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VIERTES KAPITEL:

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Im Ballsaal

Mittlerweile war es kurz nach zehn und die letzten 60 Minuten vor der Keynote liefen ab.

Mehlos und Santow machten sich auf zum Ballsaal, in dem der Globe blau und schimmernd wartete.

»Schon klasse. Ich bin froh, dass wir für unsere Aufgabe so ein unglaublich spannendes Umfeld haben. Nicht auszudenken, müssten wir unsere Inhalte in einem langweiligen Hörsaal oder mit den immer gleichen Chart-Präsentationen vermitteln. Slides. 50. 100 … Horrible! Wir sind Glückspilze, Santow! Sehen Sie, wie die Ekstase der Erwartung von allen hier Besitz ergriffen hat? Man könnte meinen, sie seien alle vom Globe wie elektrisiert.«

Deutlich wahrnehmbar.

Die beiden vom Schicksal Gesegneten sahen sich im Saal um. Auf den ersten Blick schien es, als liefen alle erratisch durcheinander. Tatsächlich aber folgte der Ablauf einer Dramaturgie, die Craig Lloyd klar vermitteln würde und Oliver Barlow-Gardener technisch koordinierte.

Der stand gerade in sehr alten, sehr dreckigen Jeans und ebensolchem T-Shirt vor dem geschlossenen Globe und blickte hinein. Zum 1.000. Mal ging er im Geiste seine Checkliste durch und zum 1.000. Mal machte er hinter jeden Punkt einen grünen Haken.

Mehlos fasste Santow am Arm und schob sie in Richtung Globe.

»Hi, Oliver.«

Ein Blick durch beide hindurch und Murmeln. »Kleos. Joanna.«

»Können wir was tun? Zweitmeinung? Im Globe nach dem Rechten sehen?«

»Nicht einmal ich gehe hinein.«

»Vier Augen …«

»Kleos … bitte. Jetzt nicht.«

Oliver drehte sich um, ging zum Regiepult und hinterließ die leichte Wolke einer frisch gerauchten Zigarette.

»Ich habe ein gutes Gefühl, Santow«, sagte Mehlos, »wenn er Zeit zum Plaudern gehabt hätte, müssten wir uns wirklich Sorgen machen.«

Aus den Augenwinkeln sah er Craig, der neben Peer stand und ihm auf eine Frage antwortete. Lloyd zeigte auf den Globe. Peer fragte offenbar nach. Craig kniff die Lippen zusammen und überlegte. Ein kurzer Moment der Ruhe ließ ihn äußerst konzentriert wirken. Mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand fasste er sich an die Nasenwurzel, presste sie und rieb sich die Augen. Dann antwortete er Peer, der ernst nickte.

»Eitler Mensch, unser Craig«, sagte Mehlos.

Weil Kontaktlinsen?

»Auch, Santow.«

Craig erblickte die beiden, lachte und machte erst eine Geste des Schreibens und dann das Daumen-hoch-Zeichen. Sie winkten zurück und drückten ihm ihre Daumen.

Mehlos zog eine Hornbrille aus seinem Jackett und setzte sie umständlich auf. Santow mochte diese Geste und fragte sich, warum.

»Dort sind unsere reservierten Plätze. Ich fühle mich wichtig und wertgeschätzt.«

Er wies auf zwei Sessel. Schräg vor einem Fenster war eine Sitzreihe mit Namensschildern aufgebaut. Sie saßen in direkter Nähe zum Globe; neben ihnen Pekin Koç, die schon Platz genommen hatte. Schwarzes Kostüm, schlichte goldene Halskette mit blauschwarzem Amulett, teure Handtasche, kein Ring.

»Wenn es kleidsame Uniformen gibt, kenne ich zwei: weißer Rolli, Chinos, Turnschuhe – fertig ist der Craig. Koç kommt im schwarzen Business-Look. Sie sollten einmal zusammen Schach spielen«, sagte Mehlos ohne Ton zu Santow und achtete auf sein Mundbild. Sie las es ab. Dann setzten sie sich.

Da sie Pekin noch nicht offiziell begegnet waren, stellte Kleos sich und Santow kurz vor.

»Wir unterstützen Sphereglobe in der Kommunikation.«

»Ich weiß, dass Sie die Kommunikation für Craig machen.«

»Wir wissen, dass Sie Sphereglobe in Rechtsfragen betreuen. Und wir halten dicht.«

»Wie meinen Sie das?«

Sie zog die Augenbrauen zusammen. Mehlos setzte nach.

»Noch …«

Pekin sagte nichts und sah beide abwechselnd an. Eine schwarze Wolke erschien auf ihrer Stirn. Santow fragte sich, warum er jeden pieksen musste.

Mehlos sah auf seine Uhr.

»Noch 20 Minuten. Telefone aus. Aber gehen Sie doch schon mal auf die Sphereglobe-Website und die relevanten Kanäle. Mich interessieren die Kommentare der Wartenden.«

Santow hatte bereits die wichtigsten Fenster geöffnet. Sie wusste, dass Sphereglobes Social Media-Abteilung vollbesetzt war und aufmerksam verfolgen würde, was im Internet passierte. Für den Nachmittag war ein Online-Debriefing mit Analyse angesetzt, an dem sie auch teilnehmen würden.

»Und?«

Da das Skript feststand, konnte Craig lippensynchron in sechs Sprachen übersetzt werden, was die Klicks noch einmal nach oben hebelte.

Knapp vier Millionen Zuschauer bis jetzt. Tickt hoch. Bis zwölf Uhr werden wir die angepeilten fünf Millionen haben. Spannung. Spekulation. Von »heiße Luft, gut präsentiert« bis »revolutionäres Konzept, das alles verändern wird«. Und natürlich die üblichen Spinnereien von Verschwörung des Kapitals der Londoner City bis zur Alien-Landung im Centre Court, schrieb sie ihm als Text auf dem Display.

»Ist doch alles schon längst passiert …«

Santow registrierte inzwischen die Anspannung im Team und bei den Gästen im Ballsaal. Es wurde immer ruhiger.

Das Mädchen im schwarzen Overall mit Klemmbrett und Stoppuhr stand neben Oliver und zählte etwas mit ihren Fingern auf. Oliver gab kurze Statements. Beide gingen zu einem Tisch am Regiestand. Oliver ergriff dort eine silbern schimmernde, elegante Box von der Größe eines etwas höheren Laptop-Computers. Mit ihr gingen sie zur Rückseite des Globes. Das Mädchen blieb zurück und Oliver hielt seine rechte Hand auf ein Panel. Eine Tür glitt auf und er betrat den Globe. Die Tür schloss sich wieder. Barlow-Gardener platzierte die Box auf einer Ablage. Vorsichtig öffnete er sie und sah hinein. Er blickte daneben und verglich offenbar etwas, was den Inhalt betraf, mit einem Display. Er sah wieder in die Box und verharrte etwa eine halbe Minute. Dann schloss er die Box und verließ den Globe.

Draußen wartete Craig. Peer in Livree an seiner Seite. Neben ihm standen Anne Murray und Lord Blenheim. Oliver nickte ihnen zu. Craig lächelte und legte kurz seine Hand auf Olivers Schulter. Anne machte aufmunternd das Daumen-hoch-Zeichen und der Lord drückte Craigs Rechte aufmunternd und Alles-Gute-wünschend mit zwei Händen.

Drei Minuten vor 11:00. Peer war regungslos.

»Du bist völlig irre! Was soll dieser shice? Wie gehst du mit mir um?«, eine Stimme kreischte durch den Saal.

Die große blonde Frau im roten Kleid schien außer sich. Sie schlug Craigs Hand weg, der sie beruhigen wollte, den Mund zusammenkniff und mit den Augen rollte. Aus den Augenwinkeln blickte er zu Peer.

»Claire. Du. Bist. Jetzt. Nicht hier. Wer hat dich eingeladen? Lass mich jetzt. Kein bitte. Raus. Sofort!«

»Hast du sie noch alle? Ich bin deine Freundin. Nicht deine Fuck-Bitch. Warum bin ich nicht hier?«, schrillte sie.

Ja, warum eigentlich nicht? Berechtigte Frage der jungen Dame, oder?, flüsterte Mehlos tonlos zu Santow.

Mehlos hatte aufmerksam zugesehen, wie Claire alle irritierte und für Stress sorgte.

Weil sie die teure Show hier nur für ihre Eigen-PR genutzt hätte. Alles vorab ohne Rücksicht gepostet. Das langt für breaking-up mit dieser Bitch, schrieb Santow auf dem Display.

»Wie ich sehe, färbt ihre Sprache ab.«

Und in der Tat wurde Claire von MiaAmi mit gleich zwei Smartphones begleitet. Das eine filmte, das andere machte pausenlos Fotos. Dazwischen ragte MiaAmis stachelige und eisblaue Frisur auf und ließ sie aussehen wie das Sams im Kälteschock.

»Achten Sie auf Peer, Santow.«

Peer hatte eine Veränderung durchgemacht. Aus dem distinguierten Butler war ein Kämpfer geworden, der Claire mit eisernem Griff ruhighielt und drei hinzugeeilten Security-Mitarbeitern in die Arme warf. Dann zeigte er auf MiaAmi.

»Nehmen Sie ihr sofort die Telefone ab und sorgen Sie dafür, dass wir ungestört sind«, rief Peer außer sich.

»Wir sprechen uns gleich, Craig!«, schrie Claire über ihre Schulter und wand sich im Griff der Security.

»Kräftiger Junge, unser Peer«, sagte Mehlos und Santow sah auf Santows Uhr und sein Tablet.

11:59 und fünfeinviertel Millionen Viewer.

Craig hatte die Hand an der Nasenwurzel und rieb seine Augen. Nach Sekunden der Konzentration war er wieder ruhig und sah zu Peer.

»Danke.«

Peer sagte nichts. Oliver Barlow-Gardener kam und hob seine Armbanduhr vor Craigs Augen. Der atmete durch.

»Showtime.«

Craig öffnete die Schiebetür auf der Rückseite und verschwand im Globe.

Die schwarze Kameradrohne schwebte schräg über dem Globe hin und her wie eine Wespe vor dem Zustechen.

Zehn Gäste und ein Mord

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