Читать книгу Dape - Harald Kellerwessel - Страница 9
Produkte und Referenzen
ОглавлениеHerr Frizze schrieb fleißig mit, während Dapes Wortschwall sich weiterhin über ihn ergoss. Die Produktpalette von Dape/ESSL hatte tatsächlich eine bemerkenswerte Breite. Ob Politologie, Steuerungs- oder betriebswirtschaftliche Software, Dape/ESSL war einfach in jedem Markt vertreten.
Das Kerngeschäft bestand aus Krisys, dem Kunden-Referenz- und Informations-System und der Feuerdetektor-Software NMDS. Daneben gab es einige äußerst interessante neue Entwicklungen, wie beispielsweise Merka.
Dieses Programm ermöglichte es, den Wind, den Politiker im Wahlkampf machen, in Einheiten auf der Mercalli-Skala zu messen. Merka war ein wirklicher Geniestreich.
Man tippte einfach die Äußerungen eines Politikers ein, und schon wurde die Bewertung anhand jener Skala, die eigentlich für Erdbeben entwickelt worden war, angezeigt. Die Werte reichten von „Kaum spürbar“ über „Allgemeine Beunruhigung“ bis hin zu „Genereller Panik“ und „Vollständiger Zerstörung“.
Herr Frizze überlegte ernsthaft, ob er nicht einmal die Politikredaktion der Lokalzeitung auf diese wunderbare Software aufmerksam sollte. Dann könnten die endlich einmal beurteilen, welche Äußerung eines Politikers eine Schlagzeile wert war und welche eher nicht.
Dapes Augen begannen zu glänzen. Als nächstes konnte er über ein wirkliches Highlight berichten. Die Aufzugsteuerung Marke Rasant war der ganze Stolz von Dape/ESSL. Dieses echte High-Tech-Produkt erlaubte es in der Tat, mit Fahrstühlen besonders hohe Geschwindigkeiten zu erreichen.
Nur das Problem mit der Richtung hatte man bei Rasant noch nicht vollständig im Griff, was gelegentlich zu Beschwerden führte. Aber das brauchte man ja in der Zeitung nicht unbedingt zu erwähnen. Der Reporter nickte verständnisvoll.
„Dann hatten wir da noch diese Ampelsteuerung, wie hieß sie denn noch?“ Dape machte eine Pause und kramte im Gedächtnis. Schließlich hob er an, die Funktionsweise von Green for You zu erläutern. Sein Gegenüber zeigte sich ehrlich beeindruckt.
„Das Prinzip war eigentlich ganz einfach. Sobald ein Radfahrer auf eine rote Ampel zu fuhr, brachte Green for You sie dazu, auf Grün umzuspringen“.
Tatsächlich war selten einem EDV-Produkt ein so überwältigender Erfolg beschieden. Obwohl diese Software nur an einem einzigen Wochenende auf einer kleinen ostfriesischen Insel getestet wurde, fuhren innerhalb kürzester Zeit in ganz Deutschland alle Radfahrer so, als gäbe es Green for You an wirklich jeder Kreuzung.
„Wir wollten Green for You dann in Italien anbieten,“ erzählte Dape weiter. „Nachdem die Schwierigkeiten mit der Umstellung von ‚Rad’ auf ‚Auto’ halbwegs im Griff waren, stellte unser Vertrieb jedoch leider fest, dass man jenseits der Alpen für ein derartiges System keinen Bedarf sah. Es hieß damals, ein Italiener fühle intuitiv, wann eine Ampel für ihn grün sei; sie brauche dafür nicht extra umzuschalten.“
Herr Frizze konnte deutlich spüren, dass dieser Misserfolg Dape sehr nahe ging. Aber schon nach einer kurzen Pause zeigte Dape sich wieder von seiner gewohnt selbstbewussten Seite.
„Wir werden uns auf unseren Erfolgen nicht ausruhen“, meinte er optimistisch. Man plane ein Programm zur Steuerung von Katalysatoren für abgasarme LKW-Anhänger und eine Fernseher-Fernbedienung, die auch von Blinden mühelos gehandhabt werden könne. Und als besonderer Knüller würde Dape/ESSL zukünftig sogar Steuerungen für die Raumfahrttechnik entwickeln!
Herr Frizze atmete tief durch. „Alle Achtung, das ist ja wirklich sehr beeindruckend. Ich werde unseren Chefredakteur fragen, ob ich den Artikel ein paar Zeilen länger machen kann als ursprünglich geplant. Zum Abschluss würde ich Ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen, die ich vorbereitet habe, Herr Dape.“
„Selbstverständlich, Herr Frizze, dafür sind Sie ja hier.“ Dape lächelte überlegen, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte.
„Zunächst könnten wir vielleicht ein bisschen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse hier in dieser Region eingehen. Welche einzelnen Faktoren waren es, die Sie bewogen haben, Ihr Unternehmen speziell in unserer Gemeinde anzusiedeln?“
Dape holte tief Luft. „Sie haben völlig Recht, die Auswahl des Standortes ist heutzutage von ungeheurer Wichtigkeit. Wir haben uns da sehr viele Gedanken gemacht. Insbesondere meine Frau – eine waschechte Kölnerin, wissen Sie – hat mich da sehr gut beraten. Wer Düsseldorf kennt, so sagt sie immer, dem gefällt es überall.“
Der Reporter vermied es, ein verdutztes Gesicht zu machen. „Verstehe. Vielleicht sollten wir dann zur nächsten Frage übergehen.“
Er kramte in seinen Notizen. „Die Mitarbeiter sind ja in unserer Zeit bekanntlich das wichtigste Kapital des Unternehmers. Wie steht es in Ihrer Firma mit der Arbeitszufriedenheit?“
Dapes Stimme erfüllte sich mit Stolz. „Auf Arbeitszufriedenheit legen wir hier bei Dape/ESSL natürlich den größten Wert. Wir sind mit der Arbeit unserer Entwickler eigentlich immer zufrieden, wenn sie sonntags um acht Uhr abends Feierabend machen.“
Durch seine Tätigkeit war Herr Frizze einiges gewohnt. Er notierte Dapes Antwort, ohne eine Miene zu verziehen. „Gut, verstehe. Ich nehme an, die Gewinne Ihres Unternehmens sind seit der Gründung ständig gestiegen?“
Dape richtete sich in seinem Sessel auf. „Sie wollen sicherlich etwas über unsere großartige Erfolgsbilanz wissen. Unsere Umsätze haben in den letzten Jahren selbstverständlich kontinuierlich zugenommen. Dape/ESSL ist enorm gewachsen. Nun ja, die letzten Quartalszahlen waren erstmals etwas rückläufig. Aber wir sind optimistisch, das bis zum Jahresende wieder wett zu machen.“
Gina öffnete die Tür. „Entschuldigung, aber ich habe hier eine Mahnung von der Firma Kleiner, Krauter & Co. Die Rechnung ist noch aus dem letzten Jahr und ...“
Dape reagierte etwas ungehalten. „Ich bin in einer Besprechung. Außerdem genügt es, wenn wir das im Dezember irgendwann bezahlen.“
Gina machte ein genervtes Gesicht und zog wieder ab. „Verzeihung, Herr Frizze, meine Sekretärin vergisst manchmal das Anklopfen. Wo waren wir stehen geblieben?“
„Bei Ihrer – äh – Erfolgsbilanz.“ Selbst Herr Frizze guckte für einen Moment etwas irritiert. „Entschuldigen Sie die Frage, aber unsere Leser interessiert es möglicherweise. Hat es bei Dape/ESSL eigentlich auch schon irgendwann Fehlschläge gegeben, wenn man einmal von dieser Enttäuschung mit Green for You absieht?“
„Diese Frage hört man als Unternehmer natürlich nicht so gern.“ Dape rutschte auf seinem Prachtstuhl ein wenig hin und her, bevor er sich dazu durchringen konnte, so etwas wie eine Antwort zu geben.
„Nun ja, Experten schätzen, dass ungefähr jedes dritte größere Softwareprojekt scheitert. Aber Sie wissen sicherlich, wie oft sich Experten irren. Ich gehe davon aus, dass wir in etwa im Branchendurchschnitt liegen.“
„Das sind wirklich interessante Informationen. Stimmt es eigentlich, dass man in der Softwarebranche keinen Mangel an Fachkräften hätte, wenn alle unrentablen EDV-Projekte eingestellt würden?“
Die Frage ließ Dape nicht unbedingt ruhiger werden. „Sehen Sie, Herr Frizze, man weiß leider im Vorhinein nicht, welches Projekt rentabel sein wird“, dozierte er etwas genervt.
Sein Gegenüber hakte ein. „Wie viele Projekte laufen denn bei Ihnen so im Durchschnitt, wenn ich das an dieser Stelle einmal fragen darf?“
„Im Moment sind es meines Wissens acht Projekte.“ Dape saß jetzt wieder aufrecht und aus seiner Stimme klang unüberhörbarer Stolz. Er atmete tief durch, aber bevor er in einen Monolog über die großartigen Neuentwicklungen von Dape/ESSL ausbrechen konnte, ertönte ‚Jingle Bells’ aus der Aktentasche des Reporters.
Herr Frizze suchte nur kurz, dann hatte er sein Handy gefunden. „Frizze. ... Sofort in die Redaktion? Geht es nicht noch fünf Minuten, wir sind hier gleich fertig. Was? Hubschrauberabsturz? Mitten in Wien? Wie viele? Das ist ja unglaublich! ... Verstehe. Ja, ich werde mich sofort verabschieden.“
Das Handy verschwand wieder in der Aktentasche. „Tut mir leid, Herr Dape, aber ich muss sofort in die Redaktion. Über dem Wiener Zentralfriedhof ist ein Hubschrauber abgestürzt. Die österreichischen Rettungsmannschaften haben bereits über fünfhundert Tote geborgen.“
„Da haben Sie natürlich Stress.“ Dape versuchte, ein überlegenes Lächeln mit einer sorgenvollen Miene zu kreuzen. „Dafür habe ich volles Verständnis. Ich weiß ja, wie es mir immer geht. Lassen Sie sich nicht aufhalten.“
„Auf Wiedersehen, Herr Dape. Es war mir ein Vergnügen.“ Mit einer tiefen Verbeugung eilte der Zeitungsmann von dannen, während Dape sich seinem PC zuwandte, um im Internet nach den Kursen seiner Aktien zu sehen.