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Wie zu erwarten sprechen wir am nächsten Tag in Religion über das Bild „Christus am Kreuz“, das wir gestern schon in der Ausstellung gesehen haben. Herr Jung, der unser Religionslehrer ist, zeigt uns das Bild über Beamer an der Wand. Wir sollen sagen, was wir erkennen und was das wohl alles bedeuten könnte. Die Schüler zählen auf, was mir auch schon aufgefallen ist: Jesus am Kreuz, die drei Männer auf der einen Seite, der nackte Mann auf der anderen Seite, die Monster unter den Füßen von dem Nackten, der Blutstrahl.

Herr Jung erklärt, dass der nackte Mann auf der linken Seite auch Jesus sein soll. Obwohl auf demselben Bild auch Jesus am Kreuz zu sehen ist. Also zweimal Jesus auf einem Bild: einer am Kreuz, wie er stirbt, und einer, der wieder auferstanden ist. „Mit seinem Tod und der Auferstehung hat Jesus ein für alle Mal den Tod besiegt“, erklärt Herr Jung. „Die beiden Gestalten auf dem Boden, die ihr als Monster bezeichnet habt, sollen der Tod und die Sünde sein. Das, was uns von Gott trennt. Unsere Welt, in der wir leben, ist voller Dinge, die uns das Leben schwer machen: Streit, Angst, Hass, Gemeinheiten. Alles das ist mit dem Wort ‚Sünde‘ gemeint. Das trennt uns von Gott. Eigentlich müssten wir Menschen deswegen für immer weit weg von Gott bleiben. Ewiger Tod sozusagen. Das ist schlimm. Gott hat den Menschen im Alten Testament Gesetze gegeben. Darin hat Gott gezeigt, wie er sich wünscht, dass wir miteinander umgehen: Gott lieben und ehren, unsere Mitmenschen lieben und achten. Nicht stehlen, niemanden ermorden, nicht neidisch oder eifersüchtig sein, gut miteinander umgehen. ‚Wenn ihr euch daran haltet‘, hat Gott gesagt, ‚dann geht es euch gut. Dann bin ich bei euch.‘ Weil in uns Menschen aber Streit, Neid, Eifersucht und so weiter ganz tief drin stecken, brechen wir immer und immer wieder die Gesetze von Gott. Niemand kann so leben, wie Gott das eigentlich möchte. Darum müssten alle Menschen eigentlich von Gott bestraft werden. Mit dem ewigen Tod. Aber schon damals hat Gott angekündigt: ‚Eines Tages werde ich die Strafe für die Schuld aller Menschen auf mich nehmen. Dann werde ich allen ihre Schuld vergeben können.‘ Als Jesus auf der Erde gelebt hat, hat einer über ihn gesagt: ‚Schaut her, dieser Mensch wird die Sünden der ganzen Welt tragen.‘ Jesus hat also die Todesstrafe für die Menschen getragen.“

„Ist ja brutal“, kommt es von Tobias. „Jesus hat nichts Böses gemacht und wird trotzdem bestraft.“

„Ja, das ist es auch.“ Herr Jung nickt. „Aber wir müssen uns bewusst machen: Das Böse in dieser Welt ist so schlimm, das muss bestraft werden. Eigentlich ist das ja auch gut so. Denn wir wünschen uns ja auch, dass das Böse bestraft wird. Wenn euch jemand verletzen oder etwas wegnehmen würde, dann fändet ihr es unfair, wenn derjenige keine Strafe bekäme. Richtig? Und so ist es auch bei Gott. Strafe muss sein. So ist es gerecht. Weil Gott uns Menschen aber so sehr liebt, hat er die Strafe nicht uns auferlegt, sondern selbst getragen. Jesus hat einmal gesagt: ‚Der Vater und ich sind eins.‘ Als Jesus gestorben ist, hat Gott also selbst die Strafe getragen. Das Blut von Jesus bezahlt die Schuld für alle Menschen.“

„Ist das das Blut, das da durch die Gegend spritzt?“, fragt Sofie.

„Ja, genau.“ Herr Jung zeigt auf den Blutstrahl. „Seht ihr auch, wohin das Blut spritzt?“

„Ja, auf den Alten in der Mitte von den drei Männern!“, meldet sich Sarah.

„Richtig. Dieser alte Mann ist der Maler selbst. Er hat sich mit in das Bild gemalt und damit deutlich gemacht: Ich habe verstanden, dass das, was Jesus hier getan hat, auch für mich gilt. Jesus ist nicht nur ganz allgemein für alle Menschen gestorben, sondern auch für mich ganz persönlich.“

„Selbst schuld.“ Raul hat seine Arme verschränkt. „Für jemanden zu sterben, der eigentlich bestraft werden müsste, obwohl man selbst nichts gemacht hat. So was würde mir nie einfallen.“

Herr Jung schmunzelt. „Klar. Dir würde das nicht einfallen. Ich glaube, niemand von uns wäre bereit, für einen anderen zu sterben. Außer, man hat denjenigen sehr, sehr, sehr lieb.“

„Für meine Schwester würde ich alles tun!“, ruft Jonathan dazwischen. „Die ist mir das Wichtigste auf der Welt!“

Herr Jung zieht die Augenbrauen hoch. „Auch sterben?“

Jonathan kratzt sich am Kopf. „Das weiß ich nicht. Aber das muss ich ja auch nicht, denn meine Schwester macht ja nie was Böses. Schon gar nichts, wofür einer sterben müsste.“

„Ja, normalerweise muss niemand von uns sein Leben für einen anderen einsetzen. Aber ich glaube, es ist trotzdem deutlich geworden, wie sehr Gott uns liebt. Er ist nicht nur grundsätzlich bereit, alles für uns zu tun. Er hat wirklich alles für uns getan. Er hat sich quälen lassen, damit wir gerettet sind. Das hat der Maler verstanden.“

„Ist das dann die Botschaft der Bibel?“, traue ich mich zu fragen.

„Ja“, antwortet Herr Jung. „Für uns Christen ist das die wichtigste Botschaft der Bibel.“

„Dann kann ich das ja malen!“, sage ich.

„Ja. Wenn du das verstanden hast und es für dich ebenso wichtig ist, dann kannst du genau das malen.“

„Auch wenn es eigentlich nur abgemalt ist?“ Herr Jung lächelt. „Ich glaube nicht, dass es jemand als abgemalt bezeichnen würde, wenn du das darstellst, was auch vielen anderen wichtig geworden ist.“

Na gut, denke ich. Jesus am Kreuz – das krieg ich noch hin.

Beim Mittagessen erzählt mir Lasse, dass Sina, die Schwester von Jonathan, das schönste Bild von der ganzen Welt gemalt hat: „Eine Wiese und darauf tanzen sie und ihr Bruder. Und die Sonne scheint und alles ist wunderschön! Sina hat gesagt, das ist zwar keine Geschichte aus der Bibel, aber in der Bibel wird ja auch vom Himmel erzählt. Und so stellt sich Sina den Himmel vor: dass sie wieder laufen und mit ihrem Bruder spielen kann. Das ist toll, was?“

„Das ist das Bild von Jonathan“, entfährt es mir sofort. „Genau so ein Bild hat Jonathan gestern im Kunstunterricht gemalt.“

„Ja? Meinst du?“ Lasse legt die Stirn in Falten. „Also, ehrlich gesagt, habe ich mich auch ein bisschen gefragt, wie sie das so schön hinbekommen hat. Denn wenn wir Buchstaben schreiben sollen, kann sie den Stift kaum halten. Es gelingt ihr nur, wenn Frau Beckmann, die immer neben ihr sitzt, hilft. Und trotzdem schreibt sie sehr groß und krumm.“

„Klarer Fall: Jonathan hat das Bild gemalt“, sage ich. „Agentenschule, Klasse eins.“

„Dann ist das aber unfair!“, empört sich Lasse.

Ich nicke langsam. „Wenn das wirklich stimmt, finde ich das auch.“

Am nächsten Morgen versuche ich Jonathan noch vor der ersten Stunde zu erwischen. Ich finde ihn, als er gerade vom Lehrerparkplatz kommt. Im Hintergrund sehe ich, wie Herr Hohmann seine Aktentasche aus dem Kofferraum seines Autos holt. Ob Jonathan gerade mit dem Rektor gesprochen hat? Ich spreche ihn sofort an: „Sag mal, kann es sein, dass du deiner Schwester das Bild für den Wettbewerb gemalt hast?“

Jonathan ist bemüht, unschuldig auszusehen, aber sein fettes Grinsen verrät ihn: „Wieso?“

„Weil mein Bruder davon erzählt hat!“

„Dein Bruder? Woher will der denn wissen, ob ich Sinas Bild gemalt habe?“

„Weil er und deine Schwester in dieselbe Klasse gehen! Und er hat gestern erzählt, welches Bild Sina abgegeben hat. Da war mir klar, dass das genau das Bild ist, das du am Dienstag in Kunst gemalt hast!“

„Na und?“ Jonathan geht an mir vorbei und schlendert über den Schulhof in Richtung Eingang. „Ich darf das.“

Ich hole ihn ein und gehe neben ihm her. „Wieso darfst du das?“

„Weil meine Schwester ihre Hände nicht so gut bewegen kann!“

„Deshalb darfst du für sie das Bild malen?“

„Ich habe eben gerade Herrn Hohmann gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn man seinen jüngeren Geschwistern ein bisschen hilft.“

„Und da hat er Ja gesagt?“

„Na ja, zuerst nicht. Aber dann habe ich erzählt, dass meine Schwester Schwierigkeiten mit ihren Händen hat. Und dann hat er mit den Augen gezwinkert und gesagt: ‚Du bist ein guter Bruder. Tu, was du meinst, und wir tun so, als hätte dieses Gespräch niemals stattgefunden.‘“

„Aber das ist ja dann unfair!“, platzt es aus mir heraus.

„Wieso?“, empört sich Jonathan. „Nur, weil ich meiner Schwester helfe?“

„Wenn Sina den Wettbewerb gewinnt, nur weil du ihr geholfen hast, dann hat ja eigentlich nicht sie gewonnen, sondern du!“

Jonathan winkt ab. „Quatsch. Das Bild gewinnt doch sowieso nicht. So toll ist das nun auch wieder nicht.“

„Mein Bruder war total begeistert.“

Jonathan grinst. „Echt?“ Wir sind an der Eingangstür angekommen und bleiben in der Nähe von einem der Sicherheitsmänner stehen. „Vorgestern habe ich Sina mein Bild gezeigt und ihr erzählt, was ich glaube: dass wir beide im Himmel zusammen spielen können, weil sie dann gesund ist. Da hat sie sich so gefreut und hat gesagt, ich soll ihr auch so ein Bild malen. Denn das wäre auch genau das, was sie glauben würde und überhaupt könnte sie ja selbst gar nicht so gut malen und sie könnte mit ihrem Körper ja sowieso nie irgendwo gewinnen und so weiter. Da habe ich ihr das Bild geschenkt.“

„Aber das ist ja dann eigentlich Betrug“, gebe ich zu bedenken.

Einer der Sicherheitsleute dreht sich zu uns um: „Wie bitte?“

Ich hebe kurz meine Hand: „Nichts. Keine Angst. Kein schlimmer Betrug. Nur ein Kinder-Betrug!“

Jonathan packt mich am Ärmel und zieht mich von dem Sicherheitsmann weg. „Deswegen bin ich doch gerade bei Herrn Hohmann gewesen und habe ihn gefragt. Wenn er Nein gesagt hätte, dann hätte ich mir das Bild von Sina zurückgeben lassen.“

„Aber heute ist Abgabetermin. Heute Nachmittag ist die Auswertung, morgen wird der Gewinner bekannt gegeben! Da kannst du dir nichts mehr geben lassen!“

Jonathan grinst breit. „Da kann ich ja froh sein, dass Herr Hohmann ein Auge zugedrückt hat, was?“ Und damit geht er ins Schulgebäude rein und lässt mich auf dem Schulhof zurück.

Ben und Lasse - Agenten außer Rand und Band

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