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FÜNFTES KAPITEL:

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Die Keynote

Auf den großen Monitoren im Ballsaal und zeitgleich im Internet begann die Show.

Die Kamera zeigte den Ballsaal mit dem schwarzweißen Mamorboden und umkreiste den bläulich schimmernden Globe in Hochgeschwindigkeit auf aberwitzigen Bahnen. Dann kam der Anflug auf den bläulich schimmernden Globe mit Craig Lloyd. Die Kamera blieb in Großaufnahme stehen.

Im Hintergrund das runde ikonische Logo von Sphereglobe.

Der Mann in weißem Rollkragen, beigefarbenen Chinos und weißen Sneakers legte die rechte Hand auf sein Herz und verbeugte sich. Craig Lloyd sah in die Kamera.

»Das Denken in Netzen bringt uns nicht mehr weiter.

Daten haben eine Komplexität angenommen, die die menschliche Vorstellungskraft von Dimensionen weit übersteigt. Aber das ist nicht das Entscheidende. Algorithmen bekommen dies in den Griff. Big Data, Machine Learning, Künstliche Intelligenz … Alles schon da und bereit, zu analysieren, zu strukturieren und Ergebnisse zu erzeugen. Langweilig!«

Craig unterdrückte ein Gähnen. Auf die Innenseite seiner Glaskugel wurden geometrische Körper projiziert. Elektronischer Sound setzte ein. In allen Farben leuchteten Datenreihen aus Nullen und Einsen, schossen durch den Globe und wurden zu Texten, Maschinen, Flugzeugen, Satelliten und Avataren.

Craig führte mit einer schnellen Bewegung die flache Hand an seiner Kehle vorbei. Die Klänge erstarben.

»Weg damit!«

Die Bilder verschwanden.

»Tatsächliche Revolution und echte Erkenntnis entstehen an vollkommen anderer Stelle. Es ist doch so: Stellen Sie sich zwei Menschen vor, die denselben Autounfall auf der Straße beobachtet haben und hören Sie sich ihre Geschichten an.

Dieselben Daten – zwei völlig unterschiedliche Geschichten. Das Auto war blau …«, Craig wackelte hin und her, »nein, es war rot … gefahren von einer Frau, nein, von einem Mann. Sie hat geblinkt, nein, er hat nicht geblinkt … Treiben Sie es weiter. Nehmen Sie noch fünf Menschen dazu. Jetzt haben Sie schon sieben Geschichten! Lassen Sie sie über Filme reden, Wein, Freunde, was immer Sie wollen. Rechnen Sie es hoch! Auf alle in einem Team. Dann in einem Büro. Einem Bürohochhaus. Einem Geschäftsviertel. Stadt. Land. Zivilisationen. Die gesamte Erde. Alpha Centauri. Zillionen von Meinungen. Aus denselben Daten. Gepostet auf Webseiten und kommentiert in den Sozialen Medien. Was für eine Explosion! Und so sinnlos.«

Craig schüttelte den Kopf. »Nein. Wir leben nicht in Netzen. Wir leben in Seifenblasen. Jeder in seiner eigenen. Und meistens verstehen wir die anderen nicht.«

Er machte eine Pause. Sphärische Musik setzte ein. Der Globe wurde dunkelblau.

»Aber stellen Sie sich eine Welt vor, in der wir uns verstehen würden. Richtig verstehen.«

Craig nahm die Haltung des vitruvianischen Menschen mit seitlich ausgestreckten Armen ein. Er drehte seine leeren Handflächen nach oben. Auf ihnen erschienen links eine rote Seifenblase in der Größe eines Basketballs, rechts eine blaue.

»Zwei Individuen mit all ihren Weltsichten, Überzeugungen, Wünschen. Zwei Seifenblasen. Zwei Sphären.«

In jeder der beiden Sphären tauchten Bilder auf und verschwanden wieder. Gesichter von Frauen, Männern, Diverse, Kindern aller Ethnien. Sie lachten. Stritten sich. Liebten sich. Sie arbeiteten, verhandelten, unterrichteten, lernten, forschten, verkauften, erfanden, tanzten, saßen an Bildschirmen, trieben Sport, kochten, genossen Konzerte.

In beiden Sphären unterschiedliche Bilder, Geschwindigkeiten, Richtungen und Flüsse.

»Und nun führen wir sie zusammen.«

Craig bewegte die Sphären aufeinander zu. Für einen Moment hielt er sie dicht an dicht. Die rote und die blaue transparente Kugel. Dann schob er sie langsam ineinander. An der Grenzfläche wurden sie violett, und es begann zu blitzen. Funken stoben auf, Protube­ranzen lösten sich. Die rotierenden Objekte gerieten in jeder Sphäre völlig durcheinander. Craig hob die Kugeln vor sich höher und hielt sie ruhig.

Dann geschah etwas Eigenartiges und visuell Wunderbares. In der gemeinsamen Zone der beiden Sphären ordneten sich die Bilder und Szenen. Sie rotierten mit gleicher Geschwindigkeit, koordinierter Richtung und im selben Fluss. Je weiter er sie ineinanderschob, desto größer wurde die Zone der gemeinsamen Ordnung, bis er sie völlig vereinte und eine einzige violette Kugel entstand. In ihr lief alles gleich ab. Craig hielt sie über seinen Kopf und verharrte so eine Weile. Dann senkte er seine Arme und trennte die rote von der blauen Sphäre, bis sie sich nur etwa zu einem Drittel überschnitten und dort synchron liefen. Der Rest fiel zurück ins Chaos.

»Sie haben gesehen, was ich meine. Perfekte Synthese. Das ist unsere Aufgabe. Die Mission von Sphereglobe ist, ein besseres Verständnis unserer Sichten zu erzeugen. Unserer Welten. Die ultimative gemeinsame Erkenntnis ist ein Gewinn für jeden.«

Craig machte eine wischende Geste und die Sphären verschwanden. Er streckte die Arme seitlich aus. Von überall her erschienen unzählige bunte Seifenblasen, in denen Szenen abliefen. Die Blasen schwebten im Raum, stießen aneinander, einzeln, in Gruppen, in großen Haufen. Sie vermischten sich, trennten sich wieder. Im Moment ihrer Gemeinsamkeit liefen die Szenen in ihnen synchron.

»Freunde mit Freunden, Studenten und Lehrer, Verkäufer und Käufer, Abteilungen, die gemeinsam entwickeln, Menschen, die zusammen etwas aufführen möchten, Gerichtsverfahren, die geklärt werden, größere Konflikte, die sich einfach auflösen … Die gemeinsame Erkenntnis ist der Schlüssel zum Frieden.«

Für einen kurzen Moment wurden die unzähligen vielfarbigen Kugeln zu einer einzigen großen und transparenten, die die Farben der Erdkugel annahm. Blau für Wasser. Gelb für Kontinente. Alles lief synchron und ruhig. Dann trennte Craig sie wieder mit einer Geste in ihre Einzelsphären. Das Chaos begann wieder. Sie blendeten alle nacheinander aus.

Craig war in seinem Globe allein. »Vergessen wir Netze und Multiexperience. Willkommen zu Sphereglobe und Hyperexperience!«

Craig fuhr in Großaufnahme fort.

»Die Zeit ist gekommen, zu zeigen, wie wir dies larisieren. Realisieren.«

Die Kamera fuhr leicht zurück, sodass man ihn von der Hüfte aufwärts sah. Weißer Rollkragen. Ein kleiner Streifen seiner Chinos. Craig sah in die Kamera und versuchte, zu lächeln. War etwas mit seinem Mund?

»Oh, my God, wie ich mich auf diesen Moment gefreut habe.« Sein Lachen war gezwungen. »Wir haben lange und hart gerabeutet, um Ihnen das jetzt zeigen zu können, was sich hierin bedinft, befindet.« Craig schien zu viel Speichel zu haben, denn er schluckte zweimal, bevor er weitersprach. »Lassen Sie mich den Moment genießen. Das war eine fantasatische Teamleistung. Wir haben hier Außergewöhnliches geschaffen.«

Er schluckte wieder und die Kamera zoomte noch ein wenig aus. Eine elegante, silbern schimmernde Box war jetzt vor Craig zu sehen. Er schien Probleme mit seinen Augen zu haben. Er suchte die Box, fand sie. Dann öffnete er sie und drehte sie mit einem stolzen Lächeln in die Kamera.

In der Box lagen nebeneinander auf transparentem Inlay zwei scheibenähnliche Objekte, die in der Box zu schweben schienen. Sie hatten in etwa die Größe einer Compact Disc und waren nach oben leicht gewölbt. Ihr Boden war völlig plan und ein schmaler Streifen aus gebürstetem Aluminium mit abgerundeten Ecken war ihr Äquator. Das restliche Material war Glas. Sie hätten ausgesehen wie ein rundes Smartphone, das gerade im Begriff war, sich in eine Kugel zu verwandeln, wären nicht die Oberfläche und der Inhalt gewesen. Auf ihrer gläsernen Schale und tief im Innern liefen Bilder, Filme, Buchstaben, Symbole und unzählige Objekte umeinander, in einer gestochen scharfen Klarheit, die verblüffte.

Craig entnahm der Box eine der Scheiben und hielt sie mit seiner linken Hand neben sein Gesicht. Mit den rechten Fingern tippte er auf die Scheibe, machte wischende Bewegungen, legte seine flache Hand auf das Glas und schnipste schließlich mit den Fingern. Jedes Mal reagierte die Scheibe auf ihn und ihr Licht veränderte sich. Bilder wurden größer, Symbole zoomten kurz auf und verschwanden wieder, Geschwindigkeiten änderten sich. Irisierendes Licht. Es war mystisch.

»Wir nennen sie die Spherepods

Seine Pupillen waren jetzt so klein wie Stecknadelköpfe. Er nahm mit erkennbaren Schwierigkeiten den zweiten Spherepod aus der Box. Auch der war aktiv, aber mit völlig anderen Farben und Zeichen. Craig hatte Mühe, sie zusammenzuführen und zitterte. Für einen Moment überlappten sich die Spherepods und im gemeinsamen Feld synchronisierten sie sich … leuchteten violett und wurden heller.

Dann ging alles sehr schnell.

Craig fielen beide Spherepods aus der Hand. Seine Hände verkrampften zu Krallen. Er fasste sich an den Hals. Kämpfte mit einem Röcheln gegen das Ersticken. Wo ist die Luft?, dachte er. Seine Lungen verloren. Ich muss doch ATMEN! Mit aufgerissenen Augen und verzerrtem Gesicht sah er in die Kamera. Ich muss … Craig schluckte zweimal. Er sah für einen Moment fragend aus. Wie eingefroren. Dann ein erneuter Versuch des Luftholens. Sein Mund war offen. Er knallte nach vorn gegen die gläserne Wand des Globes. Man sah jetzt nur sein Gesicht.

»An …«

Craig Lloyd erbrach sich mit einem Schwall in die Kamera. Dann erschienen rechts und links seine Hände, die Halt an der Wand suchten. Krallen, die er nicht mehr kontrollierte. Er stieß sich ab und taumelte nach hinten. Die Tür auf der Rückseite des Globes wurde herausgerissen und krachte nach draußen. Er stürzte mit.

Tot schlug Craig Lloyd auf den Marmorboden auf.

Zehn Millionen Viewer.

Zehn Gäste und ein Mord

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