Читать книгу Gefangene der Welten - Hazel McNellis - Страница 10
6.
ОглавлениеJack ließ sich zu Boden sinken. Er folgte seit Stunden den Spuren des Pferdes, mit dem man Sydney entführt hatte, im Laub. Inzwischen schien es ihm beinahe aussichtslos, sie je einzuholen und einzig die Hoffnung, dass er sie vor Schlimmeren bewahren könnte, ließ ihn rasch wieder auf die Beine kommen.
Er musste sie wiederfinden.
Es schnürte ihn die Luft ab, sich vorzustellen, was dieser Bastard ihr antat. Die Vorstellung, welch unaussprechliches Leid Sydney ertragen musste, beschleunigte seine Schritte. Sein Rücken schmerzte von der kauernden Haltung. Die Muskeln seiner Oberschenkel protestierten bei jeder neuerlichen Dehnung, und er spürte, wie sich Kopfschmerzen mit einem dumpfen Pochen hinter seiner Stirn anbahnten. Er hatte Durst und seine Kehle war ausgetrocknet.
Zum Glück hatte er daran gedacht, etwas Proviant in den Rucksack zu stecken, bevor er das Haus verließ. Er blieb stehen, kramte die kleine Wasserflasche hervor und trank begierig. Bei der Gelegenheit griff er tiefer in den Rucksack und nahm sich zusätzlich eine Hand voll Kekse. Mit leeren Magen suchte es sich schlecht, entschied er, ehe er herzhaft in eines der runden Gebäckstücke biss. Derart gestärkt, folgte er den Spuren tiefer in den Wald und erreichte schließlich die Felswand mit Brombeerbüschen, an der Damian und Sydney gelagert hatten. Ein paar verkohlte Zweige zeigten ihm, dass sie hier eine Rast eingelegt hatten. Jack warf einen Blick zum Himmel und erkannte, dass es bald dunkel werden würde. Besser er nutzte die vorhandene Lagerstätte, richtete sich für die Nacht ein und ruhte sich aus, ehe er am Morgen weiter nach Sydney suchen würde.
Entschlossen fischte er sein altes Feuerzeug aus der Tasche und entzündete ein paar trockene Zweige. Plötzlich sehnte er sich nach einer Zigarette. Er hatte dieses Laster vor einem halben Jahr abgelegt und das Feuerzeug sollte ihn stets aufs Neue daran erinnern, was er aufgegeben hatte. Auch dieses Mal, als er in aller Stille vor den knisternden Flammen hockte, führte er sich vor Augen, welches Gift er sich zugeführt hatte. An seinen schlimmsten Tagen hatte er fast zwei Schachteln verqualmt und in seiner Erinnerung war es ihm ein Leichtes, den bitteren Geschmack auf der Zunge zu schmecken. Gerade jetzt, einem Moment, in dem er nicht wusste, ob Sydney noch am Leben war oder nicht, wünschte er sich kaum etwas mehr, als eine einzelne Zigarette.
Jack behielt das Feuerzeug noch einen Moment länger zwischen den Händen und drehte und wendete es. Ein Kakadu blickte ihm von der Oberfläche entgegen. Es war kein teures Feuerzeug – nichts an das man sein Herz hängte –, doch es war das Feuerzeug, mit dem er seine letzte Zigarette entzündet hatte.
Und nun saß er mitten im Wald, und verwendete es zum zweiten Mal, um ein Feuer zu entfachen. Der einzige Unterschied bestand dieses Mal darin, dass er vollkommen allein hier saß, während seine Freundin irgendwo mit einem brutalen Fremden zusammen war und dessen Gräueltaten ausgesetzt war. Er dachte an den Schürhaken. Sydney musste sich mit allen Mitteln gewehrt haben und dass dies keine Wirkung erzielt hatte, ließ den Schluss zu, dass ihr Angreifer kein Schwächling war. Nein, vielmehr musste es ein kräftiger Kerl gewesen sein, dachte er. Ein Kerl, der Sydney nur zu leicht überwältigen und ihn mit einem einzigen gezielten Stoß in die Bewusstlosigkeit befördern konnte. Sydney gehörte trotz ihrer sportlichen Figur immer noch dem schwächeren Geschlecht an und was ein kräftiger Mann mit einer schwachen Frau anstellen konnte, wollte Jack sich am liebsten gar nicht erst ausdenken…
Kopfschüttelnd zwang er sich, die Bilder abzuschütteln. Er legte sich auf den Waldboden nieder und blickte hinauf in den Himmel. Die Nacht würde sternenklar werden. Bereits jetzt konnte er das ankommende Licht sterbender Planeten am Firmament erkennen. Seufzend stellte er sich vor, wie Sydney ebenfalls zum Himmel schauen und dieselben Sterne erblicken würde. Es war nicht viel, was er hatte, doch diese winzige Möglichkeit der Gemeinsamkeit beruhigte seinen erschöpften Geist.
Er bekam keine Luft. Etwas Kaltes presste sich gegen seine Kehle und erschwerte ihm das Schlucken.
Der Panik nahe schlug Jack die Augen auf. Es war zwar dunkel, doch der Sonnenaufgang konnte nicht mehr fern sein. Der Himmel begann sich aufzuhellen und von Minute zu Minute wurde es heller um ihn herum. Das Feuer war heruntergebrannt und der schwache Schein des Mondes, der noch immer am Himmel stand, schien auf ihn herab.
Das Gewicht eines Mannes lastete auf seiner Brust. Jack versuchte seinen Arm zu heben, stellte jedoch mit wachsender Angst fest, dass man seine Hände festhielt.
Er war vollkommen bewegungsunfähig.
Erneut schluckte er und spürte prompt, wie der kalte Gegenstand – eine Messerklinge – das zarte Fleisch seiner Kehle ritzte.
„Sieh an, sieh an. Unser Gast ist aufgewacht.“
Jacks Entsetzen nahm mit jedem Wort, das er hörte, zu.
„Wer sind Sie?“, röchelte er.
Der Mann auf seiner Brust lachte gackernd. Dann beugte er sich näher zu Jack herab und raunte: „Ich bin dein Albtraum, Junge. Und im Augenblick überlege ich, ob ich dich ausraube oder ob ich dich lieber mitnehmen soll. Du machst dich bestimmt gut als Sklave…“
Wie um seine Worte zu unterstreichen, kniff der Mann Jack in die Rippen. „Sehr kräftig bist du ja nicht. Aber bestimmt lässt sich ein hübsches Sümmchen für dich herausschlagen. – Hey, Pete! Komm‘ mal her und bring mehr Licht!“
Eine Fackel in seiner Hand haltend, trat Pete näher. Sein kurzes Haar glänzte schmierig im Schein des Feuers und seine kleinen Schweinsaugen stierten Jack lange an. Sein Angreifer machte dagegen einen erstaunlich gepflegten Eindruck. Dessen dunkles Haar war sauber zurückgekämmt und das helle Grau der Augen strahlte mit beunruhigender Klarheit auf Jack herab. Dunkle Stoppeln zierten das Kinn und die Wangen. Der Druck des Messers lockerte sich und der Mann nahm Jacks Kiefer zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann drehte er den Kopf von einer Seite zur anderen und musterte ihn konzentriert. Offenbar fiel sein Urteil positiv aus, denn er grinste.
„Ich glaube, wir nehmen dich lieber mit. Meinst du nicht, Pete?“ Pete nickte träge mit dem runden Kopf und seine winzigen Augen leuchteten begeistert.
Plötzlich erhob sich der Mann und fesselte Jack die tauben Hände vor dem Bauch, ehe er ihn mit sich zog und die Hände an eines der zwei Pferde, die etwas abseits zwischen den Bäumen grasten, band. Jack schluckte nervös.
Er war sich sicher:
Er konnte von Glück sagen, wenn er seine Freundin noch einmal zu Gesicht bekam…
Die Pferde trotteten durch den Wald und nur Jacks stolpernde Schritte brachten den gleichmütigen Klang ihrer Hufe durcheinander. Das Seil um seine Hände schnitt in seine Handgelenke. Fieberhaft überlegte er, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskommen konnte. Sydney schien ihm entfernter denn je zu sein. Seine Chancen, sie je wiederzufinden, schwanden mit jedem Schritt. Er hatte Glück, als er die Spuren gefunden hatte, doch was hatte er jetzt noch für Möglichkeiten? Frustriert schnaubte er. Der Mann an ihrer Spitze drehte sich im Sattel und blickte zu Jack zurück.
„Na, na. Unser Gast scheint ein wenig undankbar zu sein. Meinst du nicht auch, Pete?“ Beide Männer lachten kurz und hart auf.
„Vielleicht sollten wir ihm erst noch ein paar Manieren beibringen, ehe wir ihn als Sklaven verkaufen. Oder Pete?“
„Ja, Sir!“ Pete war von der Idee ganz begeistert und Jack verzog das Gesicht.
Pete war nun wirklich keine Person, die man kultiviert nennen konnte. Viel eher erweckte er den Eindruck einer dreckigen Kanalratte. Stinkend und ungepflegt, sowohl in äußerlicher Hinsicht als auch in seinem Verhalten.
Der Anführer zügelte seinen Fuchs und kam auf ihn zu. Man hatte ihn an den Sattel von Petes grauer Stute gebunden und nun zögerte Pete nicht, ihm beim Zügeln des Pferdes einen kräftigen Tritt in die Leber zu verpassen. Jack krümmte sich vor Schmerz und ihm blieb die Luft weg.
Was hatten sie vor?
„Pete, du sollst nicht so ungeduldig sein. Wie oft soll ich dir das noch sagen?“, sagte der grauäugige Bastard und stieg geschmeidig ab.
Der Mann blieb vor Jack stehen und griff unter dessen Kinn, um seinen Kopf zu heben. Jack blickte in diese stahlgrauen Augen und wünschte sich fast, er wäre nie durch den Schleier getreten. Der folgende Faustschlag traf ihn in die Nieren. Er japste nach Luft und klappte in der Mitte zusammen.
„Ah, sieh doch nur, Pete!“, höhnte er. „Die Verbeugung klappt schon einmal. Aber wir wollen doch einmal sehen, ob er auch stramm stehen kann, was, Pete?“
Pete klatschte in die Hände und lachte ein dreckiges, höhnisches Lachen. Bei dem schrillen Laut standen Jack die Haare zu Berge, als ihn auch schon der Kinnhaken traf und seinen Kopf nach hinten schleuderte. Der metallische Geschmack von Blut lag ihm auf der Zunge. Er hustete und spukte es aus – direkt auf die Stiefelspitze seines Entführers. Dieser blinzelte nicht einmal, sondern verpasste ihm stattdessen einen weiteren Schlag in die andere Niere, sodass ihm erneut die Luft wegblieb. Jack sackte zusammen und wäre zu Boden gesunken, wenn er nicht mit dem Seil am Pferd festgebunden wäre.
„Ich finde, unser Gast hat seine heutige Lektion gelernt. Wir wollen nun weiterreiten, damit wir vor Anbruch der Dunkelheit im Ort ankommen.“
„Jawohl, Sir!“ Petes Stimme überschlug sich fast vor überschwänglicher Begeisterung. Benommen registrierte Jack, dass der Mann sich mit einem blütenweißen Taschentuch die schwarz-glänzende Stiefelspitze abwischte, ehe er zu seinem Pferd zurückkehrte, aufsaß und sie sich wieder in Bewegung setzten. Jack stolperte neben dem Pferd her und schluckte das Blut herunter. Seine Nieren, die Leber und sein Kiefer schmerzten ohne Unterlass und auch ohne einen Spiegel war er überzeugt davon, dass sich die betroffenen Stellen bereits blau und lila färbten.