Читать книгу Ben und Lasse - Der Rucksack mit dem Diebesgut - Harry Voß - Страница 5
Оглавление[no image in epub file]
1. Dezember
Hätte ich mich doch bloß nicht darauf eingelassen! Warum habe ich das nur getan? Ich hasse es, irgendwo vorne zu stehen und vor allen Leuten etwas sagen zu müssen. Erst recht, wenn man dazu furchtbar peinliche Kostüme tragen muss wie in einem Krippenspiel! Ich wollte wirklich nicht mitmachen. Ich bin kein Schauspieler und ich werde auch nie einer werden. Was ich bin und was ich einmal sein werde, das ist mir völlig klar: Ich bin Agent! Ich bin Agent Benjamin Baumann, elf Jahre alt. Wenn ich erwachsen bin, werde ich Polizist. Wie mein Vater. Der ist auch Polizist und sorgt in unserer Stadt für Recht und Ordnung. Na gut, meistens füllt er irgendwelche Formulare aus oder kontrolliert die Autofahrer, ob sie zu schnell gefahren sind oder Alkohol getrunken haben. Aber wenn ich mal Polizist bin, dann werde ich die Zeit damit verbringen, alle Verbrecher unserer Stadt aufzuspüren, gefangen zu nehmen und ins Gefängnis zu bringen.
Und weil sich Agenten immer unauffällig verhalten müssen, passt es zu ihnen überhaupt nicht, wenn sie vor einer Menschenmasse stehen und so etwas sagen wie: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und das Kind anschauen, wie uns der Engel gesagt hat!“
Moni, die Leiterin in unserem Kindergottesdienst, hat jedoch zu wenig Mitspieler für das Krippenspiel gefunden, das an Heiligabend im Gottesdienst unserer Gemeinde aufgeführt werden soll. Darum hat sie jedes einzelne von uns Kindern mehrfach gefragt, ob wir nicht doch mitmachen möchten. Na ja, und so habe ich eben zugesagt, auch mitzuspielen, obwohl das überhaupt nicht mein Ding ist. Sogar mein kleiner Bruder Lasse spielt mit, obwohl er erst sechs Jahre alt ist. Er spielt einen der Weisen aus dem Osten, die dem Stern bis zur Krippe folgen. Kathi ist der andere Weise. Es gibt in unserem Stück nur zwei Weisen, obwohl sie auf den Bildern immer zu dritt dargestellt sind. Mit Krone und Umhang. Eigentlich kenne ich sie sogar als die „Heiligen drei Könige“. Aber Moni hat uns erklärt, in dem Bericht der Bibel steht nichts davon, dass es Könige waren. Es waren Sterndeuter, die am Himmel einen besonderen Stern gesehen und daraus gedeutet hatten, dass irgendwo ein großer König geboren worden wäre. Sie folgten dem Stern und landeten dadurch bei Jesus. Auch die Anzahl der Weisen steht nicht in der Bibel, hat Moni gesagt. Weil sie aber drei Geschenke dabei hatten, Gold, Weihrauch und Myrrhe, ist man später von drei Personen ausgegangen. Und weil es so besondere und königliche Geschenke waren, nahm man schon recht bald an, dass die Männer aus dem Osten Könige sein mussten. Darum tragen auch in unserem Stück die Weisen eine Krone und einen Königsumhang.
Dass es bei uns nur zwei Weise gibt, liegt hauptsächlich daran, weil wir zu wenig Darsteller haben. Kathi bringt Gold und Myrrhe zur Krippe, Lasse den Weihrauch. Obendrein trägt Lasse den Stern an einem großen Stab vor sich her. Wenn Kathi im Laufe des Stücks also sagt: „Oh, sieh mal, ein Stern! Lass uns ihm folgen!“, dann laufen sie ihrem eigenen Stern hinterher, den Lasse am ausgestreckten Arm vor sich her trägt. Das sieht schon sehr albern aus, finde ich. Aber Lasse spielt das mit solch einer Ernsthaftigkeit, dass ich ihm niemals sagen werde, wie das auf mich wirkt.
Mir hat Moni die Rolle des Hirten zugeteilt. Der muss zum Glück nicht so viel sagen. Und er ist auch nicht von Anfang an dabei. Aber immerhin: Ich trage ein Schaffell als Weste und binde es mit einem Seil als Gürtel fest. Das sieht recht peinlich aus. Aber die anderen sehen auch nicht besser aus. Besonders die Engel mit ihren weißen Kleidchen … na ja.
Der einzige Text, den Lasse als Weiser zu sagen hat, ist: „Und ich bringe dir Weihrauch.“ Und dann legt er ein Döschen neben die Krippe, in dem der Weihrauch sein soll.
„Was ist eigentlich Weihrauch?“, hat Lasse einmal beim Proben gefragt.
„Weihrauch ist das Harz aus einem besonderen Baum“, hat Moni geantwortet. „Wenn man das verbrennt, entsteht ein ganz edler Duft. Den haben Menschen zu aller Zeit als etwas Göttliches verstanden. Wer Weihrauch anzündete, zeigte damit: Hier ist Gott. Als die Weisen Jesus Weihrauch mitgebracht haben, haben sie verdeutlicht: Hier ist Gott. In Jesus ist Gott da.“
Grundsätzlich glaube ich das ja auch. Aber ich glaube, Gott ist auch hier, wenn wir uns nicht in Felle, Kleidchen und Decken hüllen, um uns vor anderen zu blamieren. Aber der Einfall, den Moni dann plötzlich noch hatte, hat mich wirklich komplett geschockt. Hätte ich mich doch bloß niemals darauf eingelassen!