Читать книгу Ben und Lasse - Agenten sitzen in der Falle - Harry Voß - Страница 8
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„Wir sind da“, sagt Nina endlich und zeigt nach vorne.
Das Haus, auf das wir zugehen, liegt hinter einem gepflasterten Hof und einem winzigen Vorgarten beinahe direkt an der Straße. Es ist alt, groß, weiß verputzt und hat von außen gesehen mindestens zwei Stockwerke. Einige große Dachfenster lassen darauf schließen, dass auch der Dachboden weitere ausgebaute Zimmer hat. Seitlich vom Haus ist ein Garten zu sehen, in dem verschiedene Gemüsesorten wachsen. Außerdem eine große Wiese mit zwei Obstbäumen, die sich bis weit hinter das Haus erstreckt. Der Rand der Wiese zur Straße und zu den Nachbarn hin ist mit Sträuchern und Büschen bepflanzt. Auf dem Hof vor dem Haus könnten mindestens zwei Autos nebeneinander parken. Im Moment steht aber nur eins darauf. Ein dicker silberner VW Geländewagen, dessen Fahrertür sich sofort öffnet, als wir den Hof betreten. Ein Mann um die 50 steigt aus. Er hat kurz geschorene Haare, einen langen braunen Bart wie ein Wikinger und trägt eine braune Lederjacke mit einem Pelzkragen.
„Guten Abend“, beginnt er sofort, „mein Name ist Josef Dumpferl. Ich bin der Hausverwalter.“ Er gibt einem nach dem anderen die Hand, auch uns Kindern. „Schön, dass Sie es sich einrichten konnten zu kommen. Das Haus ist in einem guten Zustand. Aber wie Sie sich denken können, hat sich bei Menschen in einem gewissen Alter eine Menge Zeug angesammelt. Das müsste mal geordnet und sortiert werden. Einige Möbel könnten sich beim Verkauf als sehr wertvoll herausstellen. Aber das können Sie sich ja in Ruhe anschauen.“
„Gibt es denn ein Testament?“, fragt Margret geradewegs heraus.
„Bei den Ämtern ist nichts hinterlegt“, antwortet Herr Dumpferl. „Aber es würde mich nicht wundern, wenn Herr Ohl noch zu Lebzeiten eins verfasst hätte. Wenn, dann müsste es irgendwo im Haus zu finden sein. Aber Sie werden verstehen, dass ich es nicht gewagt habe, in den privaten Unterlagen von Herrn und Frau Ohl zu wühlen. Das überlasse ich Ihnen als den nächsten Angehörigen.“
Er holt einen Schlüsselbund aus seiner Tasche und geht die wenigen Stufen zur Haustür nach oben.
Wir anderen folgen ihm.
Die Haustür führt zunächst in einen winzigen Vorraum, der offensichtlich nachträglich an das Haus angebaut wurde. Durch eine weitere Tür kommt man in den eigentlichen Hausflur. Er ist groß. Drei Türen gehen in weitere Zimmer ab. Direkt links neben der Flurtür führt eine riesige Marmortreppe in den ersten Stock. An der Wand hängt etwas wie ein Bild, das aber mit einem Tuch zugehängt ist. Daneben ein großes Holzkreuz. Auf einem kleinen Schränkchen stehen mehrere abgebrannte Kerzen. Es riecht nach blank geputztem Holzboden und alten Möbeln, aber auch nach Kerzenqualm und irgendwie merkwürdig, wie nach verbrannten Kräutern. Nina hebt vorsichtig den Stoff über dem Bild an der Wand hoch. Ich kann erkennen, dass darunter ein Spiegel hängt.
Herr Dumpferl betritt durch die Tür auf der rechten Seite den ersten Raum. Alle gehen ihm hinterher und befinden sich in einem großen Wohnzimmer. Mir fallen sofort die vielen Kerzen auf, die auch hier überall herumstehen: auf den Tischen, auf kleinen Regalen, sogar auf dem Kaminsims. Die meisten sind bis fast nach unten abgebrannt. Einige stecken in alten Kerzenleuchtern, die irgendwie unheimlich wirken. Neben ein paar alten Fotos hängen gleich mehrere schwarze Kreuze an den Wänden.
„Die gute Stube“, nennt Herr Dumpferl das und zeigt mit der offenen Hand durch den Raum.
Alle nicken. Margret fährt mit dem Zeigefinger über eine Nische im Wohnzimmerschrank und schaut sich anschließend ihren Finger an, ob er staubig geworden ist. Dann nickt sie noch mal. „Schön.“
Herr Dumpferl drängt sich an der Besichtigungsgesellschaft vorbei zur Tür heraus, geht durch den Flur in das nächste Zimmer, das genau gegenüber vom Eingang liegt. Wieder latschen ihm alle hinterher. Jetzt sind wir eindeutig in der Küche. Kühlschrank, Herd, Spüle, Hängeschränke – alles wie in einer normalen Küche, nur eben sehr alt. Auf der langen, dunklen Arbeitsfläche neben dem Kühlschrank stapeln sich alte Zeitschriften und Kataloge, Tablettenschachteln, Backbücher, einzelne Zettel, Fotos, Blöcke, Stifte, leere Obstschalen, jede Menge Kleinkram und wieder: Kerzen, Kerzenleuchter, Kerzenschalen. An den Wänden: Kreuze. Über der Eckbank hängt das Farbfoto von einem alten Mann in einer Uniform.
„Die Küche“, fasst Herr Dumpferl das alles zusammen. „Bis vor einem Jahr hat Gertrud, also Frau Ohl, hier noch selbst gekocht.“ Wieder nicken alle. Aber keiner sagt: „Schön.“ Mama pustet sich die Haare aus der Stirn und schaut Papa kritisch an.
„Ich finde das unheimlich hier“, flüstert Ronja ihrer Mutter zu.
Nina sieht sie nur streng an und zischt: „Sei still.“
Herr Dumpferl verlässt die Küche und beginnt die Treppe nach oben zu gehen.
„Was ist das für ein Zimmer?“, fragt Margret und zeigt auf die dritte Tür, die neben der Marmortreppe.
„Da geht es in den Keller“, antwortet Herr Dumpferl.
Margret zieht an dem Türgriff. Die Tür geht nicht auf.
„Man muss feste ziehen“, sagt Herr Dumpferl.
Margret zieht kräftiger. Nichts passiert.
Papa geht zu ihr und rüttelt mit beiden Händen am Türgriff. „Die ist abgeschlossen.“
„Kann sein“, sagt Herr Dumpferl. „Aber da ist wirklich nichts Interessantes.“
„Gibt es keinen Schlüssel?“ fragt Margret.
„Doch. Bestimmt. Aber ich hab keinen.“ Damit geht er weiter nach oben.
Wieder schaut Mama Papa an, diesmal rollt sie mit den Augen. „Na, super“, stöhnt sie leise. „Das kann ja heiter werden.“
Alle folgen Herrn Dumpferl die Treppe nach oben. Auch hier wieder drei Türen. Er geht zur ersten, direkt links neben der Treppe, hinein. „Das Arbeitszimmer“, stellt er vor. Ein großer, schwarzer Schreibtisch aus Eichenholz, ein Schreibtischsessel. Über dem Schreibtisch ein Schwarz-Weiß-Foto von einem Soldaten. Daneben ein Kreuz, das so geschnitzt ist, als rankten sich zwei Schlangen drum herum. Ansonsten alle Wände voller Regale. Und die wiederum quellen über von Akten, Ordnern, Papieren, Büchern, aber auch Kerzen und Kerzenleuchtern. Auf dem Schreibtisch türmen sich Papiere, sodass ich befürchte, dass sie bei der kleinsten Berührung umkippen.
Nina schüttelt den Kopf. „Meine Güte.“ Dann an Papa gerichtet: „Da wissen wir ja, was wir in den nächsten Tagen zu tun haben.“
Papa fährt sich mit beiden Händen durch die Haare und seufzt. Mama bleibt an der Tür stehen und wirft nur einen kurzen Blick hinein. „Na, herzlichen Glückwunsch“, stöhnt sie.
„Die haben aber viele Kerzen“, bemerkt Ronja trocken. Keiner geht auf diese Feststellung ein.
„Herr Ohl ist seit 20 Jahren tot“, versucht Herr Dumpferl beim Rausgehen das Chaos zu erklären. Dann geht er in das Zimmer rechts daneben. „Das Schlafzimmer.“ Ein Ehebett mit einer vornehmen, verschnörkelten Holzumrandung, ein Schrank, eine Wäschetruhe, zwei Nachttische, auch wieder mit abgebrannten Kerzen.
Margret geht auf den Kleiderschrank zu und öffnet ihn. Sie schnuppert kurz hinein, wedelt sich anschließend mit der Hand vor der Nase und schließt schnell wieder die Tür. Dabei stellt sie fest, dass die Vorderseite der Schranktür total verkratzt ist. „Was ist da passiert?“, fragt sie.
„Da war mal ein Spiegel“, antwortet Herr Dumpferl. „Der wurde entfernt.“
„Warum?“
„Auf Wunsch von Herrn Ohl.“
Margret und Nina schauen sich an und runzeln die Stirn. Irgendwas stimmt in diesem Haus nicht. Mir wird jetzt schon kalt.