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ZWEITES KAPITEL:

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Das Eintreffen der Gäste

Mittwoch, 16. September – 13:00

In der Reihe der wartenden Fahrer entdeckte Pekin Koç ihren Namen unter dem Sphereglobe-Logo auf einem halbhoch gehaltenen iPad.

Sie nickte dem Mann zu, der sie jedes Mal vom Heathrow Airport abholte und auch wieder zurückbrachte, und der sie trotz ihrer Corona-Maske erkannte. Sein Name war ihr nicht wichtig, es war irgendein türkischer, wie ihrer.

»Merhaba, Dr. Koç! Rahat bir uçuşunuz oldu mu?«

Ja, sie hatte einen angenehmen Flug gehabt. Pekin gab ihm grußlos ihren Aluminium-Trolley und antwortete nicht.

Der Chauffeur nahm ihn und wollte ihr auch ihren Alu-Aktenkoffer zur Erleichterung abnehmen. Pekin wies es mit einer brüsken Geste ab. Es gab Dinge, die sollte man niemals aus den Händen geben, auch wenn es noch so bequem war.

Sie ließ sich vom Fahrer die Tür des Jaguar XJ aufhalten, nahm im Fond Platz und strich ihr schwarzes Kostüm zurecht, ohne den Fahrer über die Rückspiegel aus den Augen zu lassen. Der sah nicht zu und startete den Motor fast unhörbar.

Pekin genoss die vierzigminütige Fahrt über die M25 und dann die A3 in der dunklen Limousine. Sie roch noch nach neuem Leder. Privilegien machten Spaß, wenn man selbst welche hatte. Im Kopf ging sie noch einmal die rechtlichen Konstruktionen durch. Wasserdicht, unangreifbar, wie es ihr Auftraggeber von ihr erwartete. Trotz allem wollte sie hier einen perfekten Job abliefern. Pekin dachte an Craig und trommelte mit den Fingerspitzen auf ihren Knien.

Sie war überzeugt, ihr exorbitantes Zeithonorar wert zu sein. Internationales Gesellschafts- und Steuerrecht konnte ein Minenfeld werden, das den Betretenden schneller in die Luft jagte, als man einen investigativen Leitartikel in einer Wirtschaftszeitung lesen konnte. Speziell, wenn die Schweiz involviert war, und dann noch einmal verschärft, wenn es um einen Firmensitz im Kanton Zug ging. Die Eidgenossen waren für sie bürokratischer und detailbeharrlicher als jede andere Nation. Aber ihr dortiges Netzwerk, insbesondere ihre Büronachbarschaft und private Freundschaft mit dem russischen Inhaber einer der größten Metallbörsen der Welt, vereinfachte vieles. Pekin war beruhigt. Es war safe. Very. Kein Risiko. Nur eines. Aber dafür gab es auch eine Lösung.

Sie fuhren durch den Cannizaro Park und kamen zur Vorfahrt von Lansdowne Manor mit dem Parkplatz, auf dem einige Wagen standen, die direkt vom Genfer Automobilsalon zu stammen schienen. Sie mochte diese Welt.

Vor der Treppe zum Eingang stand der Butler von Craig Lloyd zusammen mit einem jüngeren Hausangestellten und erwartete sie. Peer trug seine Livree mit den weißen Handschuhen und begrüßte sie. Er wies den Angestellten mit einem unmerklichen Nicken an, ihr die Tür aufzuhalten und sich um ihr Gepäck zu kümmern.

»Willkommen, Dr. Koç, schön, dass Sie wieder bei uns sind.«

»Guten Tag, Peer, ich freue mich auch.«

»Es ist alles für Sie vorbereitet.«

Pekin sagte nichts und folgte dem jungen Mann, der ihren Trolley nahm.

Auch er durfte ihren Aktenkoffer nicht einmal anfassen.

Mittwoch, 16. September – 18:30

Daniel Murray klickte die Automatik seines Range Rovers im Scheitelpunkt der Kurve auf »N« und gab kurz Zwischengas, was den Motor zum Aufbrüllen brachte und ihm selbst ein Lächeln bescherte. Dann ging er wieder auf »D« und fuhr weiter. Anne auf dem Beifahrersitz kannte das.

»Spielratz!«, sagte sie.

»Harmloser Spaß.«

»Sinnlos CO2 erzeugt.«

»Eins mit der Maschine geworden.«

»Das nächste Mal kommen wir mit dem Fahrrad. Wir können doch ein Stück durch den Richmond Park fahren.«

»Viel zu weit. Ich habe keine Lust, bei Craig verschwitzt anzukommen. Wenn du Rad fahren möchtest, leihen wir uns welche bei ihm«, sagte Daniel.

»Ja, kenn’ ich. Du rollst irgendwo abwärts runter und Peer kann sehen, wie er die Räder wieder zurückbekommt.«

Daniel kniff kurz die Lippen zusammen. »Weiß nicht, ob das seine Aufgabe ist.«

»Was habt ihr für morgen genau geplant? An eurem großen Tag?«

»Ich treffe Craig und die anderen schon früh. Wie ich ihn kenne, machen wir noch Testläufe bis zum Erbrechen. Aber das ist okay. Seine Keynote fängt Punkt elf an. Sie muss sitzen, wir können uns keine Fehler erlauben. Es wird aber auch keine geben. Dafür haben wir alles zu oft durchdacht.«

»Euer Ollie hat alles im Griff?«

»Wenn jemand, dann er.«

»Was mache ich solange? Ich kenne doch niemanden richtig.«

»Genieß die Aussicht und den Tee im Wintergarten.« Daniel sah kurz in den Rückspiegel und auf die Straße, dann tippte er und schickte auf seinem Smartphone eine Message ab.

Gleich da.

Minuten später bogen sie von der Landstraße zur Anfahrt nach Lansdowne Manor. Sie mussten einige Meter dahinter kurz warten, da ein verirrter Flight von Golfern den Weg zum Club suchte. Unter den Golfern waren zwei Damen, die ins Auto hineinsahen und sich über den Fahrer freuten, der sie in seinem dunkelblauen Blazer mit den Messingknöpfen an den jüngeren Paul McCartney erinnerte. Sie lächelten.

Anne sah ihren Mann von der Seite an und dachte lieber an John Lennon.

Daniel schlug auf dem Parkplatz die Räder schräg ein, hörte sie durch das offene Fenster auf dem Kies knirschen und stieg aus. Er öffnete seiner Frau die Tür.

Peer begrüßte sie distanziert-korrekt und der Angestellte kümmerte sich um das Gepäck von Herrn und Frau Murray.

Donnerstag, 17. September – 01:45

Woooarrrrr!

Der Lichtkegel der bis zum Maximum optimierten Kawasaki-Rennmaschine sauste zwischen rechts und links hin und her, wie bei einem hypernervösen Scanner, als der Motorradfahrer auf der schlechten Straße wedelte und die Grenzen der Physik austestete. Dann schaltete er das Licht aus. Nachts durfte man nicht durch den Richmond Park fahren. Hunderte freilaufende Hirsche und Rehe mussten geschützt werden.

Der Fahrer schlug sein Handgelenk bis zum Anschlag nach unten, spürte die Beschleunigung im Becken und jagte mit absurd hoher Drehzahl auf die nächste Kurve zu. Von außen durch das Visier mussten seine Augen mit dem »V« der Augenbrauen auf der Stirn aussehen wie die eines Kamikaze-Piloten bei der Erfassung seines Ziels. Plötzliche Vollbremsung ohne Grund. Das Stottern des ABS gab einen weiteren Kick. Und Vollgas bei maximaler Drehzahl.

Fünfmal den Park durchquert und dabei den Asphalt in den Kurven bei völlig absurder Geschwindigkeit leicht auf den Knien gespürt. Nur so ging es. Drifting at its finest. Unbedingte Konzentration bei Einsatz des eigenen Lebens förderte die klare Sicht auf das eigene Tun und das Treffen richtiger Entscheidungen. Als ob sie es gewusst hätten, blieben die Tiere im Unterholz.

Oliver Barlow-Gardener hatte zur Beruhigung noch ein paar Runden über die M25 gedreht, bevor er zu Lansdowne Manor fuhr. Who cares? Mit einem Slide drehte er vor dem Treppenaufgang bei. Der Staub legte sich.

»Sie treffen heute spät ein, Herr Barlow-Gardener. Darf ich fragen, ob alles in Ordnung ist? Herr Lloyd war schon beunruhigt.«

Peer sah Oliver Barlow-Gardener an, der von seiner giftgrünen Maschine stieg, den silbernen Integralhelm absetzte und seine schwarzen Karbonhandschuhe auf den Sattel knallte. Oliver ignorierte eine mögliche Missbilligung seines Auftritts konsequent. Er war hier der Technikchef. Wichtiger ging es wohl kaum.

»Blödsinn«, sagte er.

Ein Angestellter stand schon bereit, die beiden Hartschalenkoffer in Empfang zu nehmen. Das Motorrad tickte wie verrückt vor Hitze und roch nach Öl und Brand.

»Ich schrieb bereits. Es ist alles okay.«

»Das freut mich zu hören. Bitte kommen Sie. Sie werden erwartet.«

Donnerstag, 17. September – 02:35

Die Tür des Konferenzraums schloss sich mit einem leisen Klicken und Craig Lloyd war allein.

Er ließ sich breitbeinig und ein wenig erschöpft auf einen der Stühle fallen und überlegte mit einem Lächeln, wo sie doch gleich nochmal seinen Gürtel hingeworfen hatte. Er fand ihn schließlich irgendwo auf dem Boden, zog ihn wieder an und wunderte sich, wie stabil der Tisch gewesen war.

Craig wartete noch die verabredeten Minuten und untersuchte Tisch und zwei Stühle auf mögliche Spuren. Man wusste ja nie. Als er keine fand, verließ er zufrieden den Raum.

Die Frau, die ein paar Minuten vor ihm aus dem Konferenzraum gegangen war, ging zu ihrem Zimmer zurück. Sie kam durch das schwach erleuchtete Treppenhaus und sah dort auf einem Absatz einen Mann stehen, der zur Eingangshalle hinuntersah. Als er sie hörte, drehte er sich um.

»Schlafen Sie nie, Peer?«, fragte sie.

»Nicht heute, Frau Dr. Murray. Nicht heute.«

Donnerstag, 17. September – 06:00

Der Morgennebel über dem Rasen hatte sich noch nicht verzogen, als der rot-schwarze 1953er Rolls Royce Silver Wraith die Auffahrt zu Lansdowne Manor entlangglitt.

William Arthur Benedict Lord Blenheim im Fond sah durch sein iPad hindurch, auf dem er sich über die Entwicklungen seiner Investitionen informierte. Er fokussierte seinen Blick auf sein Spiegelbild auf der Hochglanzoberfläche. Ein distinguiertes, leicht gebräuntes Gesicht, dem jedwede Müdigkeit trotz der frühen Uhrzeit nicht anzusehen war, sah ihm zuversichtlich und gespannt auf den beginnenden Tag entgegen. Mit der Spitze des linken Zeigefingers fuhr er sich über den weißen gestutzten Oberlippenbart und blickte nachdenklich, aber erwartungsfroh links aus dem Wagenfenster.

Er sah wieder auf sein iPad, das noch die Umsatz- und Gewinnentwicklung eines jüngeren E-Healthcare Unternehmens seines Portfolios anzeigte. Nicht zufriedenstellend. Blenheim hatte es seit über einem Dreivierteljahr regelmäßig zur Sprache gebracht, mit dem Management detailliert besprochen und seine Kontakte und Hilfe mehrfach und mit Nachdruck angeboten. Es war zwecklos gewesen. Nach der Anfangseuphorie über ihn als Investor und Geber von Private Equity hatte das Management seinen eigenen Kopf. Halsstarriges Middle-Management aus einem großen Konzern, das jetzt Unternehmer spielen wollte und meinte, alles besser zu wissen. Und mit Mitte 50 den Anforderungen an funktionierende und durchgängige Digitalisierung wohl kaum mehr gewachsen. Es kam für ihn nicht darauf an, es selbst besser zu können, aber es war entscheidend, zu erkennen, wer das Richtige wollte und dies dann auch richtig tun konnte. Eine Frage des Vertrauens. Weit über reines Unternehmertum hinausgehend. Sie hatten sein Vertrauen ignoriert, also hatte er auch keins mehr.

Er nahm seinen digitalen Pen, der sich kalt anfühlte, und löste den Verkaufsvorgang seiner Anteile aus. Die Zukunft dieses Unternehmens und der Menschen darin war nun nicht mehr Teil seiner Gedanken.

Der Silver Wraith rollte auf dem Parkplatz von Lansdowne Manor aus.

»Mein lieber Lord Blenheim, herzlich willkommen bei Sphereglobe! Sie sind ein früher Vogel!«

Craig Lloyd stand in weißer Rollkragen–beige­farbene-Chinos–weiße-Sneakers-Uniform vor der Eingangstreppe.

»Der frühe Vogel fängt den Wurm, Craig«, sagte Lord Blenheim und ließ sich von Peer die Tür aufhalten.

Craig lachte laut und breit und blickte zu Peer.

Dass die zweite Maus den Käse bekam, sagte er nicht.

Donnerstag, 17. September – 08:00

»Ich freue mich immer, nach Lansdowne Manor zu kommen«, sagte Kleos Henry Mehlos, »es ist so herrlich analog. Zumindest von außen. Wie sehen Sie das, Santow?«

Klar, dass Ihnen das gefällt. Symbol des Gestern. Und jede Menge Geheimnisse. Old school and spooky you are, zeigte sie.

Sie warf einen letzten Blick auf ihr Tablet und ließ es in ihrer Handtasche verschwinden.

Das Verdeck des herzlich verschrammten Austin Healey 3000 MKII im seltenen Ice Blue war heruntergeklappt und beide genossen die Fahrt durchs Grüne bis zu Lansdowne Manor. Mehlos schaltete mit der Linken einen Gang zurück und erfreute sich am kernigen Röhren des Vierzylinders und an der Sonne im Auto.

»Wir haben noch viel Zeit für einen launigen Rundgang über unser zeitweiliges Anwesen, bevor es losgeht. Wir könnten so tun, als gehöre das alles uns, bevor wir uns im Wintergarten vom distinguierten Peer in Livree den Morning Tea servieren lassen. Ich nehme die Gurken-Sandwiches.«

Träumen Sie weiter, Mehlos.

Sie erreichten den Parkplatz und hielten neben einem dunkelgrünen Range Rover. Mehlos sah nach Links zu seiner Beifahrerin. Beide blickten nach oben.

Aus einem Fenster im Haus über ihnen winkte Daniel Murray fröhlich herunter, tippte auf seine Armbanduhr und blinkte zweimal mit all seinen Fingern und gab damit zu verstehen, dass man sich in zwanzig Minuten treffen sollte. Dort oben. Dann mache er das Daumen-hoch-Zeichen.

Unaufgefordert kam ein Angestellter zum Austin Healey und brachte das Gepäck von Mehlos und Santow auf ihre Zimmer.

Zehn Gäste und ein Mord

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