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20. Gütchenteich

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Mündlich aus Halle

An der Nordostseite von Halle, zwischen dem Geist- und Steinthore, liegt ein kleiner Teich, welcher der Gütchenteich oder die Gütchengrube heißt. Aus diesem stammen die Kinder, die in Halle geboren werden. Auch kam zu ihm einst bei Nacht eine Gräfin in schwarzer Kutsche gefahren und verschwand darin. Nach Einigen ist er ohne Grund; doch nach Andern stand an dem Platze früher ein Schloß, welches in die Erde versunken und an dessen Stelle der Teich getreten ist, und bei hellem Wetter soll man noch jetzt die Thurmspitze des Schlosses in der Tiefe schimmern sehen.

Die Kinder, welche zu Glaucha geboren werden, kommen aus dem Teich am rothen Thor (hinter dem Waisenhausgarten); und auch hier soll einst eine Gräfin in schwarzer Kutsche bei Nacht versunken sein.

Anmerkung:

Das Volk spricht nicht Gütchen-, sondern Jütchenteich und fügt in der gewöhnlichen Weise, in der es ihm nicht mehr verständliche Namen erklärt, hinzu, es sei einst ein Jude dort ertrunken und danach sei der Teich benannt. Gütchen heißen die Elbe, wie sonst Holdchen, die guten Holden, the good people, die guten Nachbarn, liuflîngar (die Lieblinge). Das Jüdel der chemnitzer Rockenphilosophie (s. Myth., 1. Ausg., Aberglauben Nr. 62. 389. 454. 473) deutet schon Grimm (2. Ausg. der Myth. 449. Anm. †) als güetel: gutelos nannte man die Bergmännchen, wie Ludwig Lavater De spectris, lemuribus et magnis atque insolitis fragoribus (Genf 1570) S. 92 nach Georg Agricola angiebt, und nach Horsts Zauberbibliothek 5, 349 erwähnt auch Schott Physica curiosa 1. Buch 38. Kap. in dem Abschnitt De virunculis et foemellis die gutelos oder Gütelen. Ferner führt Pfitzer in seiner Bearbeitung des widmannschen Volksbuches von Faust S. 110 Gütchen unter andern Namen elbischer Wesen auf: im zweiten Theil von Göthes Faust (Ausg. von 1840, S. 51) heißen die Gnomen „den frommen Gütchen nah verwandt“: auch wird (Myth. 441) von dem Pilwiz gesagt er solde sîn ein guoter. Der Gütchenteich ist also ein Teich der Elbe. Ihm entstammen die Kinder der Menschen wie in Hessen dem Hollenteiche (Deutsche Sagen 1, 4). Aus diesem trägt sie Holda selbst herauf: man darf darum in der Gräfin unserer Sage eine Göttin vermuthen, die mit den Elben im Wasser haust. Holda selbst ist Göttin der Seen; die verwünschten Prinzessinnen pflegen sich in Teichen und Brunnen zu baden, und schon die Terra mater verschwand nach Tacitus im See. – Die Vorstellung daß die Menschen bei der Geburt aus der Gemeinschaft der Elbe heraustreten und beim Tode in sie zurückkehren wurzelt tief in unserm Heidenthum, und sie scheint, da die Elbe aus einer Personification der elementarischen Kräfte entsprungen sind, nach pantheistischer Ausschauungsweise auszudrücken daß die menschliche Seele nur ein Theil der allgemeinen Naturkraft ist, der bei der Geburt im Menschen zum Selbstbewußtsein kommt, beim Tode in das allgemeine, die ganze Natur durchdringende Leben sich wieder auflöst; während die Mythen, welche die Menschen nach dem Tode bei Odhinn und Thor, bei Freyja, Gefjon und Ran einkehren lassen, die Seele als persönlich fortlebend denken.


Halle an der Saale – Mühlgraben. Postkarte um 1908.

Sammlung Harald Rockstuhl.

Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845

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