glückliche Lösung. Vor allem nicht in einer Redaktion.

Der Zeitungsmann riss sich aus seinen Gedanken. Er blickte auf Dapes PC, dessen Monitor ihm etwas die Sicht verstellte. Dann nickte er noch einmal. Den traurigen Gesichtsausdruck, den er dabei machte, konnte Dape sich nicht so recht erklären. Aber er ließ sich davon auch nicht aufhalten.

„Theoretische Informatik, Komplexitätstheorie, Logik, Infinitesimalrechnung und Algorithmen für Parallelrechner – überall hatte ich wirklich außergewöhnliche Noten.“ In der Tat ragten die Dreier und Vierer von Dape etwas aus der Norm, denn die meisten Informatiker schafften ihre Abschlüsse mit Zweiern und Einsern.

Allerdings war der ganze theoretische Krimskrams für die Praxis ohnehin völlig egal. Dape hatte ihn auch nur erwähnt, weil er hoffte, die zahllosen Fremdwörter würden Herrn Frizze imponieren. Eine gute Note in einer Übung zum Thema „Handbücher verständlich schreiben“ wäre für die Praxis sicherlich eher etwas wert gewesen.

Aber damit konnte man schließlich keinen Zeitungsleser beeindrucken – insbesondere deswegen, weil Veranstaltungen auf diesem Gebiet gar nicht angeboten wurden. Wie sollten die Herren Informatikprofessoren denn über so etwas mathematische Abhandlungen schreiben?

Und wissenschaftliche Abhandlungen ohne mathematische Formeln taugten nun einmal nichts. Diese Tatsache gehörte sogar zu Dapes Hochschul-Knowhow.

Herr Frizze machte sich eifrig Notizen. Er wollte Dape noch kurz fragen, ob Vorlesungen in Logik auch für jene vorgeschrieben seien, die die Bedienungsoberflächen von Programmen entwickelten, aber sein Gegenüber sprudelte bereits munter weiter.

„Neben dem Studium habe ich bereits erste Praxiserfahrung gesammelt. Ich war topfit in der Programmierung mit C. Eine ausgezeichnete Programmiersprache. Mit der können Sie wirklich alles machen.“

Ein paar Leute hätten dieses „wirklich alles“ notfalls sogar unter Eid bestätigt. Sie kannten Dapes alten C-Code. Es war nicht unbedingt ein Traumjob, darin wirklich alles aufspüren zu dürfen, was die Ursache für einige eher unwillkommene Verhaltensweisen dieser topfitten Programme bildete.

Vor allem, wenn man die Mängel auch beheben sollte. Natürlich ohne dabei neue zu verursachen. Was etwas schwierig ist bei Code, den man nicht einmal versteht.

Nur einer aus der Crew hatte Glück bei dieser Arbeit. Sein Abteilungsleiter gab ihm die Kündigung. Die Begründung, dass er seiner Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen sei, war in diesem Kontext zu verschmerzen.

Dape waren diese Dinge allerdings nie zu Ohren gekommen. Außerdem hätte er sicherlich trotzdem an seiner Doktrin festgehalten, dass Verständlichkeit und Korrektheit von Programmen eher nebensächlich sind.

„Ich sage Ihnen etwas: wichtig bei der Programmierung ist, dass es schnell geht. Ich bin damals immer von meinem Chef gelobt worden, weil ich Tempo gemacht habe. Zack, zack waren meine Programme fertig. Dafür bin ich dann auch nach meinem Studium sofort als Projektleiter übernommen worden.“

Herr Frizze stutzte. Anscheinend hatte er als Journalist völlig falsche Vorstellungen von Softwareentwicklung. Projektleiter war offensichtlich ein Ehrentitel für außergewöhnlich flotte Programmierer – und bezeichnete keineswegs etwa einen Spezialisten für das Management komplexer Aufgaben. Er wollte hier noch kurz einhaken, aber Dapes Schnelligkeit vereitelte die Zwischenfrage.

„Tja, das sind längst vergangene Zeiten. Mittlerweile bin ich ja seit geraumer Zeit mein eigener Herr, hier als Inhaber von Dape/ESSL.“ Dape beugte sich vor und schlug mit der flachen Hand auf die Schreibtischoberfläche.

„Ich behaupte, wir sind eines der modernsten Unternehmen überhaupt. ‚Zukunft und Fortschritt in allen Bereichen’ lautet unser Firmenmotto. Und das ist kein leeres Wort,“ ergänzte er mit erhobenem Zeigefinger. „Unsere Mitarbeiter machen ständig Vorschläge, wie wir unsere Arbeit noch besser machen können.“

Herr Frizze nickte beeindruckt mit dem Kopf. Dape erwähnte lieber nicht, was der letzte Vorschlag eines Entwicklers besagte. „Wir könnten doch als erstes Unternehmen weltweit eine extra Bilanzposition einrichten, um das Lehrgeld auszuweisen, das unsere Kunden üblicherweise zahlen ...“ Das Gelächter der Runde klang Dape jetzt noch in den Ohren. Nein, das passte nicht so ganz in den Zeitungsartikel.

„Wir haben außerdem unser hauseigenes Dape/ESSL-Gütesiegel,“ ergänzte er stolz. Firmenintern galt das Gütesiegel zwar eher als werbe-, denn als qualitätswirksam, aber das interessierte schließlich keine Zeitungsabonnenten.

Zudem war es maßlos übertrieben, was einige Mitarbeiter da behaupteten. Es stimmte einfach nicht, dass die Programme von Dape/ESSL häufiger und schneller abstürzten als in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Starfighter der Bundeswehr.

Dape

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