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ERSTES KAPITEL:

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Die Einladungen

Kleos Henry Mehlos und Joanna Santow

»Wir sind zur Launch-Keynote von Sphereglobe eingeladen, Santow. 17. September. 10 Uhr. Alles wie geplant, wie es sich liest.«

Kleos Henry Mehlos stand am alten Schreibtisch der Hyde Park Agency in London, Green Street, Ecke Park Lane, unweit der Speaker’s Corner. Eine elegante Etage in einem edwardianischen Stadthaus mit einem halbrunden Erker aus weißgestrichenem Holz und wunderbarem Blick auf den Hyde Park. Mehlos, dessen Familie das ganze Haus seit Jahrhunderten besaß und der sich daher nicht mit den völlig absurden Mieten und Leaseholds des Duke of Westminster als wesentlichem Immobilienbesitzer in Mayfair herumärgern musste, hatte im ersten Stock eine Art Büro eingerichtet und exquisit ausgestattet.

Er blickte auf Joanna Santow, die tief versunken in einem riesigen Chesterfield-Sofa aus rotem Samt auf ihrem Tabletcomputer herumwischte. Er selbst hielt ein völlig antiquiertes und stark mitgenommenes Mobiltelefon hoch. Santow hatte es geschafft, dass er damit trotzdem E-Mails als Nachrichten empfangen konnte. Sie war die Digitale von beiden. Dann steckte Mehlos es wieder in seine Tasche zurück und erfreute sich an der kompakten Schwere des Geräts.

Mehlos stand ihr in einem Tweed-Anzug mit Weste ohne Krawatte direkt gegenüber, trug keine Jacke und hatte seine Ärmel bis zum Ellenbogen hochgerollt. Er wischte sich eine struppige blonde Tolle, die er mit teurer Creme des Gentlemen’s Barber in der St. James’s Street bändigte, aus der Stirn. Mit dem Barber, zu dem ihn sein Vater seit seinem siebten Lebensjahr geschleppt hatte, verband ihn eine engere Freundschaft als diejenige zu seinem älteren Bruder. Dann sah er Santow neugierig an, wie ein Golden Retriever, der von seinem Frauchen ein Leckerli erwartete.

Santow auf dem Sofa in einem schlichten karamellfarbenen Kleid war elegant und hatte dunkelbraune, schulterlange Haare. Feingliedrige Bernsteinkette. Wenn sie lachte, tauchten auf den Wangen rechts und links zwei kleine Grübchen auf.

Sie sah auf seinen Mund. Dann machte sie eine kurze Bewegung mit einer Hand und schnipste.

Es war eine besondere Form der Kommunikation, die beide verband. Santow hatte ihr Gehör verloren, als sie etwas mehr als drei Jahre alt war. Bei einer Explosion. Das Einzige, an das sie sich erinnerte, war ein großes, prächtiges Haus mit Angestellten. Offenbar das Anwesen ihrer Eltern. Danach war sie in einem anderen Land aufgewacht. England. Bei zwei älteren Damen, die miteinander verheiratet waren, ohne ein Liebespaar zu sein. Sie nannte sie ihre mothers. Beide führten ein Hotel in Brighton. Als das Zimmermädchen eines morgens die Suite abgereister Gäste in Ordnung bringen wollte, fand es das Kind Joanna Santow nur mit einer Karte, auf der ihr Name stand, schlafend im Bett. Niemand hatte je nach ihr gefragt.

Mehlos selbst war mit einer schwerhörigen Tante aufgewachsen, von der er von Anfang an Gebärdensprache in allen Facetten gelernt hatte. Die jüngere Schwester seines Vaters, die dem kleinen Kleos Henry ähnlicher war als sonst jemand in der Familie. Sie war Mouse, er Mousie. Eine innige Liebe, die bis heute anhielt und die Eifersucht von Kleos Bruder Francis so sehr schürte, dass dieser als Kind und Jugendlicher ihre Konversation ohne Verständnis für ihren Inhalt oder die Psyche der beiden pantomimisch nachgestellt hatte. Das Verhältnis der Brüder zueinander war seitdem keines mehr.

Mehlos sah auf Santows Schnipsen, verstand und nickte.

Craig?, fragte sie so. Es war das Zeichen für »Craig Lloyd« in ihrer Gebärdensprache.

»Ja.«

Mail? zeigte Santow.

»Text. Geht auch.«

Sphereglobe war ein junges Unternehmen. Eines der digitalen Start-ups, die cool waren und bei den Medien dementsprechend beliebt. Mehlos und Santow hatten Craig Lloyd bei einem Frühstück in der Bombay Brasserie in South Kensington kennengelernt. Mehlos war aufgestanden, um hinter den Kulissen diskret die Rechnung zu übernehmen, und hatte sich, wie für ihn nicht ungewöhnlich, mit dem Kellner verquatscht, ohne auf die Uhr zu sehen. Als er zum Tisch mit Santow zurückkam, saß dort Craig Lloyd auf seinem Platz und redete seinerseits auf Joanna Santow ein, was ihm sichtlich Mühe bereitete, sie aber amüsierte. Mehlos sah eine Weile zu. Er war es gewohnt, dass sie Blicke und Männer anzog. Es war ihm selbst nicht anders gegangen. Die meisten gaben aber auf, wenn die Kommunikation für sie zu anstrengend wurde. Nach einer Weile entschied Mehlos, dass es ihm selbst nun zu anstrengend wurde, denn dieser ungebetene Gast ließ einfach nicht ab. Er ließ sich vom Kellner einen weiteren Stuhl bringen, setzte sich hinzu und lud den Mann im weißen Rollkragenpullover ein, das Frühstück gemeinsam fortzusetzen. Ob er dem Herrn etwas Naan-Brot und einen Mango-Lassi bestellen dürfte? Oder vielleicht auch seinen Mantel aus der Garderobe?

Craig verstand, nahm das sportlich und sich zurück. Er entschied sich für den Lassi. Und zwischen den Dreien entspannte sich eine ebensolche Konversation, die sich zwischen völlig Fremden nur selten so spontan ergab und an deren Ende die zarte Pflanze einer aufkommenden Freundschaft keimte. Man beschloss, sich wiederzusehen. Mehlos und Santow trafen Craig Lloyd dann häufiger. Auch in der Hyde Park Agency in der Park Lane, die Craig häufiger aufsuchte, um sich dort von den beiden zum Umgang mit seinen jeweils aktuellen Damenbekanntschaften beraten zu lassen.

»Was macht ihr eigentlich in dieser Agentur?«, fragte er eines Tages, als es ausnahmsweise einmal nicht um sein Dauerthema ging.

Die Antwort darauf konnte niemand so recht geben, am wenigsten Santow und Mehlos selbst. Mehlos war durch seine Familie schon immer von allem unabhängig gewesen, was die Notwendigkeit betraf, ein geregeltes Einkommen zu erwirtschaften, und hatte die Agency vor allem gegründet, um sich unter dem Deckmantel sündhaft teurer Visitenkarten von Smythsons aus Bütten mit Stahlstichprägung in das Leben anderer einzumischen und deren Probleme meistens ungefragt zu lösen.

So hatte er auch unter den dramatischen Umständen eines Kunstraubs in London vor zwei Jahren Joanna Santow kennengelernt. Und sie ihn. Von da an begleitete sie ihn gelegentlich, aber in seinen Augen viel zu selten, bei seinen selbst gewählten Aufgaben, die sie mal in die Welt der Galerien, dann in die Pubs der Abgeordneten im Westminster Palace und manchmal in unsägliche Gegenden der Londoner Suburbs brachte, in denen sich Santow wunderte, dass sie als erkennbare Vertreter einer anderen Gesellschaft überhaupt eine Überlebenschance hatten. Mehlos war von seinem Naturell gefährlich unbekümmert, aber Santow nahm wahr, dass er in entscheidenden Momenten ihre Sicherheit über seine eigene stellte. So erinnerte sie sich, wie er in einem dunklen Pub in Brixton mit frechen Kommentaren zwei Hooligans provoziert hatte, die dann auf sie beide losgegangen waren. Durch die Tür nach draußen brachte er sie in Sicherheit. Dann ging er wieder zurück, um die tobenden Schläger von einer Verfolgung abzuhalten. Als er nur ein paar Minuten später wieder auftauchte, hatte er zwar einen blutigen Mund, eine zerrissene Weste und rieb sich die roten Wangen – aber niemand kam hinter ihm her. So sehr Santow ihn auch fragte, sie erfuhr mit keinem Wort von ihm, was im Pub geschehen war.

»Hyde Park Agency«, hatte Craig zu den beiden gesagt, »Cool! Kennt ihr euch vielleicht auch mit Kommunikation aus? Public Relations, Veranstaltungen und so? Online?«

Ein wenig. Das war untertrieben gewesen. Santow war brillant im Digitalen.

»Geht so«, hatte Mehlos gemeint, der einmal für einen Freund, der eine Werbeagentur besaß, einen Wettbewerb gewonnen hatte, an dem er aus reiner Neugier und Spaß an der unbekannten Herausforderung teilgenommen hatte, und diesem mit einem gut strukturierten und neuartigen Konzept einen Großkunden gerettet hatte.

»Okay. Sehr gut«, hatte Craig gesagt, dessen Miene sich plötzlich verdüstert hatte. Jetzt war es spannend für Mehlos geworden.

Warum? hatte Santow gezeigt. Craig hatte das mittlerweile verstanden.

»Welch’ Schatten huscht über dein Antlitz?«, hatte Mehlos gefragt.

Craig Lloyd hatte mit sich gerungen. Mehlos hatte gesehen, dass eine direkte Frage die Konversation sofort hätte verstummen lassen, also hatte er gar nichts gesagt.

Die Rechnung war aufgegangen. Craig Lloyd hatte herumgedruckst, aber angedeutet, dass in seinem Unternehmen Sphereglobe vielleicht Dinge passierten, die nicht in seinem Sinne waren.

»Was meinst du?«

Welche Dinge?

»Sagt es mir. Kommt, seht es euch an und sagt es mir.«

Mehlos angeborene Neugier war aus dem Sumpf seines Unterbewusstseins aufgetaucht wie eine Moorleiche.

Mehr konnte oder hatte Craig nicht sagen wollen.

»Wie können wir hinein?«

»Ihr seid ab jetzt meine neue Kommunikationsagentur. Noch Fragen?«

Und so waren Mehlos und Santow in Kontakt mit dem Verantwortlichen für Marketing von Sphereglobe gekommen, und aufgrund des Eindrucks, den man von ihnen gewonnen hatte, zum Auftrag, Impulse für eine geplante Veranstaltung zu geben.

Ich mag Craig, zeigte Santow und sah aus dem Chesterfield-Sofa hoch zu Mehlos.

»Da sind Sie in guter Gesellschaft etlicher Ihrer Geschlechtsgenossinnen, Santow.«

Nicht so, das wissen Sie doch, Mehlos.

Beruhigt kehrte Mehlos zu Craig Lloyds Einladung zurück, las Santow den Text der Mail mit deutlichen Mundbewegungen vor und haderte dabei mit dem kleinen Display seines alten Telefons.

Sollten Sie sich nicht endlich mal ein richtiges Smart­phone zulegen, Mehlos? Es nervt langsam! Ihre Gesten waren energisch.

Mehlos schüttelte den Kopf.

»Damit es mir so geht wie Ihnen und dem Rest der Menschheit? Wenn es spannend wird: Akku leer. Ich kann mit diesem hier wochenlang telefonieren, es mit Schwung aus dem vierten Stock werfen und wenn ich es unten auf der Straße irgendwann einmal einsammeln sollte, denn es klaut ja keiner, wird es keinen einzigen Kratzer haben und immer noch fünf Striche auf der Anzeige.«

Hilfe! – Ich arbeite mit Fred Feuerstein, zeigte Santow und sah wieder auf ihr Tablet.

* * *

Daniel Murray

Ding!

Daniel Murray bekam im The Wolseley in London Piccadilly gerade seinen zweiten Tee, als die Mail von Craig Lloyd kam.

Der Waiter stellte die Kanne neben den silbernen Halter mit hellem Toast auf seinen Tisch.

»Thank you, Sir.«

Daniel sah auf das Display seines Smartphones und lächelte die blonde Frau ihm gegenüber an. 09:33. Die District Line der London Tube zurück nach Wimbledon musste er gegen 12:00 nehmen, um im glaubwürdigen Zeitplan zu bleiben. Schade. Aber wenn das hier alles vorbei war, würde er in London bleiben können, solange es ihm passte. Und dann auch in seinem eigenen Vierzimmer-Flat in South Kensington, den er sich regelmäßig beim Makler ansah.

Er sah auf seine Uhr. Ja, es reichte noch für einen kurzen Gang in die Jermyn Street, er brauchte schließlich ein paar neue Hemden. Sie hatte sowieso was anderes vor. Zum Glück.

Daniel beantwortete die Mail.

»Sehr gut!«

* * *

Oliver Barlow-Gardener

Oliver Barlow-Gardeners bärtiges Gesicht spiegelte sich in allen Bildschirmen auf seinem Arbeitstisch, als das kleine Fenster mit Craig Lloyds E-Mail aufging.

Zwei Schirme im Dark Mode, voll mit kleinformatigen Codezeilen und Tabellen; auf dem dritten drehte sich das Strukturmodell eines Datenglobus, der in einen anderen überging. Auf den Schnittpunkten verschwammen die Linien und öffneten zahllose neue und kleinere Globes wie Seifenblasen in einem Schaum. Auf dem mittleren Schirm entstanden und verschwanden kleine und große Tabellen im selben Rhythmus. Oliver zog an einer E-Zigarette und beantwortete die Mail mit einem »Yup!«.

Es ertönte das leise Geräusch einer digitalen Explosion.

* * *

Dr. Pekin Koç

Pekin Koç erhielt die Mail in ihrer Kanzlei auf dem Boulevard Royal in Luxemburg, eine freistehende Stadtvilla neben dem Top-Hotel mit Luxusrestaurant.

Sie sah kurz durch die offene Tür in das Vorzimmer ihrer Sekretärin. Die Mails von dieser Adresse teilte sie mit ihrer Mitarbeiterin nicht. Die Sekretärin blickte kurz auf und sah ihre Chefin an deren Schreibtisch sitzen. Wie immer in schwarzem Business-Kostüm, die glatten dunklen Haare exakt gescheitelt. Ihre Freunde zogen sie damit auf, statt für eine Wirtschaftsanwältin für einen durchgestylten Fashion-Roboter zu arbeiten.

Pekins Büro war klar und funktional eingerichtet. Farben waren hier fehl am Platz. Die einzige Ausnahme war ein gläsernes Objekt über ihrem Schreibtisch, etwa von der Größe einer alten DVD: ein breiter Ring in Königsblau. Nach innen weitere, immer kleiner werdende Kreise in schwarz, weiß und hellblau. Im Zentrum war ein schwarzer Punkt. Die Pupille eines Auges. Es sah jeden Besucher aufmerksam an.

Sie wandte sich wieder ihrer Tastatur aus Aluminium zu und tippte:

»Natürlich, sehr gern. Werde da sein.«

Enter.

* * *

Peer Holsbeg

Peer Holsbeg antwortete:

»OK.«

* * *

Lord Blenheim

William Arthur Benedict Lord Blenheim fand die Korres­pondenz am späten Nachmittag auf dem Schreibtisch seines Domizils nahe des Porthchapel Beach in Cornwall, Wales.

Der handschriftlich adressierte und mit »persönlich« gekennzeichnete Brief in cremefarbenem Umschlag mit Wasserzeichen lag angenehm rau in seiner Hand und war von seinen Hausangestellten nicht geöffnet worden. Er ergriff einen Silberhalter mit elfenbeinernem Blatt, schlitzte den Umschlag auf und las.

»Mein lieber Lord Blenheim,

natürlich wissen Sie um unseren Termin am 17. September, denn schließlich arbeiten wir gemeinsam seit zwei Jahren darauf hin.

Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen heute zu schreiben und Ihnen meine persönliche Einladung zu meiner Keynote des Produkt-Launches von Sphereglobe auch in dieser Form auszusprechen. Eine E-Mail wie sonst hielt ich anhand der Bedeutung unseres Vorhabens ganz sicher nicht für angemessen; wir haben viel vor und können unsere einzigartigen Ziele nun dank Ihrer Unterstützung auch erreichen.

Ich freue mich daher sehr, Sie auf Lansdowne Manor begrüßen zu dürfen. Für den Vorabend haben wir ein Dinner im kleinen Kreis vorgesehen.

Bitte lassen Sie mich wissen, wie Sie anreisen werden, unsere Assistenten werden dann Ihren Aufenthalt entsprechend koordinieren.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr sehr ergebener

Craig Stevens Lloyd«

Lord Blenheim ließ den Brief sinken, blickte in die Ferne des Sonnenuntergangs auf dem Meer und wies einen Angestellten an, Kontakt mit dem Butler von Craig Lloyd aufzunehmen.

* * *

Claire Woolfeson und MiaAmi

In der Garderobe des Flagship-Stores auf der Kings Road in Chelsea, London roch es nach den Raumdüften des Labels und jetzt auch noch aggressiv nach einer Kombination aus Jasmin, Flieder und seifiger Rose, dass man Angst haben musste, diese Blumen würden gleich nach einem schnappen.

Die große Blondine im engen roten Kleid machte einen Kussmund, reckte den Busen vor und drehte ihren Po zu den Spiegeln. Sie bewegte ihn hin und her und beobachtete, ob sich eine Pantyline auf den Backen abzeichnete.

Die kleine Blauhaarige mit asiatischen Gesichtszügen fotografierte sie dabei mit ihrem Smartphone und spielte mit Filtern.

»Duckface!«, kommandierte sie. Claire gehorchte und MiaAmi machte eine Fotoserie. Ihre schwarzen Lippen formten ein bewunderndes »Top!«.

Claire Woolfeson und MiaAmi updateten gerade ihre Social Media Accounts mit neuen Bildern vom Shoppen am Sloane Square. Überlaute Unterbrechung kam durch einen Klingelton mit einem Song von Billie Eilish.

»Craig, Claire?«, fragte MiaAmi.

Claire zog eine Schnute und ihr Smartphone aus der Handtasche. Sie hörte kurz zu, sagte etwas und steckte es wieder weg. Die Schnute blieb.

»Urgent?«, wollte MiaAmi wissen.

Claire schüttelte den Kopf und sagte nichts. Zurück zu den Fotos. Viel wichtiger.

Später im Café wurde sie konkreter:

»Er schon wieder so: voll Stress wegen Produkt-Launch demnächst, hat auch heute keine Zeit. Soll mir aber das Bag gönnen. Ich dann so: hab ich schon. Und er so: Top! Und wir machen Samstag was. Ja, geht klar, ich dann. Komm du doch mit.«

MiaAmi überlegte kurz.

»Ich weiß nicht, es ist euer Abend. Macht etwas daraus. Ihr seht euch zurzeit nicht oft.«

»Er ist voll komisch zurzeit.«

MiaAmi nickte und fuhr sich durch ihre blauen Haare.

* * *

Dr. Anne Murray

Anne Murray sah auf ihre Armbanduhr.

Halb acht. Sie lief zum Parkplatz vor ihrer Praxis und stieg in ihren Wagen. Handtasche und Krankenakten zum Lesen für heute Abend auf den Beifahrersitz, die kurze rote Pagenfrisur geschüttelt und ihren Sitz im Rückspiegel überprüft. Alles gut.

Ding!

Oh, eine Mail von Daniel:

»Nimm dir am 17. September nichts vor. Wir sind zusammen in Wimbledon bei Craig. Fahren am Vorabend hin.«

Interessant. Zweimal war sie schon dort gewesen und hatte Craig kennengelernt. Sehr ungewöhnlich. Craig. Und Lansdowne Manor. Sie rief sich kurz ins Gedächtnis, was sie über das Anwesen wusste.

1844 für eine englische Prinzessin im viktorianischen Stil erbaut beeindruckte es Anne vor allem mit seiner schieren Größe und leicht Gotham-City-haften Anmutung, besonders des Nachts.

Nach dem zweiten Weltkrieg wechselte es wohl mehrmals den Besitzer. Unter anderem an den Gitarristen einer der größten Rockbands der Siebziger und Achtziger, und wurde in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends von einem Investorenkonsortium erworben, das es im Jahr 2017 an ein Unternehmen verpachtete, aus dem kurz darauf Sphereglobe hervorging. Vor etwa drei Jahren fing Daniel dort an.

Craig nutzte Lansdowne Manor als Wohnsitz und zugleich als Headquarters für die Entwicklungsmannschaft. Dazu diente es als Thinktank für das Management und Repräsentationsobjekt für Gäste zugleich.

Sie überlegte, ob sie ihn dort allein treffen könnte, und freute sich fast.

* * *

Indira Patel und Herr Dinger

Indira Patel saß in ihrer Krankenschwesteruniform im ersten Geschoss eines Flügels von Lansdowne Manor mit Blick auf den Parkplatz und einen Abschlag des nahegelegenen Golfplatzes.

Ab und zu kamen Golfspielerinnen und -spieler vorbei, die je nach Handicap mehr oder weniger fröhlich ihr Spiel unterbrachen, sich auf den Ball konzentrierten und ihn weiterschlugen. Indira hätte ihnen gern länger zugesehen, aber die meisten verschwanden schon nach wenigen Minuten. Wie schade. Oder einmal mitspielen. Das wäre eine Freude gewesen. In ihrer Heimat hatte sie viel und sehr gut Golf gespielt. Sie war sicher, dass sie die Menschen in ihrer neuen Umgebung überrascht hätte.

Ihr Patient, Herr Dinger, allerdings war arm an Überraschungen. Er bewegte sich nicht. Aber die Maschinen liefen. Wie immer. Es war ihre Aufgabe, das sicherzustellen. Sie wusste nichts über ihn, nur dass er wohl aus Deutschlnd stammte.

Das Zimmer war antik und teuer eingerichtet. Etwas zu rötlich und zu verstaubt für Indiras Geschmack. Auch die alten Daguerreotypien des deutschen Reichskanzlers Bismarck waren nicht ihr Fall. Was sollte das? Etwas Frischeres hätte ihr und ganz sicher auch dem Patienten gutgetan. Der junge Hugh Grant vielleicht. Jude Law. Oder Spiderman Tom Holland. Der wohnte wenigstens hier in Wimbledon. Genial, seine Akrobatik und wie er überall hochkam. Na, wie auch immer, diese Pflegerolle auf Lansdowne Manor war eine angenehme und verantwortungsvolle Aufgabe.

Heute Morgen die Routine des Morgenbesuchs von Craig Lloyds Butler Peer Holsbeg. War alles in Ordnung mit dem Großvater von Herrn Lloyd?

Ja, war es. Wie immer.

Ah ja. Am 17. September habe man eine Veranstaltung im Manor, sagte der Butler. Manche Gäste würden schon am Vortag anreisen. Bitte ganz besonders darauf achten, im Zimmer zu bleiben. Mittagessen für sie werde gebracht.

Ja, das sei okay.

Wie immer.

Zehn Gäste und ein Mord

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