Читать книгу SF-Abenteuer Paket Februar 2019: Fremde Erden - Harvey Patton - Страница 28

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Ich komme zu mir und sehe in das wunderschöne Gesicht meiner Androidenpartnerin vor mir.

„Hey Süßer, hast du gut geschlafen?“, fragt V3-RA.

„Geht so“, erwidere ich.

„Wie geht es dir?“, frage ich.

Sie zuckt die Schultern. „Wie soll es mir schon gehen?“, fragt sie. „Ich bin nicht verletzt und ansonsten ist das Ganze hier ein Desaster. Das Schiff ist Schrott – ich meine wirklich Schrott. Das kann ich ohne eine Werft und einen Schrottplatz in der Nähe nicht mal mit sehr viel Geld und Zeit reparieren. Die Schäden sind rundherum vernichtend.“

„Aber wir haben noch die Fracht?“, frage ich und versuche mich aufzurichten. Ich spüre ein Pochen in der Stirn und stelle fest, dass ich einen ganz schönen Bluterguss dort habe.

„Sowohl die Blonde als auch ihre Fracht sind noch in Ordnung.“ Sie klingt etwas unzufrieden dabei, allerdings vermute ich, dass es mehr mit Sophitia als den Waffen zu tun hat. In diesem Augenblick betritt Sophitia den Raum. Sie hat ein paar verbundene Stellen am Arm.

„Wir müssen weiter“, sagt sie.

„Wieso?“, frage ich. „Glaubst du, sie werden uns hier erwarten?“

Sie schüttelt den Kopf. „Nein, du hast beim Absturz so viel aufgewirbelt, dass eine Schicht Sand auf dem Schiff liegt. Wir sind optisch somit erst mal von oben nicht gut zu erkennen und was Strahlung angeht, die man orten könnte ... nun dieses Schiff hat keine Energiesignatur mehr. Aber die Waffen sind nun hier. Ihr habt die Bezahlung in Aussicht, mit der ihr euch ein neues Schiff kaufen könnt. Wir lassen die Waffen hier und holen sie später“, sagt sie entschieden. „Nachdem wir Kontakt zu unserem Auftraggeber für die Rebellen aufgenommen haben.“

Ich stehe auf und fühle mich etwas wackelig auf den Beinen. Dennoch nicke ich.

„Von mir aus“, sage ich. „Allerdings erhöht sich der Preis noch einmal gemessen daran, dass ich dieses Schiff hier wohl nicht werde reparieren lassen können.“

Sophitia hebt fragend die Augenbrauen. „Wieso nicht? Wenn die ihre Revolution gewinnen, wirst du anschließend das Wrack bergen dürfen. Das heißt, du kannst dieses Schiff komplett von Grund auf renovieren lassen.“

„Wenn sie gewinnen ...“ Ich werfe ihr einen skeptischen Blick zu, sage aber nichts weiter dazu.

Vera sagt, dass ich mich nicht ernsthaft verletzt habe. Sie reicht mir mein Holster und meine Waffe darin. Wieso sie mir das Holster zwischenzeitlich abgeschnallt hat, weiß ich nicht. Bewaffnet fühle ich mich auf jeden Fall etwas besser. Ich hole aus meinem Quartier einen breitkrempigen Hut und eine Art Poncho, den ich über meine Kleidung werfe. So gegen die Sonne gerüstet, verlasse ich mit Vera und Sophitia das Raumschiff.

Sophitia holt ein kleines Gerät heraus, das sie zur Peilung unserer Position benutzt. Als sie meinen fragenden Blick sieht, erklärt sie: „Der wurde mir ausgehändigt von Otok. Das ist unser Kontaktmann. Er spricht für die Rebellen und trägt einen Peilsender bei sich, sodass wir ihn nach unserer Ankunft finden werden.“

„Ist das nicht sehr gefährlich?“, frage ich.

Sie nickt. „Hier ist das Risiko sehr wohl klar. Doch wenn wir geschnappt würden und jemand anderes ihn mit dem Peilsender findet, dann wird es nur sein Leben kosten und nicht das der ganzen Rebellenorganisation. Er ist jemand, der möglichst versucht, alle Fäden bei so wenig Leuten wie möglich zu lassen. Das macht diese Rebellion so effizient.“

„Also gut“, sage ich und wir verlassen das Schiff. Wir haben einen kleinen Gleiter zum Verladen von Fracht an Bord, doch Sophitia ist dagegen, dass wir ihn nehmen. Einerseits müssen wir befürchten, dass noch nach uns gesucht wird und man uns orten kann. Andererseits meint Sophitia, wäre er nicht gut zu lagern dort, wo wir hinwollen. Mit einem Rucksack voll Proviant auf dem Rücken marschieren wir drei in die Wüste hinaus. Sophitia führt uns an. Sie allein weiß, auf welcher Frequenz der Peilsender sendet. Ich bin nicht glücklich über diese Situation. Normalerweise habe ich mein Schiff gerne startbereit als Rückendeckung.

Die Sonne brennt unnachgiebig und schon nach wenigen Schritten fühlt sich mein Mund ausgedörrt an. Die Luft ist trocken, was die Hitze etwas erträglicher macht. V3-RA hat keinerlei Schwierigkeiten, zumindest noch nicht. Wie sehr ihr System damit zu kämpfen haben wird, hier eine gute Betriebstemperatur aufrechtzuerhalten, wird sich zeigen.

Letztlich hat sie auch eine Form von Stoffwechsel, der einem nicht so fremd ist, wie man vielleicht denkt. Denn auch ihre Rechenprozesse erzeugen Wärme und die muss irgendwie aus dem Körper rausgeleitet werden. Ich schwitze, um nicht zu überhitzen. Andere Spezies hecheln, um kalten Sauerstoff in den Körper zu bekommen und auch sie hat einen Kreislauf aus Kühlflüssigkeit im Körper.

Gewisse Dinge scheinen alle Lebewesen zu teilen, selbst die mechanischen.

Wir marschieren einen halben Tag lang und legen immer wieder Pausen ein. So langsam sitzt mir der Sand in jeder Hautfalte. Die Luft ist flirrend heiß. Wir erreichen ein Felsplateau, das sich gewaltig vor uns erhebt und hunderte Schritte steil in den Himmel ragt.

Ich befürchte schon, das wir dort hinauf müssen, als Sophitia sagt: „Wir sind da.“

Ich tausche irritierte Blicke mit V3-RA.

„Wir sind wo?“, frage ich und schaue nach links und rechts. Nirgends ist eine Spur von Zivilisation zu erkennen, geschweige denn von Leben.

Sie lächelt verschmitzt.

„Hier ist der Eingang zu einer Stadt. Wenn sie fragen, wo wir herkommen, sagt, aus dem Süden. Dort sind mehr Sklaven. Die Syndikatsleute brachten immer wieder Sklaven mit. Dort ist man den Anblick Fremder gewohnt“, sagt sie und marschiert direkt auf die Felswand zu.

Wir folgen ihr und ich sehe verdutzt, wie sie durch die Felswand tritt. Die holographische Projektion war perfekt. Erst als sie hindurchtritt, erkenne ich die feinen Bewegungen, als das Bild kurz flackert. Ich bin zugegeben beeindruckt. Jemand hat sich diesen geheimen Eingang in die Stadt etwas kosten lassen.

„Nach dir, meine Liebe“, sage ich und Vera zwinkert mir zu, während sie hindurchtritt.

„Angsthase“, sagt sie dabei mit einem charmanten Lächeln. Ich trete hindurch und spüre nichts von der Projektion, als ich durch sie hindurchschreite.

„Was soll denn das?“, frage ich Vera. „Da ist man einmal höflich entgegen seiner Natur und dann sagst du sowas.“

„Das Leben ist hart und ungerecht“, stimmt sie mir immer noch lächelnd zu.

„Und zu kurz ist es auch“, erwidere ich.

Das trifft nur auf mich zu. V3-RA wird mich aufgrund ihrer Androidenhülle natürlich lange überleben. Der Gedanke sticht ein wenig in meiner Magengegend, doch ich ignoriere ihn. Wir haben hier einen Auftrag zu erledigen.

Hinter der holografischen Projektion liegt ein gigantischer Tunnel, mehr als dreimal so hoch, wie ich groß bin. Er führt langsam sanft hinab in die Dunkelheit und verliert sich dort. In einigen hundert Schritten Entfernung sind immer wieder Leuchtelemente an der Wand angebracht, kleine fluoreszierende Kästchen, mit denen jemand den Weg markiert hat. Sie leuchten immer auf, wenn der Lichtkegel meiner Handlampe darüber geht.

„Gehen wir“, sagt Sophitia und marschiert weiter.

Wir folgen ihr durch das Halbdunkel. Mit jedem Schritt verbessert sich meine Sicht. Nach der grellen Sonne dort draußen muss ich mich erst einmal wieder an diese Finsternis gewöhnen. Bald kann ich einigermaßen gut sehen und erkennen, dass der Tunnel eindeutig geschaffen wurde und nicht natürlichen geologischen Ursprungs ist.

„Hat der Widerstand diesen Tunnel angelegt?“, frage ich. Ich glaube es fast nicht, denn er ist dermaßen groß, dass es unsinnig ist. Natürlich könnte man schweres Kriegsgerät durch ihn transportieren wollen, aber je nachdem, wo er endet, ist das nicht nützlich.

Sophitia gibt mir recht. „Nein, das war ein einheimisches Wesen. Als ‚Felsenbeißer‘ würde man in der Allgemeinsprache, glaube ich, den Namen übersetzen.“

„Was? Ein Tier hat das hier gefressen?“

„Eher eine Rotte. Sie legen überall Tunnelnetzwerke an. Allerdings hat der Widerstand ein wenig nachgeholfen, dass der Tunnel so läuft, wie sie es wollten. Die Felsenbeißer ernähren sich von den Metallen im Fels, auch wenn es nur wenig ist.“

Schweigend marschieren wir weiter. Nach einigen Stunden endlich ist im wahrsten Sinne des Wortes Licht am Ende des Tunnels zu erkennen.

Vor uns liegt eine ovale Höhle, in der allerlei Ausrüstung steht. Manches wurde ausgeschlachtet und ist mehr ein technisches Gerippe als noch wirklich in seiner Funktion erkennbar.

„Hier sind wir“, sagt Sophitia und geht zu einer schweren metallenen Tür, die in die Wand eingelassen ist. Sie klopft mehrmals und ein Segment der Tür öffnet sich. Ein Kameraauge mustert sie.

„Sophitia mit den Schmugglern. Wir haben die Waffen in der Wüste versteckt. Ich bürge für die beiden. Es läuft alles nach Plan.“

„Nichts läuft nach Plan“, erwidert eine Stimme, die aus den Lautsprechern in der Tür scheppert. Dann schwingt die Tür auf und ein Humanoider ist zu erkennen.

„Illu, meine Liebe“, sagt Sophitia und verneigt sich leicht. „Wo ist Otok?“

„Er ist ... es ist furchtbar. Kommt rein.“

Wir folgen der als Illu angesprochenen Frau. Sie erinnert mich an einen Menschen. Ihre Haut hat ein dunkles Blau, viel dunkler als meine Haut. Sie ist kleiner als ich, was nicht ungewöhnlich ist. Wenige Menschenspezies sind so groß wie ein Belkarianer. Sie entspricht eher den gewöhnlichen Proportionen von V3-RA. Illu trägt eine dunklen Overall. Vor ihrem Gesicht trägt sie eine Atemmaske.

Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, dass sie ein ziemlich markantes Gesicht mit einer hohen Stirn hat. Ihr Haar ist in neun kunstvolle Zöpfe geflochten, die alle mit einem schwarzen Steinring zusammengehalten werden.

„Ihr müsst durstig sein“, sagt sie. Ihre Stimme klingt dumpf durch die Maske.

„Sehr“, sage ich und Sophitia wirft mir einen Blick zu, den ich ignoriere.

„Amilas, hol unseren Gästen Wasser“, sagt Illu scharf und ein junger Mann mit der gleichen Frisur wie sie erscheint im Türrahmen, nickt uns zu und verschwindet. Ich bin zugegeben nicht sicher, dass es ein Junge war. Vielleicht ist Amilas auch eine Frau? Jedenfalls ist Amilas kleiner als Illu, trägt aber ebenfalls einen dunklen Overall und eine Maske vor dem Gesicht.

„Wieso die Maske?“, frage ich Sophitia. Sie rollt mit den Augen.

„Wieso wohl? Weil sie sonst mit dem Ausatmen Wasser vergeuden. So wird die Luftfeuchtigkeit, die sie ausatmen, wieder gesammelt. Glaub mir, du willst nicht wissen, wie viel von dem Wasser, das du gleich bekommst, recycelt ist und zu welchem Grad. Guten Durst“, sagt sie und sieht mich böse an.

„Wasser ist immer recycelt, wenn es einen Planeten nicht verlässt. Dann durchläuft es immer einen Zyklus, deswegen ist es auch nie weg von einem Planeten, sondern höchstens an einer Stelle aufgebraucht“, erwidere ich ebenso herablassend wie sie.

Amilas unterbricht meinen Vortrag, als er erscheint und mir ein Glas aus einem fremdartigen Material reicht. Ich kann nicht sagen, ob es Kunststoff oder Holz ist. Ich nicke freundlich.

„Danke, Amilas. Ich kenne eure Gepflogenheiten nicht, doch habe Dank.“

„Sei gesegnet durch eine Ajirah“, erwidert er und geht.

„Eine was?“

„Später“, erwidert Sophitia. Sie sieht Illu an. „Was ist geschehen? Wo ist dein Mann Otok?“

„Otok ist angeklagt worden“, sagt sie und ihr Gesicht sieht aus wie zu Stein gemeißelt. „Er wird heute vor den Rat geführt. Dann wird über ihn gerichtet.“

„Wissen Sie, dass er dem Widerstand angehört?“

„Nein“, erklärt Illu. „Dafür ist er zu gerissen. Sie konnten es ihm nie nachweisen. Aber sie haben es anders versucht. Nun haben sie begonnen, ihn wegen Dingen anzuklagen, die er sicher nicht begangen hat. Wenn sie ihn schon nicht für den Widerstand dran bekommen, hoffen sie, ihn wenigstens so auszuschalten.“

„Was ist die Klage denn?“, fragt Vera. „Worauf lautet sie?“

„Er soll auf unserem Grund und Boden eine Devetoa entfernt haben, oben auf dem Felsplateau.“

Sophitia schüttelt den Kopf und sieht resigniert aus. Ich habe natürlich keine rechte Ahnung, worum es geht.

„Eine was und wieso ist es schlimm, sie zu entfernen?“

„Eine Devetoa ist eine Art Felsformation“, sagt Sophitia.

„Was ist daran schlimm?“, frage ich.

„Sie entwickelte sich durch die Deve. Das sind widerliche neunzehnbeinige Kreaturen. Sie legen die Devetoen an. Es sind natürliche Feuchtigkeitssammler. Es gibt immer irgendwo unten in dem Fels kleine Höhlungen, in denen sich bis zu sechs Liter Wasser sammeln können, wenn man die Devetoen in Ruhe lässt. Das ist alles Feuchtigkeit aus der Luft! Du kannst dir denken, wie wichtig es ist, so etwas unangetastet auf seinem Grund und Boden zu lassen. Natürlich ist es dein Wasser, was du damit gewinnst, aber du musst der Gemeinschaft etwas abgeben und die Gemeinschaft trifft es hart, wenn man so viel Wasser vernichtet. Denn eine Devetoa funktioniert Jahrhunderte gut, auch wenn diese Deve-Viecher schon weg sind.“

„Eine Devetoa auf dem Grundstück zu haben ist ein großes Glück“, stimmt Illu zu. „Sie zu entfernen ist ... ein Frevel! Sie sagen, er soll es getan haben, um seine Steuerlast zu drücken, weil er wütend auf die Regierung war.“

Ich werfe einen fragenden Blick zu Sophitia. Sie zuckt die Schultern und fragt Illu: „Was hat die Steuer damit zu tun?“

„Wir leisten dem Syndikat eine Steuer. Die Steuerlast wird anhand des Kostbarsten berechnet, das wir haben: Wasser. Man sagt, er wolle es ihnen vorenthalten, weil er unsere Herren nicht schätzt.“

„Das ist wenigstens einigermaßen korrekt“, brumme ich und bekomme einen Knuff von Vera in die Seite. Also schweige ich und trinke mein Wasser. Es schmeckt gut, allerdings fühle ich mich auch jetzt im Schatten dieser Wohnhöhle noch ziemlich ausgedörrt.

In die Stille hinein frage ich: „Was machen wir nun?“

Meine Frage gilt natürlich vorrangig Sophitia. Die sieht etwas ratlos zu Illu, sagt dann aber: „Wir sehen uns zuerst Otoks Verhandlung an. Er ist immerhin unser Kontaktmann. Einen anderen haben wir nicht. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass uns noch jemand anderes erwartet, jemand, der für Otok einspringen kann. Vielleicht wird er dort sein oder hier mit dir und deiner Tochter Kontakt aufnehmen“, sagt Sophitia. „Jemand muss hierbleiben.“

„Das wird unsere Tochter machen“, sagt Illu und nickt. „Ich bespreche das mit ihr.“

Sie verlässt uns in dem kleinen runden Raum. Als sie hinausgegangen ist, frage ich Sophitia: „Tochter? Ich hätte schwören können, es ist ein Mann.“

„Ist er auch. Er ist eine ... eine Ajirah. Das sind Männer, die sich wie Frauen fühlen, und wenn sie durch ein Ritual zur Frau gemacht wurden, gelten sie auch als solche. Sie können einen besonderen Hochzeitssegen sprechen und sind für viele Männer hier die erste sexuelle Erfahrung. Für die muss man nämlich normalerweise heiraten und das ist hier eine teure Angelegenheit. Man zahlt in Wasser.“

„In was auch sonst“, brumme ich. „Also gut, dieser Amilas bleibt hier und wir sehen uns die Verhandlung an. Du glaubst wirklich, wir werden dort von jemandem des Widerstands angesprochen? Was ist, wenn Otok uns verpetzt hat, um seine Haut zu retten? Ich will ungern für deren Widerstand sterben.“

Sophitia seufzt. „Ich kenne Otok. Er wird uns nicht verraten. Selbst wenn, könnte er nur mich verraten.“

Ich werfe einen Blick zu Vera. Sie nickt leicht und ich lasse das Thema fallen. Ich bin nicht ganz zufrieden damit, gebe aber zu, dass Sophitia nicht unrecht hat.

Illu kommt zurück und teilt uns mit, dass ihr Kind im Haus warten wird, während wir uns die Verhandlung ansehen. Es ist nicht mehr lange bis dahin, also machen wir uns auf den Weg. Das Haus besteht aus einer Reihe von Höhlen unterschiedlicher Größe, bis wir schließlich durch ein große rundes Schott treten und in einer gigantischen Höhle stehen. Die Decke ist weit oben und Gebäude sind sowohl in die Höhe gebaut als auch von der Decke hinabhängend. An einigen Stellen berühren sich die Gebäude und nur ihre unterschiedlichen Baustile verraten, dass sie sicher nicht gleichzeitig gebaut wurden. Vorrangig sind sie aus einem dunklen Metall geschaffen, das immer wieder nahtlos in den grauen Fels übergeht. Auch das Haus, aus dem wir kommen, besteht aus einem derartigen Materialgemisch. Die Straßen sind voller Leute. Ich sehe immer wieder unterschiedliche Spezies. Doch die vorherrschende Menschenart ist jene, zu der auch Illu gehört. Dennoch interessiert sich hier niemand groß für uns. Was uns viel auffälliger macht als unsere Spezies ist, dass wir keinen dieser schwarzen Overalls tragen. Es ist die vorherrschende Kleidung hier. Ebenso tragen beinahe alle um uns herum diese Masken vor dem Gesicht.

Illu führt uns zu einem weiten Platz, der umringt ist von großen Säulen. Auf jeder Säule steht eine Statue aus dunklem Stein, die auf uns herabblickt. Ich kann sie schlecht auseinanderhalten, weil jede dieser Statuen ebenfalls so eine Maske trägt. Nur das Design unterscheidet sich. Vielleicht wechselte es über die Jahrzehnte oder Jahrhunderte.

Auf dem Platz sind schon hunderte anderer Leute versammelt und betrachten schweigend eine holografische Projektion in der Mitte des Platzes. Es scheint der Rat zu sein, vor dem Otok sich verantworten muss. Die Holografie ist qualitativ hochwertig und wirkt wie ein gutes Abbild der Realität, nur ist sie überlebensgroß und jedes Mal, wenn eine der Figuren eine sehr schnelle Bewegung macht oder gestikuliert, gibt es leichte Schlieren.

Die Ratsmitglieder, sechs an der Zahl sind es, setzen sich auf ihre Stühle und einer von ihnen steht auf. Durch die Maske erkenne ich erst jetzt an der Stimme, dass es sich womöglich um eine Frau handelt.

„Wir freuen uns über all die Zuschauer, die wir heute hier versammelt haben, am Areki-Platz ebenso wie am Teolokani- und am Sobol-Platz – natürlich auch über all die hohen Familien, die heute hier im Ratssaal anwesend sind, so wie es die Tradition verlangt“, beginnt die Ratsfrau zu sprechen.

„Wieso sehen wir uns das hier auf einem Platz an und nicht dort? Sie ist doch eine Angehörige?“, frage ich Sophitia. Die schüttelt den Kopf.

„Nein, das geht nach Gesellschaftsschicht. Sie ist die Frau eines Händlers mit etwas Geld und Einfluss. Damit ist sie weit von den hohen Familien weg. Die haben ihre Privilegien oft schon seit hundert Generationen, schon seit der Zeit der Besiedlung. Da kommt man nicht so leicht rein.“

„Lass mich raten, die Privilegien kommen in dem Fall vom Syndikat?“

„Nicht nur, aber auch. Sagen wir eher, du behältst keine Privilegien, wenn du dem Syndikat nicht Freund bist.“

„Wir haben uns heute hier versammelt, um dem Händler Otok den Prozess zu machen. Es wird entschieden, ob er einen der größten Frevel begangen hat, den man begehen kann. Er hat euch, liebe Gemeinde, bestohlen. Er hat eine Devetoa auf seinem Grund zerstört, um gegen die Weiße Königin zu rebellieren.“

Ein Raunen geht über den ansonsten ruhigen Vorplatz. Einige brummen Kommentare, die ich nicht verstehen kann.

„Es schmerzt mich, dass in unserer Lebensspanne so ein Frevel begangen wurde. Dass die Devetoa zerstört ist, daran besteht kein Zweifel. Doch es geht heute um die Frage, ob es Otok war, der seine eigene Devetoa zerstörte! Viele kennen ihn durch seine Beteiligungen an der Kritik an der Weißen Königin. Sie, jene Unruhestifter, mit denen er oft verkehrt, wollen, dass wir gar in den Krieg gegen unsere gütigen Herren ziehen.“

Es war vereinzeltes Gelächter auf dem Platz zu hören. „Warum sollten wir in den Krieg ziehen? Was haben wir zu gewinnen, was zu verlieren? Ja, unsere Herren sind bei manchen von euch ungeliebt, das ist wahr. Auch sie sind wenige, wir viele. Doch was bedeutet es? Wir delegieren Aufgaben an die wohlwollenden Männer der Weißen Königin. Wir sind frei in einigen Dingen, in denen wir es sonst nicht wären. Die Männer der Königin schützen uns vor den Gefahren des Weltalls und sie versorgen uns mit einem stetigen Strom an Wissen und Technologie. Wer erinnert sich nicht gerne daran, dass wir in den Genuss einer Wasserleitung für jedes Haus gekommen sind! Fragt die Älteren, fragt sie, wie es war, als sie das erste Mal kein Wasser holen mussten! Fragt sie, denn ihr könnt sie fragen! Wir haben medizinische Fortschritte gemacht unter der Anleitung der Weißen Königin, sodass ihr mit den Ältesten der Alten auch noch reden könnt! Sie sind kein Futter für die Wüste geworden, nein!“

So geht es noch eine Weile weiter, bis die Ratsfrau sich endlich setzt und mit einer herrischen Handgeste sagt: „Bringt ihn herein!“

Unter dem Geraune der Menge wird nun ein Mann hereingeführt. Er trägt ebenfalls eine Maske und einen dunklen Overall. Nur die Ketten an seinen Handgelenken unterscheiden ihn großartig von den anderen. Er tritt vor den Rat und sieht einen nach dem anderen an.

„Sie sind Otok, Händler des Tolika-Bezirks, richtig?“

„Das ist richtig“, erwidert der Mann. Er hat eine angenehme, tiefe Stimme.

„Sie besitzen auf Ihrem Land oben auf dem Felsplateau einige hundert Ter Land mit mehreren Devetoen.“

„Auch dies ist korrekt“, erwidert Otok.

„Diese wurden zerstört“, stellt das Ratsmitglied fest. „Ist dies korrekt?“

Otok zögert. „Soweit mir bekannt ist, ja. Ich selbst bin seit nun zwei Tagen in Haft und hatte keine Zeit, meine Devetoen zu inspizieren. Mir wurde mitgeteilt, dass eine zerstört wurde.“

„Sie streiten also ab, dass Sie es getan haben?“

„Ich streite es entschieden ab“, nickt Otok. „Es war und ist nie in meinem Sinne gewesen, der Gemeinschaft zu schaden.“

Er schweigt kurz und sagt dann noch einmal mit Nachdruck: „Und ich habe ihr nie geschadet.“

Ein Raunen geht durch die Menge.

„Ganz schön dreist“, meint jemand in meiner Hörweite.

Ich spüre mehr als dass ich es höre ein mechanisches Geräusch, Schritte von etwas Großem. Als ich mich irritiert umsehe, entdecke ich gigantische spinnenförmige Roboter. Sie sind achtbeinig und haben kugelige Torsi voller Fotorezeptoren und schwenkbarer Geschütze. Sie sind mehr als sieben Schritte hoch und marschieren langsam über den Platz, die Leute einfach ignorierend. Jeder macht ihnen selbstverständlich Platz.

„Was ist das?“, frage ich Sophitia.

„Die Aufseher“, erwidert sie. „Syndikats-Roboter, die hier überall rumrennen und im Fall der Fälle eingreifen. Wenn jemand gewalttätig wird ... oder sollte sich natürlich doch mal ein Mob bilden und versuchen, den Aufstand zu proben.“

Ich brumme etwas zur Antwort und sehe die gewaltigen Roboter vorbeimarschieren. Niemand stört sich daran, es bilden sich selbstverständlich kleine Gassen, um sie hindurchzulassen.

Derweil läuft die Verhandlung weiter. Es werden Zeugen aufgerufen, einmal vom Rat und einmal von Otok. Beide Male belegen die Zeugen eindrucksvoll und unter wortreichen Erzählungen, wie die Devetoa zerstört vorgefunden wurde. Doch keinmal kann belegt werden, dass Otok es war. Lediglich Vermutungen stellen die Zeugen darüber an. Einer will gar jemanden gesehen haben, der wie Otok aussah. Auf die genauere Frage des Ratsmitgliedes zur Linken der Sprecherin will sich der Zeuge aber nicht mehr genau festlegen und scheint unsicher. So zieht sich die Verhandlung hin und her, bis schließlich die Ratssprecherin aufsteht.

„Wir haben genug gehört. Wir werden nun uns zur Beratung zurückziehen.“

Ein Gemurre geht durch die Menschenmenge und die Übertragung wird beendet. An die Stelle der holografischen Projektion des Rates tritt die Holografie eines Androiden, der zusammenfasst, was geschehen ist und darauf verweist, dass eine Urteilsverkündung normalerweise einige Stunden bis Tage auf sich warten lasse. Man solle sich also wieder seiner Arbeit widmen. Erst jetzt bemerke ich, dass einige der Spinnendroiden strategisch wichtige Punkte um die Menschenmenge auf dem Platz eingenommen haben. Ich frage mich, ob sie angreifen würden, sollte sich jetzt ein Mob bilden. Hier scheint man zumindest darauf vorbereitet zu sein.

„Also, was nun? Wir haben die Ware auf der ASHOKA und ...“, setze ich an, doch Sophitia stößt mir mit dem Ellbogen in den Magen und ich verstumme. Ein Mann tritt in der sich auflösenden Menschenmenge zu uns und zeigt Sophitia seine Ware. Er hat in der Innenseite seines langen Mantels kleine Kommunikatoren und Handcomputer.

„Sie sind günstig, wirklich, aber original! Alles gute Ware, vieles von Syndikatsleuten gekauft und wieder in den Originalzustand versetzt. Alles noch sehr gut, Fremdwelt-Technologie! Hält lange.“ Er mustert Sophitia. „Sie sehen aus, als bräuchten Sie Kommunikator. Sie brauchen Kommunikator, Silberhaar?“

Sie lächelt und nickt.

Ich kann es kaum fassen, sie lässt sich von diesem Straßenhändler irgendwelchen recycelten Schrott andrehen! Für ein Stück Metall, das sie bei sich trägt, gibt er ihr den Kommunikator und rennt zur nächsten Gruppe aus Schaulustigen, die sich noch nicht schnell genug zerstreut hat. Doch diese sind resoluter als wir und drohen ihm, sodass er weiterzieht.

„Was sollte das, haben wir sonst nichts zu tun?“, frage ich ungehalten, doch Vera lächelt und Sophitia erwidert das Lächeln.

„Was?“, frage ich, dann begreife ich es, doch Vera sagt: „Ich habe es gesehen, an seinen Augen, seinem Herzschlag. Er hat dich erkannt. Korrekt?“

„Das ist richtig“, sagt Sophitia. „Er gehört zum Widerstand.“

„Dann haben wir endlich einen Kontakt?“, stelle ich die entscheidende Frage und deute auf den Kommunikator. „Können wir sie damit erreichen?“ Ich bin froh, wenn endlich mal etwas funktioniert!

„Nein, aber sie können uns erreichen. Lasst uns zurück zu Otoks Haus gehen“, sagt sie und sieht nachdenklich zu Otoks Frau Illu. „Es tut mir sehr, sehr leid“, sagt sie an die Frau gewandt, die nur traurig nickt. „Wir müssen darauf warten, dass sie uns über den Kommunikator kontaktieren.“

Ich seufze, stimme aber zu.

Wir gehen zurück zu Otoks Haus und warten. Seine Frau und sein Sohn bewirten uns und es gibt eine längere Diskussion zwischen den beiden, in der sie ihrem Kind verbietet, uns zu einem eventuellen Treffen mit dem Widerstand zu begleiten.

Danach sitzen wir allein mit der Frau und warten. Ich verstehe sie. Sie vermutet, nun ihren Mann zu verlieren und will nicht noch ihr Kind verlieren.

Dennoch, glaube ich, wird der Tod Otoks genau das bewirken: Ein Kind wird Rache nehmen wollen. Sowas habe ich schon zu oft gesehen, schon zu viele Menschen kennengelernt, die aus Rache ein Leben in Gewalt wählten und dann doch nie wieder herauskamen.

Ich sitze etwas unruhig. Die Situation gefällt mir immer noch nicht sonderlich. Was das angeht, haben mich Jahre des Dienstes im Militär von Axarabor geprägt: Normalerweise geht es auf eine Mission, einige Stunden, und dann zurück. Sicher, es gibt auch langanhaltende Konfliktsituationen, wie es in der Bürokratensprache so schön heißt, aber das war bei V3-RA und mir selten so.

Dann endlich piept der Kommunikator und Sophitia nimmt die Botschaft entgegen. Das Gerät hat keinen Bildschirm, es ist lediglich eine Audioübertragung.

„Spreche ich mit den Lieferanten?“, fragte eine tiefe Stimme. Ob sie natürlicherweise so klingt oder lediglich durch einen Verzerrer läuft, ist nicht heraushören bei dieser schlechten Audioqualität.

„Das tun Sie. Wir mussten leider feststellen, dass Otok nicht verfügbar ist. Wir wollen allerdings liefern“, erwidert Sophitia.

„Das ist er in der Tat nicht. Ich werde Ihnen nun eine Adresse geben. Dort liefern Sie die Waffen hin!“

„Und werden bezahlt?“, fragt Sophitia in die folgende Pause hinein.

„Natürlich. Seien Sie bei Sonnenaufgang dort.“ Es folgt eine Reihe von Koordinatenzahlen, die sich Sophitia notiert. Dann schaltet sie den Kommunikator ab.

„Ich rieche einen Betrug“, sage ich.

„Ach?“, erwidert Sophitia sarkastisch. „Dennoch bleibt uns nichts übrig.“

„Leider“, stimme ich zu.

Wir verabschieden uns von Otoks Frau und wünschen ihr alles Gute. Zweifelsfrei wird es nicht unbedingt gut werden für sie, doch was können wir daran ändern?

Wir kehren zurück zum Schiff. Draußen in der Wüste ist es bereits dunkel. Das beständige Licht in der Stadt hat darüber hinweggetäuscht, wie lange wir schon unterwegs sind.

Wir marschieren durch die endlose Nacht zurück zum Schiff. Wüssten wir nicht, wo es ist und könnten es anpeilen, würden wir uns vermutlich in dieser endlosen sandigen Weite verlieren. Es ist wie auf ein Meer aus Sand zu blicken: Langsam treibt der Wind auch hier seine Wellen vor sich her und immer wieder sieht man kurze Bewegungen, wo die Wüste lebendig wird.

Keine Tiere nähern sich uns, was vermutlich an unseren Lampen liegt. Möglicherweise haben sie aber auch schon unliebsame Bekanntschaft mit Bewohnern der Stadt gemacht.

Am Schiff angekommen ruhen wir uns einige Stunden aus und Sophitia und ich essen eine Kleinigkeit, während Vera versucht, das Schiff zu reparieren. Ich stoße später zu ihr, muss aber erkennen, dass es uns schlicht an Ersatzteilen fehlt. Einige technische Defekte kann man nicht überbrücken und nicht für alles kann man Ersatzteile mitführen. Wir können möglicherweise mit dem Unterlichttriebwerk fliegen, doch einige Segmente sind so schwer beschädigt, dass ich ungerne auf Überlicht wechseln möchte.

Wir benötigen Ersatzteile aus der Stadt. Doch dafür müssen wir zuerst unsere Bezahlung haben. Das verlängert unseren Aufenthalt hier, doch kann man daran nun nichts ändern.

Wir laden die Kisten mit den Waffen auf den kleinen Gleiter, den wir im Schiff haben. Er ist nicht groß, gute zwei Meter breit und drei Meter lang, doch hat er nur zwei Sitze und eine große Ladefläche dahinter, auf die man die Waffenkisten stapeln kann, um sie anschließend mit Gurten zu sichern. Sophitia muss stehen, Vera sitzt vorne bei mir. Sie soll die Frau im Auge behalten. So ganz traue ich ihr immer noch nicht.

Dann geht es einige Stunden vor Sonnenaufgang los. Der Gleiter schwebt nur eine halbe Mannslänge über dem Boden und sein Antigravitationsfeld lässt uns über die Wüste hinwegziehen.

Die Wüste zieht dahin, bis wir auf ein Felsplateau zusteuern. Hier und dort ist der Fels so zusammengebrochen, dass er natürliche Rampen bildet. Oder sind es womöglich geschickt angelegte Rampen, geht mir durch den Kopf.

Dort oben liegen unsere Koordinaten, also steuere ich den Gleiter hinauf.

„Wir sind über einem Teil der Stadt“, stellt Sophitia mit einem Blick auf ihren Handcomputer fest. „Hier, da und dort sind Tunnel und Hohlräume tief im Fels.“

Sie deutet dabei auf unterschiedliche Stellen um uns herum.

Ich sage nichts, kann mir aber denken, dass der Ort genau darum gewählt wurde.

Wie erwartet öffnet sich eine Stelle in den Felsen vor uns. Eine getarnte Tür schwingt auf, die ich im Leben nicht als solche erkannt hätte.

Eine Reihe von Gestalten tritt heraus. Es sind Menschen unterschiedlichsten Aussehens. Die meisten tragen lange Roben, wie es hier üblich ist, und manche haben Masken auf. Die Masken dienen vermutlich nicht nur dem Schutz ihrer Identität, sondern auch gegen die Hitze, um den Flüssigkeitsverlust zu verringern. Die Sonne geht langsam auf und die Temperatur steigt schnell. Ich selbst schwitze bereits unter meinem Hut und habe meinen Wasserschlauch, den ich mir mitgenommen habe, halb geleert. Ich wusste nicht, dass man so viel schwitzen kann, muss ich zugeben.

„Gibt’s irgendein Codewort? Irgendeine Phrase?“, frage ich Sophitia. Sie nickt, klettert vom Gleiter und sagt: „Bleibt kurz hier. Ich sehe mir die mal an. Wenn was schiefgeht ...“

„Sind wir sofort weg“, sagt Vera ohne eine Miene zu verziehen.

Sophitia blinzelt und nickt ihr lächelnd zu. „Wie ich es erwarte, ja.“

Sie geht hinüber zur Gruppe und spricht mit ihnen. Der Körpersprache nach findet ein wenig Gefeilsche statt. Dann wird ihr ein Koffer gereicht. Sie öffnet ihn, kontrolliert den Inhalt. Das ist wohl die Bezahlung. Sie ist zufrieden, gibt uns ein Handzeichen und ich fahre mit dem Gleiter langsam näher an den Tunneleingang.

„Alles geklärt?“, fragt Vera und Sophitia nickt.

„Sie werden die Waffen jetzt abladen. Wir können dann mit dem Geld direkt weiter in die Stadt und dort Ersatzteile besorgen.“

Ich nicke zufrieden. Es ist nicht genau das, was ich will, aber es ist besser als nichts. Lieber hätte ich eine weniger riskante Fahrkarte von hier weg und aus der Gefahrenzone. Aber man muss nehmen, was man kriegen kann.

Während die Widerstandskämpfer die Waffen abladen, entdecke ich einen schnell näherkommenden Punkt am Horizont.

„Was ist das? Heimische Fauna?“, frage ich an Sophitia gewandt.

„Das ...“, murmelt sie und Vera schaut nun auch in die Richtung. Ihre verbesserten Augen sehen deutlich präziser auf diese Distanz.

„Das sieht aus wie ein Gefährt“, murmelt sie.

Sophitia schnappt sich derweil einen der Rebellen und deutet auf das Flugobjekt. Es ist nun nur noch wenige hundert Meter entfernt, kommt weiterhin schnell näher und sieht aus wie ein lang gezogener Stock. Es besitzt Rotoren, die es in der Luft halten, und Flügel. Ich denke, es ist nur zum Atmosphärenflug tauglich.

„Wir wurden entdeckt“, erklärt der Rebell. „Los, beeilt euch.“

Jemand flucht.

„Ihr müsst uns mitnehmen“, stelle ich fest. „Wir entkommen denen niemals mit dem Gleiter.“

„Wir müssen gar nichts“, erwidert der Rebell. Er trägt eine Maske, die nur seine Augen freilässt und Mund und Nase mit einem schwarzen Klotz bedeckt. Seine Stimme klingt dadurch verzerrt. „Ihr seid bezahlt worden, nachdem ihr geliefert habt. So war die Abmachung.“

Ich lege die Hand auf meine Pistole und sehe ihm direkt in die Augen.

„Dann ändern wir die Abmachung.“

Er hält dem Blick nur kurz stand. Dann nickt er. „Schnappt euch eine Kiste und los!“

Vera und ich greifen uns eine der letzten Kisten und stürmen hinter den Rebellen in den Tunnel.

Der Gang geht in eine Treppe über, die in langen Windungen in die Tiefe führt. Immer wieder gehen Korridore ab, die im Dunkeln liegen.

Hinter uns rumort es an der Oberfläche. Es klingt, als würden sie Raketen einsetzen. Den Gleiter werde ich vermutlich nie wiedersehen.

Es geht immer tiefer in die Gänge. Die Abzweigungen werden weniger und schlussendlich sind wir in einem lang gezogenen Tunnel. In einigen Dutzend Schritten Entfernung voneinander sind fluoreszierende Elemente an der Wand angebracht, die schwaches Licht spenden. Einige der Rebellen haben Handlampen dabei und auch ich aktivierte eine kleine Handlampe, die ich mir am Handgelenk befestigen kann.

Sie beginnen damit, die Kisten abzustellen und sich zu bewaffnen. Einer kommt herüber und reicht Sophitia und mir je ein Gewehr. Ich sehe ihn verwundert an und ziehe die Augenbraue hoch.

„Was soll ich damit?“

Ein diebisches Grinsen zieht über sein Gesicht. „Ihr wisst nicht, wo wir sind, oder?“

„Nein“, erwidere ich vorsichtig.

„Nun, wir sind nahe dem Justizpalast. Dort wird ein Freund der Rebellion bald hingerichtet, also werden wir ihn retten.“

„Was nichts mit uns zu tun hat. Wir lieferten nur die Waffen“, erkläre ich und denke dabei an die eindringliche Anweisung, mich nicht einzumischen.

Innerlich vermeide ich den Gedanken, um wen es geht: Otok. Ich bin ziemlich sicher, dass ich hier so etwas wie sein Rettungskommando sehe.

„Nein. Dieser Tunnel hat nur einen Ausgang“, erklärt mir der Rebell. „Ihr kommt mit uns und landet im Justizpalast. Was ihr da macht, ob ihr bei uns bleibt, ist eure Sache. Aber es gibt keinen anderen Ausweg. Weit dort oben gibt es Abzweigungen, die euch zur Stadt bringen, alte Versorgungstunnel. Doch wer weiß, wie viele Soldaten da schon herumlaufen? Wir nehmen die Flucht nach vorne. Und ihr?“

Er grinst süffisant und innerlich erkenne ich, dass er recht hat.

Außerdem, so rede ich mir zumindest ein, wäre diese Welt gut geeignet, sich dem Sternenreich von Axarabor anzuschließen. Doch dafür müsste sie frei sein vom Syndikat der Weißen Königin. Ich tausche Blicke mit Vera und Sophitia. Letztere sieht ziemlich zufrieden aus. Ich denke, dass etwas in der Richtung genau in ihren Plänen liegt. V3-RA hingegen nickt nur stumm. Sie weiß ebenso wie ich darum, dass wir in einer schlechten Verhandlungsposition sind.

Ich nicke, als ich sage: „Gut, wir begleiten euch und helfen, Otok zu befreien. Dafür will ich aber eure Hilfe. Wir brauchen Ersatzteile für unser Raumschiff, um von hier zu fliehen.“

Der Mann mustert mich. „Kennt ihr Otok?“

„Wir kennen seine Familie“, erwidere ich, was ja nicht mal gelogen ist. Dass wir sie erst vor Kurzem kennengelernt haben, lasse ich mal beiseite.

„Dann haben wir eine Abmachung“, erklärt der Rebell. „Mein Name ist übrigens Salsbur, wie nennt man euch?“

„Kartek Tezal“, stelle ich mich mit meinem wahren Namen vor. Was soll es schon schaden? Ich deute auf Sophitia und V3-RA und nenne ihre Namen.

Salsbur erklärt dem Rest der Truppe, wer wir sind und dass wir ihnen helfen werden. Insgesamt sind hier zwei Dutzend Männer unter Waffen. Jeder ist mit mehreren Waffen ausgerüstet und hat einige Granaten, nachdem sie sich großzügig an den Kisten bedient haben.

Es ist erkennbar, dass diese Rebellen nicht erst seit gestern Soldaten spielen, denn sie haben Disziplin und gehen koordiniert vor, als wir weiter in den Tunnel vorstoßen. Die Leuchtelemente sind zwischendurch sehr selten und lange Zeit geht es durch eine schier endlose Dunkelheit, die nur von unseren Handlampen durchbrochen wird.

Es ist bedrückend, dieses Gefühl, und für jemanden wie mich, der die Weite des Weltraums liebt, nicht angenehm. Dann endlich kommen wir an das Ende. Der Tunnel hört einfach auf und endet in einer glatten Wand aus dunklem Stahlbeton.

Jemand hat ein Segment herausgearbeitet und nur einen Teil wieder eingesetzt. Als nun Salsbur und seine Männer sich daran zu schaffen machen, heben sie das Segment schnell heraus. Dahinter liegt ein grauer eintöniger Korridor.

„Weiter“, brummt Salsbur und eilt mit seinen Männern voran. Wir folgen und bilden die Nachhut. Es ist mir ganz recht, dass wir nicht als erste in Kampfhandlungen geraten. In meiner Hand ruht meine Pistole. Ich bin gut damit, aber das Syndikat der Weißen Königin ist hier an der Macht und kontrolliert, was rein und raus geht auf den Planeten. Sie werden auch nicht schlecht bewaffnet sein.

Als ich auf einer Höhe mit Vera bin, flüstere ich: „Wir sollten wieder zur regulären Armee, normale Soldaten auf einem Raumschiff sein.“

Sie sieht mich fragend an. Obwohl ich geflüstert habe, kann sie mich gut verstehen. Ihre Hörfähigkeit ist weitaus besser als eine durchschnittliche.

Auf ihren fragenden Blick füge ich grinsend hinzu: „Es ist sicherer. Wie oft wird ein Raumschiff angegriffen? Wie oft landet man in sowas?“

Ich mache eine umfassende Bewegung mit meinen Händen.

Sie lächelt, sagt aber nichts.

Der Korridor führt in einen großen Saal voller Leute. Sofort beginnt der Kampf.

Die Männer des Syndikats sind sofort zu erkennen an ihren blauen Armbanderolen mit einer weißen Silhouette darauf. Es sind die Söldner des Syndikats, und wie mir Sophitia gesagt hat, ist es unter Todesstrafe verboten, die Armbinde zu tragen, ohne einer zu sein. Es wird mit harter Hand regiert.

Mein Gedankengang wird unterbrochen, als die ersten Projektile und Energieschüsse um mich herumzischen. Ich springe hinter Vera zu einer Säule. Insgesamt wird die Decke der Halle von vier Säulen getragen. Die zwei Wachen, die nahe dem Haupttor der Halle stehen, sind hoffnungslos in der Unterzahl, haben aber eine Art Wachraum neben dem Durchgang, in dem sie sich nun verschanzen.

„Granate“, ruft Sophitia und wirf eine der mitgenommenen Granaten in den Raum. Offensichtlich gibt es keinen anderen Ausgang dort heraus, als den, an dem wir warten. Die beiden stürmen heraus, um der Granate zu entgehen, und sterben im Kugelhagel.

Die meisten Gewehre, die wir mitgebracht haben, sind Projektilwaffen. Nicht dass wir nicht auch Energiewaffen hätten besorgen können, aber die hier sind sehr viel robuster und gegen die meisten Gegner ebenso tödlich.

„Vorwärts“, ruft Salsbur. Wir lassen den rauchenden Aufenthaltsraum der Wachen hinter uns. Dahinter liegt eine große Halle, links und rechts an den Wänden reihen sich Gefängniszellen aneinander. In Dutzenden davon befinden sich Menschen, in einigen unterschiedliche andere Spezies. Einige rufen um Hilfe. Die Zellen reihen sich drei Stockwerke hoch, eine schmale Galerie windet sich darum herum.

„Hier ist er“, ruft jemand und ich eile hinter Salsbur her. Otok sieht schlechter aus als in seiner Verhandlung. Er wirkt müde. Die Verhandlung ist noch nicht lange her, aber ich nehme an, dass einiges in der Zwischenzeit passiert ist. Er wirkt abgekämpft, müde und erschöpft. Vermutlich hat man ihn vor seiner Verhandlung etwas zurechtgemacht, den blauen Fleck in seinem Gesicht überschminkt und kosmetisch nachgeholfen, damit man ihm die Behandlung, die man ihm hat angedeihen lassen, nicht zu sehr ansieht.

Dennoch lächelt der Mann, den sie versucht haben, mit einer falschen Anklage aus dem Weg zu räumen.

„Das ist vielleicht sehr dumm, Salsbur“, sagt er und tritt an das Gitter seiner Zelle. Der Raum ist klein, misst drei Schritte in jede Richtung und hat eine kleine Toilettenschüssel, kein Bett. Es stinkt. „Du hättest mit dem Aufstand warten müssen, einige Wochen vielleicht. Die Stimmung wäre durch meinen Tod noch mehr auf deiner Seite gewesen.“

„Nein“, sagt Salsbur und winkt einen seiner Männer heran. Dieser hat eine Art Energieschneidbrenner dabei, mit dem er sich am Schloss zu schaffen macht. „Wenn ich so lange gewartet hätte, hätten wir einen unserer fähigsten Denker verloren. Außerdem ... einen Freund.“

Otok lächelt und tritt etwas vom Gitter zurück.

„Trotzdem ist es ziemlich wagemutig, in den Königspalast zu kommen, so tief unter die Stadt“, sagt er, während das Schloss geöffnet wird.

„Nein, es ist unerwartet“, sagt Salsbur und reißt die Tür auf, als das Schloss endlich durchgeschmolzen ist. „Niemand wird uns hier erwarten.“

Als Otok aus der Zelle tritt, mustert er mich kurz ebenso wie V3-RA. Wir sind sicherlich nicht alltäglich auf so einer Welt.

„Sie haben uns mit Waffen beliefert: Fremdweltler, die uns helfen“, erklärt Salsbur.

„Vorerst“, stimme ich ihm zu.

„Dann hättet ihr mich früher treffen sollen. Ich entschuldige mich für ... alles“, sagt Otok und macht eine umfassende Geste mit den Händen. „Ich hätte nie gedacht, dass sie mich mit der Devetoa-Anklage aus dem Weg zu räumen versuchen. Eher, dachte ich, werde ich eines Tages in einer dunklen Gasse erschossen.“

Es knallt ein Stück entfernt und die Vibration der Explosion ist bis hierher im Boden zu spüren.

„Wir sollten weiter“, sagt Salsbur. „Die Männer versuchen, sich in in den inneren Bereich des Justizpalastes zu kämpfen.“

Wir folgen den anderen zurück in das Gewirr aus Gängen und Tunneln. Salsbur hat eine Karte auf seinem Handcomputer, die erstaunlich genau ist. Wenn man bedenkt, dass es sich hier sicher nicht um gut zugängliche Räumlichkeiten handelt, sieht es ganz so aus, als hätten sie einen Putsch schon lange und solide vorbereitet.

SF-Abenteuer Paket Februar 2019: Fremde Erden

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