Читать книгу Ben und Lasse - Agenten sitzen in der Falle - Harry Voß - Страница 7
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Nach dem Abendessen gehen wir alle miteinander zu dem Haus der verstorbenen Tante Gertrud. Es befindet sich im selben Dorf, in dem auch unsere Pension ist. Aber wir müssen mindestens eine Viertelstunde laufen. „Laufen tut uns allen gut“, hat Nina beschlossen, und keiner hat ihr widersprochen.
Opa und Margret, die alte Frau mit der Jeanshose, gehen mit Nina voraus. Dahinter Mama und Papa, dann Lasse und ich und dahinter Carlotta, Ronja und Finn, die sich unentwegt in die Seite stoßen und sich beschimpfen, wer hier wen vom Gehweg schubst oder wem mit den Schuhen in die Hacken läuft oder aus anderen Gründen einfach doof ist.
Inzwischen habe ich die verwandtschaftlichen Zusammenhänge so halbwegs verstanden. Margret ist die Schwester von Opa Heinrich. Die Mutter von den beiden war die Schwester von der verstorbenen Hausbesitzerin Gertrud Ohl. Also war Gertrud Ohl die Tante von Opa und Margret. Nina ist die Tochter von Margret. Carlotta, Ronja und Finn sind die Kinder von Nina und damit die Enkel von Margret.
„Haben Hubert und Gertrud eigentlich ein Testament gemacht?“, höre ich Margret an Opa gerichtet fragen.
„Das werden wir ja gleich erfahren“, gibt der kurz angebunden zurück.
„Mama, was ist ein Testament?“, fragt Lasse, drängt sich dabei zwischen Mama und Papa und nimmt Mamas Hand.
Mama überlegt kurz, dann erklärt sie: „Also. Wenn jemand stirbt, dann gibt es Gesetze, die festlegen, wer all das bekommt, was der Verstorbene besessen hat. Wenn einer verheiratet war und Kinder hatte, geht der ganze Besitz an den Ehepartner und die Kinder über. Man nennt das ‚erben‘. Die Kinder und die Ehefrau erben den Besitz, wenn der Vater stirbt. Wenn es keine Kinder und keinen Ehepartner gibt, erben die Eltern oder Geschwister des Toten. Wenn die nicht mehr leben, wie hier bei Frau Ohl, dann erben die nächsten Verwandten. Das sind in diesem Fall die Kinder der Schwester. Also Opa und Tante Margret. Sie bekommen zu gleichen Teilen das Geld, das Haus und was immer die Verstorbene besessen hat.“
„Aha“, quakt Lasse, als hätte er das kapiert. Ich wette, der hat kein Wort verstanden. Das klingt ja selbst für jemanden wie mich ziemlich kompliziert.
Mama fährt fort: „Wenn aber jemand möchte, dass sein Besitz anders verteilt wird, als es im Gesetz geregelt ist, dann verfasst er ein ‚Testament‘. Das bedeutet, er schreibt genau auf, wer nach seinem Tod was bekommen soll. Da steht dann zum Beispiel: ‚Mein Haus vererbe ich meinen Kindern, das Auto bekommt der Onkel, das Geld soll unter meinen Nichten und Neffen aufgeteilt werden.‘ Und so weiter. Oder er legt fest, dass bestimmte Leute nichts bekommen sollen, die normalerweise etwas erben würden. Zum Beispiel: ‚Ich bestimme, dass mein ungezogener Sohn nichts erbt. Dafür soll meine Cousine das wertvolle Geschirr aus dem Wohnzimmerschrank bekommen.‘ Das alles steht in dem sogenannten ‚Testament‘. Wenn es kein Testament gibt, dann wird der Besitz so aufgeteilt, wie ich es eben aufgezählt habe. So ist es im Gesetz festgelegt.“
„Und wer erbt meinen Besitz, wenn ich mal gestorben bin?“, bohrt Lasse weiter.
„Deinen?“ Mama lacht. „Welchen Besitz meinst du denn?“
„Meine Holzeisenbahn zum Beispiel. Oder die Playmobil-Sammlung.“
Mama schmunzelt vergnügt. „Solange du noch nicht verheiratet bist und keine Kinder hast, erben wir Eltern deine Holzeisenbahn.“
Lasse kichert. „Was wollt ihr denn damit anfangen? Die soll lieber Ben bekommen!“
„Dann solltest du mal ein Testament schreiben und das festlegen.“
„Das mach ich auch!“ Lasse wendet sich an Papa: „Papa, hast du ein Testament geschrieben?“
„Nein.“ Papa schaut Mama an. „Aber das sollten wir unbedingt mal tun. Man weiß ja nie, wie schnell einem etwas zustößt.“
„Erbe ich dann deine Polizei-Uniform?“
Papa lacht. „Die gehört mir ja nicht. Die muss ich wieder abgeben, wenn ich kein Polizist mehr bin.“
„Und du, Opa?“ Lasse tippt von hinten Opa an, der direkt vor ihm hergeht. „Hast du ein Testament geschrieben?“
„Ja, das habe ich.“
„Und was steht da drin? Bekomme ich auch etwas?“
Opa dreht sich kurz zu Lasse nach hinten und macht ein wichtiges Gesicht. „Das Testament ist geheim. Es wird erst verlesen, wenn ich gestorben bin.“
„Wann stirbst du?“
Mama drückt Lasses Hand fester und schaut ihn streng an. „Lasse, bitte! Willst du etwa, dass Opa stirbt?“
„Nein, natürlich nicht. Aber ich will wissen, was in seinem Testament steht!“
Margret, die neben Opa geht, blinzelt ihn an: „Ja, das will ich auch wissen. Da gäbe es so einiges, von dem ich hoffe, dass du an mich gedacht hast.“
„So weit kommt es noch“, beschwert sich Opa, „dass ich hier auf offener Straße erzähle, wer von euch was bekommt!“ Er macht eine Kopfbewegung auf Margret zu. „Wenn ich mal unter der Erde bin, dann könnt ihr euch ohne mich um meinen Besitz streiten.“
Margret zieht eine Schnute, als sei sie beleidigt, aber sie grinst dabei. „Ach, Heinrich, wir streiten doch nicht.“
Lasse hört schon nicht mehr zu, sondern geht jetzt wieder neben mir. „Ich vererbe dir meine Eisenbahn. Ja? Aber du musst gut darauf aufpassen. Und meinen Agenten-Geheim-Block, den ich mir ganz neu gekauft habe. Und meine Biene-Maja-DVD-Box.“
„Deine Biene-Maja-DVDs kannst du behalten“, kommt es spontan von mir zurück.
„Wenn ich gestorben bin, dann brauche ich sie ja nicht mehr.“
„Du spinnst ja wohl!“ Ich schüttle den Kopf über diese verrückten Gedanken von meinem Bruder. „Wann hattest du denn vor zu sterben?“
„Das weiß ich nicht. Aber man kann ja nie wissen. Vielleicht werde ich mal bei einem unserer Agentenfälle von einem Verbrecher ermordet!“
„Du spinnst echt! Du stirbst nicht! Und damit Schluss!“ Ich habe wirklich keine Lust, mir jetzt schon auszumalen, wie das wäre, wenn Lasse einmal stirbt. Lasse soll nicht sterben. Und er soll auch nicht darüber reden. Ich merke, wie allein der Gedanke daran mir einen Stich in den Bauch versetzt. Genau genommen soll niemand von denen, die ich liebe, sterben. Auch Oma und Opa nicht. Ich weiß noch, wie vor ein paar Jahren Oma Mechthild gestorben ist, die Mama von Mama. Das war furchtbar. Mama hat tagelang nur geheult. Und ich war auch völlig fertig. So was brauche ich nicht noch mal.