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Erwachen

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Das Telefon läutete. Holden schreckte hoch. Sein Büro war nur spärlich beleuchtet. Kein Geräusch drang durch die Milchglastüre, die ihn vom Rest der Polizeipräsenz von Deerfield trennte. Präsenz war vielleicht der falsche Ausdruck. Frank war alleine. Nachts blieb es meist ruhig. Es bestand also keine Notwendigkeit die Deputies von ihren Familien fernzuhalten. Frank war nie verheiratet gewesen und es gab seit Jahren keine Frau mehr in seinem Leben. „Kein Problem. Um die Nachtschichten kümmere ich mich selbst“ hatte er den Jungs immer wieder gesagt. Er rieb sich die Augen. Zwei ungeklärte Todesfälle. Danach war wochenlang nichts mehr geschehen. Hoffentlich blieb es dabei. „Frank Holden hier“ sagte er, nachdem er den Hörer zwischen Schulter und Bartstoppeln geklemmt hatte. Die Hoffnung, gleichzeitig Kaffee in die Tasse auf seinem Schreibtisch befördern zu können wurde durch die leere Kanne zunichte gemacht. „Verdammt.“ murmelte er. „Hi Frank“. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang irgendwie nach Jerry. Holdens Nackenhaare richteten sich auf. Jerry hörte sich … seltsam an. „Du weißt weswegen ich anrufe.“ sagte Jerry nur. Frank seufzte. „Seit Tagen gehst du nicht ans Telefon. Du sprichst eigentlich überhaupt nicht mehr mit mir. Genau genommen mit niemandem wie ich höre. Dann meldest du dich plötzlich mitten in der Nacht und alles was ich zu hören bekomme ist dieser Spruch? Was ist los mit dir Jerry? Wie geht’s dir? Niemand weiß noch irgendetwas über dich. Du verkriechst dich, du erscheinst nicht mehr in der Arbeit“. Franks Stimme war mit jedem Wort leiser geworden, als sei er außer Atem. „Mir geht’s gut. Alles in Ordnung.“ sagte die unheimliche Stimme am anderen Ende der Leitung. „Mich interessieren nur die Ermittlungsergebnisse. Ich will wissen, wer Maria ermordet hat.“ Frank holte tief Atem und begann einen Kugelschreiber zu foltern. „Ich kann dir nichts Neues sagen. Das FBI hält die Untersuchungsergebnisse vom Tatort nach wie vor unter Verschluss. Ich habe nichts in der Hand. Mit unseren Mitteln konnten wir keine verwertbaren Spuren entdecken. Keine Fingerabdrücke, keine Haare, nichts. Genau wie bei dem Mord an dem alten Säufer Brennan. Ich muss zugeben, dass das FBI über wesentlich bessere Mittel verfügt. Vielleicht haben die mehr Glück mit ihren Gen-Analysen und ähnlichem Zeug.“ Eine Zeitlang konnte Frank nur Jerrys Atem hören. Unvermittelt dachte Frank an eine dunkle Höhle, in der ein uraltes, schreckliches … Ding lebte. Er bog den Kugelschreiber noch weiter durch, um den Gedanken loszuwerden. Das Schreibgerät splitterte zwischen seinen Fingern. „Danke Frank“ sagte Jerry und legte auf. Holden starrte verwirrt auf die Splitter auf dem Schreibtisch. Aus dem Hörer an seinem Ohr kam nur noch das entnervende „tut tut tut“ der fehlenden Verbindung. „Was geht hier verdammt noch mal vor?“ murmelte er.

Jeremy löste seine Finger vom Hörer, an den er sich mit aller Kraft geklammert hatte, feine Risse durchzogen den Kunststoff. Er war wieder wütend geworden, als er von Maria gesprochen hatte. Es fiel ihm immer schwerer, diese Wut zu kontrollieren. Gleichzeitig war es ihm vollkommen egal gewesen, was Frank gesagt hatte. Trotzdem hatte er verstanden, dass die Polizei überhaupt nichts wusste. Die Gedanken kamen in großen Abständen wie Flaschenpost von einer Insel der Vernunft in seinem ansonsten überreizten Gehirn angeschwommen. Dazwischen wogte die Wut. Er musste nachdenken. Es gelang ihm aber nicht die Puzzleteile, die in seinem Kopf durcheinander wirbelten zu ordnen. Stattdessen formte sich die absurde Gewissheit, dass er den zuständigen Ermittlungsbeamten des FBI einen Besuch abstatten müsste. Dumpfer Hass überkam ihn, als er sich an die Gesichter der beiden erinnerte, die ihm Fragen gestellt hatten. Die Welt verschwamm kurz vor seinen Augen. Als sich sein Blick wieder klärte stand er in einem dunklen Zimmer, das er noch nie zuvor gesehen hatte. Der Raum gehörte offenbar zu einer Wohnung oder einem Haus, in dem Menschen lebten. Der Umstand, dass er im Dunkeln sehen konnte überraschte Jerry nicht mehr. Er hatte diese Erfahrung nun schon des Öfteren gemacht. Außerdem hatte er offenbar gerade nur durch Gedanken einen Ortswechsel herbeigeführt. Wäre er noch der Jeremy gewesen, der sein ganzes Leben in einer Kleinstadt verbracht hatte und der nichts mehr wollte als dort zu bleiben, dann hätte er in diesem Moment wahrscheinlich einen Zusammenbruch erlitten. Nun war da nur eine leise Verwunderung, die schnell der bereits gewohnten Gleichgültigkeit gegenüber allem, was nicht direkt im Zusammenhang mit Marias Tod stand, wich. Er sah sich um. Fotos an der Wand erzählten ihm von den Bewohnern des Gebäudes, in dem er sich befand. Ein Frau, zwei Kinder und … ein Mann. Wieder regte sich die Wut in Jeremys Kopf. Es war einer der Ermittlungsbeamten, an die er vorhin gedacht hatte. Ohne ein Geräusch zu verursachen verließ er den Raum. Ein Gang der an einer Treppe vorbeiführte lag dunkel und still vor ihm, Jerry lauschte. Auch sein Gehör hatte sich in den letzten Wochen unwahrscheinlich verbessert. Ein rhythmisches, leise hämmerndes Geräusch aus einem tiefer liegenden Raum nährte seine Hoffnung den Beamten nicht im Beisein der Frau auf den Fotos aus dem Bett holen zu müssen. Sie interessierte ihn nicht und es war besser für sie, wenn sich daran nichts änderte. Jerry schlich die Treppe hinab und erreichte kurz darauf das Erdgeschoss. Auf der linken Seite des Eingangsbereichs, kroch sanftes Licht durch einen Türspalt heraus in die Dunkelheit. Von dort kamen auch die Geräusche. Jerry überwand den Rest der Strecke in einem einzigen Augenblick. Nach einem vorsichtigen Blick entrang sich seiner Kehle ein leises Knurren. Das war einer der Kerle, die ihn vernommen hatten. Der, der von den Fotos die überall herumstanden, grinste. Er betrat den Raum vollends und schloss in derselben Bewegung die Tür hinter sich, bevor der Beamte regieren konnte. „Halten sie die Klappe wenn ihre Familie morgen noch die Chance auf ein Erwachen haben soll“ zischte er. Diese waffenlose Drohung wäre wohl kaum ausreichend gewesen hätten Jeremys Augen nicht in dunklem Rot geleuchtet. Der FBI-Beamte starrte ihn wortlos an. Er schien regelrecht erstarrt zu sein. Jerry bemerkte allerdings, dass weder sein lautloses Erscheinen, noch seine Augen besondere Überraschung bei dem Mann hervorgerufen hatte. Außer Angst konnte er nichts spüren. „Sie wissen wer ich bin?“ fragte Jeremy. Der Beamte schluckte hart. „Sie sind Jeremy Mahone. Ihre Frau wurde vor einer Woche ermordet. Ich und ein Kollege haben sie diesbezüglich vernommen. Was aber viel wichtiger sein dürfte … ich glaube zu wissen … was Sie sind“. „Und was sollte das ihrer Meinung nach sein?“ knurrte Jeremy. „Sie sind … Sie sind so eine Art Vampir. Ich habe allerdings keine Ahnung wieso. Sie sind schließlich nicht gebissen worden“ sagte der Beamte. Jerry ballte die Hände zu Fäusten. Er zitterte vor Wut. „Wie lange wissen Sie eigentlich schon von den Hintergründen des Mordes Sie Arschloch?” Wieso faselte ein Bundesbeamter etwas von Vampiren? Das waren Fantasiegestalten verdammt noch mal. Nein das sind sie nicht und das weißt du auch. “Warum beschäftigt sich eine Bundesbehörde mit den Gestalten aus alten Geschichten? Und wer waren die Typen, die meine Frau ermordet haben? Wieso werden die nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn sie schon so vieles wissen?“. Jerry hatte die letzten Worte gebrüllt. Hoffentlich verhinderte die Größe des Hauses, dass die Familie dieses Idioten geweckt und in den Strudel von Jeremys Wut hineingezogen wurde. Jeremy grub die Zähne in seine Zunge. Der Blutgeschmack linderte seine Rage ein wenig. Der erwartete Schmerz blieb jedoch aus. Auch das war etwas das sich verändert hatte. Er war eigentlich immer einer der wehleidigeren gewesen. Kein harter Kerl…

Der Beamte hatte sich auch während des Wutausbruches des nächtlichen Eindringlings um keinen Millimeter bewegt. Er war nur noch etwas bleicher geworden. Jetzt schien er sich zu sammeln. „Bitte. Lassen Sie mich die Umstände erklären. Mein Name ist übrigens Jim Beaver. Aber zurück zum Thema. Ich habe, wie viele andere bei der Agency schon relativ viel Erfahrung im Umgang mit Vampiren. Wir wussten schon von ihnen, als die Behörde damals von Hoover gegründet wurde. Nach unseren Informationen gibt es sie seit tausenden von Jahren. Viele von ihnen verhalten sich unauffällig, gliedern sich in die Gesellschaft ein und begehen vor allem keinerlei Verbrechen. Einige tun genau das aber leider immer wieder. Bestialische Morde, Entführungen und so weiter. Menschen die mit diesen Vampiren in Kontakt kommen verschwinden und tauchen Jahre später wieder auf, ohne jedoch an das Leben vor dem Verschwinden anzuknüpfen. Wir gehen dagegen vor, wie gegen jedes andere Verbrechen - mit einem Unterschied - die Öffentlichkeit soll und darf davon nichts erfahren. Erschwert wird unsere Arbeit auch durch die politische und wirtschaftliche Macht, die die Vampire über die Jahrhunderte erlangt haben. Dazu kommt noch die körperliche Überlegenheit dieser Geschöpfe.“ Jim atmete tief ein. „Wir wollen die Mörder ihrer Frau kriegen. Darauf können sie sich verlassen. Wenn wir sie haben, übergeben wir sie an ihre eigenen Leute. Die haben etwas gegen Aufsehen unter den Menschen. Jahrhundertelange Einkerkerung oder der Tod. Das ist meist das Strafmaß ihrer Wahl“. Der Beamte hatte schnell gesprochen. Er redete um sein Leben. Vielleicht auch um das seiner Frau und seiner Kinder. Das war ihm schon beim ersten Blick in Jeremys Augen klar geworden. Jeremy lockerte die verkrampften, zu Fäusten geballten Finger. Er hatte darauf verzichtet den Beamten zu unterbrechen. Er wusste nicht wieso, aber irgendetwas sagte ihm, dass dieser Mann die Wahrheit sagte. Vampire. Er hatte natürlich wie die meisten schon mal Bücher über sie gelesen und den einen oder anderen Film gesehen. Dass es sie wirklich geben sollte schien ihm absurd. Andererseits geschah etwas mit ihm das es eigentlich nicht geben durfte, also verliefen die Grenzen der Wirklichkeit vielleicht anders, als man es in die Köpfe von Kindern hämmerte wann immer man ihnen sagte, dass sie keine Angst im Dunkeln zu haben brauchten. Außerdem war da diese Stimme in seinem Kopf, die manchmal knapp unterhalb der Hörgrenze seines Wachbewusstseins von den Blutsaugern sprach. „Warum …“. Weiter kam er nicht. Etwas knackte verdächtig in einem der Räume auf der anderen Seite der Eingangshalle. Jim hatte wahrscheinlich nichts gehört, aber er bemerkte die plötzliche Anspannung seines Besuchers. Jeremys Sinne waren wesentlich schärfer als die eines Menschen. Jemand musste eines der Fenster aufgebrochen haben. Dem dumpfen Geräusch nach zu urteilen ohne dabei ein Werkzeug zu benutzen. Etwas das nicht menschlich war hatte das Haus betreten. Jeremy konnte das Wesen nun spüren. Die Gewissheit, dass er es mit einem Blutsauger zu tun hatte war plötzlich da. Einfach so. Die Aura der Kreatur erschien ihm plötzlich erdrückend. Und sie entfachte die Glut seines Hasses erneut zu einem lodernden Feuer. „Seien Sie still“ zischte er, als Beaver den Mund öffnete um zu fragen, warum Jeremy plötzlich aussah wie eine lauernde Raubkatze. Der Eindringling verursachte kein weiteres Geräusch aber Jeremy wusste nun, wo er sich befand. Sein Körper spannte sich wie die Sehne eines Bogens. Ansatzlos sprintete er los. Die Trümmer der Tür, die geschlossen gewesen war, verteilten sich auf den Fliesen der Halle. Jeremy hatte das Hindernis wie ein Geschoss durchbrochen ohne etwas davon zu spüren. Eine Gestalt richtete sich soeben an der rückwärtigen Wand der Halle auf. Sie blutete aus der Nase. Jeremy stand kampfbereit, keine zwei Schritte von dem Vampir entfernt, der sich Zutritt zum Haus des Agenten verschafft hatte. Der dunkelhaarige Mann, der bei Jeremys überraschendem Auftauchen beiseite gesprungen war wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht und fletschte die Zähne. „Ich werde es dir nicht so einfach machen, wie es dieser Idiot, Oreste am Bahnhof getan hat.“ sagte er. Die Stimme des Mannes hätte jeden normalen Menschen in ihren Bann geschlagen. Dunkel, klar und autoritär. Jeremy spürte die hypnotische Kraft die darin lag. „So schwer kann es wohl nicht sein dich umzubringen. Tot bist du ja bereits“ knurrte Jeremy. Der Fremde lachte. „Du weißt anscheinend nicht wer ich bin? Nein. Woher solltest du auch. Du bist ja erst seit kurzer Zeit im Spiel.“ Jeremy musterte den Vampir mit glühenden Augen. „Es ist mir scheißegal wer du bist. Ein Monster bleibt ein Monster … egal welchen Namen es trägt“. Er griff an. Der Eindringling wich lächelnd aus und ließ Jeremy ins Leere laufen. „Ich sagte doch. Ich bin kein leichtes Opfer für wütende … was immer du auch sein magst.“ Jeremys Faust schoss vor. Im nächsten Moment wurde er brutal gegen eine Wand geschleudert, in der sich tiefe Risse bildeten als sein Körper davon abprallte. „Ich bin Alexis Sedros. Ich wurde vor mehr als 3000 Jahren in Griechenland geboren und ich wollte den Mann sehen, der einen meiner Gegner erledigt hat, ohne sich dabei sonderlich anstrengen zu müssen.“ Etwas traf Jeremy in die Seite und schleuderte ihn gegen eine Kommode, die unter ihm zusammenbrach. Sedros tauchte wie hingezaubert neben ihm auf. Der Vampir sah lächelnd auf Jeremy herab, der sich langsam erhob. Die Luft in der Halle schien sich für einen Moment in Wasser zu verwandeln. Der Moment ging vorbei. Alexis Sedros war verschwunden. Jerry sah an sich herab und stellte fest, dass er völlig unverletzt geblieben war. Er fragte sich, warum Beaver und die Familie des Agenten nicht bereits dabei waren, panisch nach einem Ort zu suchen an dem sie sich zitternd verkriechen konnten. Hatten sie vielleicht gar nichts von dem Kampf mitbekommen? Kaum vorstellbar, angesichts der Zerstörung, die sie angerichtet hatten dachte Jerry. Er hörte ein Knacken und fuhr in geduckter Haltung herum. „Was … was ist hier passiert?“ stotterte Beaver. Ungläubig ließ er den Blick über den Schutthaufen wandern, der einmal den Eingangsbereich seines Hauses dargestellt hatte. „Ein ziemlich altes Monster ist hier eingedrungen und ich habe versucht, es davon abzuhalten zu tun, was immer es auch vorgehabt hat. Wie Sie sehen können war das nicht gerade einfach. Sagt ihnen der Name Sedros etwas?“ Der FBI-Beamte erbleichte sichtlich. „Sedros? Haben sie Sedros gesagt? Mein Gott. Wir haben gehofft er wäre vernichtet worden. Seit Jahren ist er von der Bildfläche verschwunden. Einer der Schlimmsten von ihnen … und dann taucht er ausgerechnet in meinem Haus wieder auf!“ Beaver rannte verwirrt in das Büro zurück. Jeremy wandte sich der Treppe zu, die kaum beleuchtet wurde. Nichts regte sich dort. Sedros musste irgendetwas getan haben, was noch immer Nachwirkungen zeigte. Die lautstarke Auseinandersetzung und auch das nicht gerade leise geführte Gespräch zwischen dem Beamten und Jeremy selbst waren unbemerkt geblieben.

„Schicken Sie … sofort ein Team … ja volle Ausrüstung. Vampire …“. Jerry wandte sich wieder dem Büro des Beamten zu. Den Worten zufolge, die er bruchstückhaft hören konnte, versuchte Beaver soeben Schutz für sich und seine Familie zu organisieren. Fraglich, ob Menschen etwas gegen diesen Sedros aufzubieten hatten. Und seien sie noch so gut bewaffnet. Der Kerl hatte ihn abgewehrt, als wäre nicht mehr als eine lästige Fliege, die man verscheuchte wenn sie einem zu nahe kam. Sedros setzte seine Fähigkeiten ja auch bereits seit Jahrtausenden ein, wohingegen Jeremy seine eigenen noch nicht einmal annähernd kannte. „Gut, ich warte hier!“ Beaver klappte das Mobiltelefon in dem Moment zu in dem Jerry den Raum betrat. „Verdammt, wer sind Sie? Sie sind anscheinend wichtig genug, um Alexis Sedros aus dem Loch hervorzuholen, in dem er sich die letzten zwanzig Jahre verkrochen hat. Er muss irgendetwas mit dem Tod ihrer Frau zu tun haben. Woher sonst sollte er wissen wer sie sind?“ Seufzend ließ er sich hinter dem Schreibtisch nieder. Seine Finger begannen auf der Tischplatte zu trommeln. „Wenigstens haben wir so etwas wie eine Spur. Übrigens wäre ich ihnen dankbar, wenn sie hier bleiben könnten, bis meine Kollegen eintreffen. Es haben sich ein paar neue Fragen zu … ihrer Person ergeben.“

„Wollen Sie mich verarschen?“ zischte Jeremy. „Ich warte schon zu lange darauf, dass die Behörden die Mörder meiner Frau zur Rechenschaft ziehen. Ich habe keine Zeit mehr für Ihre Spielchen! Außerdem sollten Sie schon bemerkt haben, dass Sie mich nicht aufhalten können. Meinetwegen spielen Sie Krieg mit Ihrem kleinen Sonderkommando. Ich hole mir diesen Sedros. Ich bin sicher, dass er mir sagen wird, was ich wissen möchte, wenn ich ihn höflich darum bitte.“ Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen bei dessen Anblick sich Gänsehaut auf Beavers Armen bildete. Jeremys Augen begannen zu glühen wie kleine höllische Laternen. „Auf Sie komme ich später zurück.“ Die Stimme war mit jedem Wort leiser geworden. Der Beamte saß plötzlich wieder alleine in seinem Büro. Nur ein klein wenig glühende Asche rieselte zu Boden. Jim Beaver griff erneut zu seinem Mobiltelefon. Während er die Nummer seines Vorgesetzten wählte grübelte er, wieso er sich für diesen Job entschieden hatte. Wahrscheinlich war es das Geld gewesen. Sie wurden ausgezeichnet bezahlt, aber auch der Lebensstandard, den er sich deshalb leisten konnte täuschte kaum über die Risiken hinweg, die er dafür tagtäglich einging. Für seinen Geschmack kam die Gewalt seiner Familie mittlerweile verdammt nah. Wie sollte er seine Frau und seine Tochter aus der Schusslinie einer Auseinandersetzung mit unsterblichen Kreaturen bringen, die über eine ganze Menge gefährlicher Fähigkeiten verfügten?

„Ich komme ja schon“. Frank Holden gähnte und hievte sich aus dem Sessel auf dem er eingenickt war. Eine leere Flasche fiel zu Boden. Als er noch Polizeidienst auf den Straßen von New York versehen hatte, war seine Psyche nicht immer in der Lage gewesen, die Dinge mit denen er konfrontiert wurde zu verarbeiten. Um nicht den Verstand zu verlieren hatte er die Gewohnheit entwickelt, an manchen Tagen seine Gedanken in Whiskey zu ertränken. Er war damals nur fünf Jahre in New York geblieben, bevor er nach Deerfield gekommen war. Die alten Gewohnheiten waren nicht mit ihm gekommen. Zumindest hatte er das bis heute geglaubt. Niemals hätte er damit gerechnet, in einem County voller gutbürgerlicher Kleinstädte, in denen bis auf die eine oder andere betrunkene Rangelei rein gar nichts geschah, mit grausig zugerichteten Leichen konfrontiert zu werden. Dazu noch mit denen der Frau seines besten Freundes und eines völlig harmlosen beinahe mittellosen Säufers. Bei beiden fand sich nicht das geringste Motiv für das, was ihnen angetan worden war. Nur einer dieser psychopathischen Serienmörder würde so etwas tun. Frank fragte sich, warum dieser gerade in seinen Zuständigkeitsbereich kommen musste. Er rieb sich die geröteten Augen und streckte den Rücken. Dabei wäre er fast gestolpert. Um sein Gleichgewicht war es nicht besonders gut bestellt. Ein beständiges Hämmern gegen die Vordertüre riss Frank aus seinen Gedanken. Er fragte sich, welcher Irre dort draußen stand. Vorsichtshalber griff er nach seinem Dienstrevolver, der wie meistens im geöffneten Halfter auf dem Tisch lag, bevor er zur Tür ging. Dummerweise hatte beim Bau des Hauses, niemand eine Möglichkeit geschaffen einen Blick nach draußen zu werfen, ohne gleichzeitig die Türe zu öffnen. Nun ja. Normalerweise war so etwas hier auch nicht nötig. Die meisten Leute hier machten sich schon über Nachbarn lustig, die ihre Häuser verschlossen während sie sich darin aufhielten. „Verdammt wer ist da?“ fragte er, ohne wirklich mit einer Antwort zu rechnen. Er bekam auch keine. Stattdessen begann sein unbekannter Gast wieder damit, übertrieben laut gegen die Tür zu hämmern. Den Revolver schräg nach unten haltend, drehte Frank den Schlüssel herum und drückte die Türklinke langsam nach unten. Das nächste was er bewusst wahrnahm, war der kalte Fliesenboden, der sich definitiv zu nahe an seinem Gesicht befand. Er hatte einen Schlag erhalten und war zu Boden geschleudert worden. Er hob den Kopf um festzustellen, wem er die Beule, die sich mit Sicherheit bald bilden würde zu verdanken hatte. Der Alkohol in seinem Blut verwandelte seine Wut in Sarkasmus. „Hi Jerry. Als ich dich gebeten habe, dich bei mir zu melden, habe ich nicht gemeint, dass du mit der Tür ins Haus fallen sollst“. Jeremy zeigte keine Reaktion. Kein Lachen, ja nicht einmal ein Lächeln. Frank erhob sich. „Nachdem du mich niedergeschlagen hast und scheinbar keinen Kommentar dazu abgeben möchtest, komm wenigstens richtig rein.“ Jeremy schwieg weiterhin, trat aber immerhin ein und warf die Tür hinter sich zu. Er folgte Holden der leicht schwankend das Wohnzimmer ansteuerte. Jeremy ließ sich auf der Kante des Sofas sinken und starrte seinen alten Freund beinahe feindselig an. „Du musst mir helfen“ krächzte er. Seine Stimme schien lange nicht zum Einsatz gekommen sein. „Ich brauche Informationen. Ich denke du kannst sie mir relativ einfach besorgen.“ Frank ließ sich in seinem Sessel zurücksinken. „Ich bin Sheriff, kein Auskunftsbüro. Auch für dich nicht. Kommt also ganz darauf an, was du wissen möchtest. Und vor allem, was du damit anzufangen gedenkst.“ Er konnte sehen, dass sich Jeremys Finger verkrampften. Die Spannung die von seinem Freund ausging schien den Raum bis in den letzten Winkel zu erfüllen. „Das Einzige was ich von dir will ist, dass du deinen Polizeicomputer anwirfst und mir alles was du zu einem Kerl namens Alexis Sedros findest, zukommen lässt.“ Frank runzelte die Stirn. „Wie stellst du dir das vor? Was willst du überhaupt von diesem Sedros? Hat das etwas mit …“ sagte Frank. Seine Stimme versiegte, als er versuchte den Namen Maria auszusprechen. Er konnte einfach nicht abschätzen, wie Jeremy darauf reagieren würde. Der Mann, der da vor ihm saß, war zu einem Fremden geworden. „Ja. Hat es. Sedros könnte etwas über Marias Mörder wissen.“ Weder die Stimme noch die Mine von Jeremy hatten sich bei diesen Worten verändert. Er wirkte auf Frank wie ein Automat, der ein festgelegtes Programm abspulte, ohne wirklich auf seine Umwelt zu reagieren. “Na gut” sagte Frank. „Ich werde mich darum kümmern. Weil du es bist. Wir werden diesen Sedros ausfindig machen. Nötigenfalls über die Bundesbehörden.“ Weiter kam er nicht. Plötzlich schwebte Jerrys wutverzerrtes Gesicht nur Zentimeter von seinem eigenen entfernt. „Gib mir was ich verlange und lass die Behörden da raus. Ich will keine verdammte Anzeige aufgeben, verstehst du? Ich will diesen Sedros. Ich sorge schon dafür, dass dieser Kerl alles preisgibt, was er weiß!“ schrie er. Für einen Augenblick war Holden gelähmt. Wer war dieses Wesen, das wie sein Freund aussah, aber sonst kaum etwas mit ihm zu tun hatte? Der Augenblick ging vorüber und der Polizist in ihm gewann die Oberhand. Blitzschnell griff er nach dem Revolver, den er wieder auf dem Tisch neben sich abgelegt hatte und schwenkte die Mündung bis sich Jeremys Brust vor dem Lauf befand. „Verlass mein Haus bevor ich gezwungen bin dich zu verletzen.“ zischte er. Einige Sekunden lang hatte er den Eindruck, dass gleich etwas Schreckliches passieren müsste. Dann trat Jeremy einen Schritt zurück und hob die Hände. „Du hast deine Wahl getroffen. Ich bekomme auch so was ich will“ sagte er tonlos. Dann drehte er sich herum und stürmte in den Flur. Kurz darauf wurde die Tür mit solcher Gewalt zugeworfen, dass die Gläser in den Schränken leise klirrten. Frank atmete tief durch und legte den Revolver mit zitternden Händen beiseite. Er war nicht sicher, ob er es fertiggebracht hätte auf Jeremy zu schießen. Möglicherweise lautete die Antwort darauf Ja und das machte ihm Angst. Wie konnte er ernsthaft darüber nachdenken seinen besten Freund schwer zu verletzen oder ihn gar zu töten? Wie wenig war von dem Mann übrig, mit dem er aufgewachsen war? Frank griff nach der Flasche und setzte sie an den Mund. Nichts. Er setzte die Flasche ab und stellte sie neben dem Sessel auf den Boden. “Mist” murmelte er. Das Ding war natürlich leer, wenn er die Ruhe am nötigsten brauchte, zu der ihm der Alkohol verhalf. Aber wenigstens wusste er jetzt was er zu tun hatte. Einerseits musste er diesen Sedros ausfindig machen und andererseits musste er irgendwie dafür sorgen, dass Jeremy für einige Zeit aus dem Verkehr gezogen wurde. In diesem Zustand war er eine Gefahr für sich und andere. Und er brauchte eine neue Flasche. Vielleicht fand er noch eine im Vorratsraum. Nein. Wahrscheinlich nicht. Aber es schadete nicht, nachzusehen. Franks Hände zitterten.

Jeremy rannte einige hundert Meter, nachdem er das Haus verlassen hatte. Schließlich wurde er langsamer und blieb an einer verlassenen Kreuzung stehen. Es regnete stark. Die Tropfen verdampften wenn sie seine Haut berührten. Jeremy bemerkte es nicht. Er dachte darüber nach, warum er seine Wut nicht mehr kontrollieren konnte, aber es gelang ihm nicht eine Antwort auf diese Frage zu finden. Alle Gedanken, die sich nicht um die verdammten Blutsauger oder um Maria drehten verflüchtigten sich schneller, als er sie zu Ende denken konnte. Als wäre ein Loch in seinem Gehirn das alles andere verschluckte. Immer wieder drängte sich der Name Alexis Sedros in den Vordergrund. Er musste eine Möglichkeit finden diese Kreatur ausfindig zu machen. Vielleicht brachte es ihn weiter, wenn er sich an Orten herumtrieb, an denen sich Vampire bevorzugt aufhielten. Möglicherweise machte das einige von ihnen auf ihn aufmerksam. Vor allem dann, wenn er ein paar von denen, die ihm über den Weg liefen beseitigte. Bei diesem Gedanken breitete sich ein Gefühl von... ja, es war so etwas wie Lust, in seinen Eingeweiden aus. Er fletschte die Zähne und leckte sich die Lippen. Dann erinnerte er sich daran, wie er in das Haus des FBI-Beamten gelangt war. Was wenn er versuchte sich auf dieselbe Weise an einen Ort zu versetzen, an dem er auf Blutsauger traf? Er schloss die Augen und versuchte die Kreaturen zu aufzuspüren. Es funktionierte. Er fühlte ihre Gegenwart. Viele von ihnen. Unvorstellbar viele. Überall. Dann begann ihn irgendetwas beinahe magisch anzuziehen. Als er die Augen wieder öffnete stand er auf einem Parkplatz. Dieser Parkplatz schien zu einer Bar zu gehören. Er hatte allerdings keine Ahnung in welcher Stadt er sich befand. Nicht einmal in welchem Bundesstaat, wenn er seine unheimlichen Fähigkeiten richtig einschätzte. Aber das war auch nicht wichtig. Hier mussten sich Vampire aufhalten. Zumindest, wenn er das was er gerade getan hatte, richtig deutete. Lachend und torkelnd verließen zwei Frauen und ein Mann die Bar. Jeremy schnupperte. Jemand wartete auf ihn. Er konnte es riechen. Die drei wankten langsam in Richtung eines abseits stehenden Wohnmobils. Jerry schlich leise durch die Schatten. Einen Augenblick später war er hinter dem Wohnwagen angelangt. Er konnte hören wie die Tür auf der anderen Seite geöffnet wurde. Die beiden Frauen kicherten und drängten den Mann sanft in den Wohnwagen. Die Geräusche deuteten darauf hin, dass die Gruppe sich auf einem Bett niederließ. Jeremy spannte die Muskeln. Der Mann schrie kurz auf und wurde gleich darauf zum Schweigen gebracht. In einer blitzschnellen Bewegung stieß Jeremy die Arme nach vorne wobei seine Fäuste die Wand des Wohnmobils durchstießen. Als er die Hände zurückzog wurde ein Teil der Wand mitgerissen. Der Anblick der sich ihm bot, verstärkte seine Wut noch. Seine glühenden Augen sahen den Mann auf dem Bett liegen. Das Laken war voll Blut. Die beiden Frauen starrten Jerry an. Von ihren raubtierartigen Zähnen troff Speichel der sich mit dem Blut des Mannes mischte. „Noch ein Blutspender!“ zischte eine von ihnen. “Und was für einer. Sie dir diese Kraft an!” Eine der Frauen erhob sich langsam und aufreizend vom Bett. In ihrem Ausdruck lag etwas Gieriges. Jeremy drängte sich durch das Loch in der Wand, packte in derselben Bewegung den Hals der Frau und drückte ihren Kehlkopf nach innen. Röchelnd sank sie zu Boden. Die andere Blutsaugerin versuchte seinen Arm zu packen, griff jedoch ins Leere. Jeremy schlug ihr den Ellbogen mit solcher Gewalt ins Gesicht, das ihr Genick brach bevor sie reagieren konnte. Er wandte sich wieder der anderen Frau zu, die sich um Atem ringend am Boden krümmte. Er drehte sie mit dem Fuß herum. „Bitte …“ stieß sie keuchend hervor. Jerry beugte sich vor und griff nach ihrer Kehle. „Halt die Klappe!“ flüsterte er. „Ich will von dir nur eines wissen. Hast du den Namen Alexis Sedros schon mal gehört?“ Sie wand sich unter seinem harten Griff und sah flehend zu ihm auf. „Ich weiß nicht … ich bin nur …“ Jeremy schloss die Finger fester um ihren Hals. Die Halswirbel gaben knackend nach. Der Körper der Blutsaugerin löste sich in einem Schauer aus glühenden Partikeln auf, die sofort wieder verschwanden. Jeremy richtete sich auf und prüfte flüchtig den Pulsschlag des Mannes auf dem Bett. Die beiden hatten ganze Arbeit geleistet. Der Mann war tot. Jeremy trat in die Nacht hinaus. Eine Flamme züngelte an seiner rechten Hand empor. Langsam drehte er sich um und betrachtete das Wohnmobil für einen Augenblick mit nachdenklicher Mine. Er wollte keine Spuren zurücklassen. Außerdem wusste er nicht, was an den Geschichten dran war, dass sich Menschen die gebissen wurden, manchmal ebenfalls in Blutsauger verwandelten. Vielleicht war das nur mystischer Blödsinn, vielleicht aber auch nicht. Tu es. Feuer loderte auf. Zwei Männer verließen die Bar und bemerkten die Flammen. Sie rannten auf den Wohnwagen zu. Als sie ihn erreichten fiel die Konstruktion bereits knackend in sich zusammen. Das Feuer war außergewöhnlich heiß. „Ruf die Feuerwehr. Und die Cops“ sagte der größere der beiden. „Hier können wir nichts mehr tun. Hoffentlich war da keiner mehr drin“. Einige Meter hinter ihnen, rieselte etwas glühende Asche zu Boden. Sie bemerkten es nicht.

Jim Beaver saß an seinem Schreibtisch. Mit beiden Händen stützte er den Kopf und starrte gedankenverloren auf die Tischplatte. Er hatte sich vor langer Zeit damit arrangiert, dass es Vampire gab. Das alleine war seiner Meinung nach schon schwierig genug. Dass es aber plötzlich jemanden gab, der diese Wesen tötete und schließlich abfackelte war neu. Vampire regelten ihre Streitigkeiten im Allgemeinen unauffällig. Sie hinterließen keine Spuren. Zumindest keine derart auffälligen. Jemand hatte zwei der Monstren bei ihrem Abendmahl überrascht, ihnen das Genick, nebst einiger anderer Knochen gebrochen und ihren Wohnwagen in Brand gesetzt. Das konnte man wohl kaum als unauffällig bezeichnen. Gut. Man hatte außer etwas Asche nichts gefunden, aber einer der Agents des Büros aus Boston hatte die beiden Frauen in dem Wohnwagen observiert und war zufällig Zeuge des Auftritts des Unbekannten geworden. Verständlicherweise hatte der Agent nicht eingegriffen, sondern war so schnell wie möglich abgehauen. Dann war da noch dieser Kerl, der in sein Haus eingebrochen war. Der, dessen Frau von einigen jener Vampire getötet worden war, die entgegen ihrer ungeschriebenen Gesetz Menschen angriffen. Auch die hatten sich seltsam verhalten. Normalerweise machten sie sich nicht die Mühe in irgendwelchen Kleinstädten, in denen sich nach Einbruch der Dunkelheit kaum noch jemand auf der Straße zeigte, nach Opfern zu suchen. Außerdem ließen sie ihre Opfer nicht einfach liegen, nachdem sie sie ausgeblutet hatten. Irgendwas war hier im Gange. Schlussendlich hatte sich Sedros in seinem Haus einen kleinen Kampf mit diesem Mahone geliefert. Warum hatte er den Mann nicht einfach umgebracht? Warum dieses Schauspiel? Beaver seufzte und rieb sich die Augen. Warum musste ausgerechnet Sedros wieder auf der Bildfläche erscheinen? Immer wieder während der letzten zweitausend Jahre war dieser Vampir, der einfach nicht sterben wollte, aufgetaucht und hatte versucht andere davon zu überzeugen, sich den Menschen zu offenbaren und sie als Nahrungsquelle in Anspruch zu nehmen. Glücklicherweise hatte es immer jemanden gegeben, der ihn und seine Anhänger in die Schranken wies. Wer würde das diesmal übernehmen? Das FBI? Die NSA? Unwahrscheinlich. In Wahrheit hätten selbst die beiden Behörden keine Chance gegen die Vampire. .Nicht wenn sie sich zusammenschlossen. Eher würden die Vampire selbst erneut für Ordnung in ihren Reihen sorgen. So wie sie es immer taten, wenn einige von ihnen zu viel Aufmerksamkeit erregten.

Jemand trat neben ihn und riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf und sah in das abgespannte Gesicht seines Vorgesetzten. Die Abteilung hatte in letzter Zeit alle Hände voll zu tun gehabt. „Hi Jim. Irgendwelche Erkenntnisse?“ fragte Sean Bauer, Direktor der Abteilung für „Stufe 1 Angelegenheiten“ beim FBI. „Erkenntnisse? Nein leider. Ich kann derzeit nur mit neuen Problemen dienen“ sagte Jim. Der Direktor schob seine Brille ein Stück nach oben und gähnte verhalten. „Dachte ich mir. Übrigens … der Kleinstadtbulle – aus Deerfield wo diese Frau gebissen wurde – der könnte auch noch Schwierigkeiten machen. War früher in New York beschäftigt. Lässt angeblich selten locker. Falls er euch in die Quere kommen sollte, dann gib mir Bescheid. Wir wären dann gezwungen ihn aus dem Verkehr zu ziehen.“ Beaver runzelte die Stirn. „Wir können doch nicht…“. Bauer unterbrach ihn schroff. „Wofür hältst du das hier? Wir sind kein Terroristenverein. Natürlich fügen wir ihm keinen ernsthaften Schaden zu. Eine Versetzung, eine Suspendierung. Das Übliche eben.“ „Entschuldige.“ Jim rieb sich die Augen. „Ich bin wohl schon zu lange auf den Beinen und werde langsam paranoid. Es macht mir einfach Sorgen, dass dieser Sedros wieder aufgetaucht ist. Es fällt mir schon schwer zu begreifen, dass dieses Wesen an die 3000 Jahre alt sein soll.“ Die Finger des Direktors hatten sich bei der Erwähnung des Namens sichtlich verkrampft. „Wir müssen den Griechen finden. Bevor er neue Anhänger um sich schart. Wir müssen ihn ein für alle Mal beseitigen. Verstehst du? Egal was es kostet.“ Sean Bauer wandte sich ab und entfernte sich mit schnellen Schritten. „Wunderbar. Jemanden finden, der mehr Erfahrung hat als wir alle zusammen“ murmelte Jim. „Paul! Susan! Durchleuchtet die Archive und gebt mir alles, was ihr über Alexis Sedros finden könnt. Außerdem brauche ich alles was zur Person Jeremy Mahone vorliegt.“ Vielleicht konnten nackte Daten die Leere die in seinem Kopf herrschte füllen. Er hatte einfach keinen Ansatzpunkt. Jim stützte den Kopf wieder auf die Hände. Er machte dort weiter wo er aufgehört hatte. Sein Blick richtete sich auf die Tischplatte. Sedros töten. Wie stellte Sean sich das vor? Der Grieche war viel stärker als die einfachen Vampire mit denen sie es sonst zu tun hatten. An die sie sich heranwagten besser gesagt. Niemand war verrückt genug, sich mit den Anführern anzulegen. Nicht wenn es nicht unumgänglich war. Meistens verloren dabei eine Menge Menschen ihr Leben.

Maria erwachte von einem schabenden Geräusch. Sie öffnete die Augen und sah... nichts. Es war dunkel. Was war das Letzte, woran sie sich erinnern konnte? Sie hatte den Laden abgeschlossen und war zu ihrem Wagen gegangen. Dann waren zwei Typen aufgetaucht und sie hatte versucht so schnell wie möglich abzuhauen. Aber irgendwas war schief gegangen und die beiden hatten sie erwischt. Dann war da nur noch Dunkelheit. Sie hatte nicht die geringste Ahnung wo sie sich befand, aber sie war Sicher, dass sie Glück im Unglück gehabt hatte; dass sie nur einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, der sie bewusstlos hatte werden lassen und den beiden furchterregenden Männern Gelegenheit gegeben hatte ihr die Wagenschlüssel und die Handtasche zu stehlen. Verbrechen kamen in Deerfield eigentlich nie vor, aber dennoch wusste sie, dass sie nicht auf einem anderen Planeten lebten, in Sicherheit vor allem Bösen. Gut, dann hatte es eben einen Überfall gegeben und sie war das Opfer gewesen; sie würde irgendwann darüber hinwegkommen, wenn auch der Weihnachtszeit für eine Weile ein bitterer Beigeschmack anhaften würde. Sie öffnete die Augen konnte aber nichts von ihrer Umgebung erkennen; es war stockdunkel. Für einen Moment war sie erstaunt, dass sie keinerlei Schmerzen spürte, vergaß den Gedanken aber sofort wieder. Es interessierte sie vielmehr, wo sie war. Ein Teil von ihr war nervös, wie ein verängstigtes Tier, das fühlte, dass nicht alles so war wie es sein sollte. Sie fragte sich woher diese Nervosität kam... bis sie den Arm in die Dunkelheit ausstreckte. Ihre Hand stieß gegen ein Hindernis, das nicht da sein sollte; nicht so nah jedenfalls. Ein Kofferraum vielleicht? Haben die Typen mich in den Kofferraum geworfen und vielleicht... oh Gott wie schrecklich... entführt? Wohin? Warum? Wie komme ich hier wieder raus? Sie folgte ihrem ersten Impuls und schrie nach Hilfe. Der Schrei klang seltsam dumpf, als würde er einfach verschluckt; jedenfalls anders, als sie sich das in einem Kofferraum vorgestellt hatte. Eine dünne Schicht aus Blech konnte doch nicht eine solche Wirkung entfalten; oder etwa doch? Die Erkenntnis, dass sie keine Ahnung hatte steigerte ihre Nervosität noch. Ihre Finger tasteten immer hektischer über das Hindernis, dass sich anfühlte wie... Holz? Seit wann war der Deckel eines Kofferraums aus Holz? Sie war doch wohl nicht in einer Kutsche entführt worden? Sie konnte nicht anders; sie musste kichern. Ein gepresster, irgendwie klagend klingender Laut. Sie musste hier heraus. Sie presste die Handflächen gegen das Hindernis und spannte ihre Muskeln. Das Ding über ihr bewegte sich keinen verdammten Millimeter. Ihre Arme begannen zu schmerzen und sie gab keuchend auf. Panik kroch aus den Untiefen ihres Bewusstseins hervor und stemmte sich gegen die Vernunft, die verhinderte, dass sie sich in eine wild um sich schlagende, kreischende Irre verwandelte. Während sie fieberhaft über eine Lösung für ihr Problem nachdachte gewann die Panik rasend schnell an Boden. Es gab keinen Weg hier raus; nicht wenn ihr nicht jemand half. Sie begann wieder nach Hilfe zu rufen. Lauter und immer lauter, bis ihre Stimme nur noch ein Krächzen war und ihr die Ohren wehtaten. Es hatte keinen Sinn. Wenn da draußen jemand war, dann schien er sie nicht zu hören. Stunden schienen zu vergehen, oder Tage. Ihre Sinne vernebelten sich zusehends und nahmen ihr jegliches Gefühl für das Vergehen von Zeit. Die Wände die sie umgaben schienen langsam aber stetig noch näher zu kommen. Bald würde ihr kaum noch Luft zum Atmen bleiben. Atmen. Das Wort hallte einige Male in ihrem Kopf wieder, so wie etwas wichtiges, das man vergessen hatte und das einem plötzlich wieder einfiel. Wann hast du zuletzt Luft geholt? Ihre Brust hob und senkte sich, aber es fühlte sich seltsam an, wie etwas an das man aus reiner Gewohnheit tat, ohne es zu müssen oder zu wollen. Sie begriff, dass etwas ganz und gar nicht so war wie es sein sollte, abgesehen davon, dass sie in einer verdammten Kiste gefangen war, aber sie konnte sich nicht auf den Gedanken konzentrieren. Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie sie kraftlos gegen das Holz über ihr trommelte, oder mit ihren Fingernägeln darüber kratzte, als könnte sie sich auf diese Weise befreien. In diesen Momenten übernahm ihr Verstand die Kontrolle und zwang sie aufzuhören sich selbst zu verletzen. Allerdings behielt die Vernunft nie besonders lange die Oberhand und sie verwandelte sich immer wieder rasend schnell zurück in ein verängstigtes Tier. Dass die Phasen in denen sie klar denken konnte immer kürzer wurden machte ihr Schicksal wenigstens etwas leichter zu ertragen. Trugbilder ersetzten die Wirklichkeit und brachten sie fort aus der Dunkelheit. Ohne den stärker werdenden Durst der in ihrer Kehle brannte wäre sie vielleicht nicht mehr aus der Welt in ihrer Phantasie zurückgekehrt. So aber begannen ihre Gedanken mehr und mehr um das zu kreisen, nach dem sie ein immer stärkeres Verlangen verspürte. Am Anfang war es einfach nur Durst, aber nach einiger Zeit fühlte sie sich, als wäre sie tagelang ohne Wasser durch die heißeste Wüste des Planeten geirrt. Durst; übermächtiger, verzehrender Durst. Aber da war noch etwas. Irgendetwas an dem Verlangen war anders als alles, was sie jemals zuvor empfunden hatte. Da war etwas wildes, ungezähmtes, das ihr fremd war. Dieses Etwas verstärkte den Drang sich aus ihrem engen Gefängnis zu befreien. Sie stemmte die Hände gegen die hölzerne Decke über ihr und schrie ihre Wut hinaus, als sie erneut nichts ausrichten konnte. Noch einmal spannte sie ihre Muskeln und warf all ihre Kraft in die Waagschale. Es knackte vernehmlich und gleich darauf rieselte ein Wenig... Erde?... auf sie herab. Etwas von dem Zeug blieb an ihren Lippen kleben und sie konnte gar nicht anders, als es zu schmecken. Es war tatsächlich Erde. Man hat dich lebendig begraben. Der Gedanke war ganz plötzlich da gewesen. Natürlich. Nur ein Idiot hätte die Fakten einfach ignorieren können. Dunkelheit, ein enges, hölzernes Gefängnis, Erde die auf einen herabrieselte, wenn man den Deckel beschädigte. Das hier war ein verdammter Sarg, der tief unter der Erde steckte. Man hatte sie für tot gehalten und... Sie hatten sie beerdigt! Weißt du das mit Sicherheit? Es war ein kläglicher Versuch die Wahrheit zu leugnen. Es gab keine andere Möglichkeit als die, dass sie unter der Erde lag; zumindest fiel ihr keine ein. Sie war auch nicht die erste der das passierte. Sie hatte in irgendeiner Zeitschrift gelesen, dass hin und wieder Menschen für tot erklärt wurden, die es ganz und gar nicht waren. Vielleicht war sie nach ihrem Unfall beinahe klinisch tot gewesen; die Lebenszeichen so schwach, dass man sie bei den üblichen Untersuchungen nicht feststellen konnte. Aber wie lange konnte jemand in diesem Schwebezustand zwischen Leben und Tod verharren. Wenn man sie beerdigt hatte, musste sie seit mindestens zwei oder drei Tagen für tot gehalten worden sein. War es möglich, dass sie so lange in einer Art Koma gelegen war? Sie wusste es nicht und sie hatte auch keine Ahnung, wie die Schuldmedizin dazu stand. Sie lag hier und war ganz offensichtlich nicht tot, also musste es möglich sein. Jeremy! Zum ersten Mal seitdem sie aufgewacht war dachte sie an ihn. Die Frage wie er es aufgenommen hatte, dass seine Frau tot war nistete sich in einem dunklen Winkel ihres Verstandes ein und streckte immer wieder die Fühler aus. Er wusste nicht, dass sie in Wahrheit noch lebte und wenn sie hier nicht herauskam würde er es auch niemals erfahren. Noch einmal versuchte sie mit aller Kraft den Deckel vor ihren Augen aufzustemmen. Dass sie erneut kläglich scheiterte machte sie beinahe rasend. Sie wollte nicht einsam in einem verdammten Sarg unter der Erde sterben. Es war absurd und auch überaus makaber, eine Mischung die sie in einer anderen Situation sicher erheitert hätte, aber sie konnte nicht lachen. Was sich wie ein Witz anhörte, war ihre Realität, und die war keineswegs lustig. Wer wusste schon, wann hier wieder jemand vorbeikommen würde, der sie schreien hören mochte? Und wie sollte sie feststellen, ob gerade jemand da war und ob er oder sie ihre Schreie durch die Decke aus Erde, die man über sie gebreitet hatte überhaupt hören konnte? Was wenn... war da eben ein Geräusch? Sie streckte sich, soweit es ihr Gefängnis zuließ und versuchte die bleierne Schwere zu vertreiben, die sich ihrer immer stärker bemächtigte. Es fiel ihr immer schwerer sich zu bewegen; und ihr war schrecklich heiß. Sie fühlte sich als hätte sie plötzlich Fieber bekommen. Ihre Augen begannen zu brennen, ihre Zunge fühlte sich an wie Sandpapier und hinter ihrer Stirn begann es zu pochen. Sie stöhnte gequält währen ihre Hände kraftlos über die Wände ihres Gefängnisses strichen. Dann war es vorbei; so schnell wie es gekommen war. Die Hitze, die Schmerzen, alles war verschwunden als wäre es nie da gewesen. Nur ihr Mund fühlte sich immer noch trocken an. Sie lag still da und hörte erneut das Geräusch, das sie schon vorhin für einen Moment wahrgenommen hatte. Ein Schaben und rasseln; als würde jemand... graben. Sie riss die Augen auf und begann gegen den Deckel aus steinhartem Holz, der sie gefangen hielt zu trommeln. Und sie schrie. Irgendetwas, sinnlose Geräusche, die sich nicht zu Worten zusammenballten. Ihr verstand schrumpfte zu einem winzigen, kaum wahrnehmbaren etwas zusammen, das sich in einer Ecke ihres Verstandes zusammenkauerte und zusah, wie das Tier die Herrschaft übernahm. Das Tier das vor dem Blackout, aus dem sie in diesem Loch aufgewacht war, nicht da gewesen war. Vielleicht war es auch nur nie aus seinem Versteck hervor gekrochen, weil es keinen Grund dazu gegeben hatte. Ihr Leben war perfekt gewesen; bis zu dieser Nacht, in der sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Das hatte alles verändert. Da war dieser übermächtige Durst, ein wildes Tier das in ihrem Kopf lebte und die Tatsache, dass alle die sie geliebt hatte sie für tot hielten. Das Schaben und Kratzen über ihr wurde lauter und lenkte sie von den wenigen Gedanken zu denen sie noch fähig war ab. Ihre Hände trommelten ohne ihr Zutun wie zwei eigenständige Lebewesen weiter gegen das Holz über ihr. Nur ihre Schreie waren verstummt. Ihre Stimme verweigerte den Dienst. Klonk. Etwas prallte mit einem metallischen Geräusch gegen ihr Gefängnis und schabte darüber hinweg. Wer immer es auch war, der das Grab aushob hatte es fast geschafft. Warum sollte jemand deine Leiche ausgraben? Die Frage blieb unbeantwortet. Der Sarg wurde immer öfter von Schlägen und Stößen erschüttert, bis es schließlich ansatzlos still wurde. Dann, nach einer scheinbaren Ewigkeit prasselte Erde auf den Deckel und gleich darauf prallte etwas wuchtig dagegen. Es knirschte und das Holz bekam Risse. Es überraschte sie, dass sie das in völliger Finsternis erkennen konnte. Die Erkenntnis dass sie seit einiger Zeit soviel von ihrem Gefängnis sah als würde helles Mondlicht durch irgendwelche Ritzen herein dringen verwirrte sie für einen Augenblick. Es war absolut dunkel, das konnte sie, so absurd es auch klang deutlich sehen. Wie sieht man Finsternis? Wieder krachte etwas gegen den Deckel über ihr und dieses Mal wurden die Risse, die das Holz durchzogen tief genug, dass tatsächlich das Licht des Mondes durchschimmerte. Für einen Moment brannte die schwache Helligkeit in ihren Augen wie Feuer. Sie blinzelte verwirrt. Was ist mit dir los? Vorsichtig hob sie erneut die Lider, doch diesmal blieb das Brennen aus. Das Licht das durch die Spalten drang war kraftlos und bleich; kaum stark genug um gegen die Dunkelheit im Inneren des Sarges anzukommen. Plötzlich wurde es von einem Schatten verdunkelt. Oh verdammt! Instinktiv presste sie den Hinterkopf in den gepolsterten Stoff auf dem sie lag. Weiter zurückweichen konnte sie nicht; so sehr sie es auch wollte. Krachend und knirschend barst das Holz über ihr und überschüttete sie mit einem Hagel aus Splittern und Spänen. Sie kniff die Augen zusammen um sich vor dem Gröbsten zu schützen und starrte durch den schmalen Spalt zwischen den Lidern nach oben. Sie wolle sehen, wer sie aus ihrem Gefängnis befreit hatte. Über ihr stand breibeinig eine Gestalt, die sie nicht genau erkennen konnte, aber sie wusste sofort, dass es nicht Jeremy war. Sie war eine Ewigkeit mit ihm zusammen gewesen und kannte alles an ihm besser als er selbst. Der Schemen war größer und irgendwie... kräftiger... männlicher als Jeremy. Zu ihrem Entsetzen wühlte der Gedanke sie auf und ließ Bilder in ihrem Kopf entstehen. Du bist keine solche Frau! Aber vielleicht war sie es doch? Der mahnende Gedanke fühlte sich schal an; er hatte keine Substanz. Jeremy. Jeremy. Ganz egal, wie oft sie sich den Namen vorsagte spürte sie dennoch eine Anziehung, die von dem Schemen über ihr ausging; von einem Mann, den sie nicht einmal sehen konnte. Du kannst wohl kaum noch tiefer sinken; vernarrt in einen Kerl, der dich aus einem Grab zerrt und den du noch nicht mal richtig erkennen kannst. Immerhin; er hatte ihr das Leben gerettet. Das war nichts was jeden Tag geschah. Das Stockholm-Syndrom. Das ist so etwas wie das Stockholm-Syndrom. Die Erklärung klang gut, aber sie glaubte sie selbst nicht. In Wahrheit unterschied sie offenbar nichts von den anderen Frauen, über die sie nie ein gutes Wort verloren hatte; Frauen die ihre Männer wegen eines schönen Körpers oder Geld betrogen. Und jetzt? Jetzt verfiel sie einem gesichtslosen Schatten, der sie aus einem Sarg holte. Wäre die Situation nicht so absonderlich gewesen, hätte sie vielleicht darüber lachen können. Eine Hand streckte sich ihr entgegen und wartete geduldig darauf ergriffen zu werden. Sie leistete der stummen Aufforderung folge; es gab ohnehin nichts, was sie sonst hätte tun können. Kühle, kräftige Finger schlossen sich um ihre und zogen sie mit erstaunlicher Kraft aus dem Loch, in dem man sie verscharrt hatte. Taumelnd versuchte sie das Gleichgewicht zu halten nachdem die Hand sie losließ. Ihre Augen hatten sich noch immer nicht an die Helligkeit des Mondlichts und einer Handvoll Straßenlaternen gewöhnt und ließen sie nach wie vor nur Formen und grelle Farben erkennen. Der Mann der sie befreit hatte stand vor ihr und schien sie abwartend anzusehen. Soviel zumindest konnte sie erkennen. „Wer...“ sagte sie und wurde von einer sonoren, Stimme, die etwas in ihr in Schwingung versetzte, das sie schon lange vergessen geglaubt hatte. „Ich bin jemand der dir helfen kann.“ Helfen? Wobei helfen? Ihre Verwirrung wuchs. „Ich kann dir helfen dich zurecht zu finden. Vieles wird neu für dich sein“. Wovon spricht der Kerl? Kann er deine Gedanken lesen? Sie blinzelte und versuchte das Gesicht zu erkennen, das zu der Stimme gehörte. Sie wollte sehen, wer der Mann war, der ihr seine Hilfe bei etwas anbot, von dem sie nicht einmal wusste was es war. Tatsächlich gewann der Schemen an Substanz und die Züge eines markanten Gesichts schälten sich aus dem diffusen Nebel aus Formen und Farben. Dunkle, beinahe schwarze Augen, der Schatten eines bläulich schimmernden Bartes und die gebräunte Haut eines Mannes, der aus südlichen Gefilden stammte. Gutaussehend dachte sie zusammenhanglos. Aber da war noch etwas; etwas das sie nicht sehen, aber spüren konnte. Von ihrem Retter ging etwas aus, das sie noch nie so stark bei einem anderen Menschen wahrgenommen hatte; urtümliche Kraft, absolute Selbstsicherheit und eine Aura von Macht. Er war wie einer der jungen Männer aus den Filmen von denen heranwachsende Mädchen in einsamen Nächten träumten; und doch auch ganz anders. „Du wirst es gleich verstehen“ sagte er. Die Stimme schien irgendetwas tief in ihrem Inneren in Gang zu setzen. In ihrem Magen explodierte ein greller Schmerz und in ihren Ohren pochte das Blut, als würde es ihre Adern sprengen wollen. Ihr wurde unerträglich heiß und ein Schwindelgefühl erfasste sie von einem Augenblick auf den anderen. Keuchend sank sie auf die Knie und presste die Stirn gegen die Erde als der Schmerz in ihrem Magen stärker wurde. Noch nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches gespürt. Kreatürliche Angst fegte all ihre Vernunft beiseite. Sie wollte trinken; ihre Zähne in weiches Fleisch... Was zum Teufel ist los mit dir? Sie versuchte den Gedanken festzuhalten, aber er entglitt ihr genauso schnell wie er gekommen war und hinterließ eine irgendwie angenehme Leere; und schrecklichen Durst. Ohne es zu wollen spannte sie alle Muskeln an und warf sich auf ihren Retter. Zumindest wollte sie es. Trotz der erstaunlichen Schnelligkeit mit der sie sich bewegte war sie zu langsam. Der Mann war von einem Augenblick auf den anderen nicht mehr da wo er hätte sein sollen. Sie taumelte noch einige Schritte vorwärts und blieb schließlich verwirrt stehen. Sie begriff nicht, wie es möglich war, dass sie sich so schnell wie eine Figur aus einem Comic bewegen konnte. Noch weniger verstand sie, warum ihr Befreier ihr dennoch mit einer Leichtigkeit hatte ausweichen können, als hätte er es mit einer alten Frau zu tun. „Ich sagte doch, dass ich dir vieles beibringen kann.“ Die Stimme, die so sehr wie die eines gesetzten Professors klang machte sie rasend und ließ den Sinn der Worte verschwimmen. Erneut stürzte sie sich auf ihn und war auch dieses Mal viel zu langsam. Ihr Versagen fachte die Wut in ihrem Inneren nur noch stärker an. Gleichzeitig wurde der Durst größer, der in ihrer Kehle brannte. Ohne es zu bemerken knurrte sie wie ein Raubtier, das einer Bedrohung gegenüber stand. Etwas schloss sich hart wie Klammern aus Stahl um ihre Handgelenke und hielt sie fest. Ihr Befreier stand hinter ihr, wo sie ihn nicht erreichen konnte. Sie versuchte sich herum zu werfen, aber gegen die überlegene Kraft dieses seltsamen Mannes kam sie nicht an. „Ich bin nicht dein Feind. Wenn du aufhörst gegen mich zu kämpfen, dann zeige ich dir, wie du den Durst stillen kannst, der dich quält“ flüsterte er ihr ins Ohr. Als sie versuchte den Kopf zu drehen, um ihn mit ihren Zähnen zu erreichen presste er ihre Handgelenke zusammen, bis ihre Knochen bedenklich knackten. „Lass das lieber sein!“ Seine Stimme klang jetzt schneidend und kalt wie Eis. Sie begriff, dass sie dabei war eine Grenze zu überschreiten, hinter der der Tod lauerte. Das Feuer der Wut wurde schwächer, bis nur noch schwelende Glut zurück blieb. Ihre Gedanken wurden klarer und hörten auf wild durcheinander zu wirbeln. Nur der Durst blieb. Sie spürte wie der Mann in ihrem Rücken ihre Handgelenke los ließ und einen Schritt zurücktrat. Noch einmal spürte sie den übermächtigen Impuls herumzuwirbeln, ihn anzugreifen und ihre Zähne in sein Fleisch zu schlagen das ist krank und das weißt du auch aber sie verzichtete auf einen Versuch, der ohnehin nur scheitern konnte und der sie das Leben kosten konnte in das sie eben erst zurückgefunden hatte. Sie ließ die Schultern hängen und starrte ins Leere. „Was ist mit mir geschehen?“ fragte sie mit kaum hörbarer Stimme. „Komm mit mir und ich zeige es dir.“ Lautlos tauchte er wie hingezaubert neben ihr auf und streckte die Hand aus. Maria ergriff sie und schloss ihre Finger um die seinen. “Du hast schrecklichen Durst” sagte er mit sanfter Stimme. Es klang wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage. Sie wollte antworten, aber sie konnte es nicht. Irgendetwas schnürte ihr die Kehle zu und ihr gesamter Körper schien plötzlich von innen heraus zu verbrennen. Sie versank in wohliger Dunkelheit.


Jeremy

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