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Ludwig, Alfred und ich

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Neulich haben wir wieder zusammengesessen. Ludwig, Alfred und ich. Also Ludwig van Beethoven, Alfred Brendel und ich. Brendel spielt. Auf meinem bescheidenen Bechstein – Klavier. Nein, das stimmt nicht. Eigentlich habe ich eine CD aufgelegt. Eine Klaviersonate von Ludwig, Nr. 21, »Waldstein«. Ich höre den beiden zu, ich singe mit. Ludwig ist entsetzt, er zischt und legt den Zeigefinger der rechten Hand auf die Lippen. Ludwig ist auch nicht wirklich da. Aber Brendel zitiert den Geist Beethovens, nein er beschwört ihn, und so leuchtet sein Charakterkopf gespenstisch im Halbdunkel unseres Wohnzimmers; oder sollte ich Salon sagen? Brendel spielt den ersten Satz zu langsam. Beethoven ist unzufrieden. Immer wieder fordert er ihn wild gestikulierend zu höherem Tempo auf. Bei mir zu Besuch ist der alte Beethoven, vielleicht der von 1825. Grau, löwenköpfig und er müffelt. Er riecht nach einer Mischung aus Ungewaschen und Mottenkugeln. Er hört nicht mehr gut, eigentlich ist er fast taub. Aus irgendeinem Grund weiß Ludwig aber, dass man eine Stereoanlage lauter stellen kann, und spornt mich an, die Musik sehr laut zu drehen. Die Weingläser im Schrank fangen an zu vibrieren. Der Rotwein in meinem Glas schlägt konzentrische kleine Wellen. Brendel spielt ekstatisch und mir ein bisschen zu wirkungssicher theatralisch. Obwohl: Beethoven und ich sind uns jetzt einig!

Brendel spielt wirklich gut. Friedrich Gulda schaut vorbei. Nickt anerkennend, macht eine großmäulig freche Bemerkung, ist aber schon wieder weg. Glenn Gould taucht auf. Hallo, Glenn, rufe ich, hast du gehört, dass hier gute Musik gespielt wird? In den Taschen seines abgeschabten Cord-Jacketts klappern die Tablettenschachteln. Er wirkt verlangsamt. Winkt mit den unglaublich schlanken, langen Pianistenfingern und löst sich unmerklich in einem fahlen pfirsichblütenfarbenen Schein an der Zimmerdecke auf. Alfred Brendel wird feurig. Er ist jetzt am Ende des letzten Satzes: Prestissimo! Ich bin auch befeuert. Das muss bei mir am Rotwein liegen. Ludwig will auch noch ein Glas. Sein drittes.

Er macht Gesten, denn Alfred ist nicht nur sehr schnell, sondern auch fortissimo, sehr laut. Brendel kommt auf einem knackigen C-Dur-Akkord zum Schluss. Überschwänglich loben wir den Pianisten. Die Anstrengung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Alfreds Stirn ist feucht und er atmet schwer. Mein Gott, Alfred, in deinem Alter. Er ist gerade 81 Jahre alt geworden. Er möchte einen Kaffee. Wird gemacht, Maître. Als ich mit dem Kaffee zurückkomme, frage ich Ludwig, wie er nach Hause komme. Draußen warte sein Boot aus Mondlicht, antwortet er. Oder sagt er »Mondschein«? Ich schaue hinaus. Und richtig: Der Mond ist aufgegangen und hat einen winzigen Teil seines Lichts in Form einer Barke in unserem Garten aufgehäuft.

Alfred hat seinen Kaffee ausgetrunken. Als Österreicher ist er Besseres gewohnt als unsere Maschinenbrühe. »Nimmst du mich mit?« fragt er Ludwig. Beethoven nickt ein wenig unwillig. Da er aber von Alfreds Spiel beeindruckt ist, kann er schlecht nein sagen. Ich bringe die beiden vor die Tür. Es ist sehr kalt geworden. Ich bedanke mich bei Ludwig und Alfred und sage, es wäre schön, wenn sie mal wieder vorbeischauen würden.

Beide setzen sich in Ludwigs Mondboot und entschwinden in einer flirrenden Lichtexplosion.

Es war ein schöner Abend.

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