Читать книгу Und du kannst es schaffen! - Harald Lange - Страница 5

Warum Marathon. was hat meine starke Sehbehinderung damit zu tun. was hat mich dazu bewegt? Ein kleiner Rückblick in die Vergangenheit

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Einerseits habe ich mich das schon selbst gefragt und sicher auch der ein oder andere von Ihnen da draußen, warum man sich so ein Ziel überhaupt steckt. Warum sollte man seinen Körper 42 Kilometer lang quälen? Ein Marathon verlangt einem das Letzte ab und wenn man ihn bestehen will, ohne zwischenzeitlich oder am Schluß zusammenzubrechen, muss man zum einen gut trainieren, zum anderen seinen Körper gut kennen und sich seine Kraft einteilen.

Seit ich denken kann, interessiere ich mich für Sport und betreibe diesen selbst seit meiner Kindheit. Früher wollte ich immer Boxer werden. Diese Illusion haben mir meine Eltern mit einer 5 %igen Sehleistung auf einem Auge natürlich geraubt. Auch ein Rennfahrer und Wrestler würde niemals aus mir werden. Ich verfolgte diese Sportarten im Fehrnsehen und träumte davon einen Körper wie einer dieser Athleten zu haben. Da ich im Salzburgerland groß wurde und es dort zu meiner Zeit kaum Fitnessstudios gab, wenn dann konnte man sich die hohen Mietpreise nicht leisten, musste ich mit 10 Kilogramm Hanteln von meinem Vater vorlieb nehmen. Wir hatten viel Bergland, also konnte ich Fahrradfahren, trainierte mit meinen 10 Kilogramm Hanteln, machte jeden Tag Liegestütze und Situps, sowie Kniebeugen und Stretchübungen. Außerdem durfte ich Judo machen. So konnte ich mich fit halten und ich möchte auch keineswegs auf die Fallübungen, welche ich im Judo gelernt habe verzichten, jedoch war Judo nicht mein Kampfsport. Ich wollte eine Schlagsportart lernen wie Karate oder Tae-kwon-do. Dies ließen meine Eltern aufgrund der Gefahren nicht zu. Ich war und bin ein begeisterter Snowboarder, stoße aber auch hier an meine Grenzen. Einen Freestylekontest werde ich nie bestreiten können, dafür reicht mein Augenlicht nicht aus. Jahre später als ich erwachsen wurde und mein eigenes Geld verdient habe, konnte ich meine Risiken selbst bestimmen. Zunächst meldete ich mich in einem Fitnessstudio an und ich probierte die Sportart Kraftdreikampf aus. Das ist für Blinde und Sehbehinderte Menschen eine schöne Sache, du brauchst nichts sehen, du brauchst nur Kraft. Ich war aber mit mittlerweile 23 Jahren nicht mehr wirklich ein junger Kraftdreikämpfer und hatte zwar Kraft, merkte aber bald, dass mir Kraftausdauersportarten weit mehr liegen. Folglich suchte ich nach einer anderen Sportart die mich mehr ansprach.

Meine Behinderung hat mich persönlich nur wenige Male in meinem Leben wirklich belastet. Dies war zu Zeiten meiner Kindheit, weil nan mich ständig deswegen getratzt hatte und später als Jugendlicher die Tatsache als ich begreifen musste, niemals autofahren zu dürfen und auch meinen Traumberuf, welchen auch mein Vater ausübte, KFZ-Mechaniker, niemals erlernen zu können. Mittlerweile lache ich darüber, es gibt einfach Wichtigeres im Leben als ein Auto zu haben und das ich kein Mechaniker geworden bin, ist für mich auch kein Weltuntergang. Da ich, wenn ich nicht gerade arbeite oder mich um meine Frau Claudia kümmere, mich meinen Hobbies, dem Sport und der Musik hingebe, sehe ich nun eher die Vorteile darin, nicht noch zusätzlich ein Auto finanzieren zu müssen, ja es in derzeitiger finanzieller Lage nicht einmal zu können. Ich müsste vieles von dem was mir wirklich was bedeutet aufgeben um ein Auto fahren zu dürfen. Auch bin ich wie bereits gesagt kein Mensch, der mit seiner Behinderung Profit schlagen will, oder Anerkennung sucht. Alles was ich will ist ein normales Leben führen, die Behinderung ist da, sie wird akzeptiert, ist aber nicht Hauptbestandteil meines Lebens. Ich war und bin stets bestrebt, alles was mir Spaß macht zu versuchen, meine Grenzen auszuloten und wenn man dies mit Verstand tut, kann man einiges mitmachen, was viele nicht von einem glauben würden. So bin ich heute sogar in einem Boxgym angemeldet und darf sogar leichtes Sparring machen.

Ob es gefährlich ist? Naja, ein bisschen Gefahr ist doch immer dabei. Dabei ist es egal ob du mit dem Snowboard über die Piste heitzt, mit den Inlinern dich auf der Halfpipe versuchst, oder dein Herz nach 30 Kilometern Laufen einfach sagt: „Es reicht!“ Und es aufhört zu schlagen. Ich mache oft mehr als es ein „Normal Sehender“ tun würde, das ist aber doch nicht mein Problem oder? Das ist auch nicht der Punkt. Wenn man mir als „Paktisch Blinder Mensch“ mit einer angeborenen Sehnervathropie alles verbieten will, mir nichts zutraut, obwohl man noch nicht einmal definitiv bestimmen kann was ich sehen kann und was nicht habe ich doch genau zwei Möglichkeiten: Die eine ist, du lässt dies zu, setzt dich in eine Ecke, und trauerst darüber das es so ist wie es ist, die andere Variante ist, du überlegst dir was du machen willst und wie du dieses Ziel mit deinen Möglichkeiten erreichst. Viele denken zum Beispiel wenn ich sage ich gehe Snowboard fahren, ich würde mich blindlings die Piste hinunterwerfen. Wer das macht, ist nich nur lebensmüde, er ist ein Narr und gefährdet nicht nur sich sondern auch seine Mitmenschen. Ich für meinen Teil mache das bedacht, checke die Pistenverhältnisse, ist viel oder wenig Betrieb, wie ist die Sicht, etc. Dann setze ich meinen Rest Augenlicht und all meine Sinne ein um snowboarden zu können. Dass ich hier keine Bestzeit den Hang runterfahren kann ist mir schon bewußt und das ich gern mal ein Risiko eingehe, indem ich auf einer freien Piste mal die Sau rauß lasse, das ist doch völlig menschlich oder? Ja und ein bisschen Glück hat noch keinem geschadet, das brauchen wir alle. Oder wollen Sie nicht Behinderten da draußen mir nun ernsthaft weiß machen, Sie hätten noch nie was riskiert und verdammtes Glück gehabt? Wenn ja ist die Frage, leben Sie? Leben ist immer in irgend einer Art und Weise ein Risiko. Als ich 2006 erstmals das Ziel hatte am Frankfurt Marathon teilzunehmen, fühlte ich mich unverwundbar. Ich war voller Energie, wollte immer nur Vollgas geben, glaubte alles was ich will zu packen, ja, ich glaubte sogar alles auf einmal zu können. Ich hatte damals meine Abschlussprüfung zum Bürokaufmann, wollte aber zusätzlich noch an einem Kraftdreikampf teilnehmen und zwar einen Tag vor der Prüfung und danach wollte ich ins Marathontraining eintauchen. An diesem Punkt meines Lebens sollte ich meinen Körper einmal von einer ganz anderen Seite kennelernen und ich sollte verstehen lernen, wie sich ein Psychisches Problem auf den gesamten Organismus auswirken kann.

Das Ganze begann an meinem Geburtstag, dem 5. April 2006, an dem ich plötzlich über Herzrasen, Schweißausbrüche und Atemnot klagte. Ich machte mir schon Sorgen über mein Herz, glaubte jeden Augenblick einen Infarkt zu erleiden. Ich ließ mich von Kopf bis Fuß durchchecken, gefunden wurde nichts. Man schickte mich zum Neurologen, es sei ein psychisches Problem, ich leide unter Panikstörungen, diagnostizierte man mir. Ich verstand die Welt nicht mehr! Sollte ich doch körperlich gesund sein und mich „nur wegen der Psyche“ nicht mehr voll belasten können? Ja, denn es ist nicht nur die Psyche wie ich es heute endlich, 4 Jahre später, gelernt habe zu verstehen. Es ist „DIE“ Psyche die der Körper braucht um überhaupt erst Leistung bringen zu können. Grundsätzlich kannst du es drehen und wenden wie du willst. Für mich ist eines ganz klar geworden, Körper und Geist müssen eine Einheit sein, willst du ein Ziel erreichen. Sicher kannst du mit deinem Geist den Körper antreiben obwohl der schon nicht mehr kann, du gehst aber das Risiko ein, dass der Körper daran zugrunde geht. Bilden dein Geist und dein Körper aber eine Einheit ein Ziel zu erreichen, dann wird dieses Vorhaben gelingen. Das ist mein Wissensstand zum Zeitpunkt als ich begann dieses Buch hier zu schreiben. Das war genau zwei Tage nach dem Staffelmarathon am 31. Oktober 2010 in Frankfurt am Main.

So weit war ich aber zum Zeitpunkt dieser Diagnose 2006 noch lange nicht. So stark ich mich vorher fühlte, so schwach und angreifbar war ich zu diesem Zeitpunkt. Ich konnte mich noch nicht mal gegen das sinnlose Geschwätz der Leute wehren wenn sie mir pofezeiten: „Wir haben's dir immer schon gesagt, du machst zuviel, du willst zuviel!“ Nun bin ich auch kein ruhiger Mensch, zappel gern, bin auch gern mal hektisch. Alles das sollte man mir nun als Fehler offenbaren und die Antwort darauf sein, warum ich mich nun in diesem Zustand befinde. Jeder meiner Familienmitglieder, meine Frau, meine Kollegen, meine Therapeutin, alle wußten Sie warum es mir ging wie es mir ging. Nichts, einen Scheißdreck wußten sie! Um eine Panikstörung verstehen zu können, musst du diese selbst erleben. Hätte man mir das vorher gesagt, wo es mir noch gut ging, ich hätte den jenigen als psychisch krank definiert und ihm versichern können, dass mir sowas nie passieren würde. Erklär mal jemandem dass du Angst hast einkaufen zu gehen, weil du dich zu schwach dafür fühlst, dass du Angst hast Angst zu bekommen. Dass du mit deiner Frau nicht essen gehen willst weil dich dort die erste Attacke erwischt hat und du Angst hast, diese dort wieder zu bekommen. Erklär jemandem warum du dich nur daheim sicher fühlst und glaubst dort passiert dir nichts. Der Mensch verdrängt schlimme Gefühle, aber der Körper vergißt sie nicht. Damit will ich sagen, wenn ich das heute so schreibe kann ich selbst oft nicht mehr verstehen, warum ich so lange brauchte um dieses Problem zu beseitigen. Ich habe auch diese Gefühle der Ausweglosigkeit, die Tränen und Verzweiflung wegen dieses Problems verdrängt. Wenn es mir aber mal wirklich nicht gut geht, es mir mal schwindlig wird oder Ähnliches, dann kommt dieses Gefühl zurück. Ich kann dann mit Progressiver Muskelrelaxation dagegen vorgehen, kann mich beruhigen da ich das Gefühl ja kenne und mittlerweile einordnen kann, aber der Körper vergißt das nicht. Fakt ist, ich habe 2005 einen guten Freund und Bandkollegen auf der Bühne beim Musikmachen verloren. Er ist mit 54 Jahren einfach umgefallen und war tot - Herzstillstand. Ich stand daneben und konnte nichts tun, wir alle standen daneben und konnten nichts tun. Die Panikattacken kamen ein Jahr später und ich glaube heute, sie sind rein auf diesen Zwischenfall, den ich bis heute nicht ganz verdaut habe und der ein ziemliches Drama in meinem Kopf hinterlassen hat, zurückzuführen. Ich glaube nicht das ich mich wirklich überlastet habe, nunja, vielleicht auch da mag ein bisschen was dran sein. Allerdings, wäre das 2005 nicht passiert, hätte es mich nicht so stark erwischt, dessen bin ich mir sicher.

Eine ganze Zeit lang rückte daher das Ziel, einen Marathon zu bestreiten, ganz weit in den Hintergrund. Ich musste erstmal überhaupt wieder fähig sein zu trainieren und zwar ohne Angst. Die Angst sollte mich Monatelang, Jahrelang begleiten, stetig und überall hin. Egal ob ich auf die Bühne ging, im Urlaub mit meiner Frau Claudia war, oder einfach nur in einer Ecke saß, die Angst war immer da. Die Angst zu sterben, am Ende zu sein, mit 26 Jahren alt zu sein. Ich habe nie aufgegeben und zwei ganz wichtige Personen zu dieser Zeit waren mein Onkel Helmut und meine Frau Claudia. Helmut kannte dieses Problem Panik gut, er hat es selbst erlebt und redete offen mit mir darüber. Im Laufe der Zeit lernte ich viele Menschen mit diesem Problem kennen, ich war nicht mehr alleine, es gab mir Auftrieb. Claudia stand stets zu mir, kaum eine Partnerin könnte das, war ich doch Monatelang aufgrund meiner Psyche von einem auf den anderen Tag zu nichts zu gebrauchen. Hinzu kam die ständige Rückversicherungsfrage an Claudia ob sie glaube das alles ok sei und ob sie auch glaube was die Ärzte sagen und so weiter. Das alles aufzuführen würde den Rahmen dieses Buches sprengen und das Thema völlig verfehlen. Fakt ist, da ich nie aufgab und immer weitermachte, lernte ich im Laufe der Zeit wieder „neu laufen“. Nicht nur negativ waren diese Panikattacken, ich lernte somit meinen Körper neu kennen, ihn besser einschätzen, mehr auf ihn zu hören, meinen Geist besser auf ihn abzustimmen. Deswegen bin ich heute 4 Jahre später ganz felsenfest davon überzeugt, dass ich den Frankfurt Marathon 2011 definitiv schaffen werde, nicht in Bestzeit, aber in meiner persönlichen Bestzeit. Und warum ich Ihnen diesen Rückblick beschrieben habe? Weil auch diese Etappe meines Lebens für meinen Marathonwunsch ausschlaggebend ist. Denn mit diesem Ziel schaffe ich mir ein persönliches Example. Ich bin jetzt überhaupt erst bereit, so empfinde ich, dass ich mir so eine Belastung antun kann. Ich habe die Panikattacken überwunden, sie gelernt zu verstehen, ich habe mir ein Leben aufgebaut, mit dem ich zufrieden bin, habe eine treue Ehefrau die mich in meinem Vorhaben unterstützt und kann mich völlig klar und ungehämmt diesem Traum hier widmen. Und da Sie mich ja von Anfang bis zum Ende auf meinem Weg mit diesem Buch begleiten werden, können Sie meine eventuell auftretenden Selbstzweifel später besser verstehen, ich nehme Sie außerdem mit auf die Marathonstrecke und werde Ihnen beschreiben wie ich mich dort gefühlt habe.

Das Laufen ist eines der einzigen Sportarten, die du als Sehbehinderter Mensch legal und auf höchstem Niveau ausüben kannst. Du kannst dich „normal“ fühlen, deine Behinderung tritt in den Hintergrund. Ich bin nun 30 Jahre alt und somit für das Marathonlaufen nicht zu alt, zudem in guter körperlicher Verfassung. Außerdem zugegeben, Marathon laufen ist eine Sache, die kann nicht jeder. Hat man mich als Kind oft „Blinde Sau“ genannt, so weiß ich heute das ich diese Art Menschen in Grund und Boden laufen würde, ich bin ihnen psychisch und geistig, sowie physisch überlegen. Das war ich damals schon und daher wurden mir diese Wörter oft aus Neid hinterher gerufen. Ich mache das aber nicht um Ihnen da draußen oder meiner Familie und meinen Freunden was zu beweisen. Ehrlich gesagt liebe ich Herausforderungen und vorallem diese, die nicht jeder schafft. Das macht mich stark und es verschafft mir Anerkennung. Ich liebe das wenn die einen sagen du bist wahnsinnig, die anderen sagen ich zieh den Hut vor dir und auch die, welche dir einfach gratullieren. Das gibt mir so ein Gefühl zurück was ich als Jugendlicher nicht haben durfte. Ich war nie jemand der besonders viele Frauen in seinem Leben hatte, ein tolles Auto fuhr, oder irgendwie großartiges Ansehen in seiner Jugend genoss. Ich war eher das Gegenteil von all dem. Selbst als ich mit Anfang 20 versuchte ein guter Gewichtheber zu werden, gelang mir das nicht wirklich, weil ich für diesen Sport nicht geboren bin. Ich habe auch keinen Job der den Mädels ein "Oh" entlocken würde, es ist nicht mal ein Job, der mich wirklich sonderlich glücklich macht. Das einzige gute an ihm ist, ich kann mein Geld damit verrdienen und mir somit mein Leben schön gestalten, kann mit meiner Freizeit machen was ich will. Denn das ist eine gute Seite an meinem Job, er lässt mir Freizeit übrig. Ein großer Boxer zu werden, wovon ich als kleiner Junge immer träumte ist unrealistisch, wobei man das vielleicht gar nicht ganz so sagen kann. Es gibt Meister im Kung Fu, die können blind kämpfen, es gibt sicher genug andere Sehbehinderte, Blinde, oder Leute mit noch schlimmeren Behinderungen die das geglaubte Unmögliche möglich machen. Dann hätte aber meine Jugend anders verlaufen müssen, ich hätte in solch einer Hinsicht gefördert werden mussen. Jemand der blind kämpfen kann ist zum einen nicht blind, er kämpft mit verbundenen Augen und vor allem ist er darauf jahrelang trainiert worden. Das kann man genauso wenig mal eben aus einer Laune heraus machen, als einen Marathon zu bewältigen. Ich versuchte es auch mit Skaten und konnte natürlich nicht die heißen Sprünge wie andere Jungs durchführen, die die Mädels dafür bewundert haben. Es ging einfach aufgrund der Behinderung nicht, es war zu riskant. Und sind Sie doch mal ehrlich, jeder Mensch sucht nach Anerkennung, jeder will geliebt werden, jeder liebt es wenn er bewundert wird oder? Der eine braucht das mehr, der andere eben weniger. Und dann gibt es noch die Sorte Mensch, die das nie öffentlich zugeben würden, dass dem so ist. Schauen Sie sich doch nur mal unsere heutigen Jugendlichen an. Viele von Ihnen machen doch nur deshalb Blödsinn auf den Straßen, weil sie keine Perspektive in ihrem Leben sehen. In unserem Boxgym des PSV-Frankfurt nehmen wir solche jungen Menschen auf und zwar nicht um ihnen beizubringen wie man sich auf der Straße richtig prügelt, sondern um ihnen beizubringen was es heißt, ein Team zu sein, miteinander zu reden, zu trainieren, gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten. Den meisten von ihnen hilft das, schwarze Schafe gibt es ja immer und überall. Die Jugendlichen sehen wieder einen Sinn im Leben und wenn dieser erstmal darin besteht, pünktlich und zwei bis dreimal die Woche zum Boxen zu erscheinen, wo aufgenommen zu sein wo jeder gleich behandelt wird, egal welche Nationalität, welches Geschlecht, welche Hautfarbe, ja sogar welche Behinderung du hast. Und dann kann jeder für sich herausfinden wo seine persönliche Grenze liegt und diese stetig erhöhen oder eben bis dahin zu trainieren. Jeder bekommt in unserem Boxgym das Gefühl jemand zu sein, etwas Wert zu sein, nicht der Looser der Nation zu sein. Und das ist doch für einen jungen Menschen in der heutigen Zeit so wahnsinnig wichtig, wo es schwierig ist einen Job zu finden und man sich in der schnelllebigen Gesellschaft schwer tut, seinen Weg zu finden.

Was mich absolut nervt ist, wenn Sie heute jemandem erzählen, dass Sie am Frankfurter Marathon als Staffelläufer teilgenommen haben kommt meist die Antwort: "Ach nur Staffel, okey." Leute die so etwas von sich geben haben in der Regel überhaupt keine Ahnung davon was es heißt, eine bestimmte Strecke zu laufen. Sie haben auch kein Distanzgefühl. Wenn ich beispielsweise heute meiner Frau erzähle, dass ich 12,5 Kilometer in einer Stunde gelaufen bin, kriege ich, wenn überhaupt die Antwort, ist doch schön! Sie hat keine Vorstellung davon was das bedeutet. Zwar kann man sich dann ausrechnen, dass dafür 12 Kilometer pro Stunde eine Stunde lang gelaufen werden müssen aber dass das erstmal gemacht werden muss, ist den Leuten unbewußt. Wer selbst läuft oder es ausprobiert hat ob es für ihn das Richtige ist und wenn man sich dazu noch ein Meßgerät wie den Forerunner 305 holt auf dem man ablesen kann wie schnell man läuft, dann kann man sich vorstellen was es heißt ein gewisses Tempo über einen längeren Zeitraum durchzuhalten. Wenn Sie aber heute jemandem erzählen das Sie einen Marathon gemeistert haben und zwar im Alleingang, dann kommt meist ein "Oh!" oder "Respekt!" Merkwürdig, aber das scheint in den Köpfen der Menschen fest verankert zu sein, dass ein Marathon etwas ganz großes ist. Mit einem Halbmarathon kannst du auch noch punkten aber darunter erregst du nicht viel Aufsehen. Aber eines sollte jedem bewußt sein: Auch wenn Sie "nur" eine Strecke von 10 Kilometer laufen können, so ist das für Sie in erster Linie eine Leistung, die erstmal gemacht werden muss. Denn auch 10 Kilometer läuft in Ihrer Umgebung unter Ihren Freunden, Kollegen, Bekannten, mit Sicherheit nicht jeder. Nun wie dem auch sei, das ist ebenfalls ein Ansporn für mich, die Gesamtdistanz allein zu laufen. Dieses "Nur Staffelläufer" macht mich irgendwie kampfeslustig. Das weckt ein Gefühl in mir, ich will es nicht als Trotz bezeichnen, aber eine Herausforderung an mich selbst. Als ich am Staffellauf teilnahm wollte ich unbedingt weitermachen. Ich gab mein Staffelbändchen ab und schaute den anderen respektvoll, traurig und dann auch wieder lustvoll nach - ich wäre gern weiter mitgelaufen. 1 Kilometer vor dem Ende des Frankfurter Marathon 2010, fingen wir Sonja, die die letzten 14 Kilometer lief ab, um mit ihr den letzten Kilometer gemeinsam ins Ziel zu laufen. Wir wollten so zu sagen als ein Team auf dem roten Teppich auflaufen. Als ich die Ziellinie mit meinen Mitläuferinnen überschritten hatte, wurde das Gefühl in mir, das nächste mal alleine hier anzukommen, noch intensiver. Ich war stolz mein Ziel erreicht zu haben, doch ist es schwer in Worte zu fassen, was ich dabei empfinde, wenn ich mir klar mache, dass ich den Frankfurter Marathon 2011 alleine meistern will. Ich werde weder als nur ein Staffelläufer, noch als einer bezeichnet, der nur halbe Sachen macht. Für viele mag das jetzt überheblich klingen aber jeder Mensch hat halt so seine Eigenschaften und Eigenheiten. Klar kann ich auch verlieren und es ist mir ebenfalls klar, dass ich 2011 scheitern könnte. Mir ist aber ebenfalls klar, dass ich es 2012 erneut versuchen würde und erneut und erneut und zwar genauso lange, bis ich mein Ziel erreicht habe und wenn ich durch's Ziel kriechen muss. Und selbst dann wäre mein nächstes Ziel zu sagen: "Das nächste mal kriechst du nicht, du läufst!" Und das ist aber auch genau diese Eigenschaft die mich antreibt und motiviert. Ich habe ein Ziel klar vor Augen und ich will dieses Ziel erreichen und ich gebe mein Bestes um mir dies zu ermöglichen. Wenn's vorbei ist, dann bin ich glücklich darüber und es wird ein neues Ziel geben. Das ist für mich ein Teil des Lebens, sich Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Ich hatte das vorhin schon mal mit dem Beispiel der Jugendlichen in unserem Boxcamp dargestellt. Wer kein Ziel mehr hat, der lebt nicht mehr. Dabei ist es völlig egal ob das Ziel ein Marathon, eine abgeschlossene Ausbildung, ein Instrument zu lernen oder etwas anderes ist. Für viele von uns ist es sogar so, dass sie in erster Linie nur ein Ziel haben -zu überleben.

Und du kannst es schaffen!

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