Читать книгу Ben und Lasse - Agenten sitzen in der Falle - Harry Voß - Страница 6

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Das Dorf, in dem Tante Gertrud gewohnt hat, heißt Fremding. Wir halten an der Hauptstraße vor einem großen Haus, das gar nicht so alt aussieht.

„So, alles aussteigen!“, weist Papa an.

„Das soll ein altes Haus sein, in dem ein Schatz versteckt ist?“, blökt Lasse, während er vom Rücksitz rutscht.

„Nein“, sagt Mama. „Das ist unsere Pension. Hier werden wir schlafen.“

„Schlafen wir gar nicht in dem Haus von der alten Tante?“

„Nein.“ Mama grinst, öffnet den Kofferraum und holt eine Reisetasche heraus. „Wir wissen ja gar nicht, in welchem Zustand das Haus ist. Und da möchte ich, ehrlich gesagt, nicht übernachten.“

„Ich hätte das cool gefunden“, sagt Lasse.

Mama wuschelt Lasse mit der Hand über den Kopf. „Das kann ich mir denken.“

Aus der Pension kommt eine Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren, die an einigen Stellen schon etwas grau sind. Sie ist ungefähr so alt wie Mama und Papa. „Da seid ihr ja endlich“, beginnt sie ohne weitere Begrüßung. „Wir warten schon seit Stunden!“

Papa zieht einen Koffer aus dem Auto und schlägt den Kofferraumdeckel zu. „Wir haben auch eine weitere Anreise als ihr und wir mussten hier und da eine Rast einlegen.“

„Na ja, jetzt seid ihr ja da.“ Sie gibt Opa einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Hallo, Onkel Heinrich. Ich hab schon mit Herrn Dumpferl gesprochen. Der ist jederzeit bereit, uns ins Haus zu lassen. Wir müssen ihm nur Bescheid sagen, wenn wir so weit sind.“

„Dürfen wir vielleicht erst mal ankommen?“, fragt Papa gereizt.

„Na klar. Kommt rein. Ich hab für euch schon mal die Zimmerschlüssel besorgt. Ihr habt Zimmer 14, das ist im oberen Stockwerk. Es ist eigentlich nur ein Doppelzimmer, aber sie haben zwei Kinderbetten reingeschoben.“ Jetzt entdeckt sie mich und kommt auf mich zu. Ich habe gerade meinen Rucksack vom Rücksitz geholt. „Ach du meine Güte, bist du groß geworden. Du bist Benjamin, richtig?“ Sie streckt ihre Hand aus, aber nicht, um mir die Hand zu schütteln, sondern um mir über den Kopf zu wuscheln. Schnell ziehe ich meinen Kopf nach hinten. Ich habe meine Haare lange vor dem Spiegel gestylt. Die darf man nicht zerstrubbeln. Die Frau merkt das und zieht ihre Hand wieder zurück. „Oh, Junge, Junge. Einen eigenen Kopf hast du auch schon, was? Mann, ist das lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. War das auf Onkel Heinrichs 70. Geburtstag? Da warst du doch noch ein ganz kleiner Junge. Dann bist du ja jetzt bestimmt schon neun oder zehn.“

„Ich bin elf.“

„Was? Also, wie die Zeit vergeht!“ Sie dreht sich zur Seite und tätschelt Lasses Wange. „Ach, dann bist du der kleine Lars. Ja?“

„Ich heiße Lasse.“

„Ach, ja, richtig. Lasse. Und wie alt bist du? Nicht dass ich schon wieder daneben liege.“

„Ich bin sechs! Und ich gehe schon in die erste Klasse!“

„Was, du gehst schon zur Schule? Kinder, wie die Zeit vergeht!“ Sie kichert albern. Dann dreht sie sich Mama und Papa zu und gibt ihnen einen unsichtbaren Kuss neben die Wange. „Hallo Jan, hallo Julia. Hattet ihr eine gute Fahrt?“

„Es ging so“, antwortet Mama. Ich sehe ihr an, dass sie jetzt schon von der Frau genervt ist.

„Na ja, kommt erst mal rein. Ich hab mir erlaubt, in eurem Zimmer mal die Fenster aufzureißen. Da hat es ziemlich gestunken.“

„Danke“, knurrt Mama und quetscht sich an der Frau vorbei, die sich im Türrahmen so breitmacht, als wollte sie die Tür bewachen.

Als ich an ihr vorbei will, grinst sie mich an und versucht, mir schon wieder mit der Hand durch die Haare zu fahren. Wieder ziehe ich meinen Kopf zur Seite. „Du weißt ja sicher noch, wer ich bin, oder?“ Sie zieht ihre Augenbrauen hoch, als hätte sie mir eine lustige Quizfrage gestellt.

Nein, ich weiß nicht mehr, wer sie ist. Aber ich habe auch keine Lust auf Ratespiele. Wie ein dummer Schuljunge brumme ich nur: „Ähm, nein …“

„Nicht?“ Sie beugt sich etwas zu mir herab. „Ich bin Nina, die große Cousine von deinem Papa.“ Sie kichert. „Also, eigentlich bin ich nur ein Jahr älter. Aber ich sag immer, ich bin die große Cousine.“

Ich nicke und versuche zu lächeln. Die Frau redet mir etwas zu viel. Endlich gelingt es mir, mich mitsamt meinem Rucksack an ihr vorbeizudrücken und ich gelange in den schmalen Flur dieser Pension. Es riecht nach gekochtem Essen und Schweißfüßen. Am Ende des Flurs kommt eine ältere Frau eine Treppe herunter. Sie ist sehr dünn, hat kurze graue Haare, trägt Wollpullover, Jeanshose und Turnschuhe, als sei sie eine Jugendliche. „Da seid ihr ja endlich“, begrüßt sie Mama und Papa, die gerade die erste Stufe der Treppe genommen haben. „Wir warten schon seit Stunden!“

„Hallo, Tante Margret“, sagt Papa ohne Begeisterung. „Wir hatten Vater im Auto und der musste im Fünf-Minuten-Takt aufs Klo.“

„Ach, mein Bruderherz,“ Margret geht geradewegs auf Opa zu, der noch unten im Flur steht, „ist es noch nicht besser geworden?“ Sofort wendet sie sich mir zu. „Meine Güte, bist du groß geworden. Bist du der kleine Lars? Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch so klein.“ Sie zeigt mit der Hand einen halben Meter über dem Boden an.

„Ich heiße Ben“, sage ich zerknirscht. „Und mein Bruder heißt Lasse.“

„Meine Güte, wie die Zeit vergeht.“ Sie sieht Lasse und schlägt ihre Hände vor der Brust zusammen. „Was, und du bist der kleine Bruder von dem großen Jungen? Warst du nicht erst neulich noch ein Baby?“

„Das ist lange her, dass ich ein Baby war.“ Lasse lässt sich seine gute Laune nicht nehmen. „Jetzt bin ich sechs und schon im ersten Schuljahr.“

Wieder klatscht die alte Dame einmal in die Hände. „Ach, du gehst schon in die Schule?“ Sie dreht sich zu mir um. „Dann gehst du sicher auch schon zur Schule.“

„Ich bin im fünften Schuljahr.“

„Meine Güte, wie die Zeit vergeht! Dann bist du ja schon ein kleiner Teenager!“

„Ich bin elf.“

„Wie unsre Carlotta, was?“

Nina ruft von der Haustür her: „Carlotta ist 13, Mama! Ronja ist elf!“

„Ach, ist ja richtig. Da kommt man auch schon mal durcheinander bei den vielen Enkelkindern.“

Mama und Papa gehen die Treppe nach oben. Ich folge ihnen. Irgendwie sind mir das eindeutig zu viele Leute hier im Flur. Und alle scheinen sich irgendwie zu kennen und miteinander verwandt zu sein. Was wollen die alle hier?

Plötzlich höre ich ein Getrampel und Getöse, als würde oben eine Herde Elefanten über den Flur laufen. Drei Kinder kommen mit lautem Gepolter die Treppe nach unten gerannt. „Da sind sie!“, ruft das eine von ihnen. Sie bleiben vor mir stehen, als erwarteten sie von mir eine Begrüßung. Ich bin aber noch so erschlagen von den vielen Leuten, dass mir die Worte fehlen. Die Erste von den dreien, die direkt vor mir stehen geblieben ist, könnte in meinem Alter sein. Sie hat lange Haare und trägt eine Brille. Das Kind direkt hinter ihr ist etwas jünger. Es hat blonde, kinnlange Haare und auf der einen Seite einen Ohrring. Trotzdem glaube ich, dass es ein Junge ist. Und noch eine Stufe weiter oben steht ein Mädchen, das auf jeden Fall älter ist als ich. Es ist im Gesicht geschminkt und mir fallen sofort die lackierten Fingernägel auf. „Du bist Benjamin!“, plärrt die Erste mich an, als wüsste ich nicht selbst, wie ich heiße.

„Ja.“ Mehr krieg ich nicht raus.

„Dann bist du Lars“, ruft sie Lasse zu.

Lasse scheint das lustig zu finden. Er kichert laut los. „Ich heiße Lasse. Und zu meinem Bruder könnt ihr Ben sagen.“

„Ben!“, sagt die Erste und grinst breit.

„Hallo Ben!“, kommt es von dem Blonden. „Ich bin Finn!“

„Ich bin Ronja!“, teilt die mit, die mir am nächsten steht.

„Und ich bin Carlotta“, haucht die Ältere und klimpert mit den Augen.

„Aha.“ Muss ich mir diese ganzen Namen merken? Die drei werden jetzt nicht die nächsten Tage pausenlos um uns herumspringen, oder?

„Hallo Carlotta!“, höre ich auch schon meinen Bruder von unten. „Wie alt bist du? Du hast dich ja schon im Gesicht angemalt!“

Die zwei Jüngeren auf der Treppe prusten los und spucken sich dabei in die Hände vor Lachen.

„Ich bin 13“, sagt Carlotta. „Und ihr?“ Sie schaut mich an. „Lass mich raten. Du bist zehn.“

„Ich bin elf.“

„Ich auch!“, schreit Ronja, als hätte sie gerade einen Preis gewonnen, und hopst auf der Treppenstufe.

„Ich bin neun“, sagt Finn, „aber im Sommer werde ich zehn.“

„Ich bin sechs“, ergänzt Lasse, „aber nach den Sommerferien werde ich sieben!“

„Sollen wir was spielen?“, fragt Finn fröhlich.

„Au ja!“, ruft Lasse. „Mama, darf ich?“

„Ja“, ruft Mama von oben, „aber bleibt in der Nähe. Wir wollen bestimmt gleich was essen.“

Finn donnert die Treppe nach unten zu Lasse. Ronja hinterher. „Kommst du auch mit, Ben?“

„Ich bringe erst mal meine Sachen ins Zimmer“, murmle ich leise und gehe nach oben.

Carlotta klimpert mit den Augen und stakst mit einem leichten Hüftschwung die Treppe nach unten. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich jetzt schon keine Lust mehr auf dieses Wochenende.

Ben und Lasse - Agenten sitzen in der Falle

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