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8.

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Jack stolperte. Sie waren seit Stunden ohne Pause unterwegs. Seine Füße schmerzten und er war sich keineswegs sicher, ob er diese Tortur noch länger durchhielt.

Plötzlich zügelte der Mann vor ihm sein Pferd. Sogleich blieb auch Petes Stute stehen und Jack war versucht, sich einfach soweit gen Boden sinken zu lassen, wie es die Fesseln zuließen. Doch er fürchtete sich vor die Reaktion dieser Kriminellen. Womöglich würden sie ihn noch weiter verprügeln, wenn er sich nicht still verhielt – und das wäre noch das bessere Schicksal. Seine aufgeplatzte Lippe war mittlerweile zu doppelter Größe angeschwollen. Er hatte Durst und hoffte, sie würden endlich diesen Ort erreichen, von dem der Mann gesprochen hatte. Dort würde er sich hoffentlich hinsetzen und ausruhen können. Vorsichtig fuhr er sich mit der Zunge über die geschundenen Lippen, zuckte jedoch sogleich vor Schmerz zusammen.

Sie standen auf einer Anhöhe und konnten in ein Tal herabblicken. Von seiner Position aus, konnte Jack einzelne Holzhütten erkennen, aus denen Rauchwolken aufstiegen.

„Pete, ich will, dass du mit unserem Gast hier wartest, bis ich dir ein Zeichen gebe. Ich werde ins Dorf reiten und sicherstellen, dass man uns freundlich aufnimmt. Wir wollen doch nicht, dass alle Müh‘ umsonst ist, nicht wahr?“

Einen kurzen Blick auf Jack werfend, trieb der Mann seinen Fuchs an und verschwand aus ihrem Blickfeld.

Wozu machten sich diese Männer solch eine Mühe? Jack fragte sich, wie es möglich war, dass zwei offensichtlich kriminelle Typen die Möglichkeit sahen, in eine derart kleine Ortschaft zu reiten.

Pete wartete geduldig auf seinem Pferd sitzend und kratzte sich mit einem ziemlich großen und scharf aussehenden Messer über die Bartstoppeln an seiner Wange. Vermutlich waren er und der andere Mann schon länger unterwegs, vermutete Jack.

Eine Weile später kündigte der Klang von Hufe die Rückkehr des Mannes an. Jack hob seinen Kopf. Ein Mann, kaum älter als ein Kind, erschien vor ihnen. Sein Pferd zügelnd erklärte er sich, während ihn ein schwaches Stottern begleitete: „M-m-man sagte m-m-mir, ihr wartet auf ein Zeichen eures B-B-B-Bosses. Ich soll eu-euch ausrichten, ihr könnt kommen, nehmt aber nich‘ den direkten Weg! R-r-r-r-reitet besser ü-ü-ü-über einen Umweg.“ Der Junge ließ seinen Blick über sie beide wandern und registrierte dabei sowohl das ungepflegte Auftreten Petes als auch das geprügelte Aussehen Jacks. Er räusperte sich. „I-i-ich bin J-j-j-jimmy. Ich werd‘ euch zu eurer Unterkunft f-f-f-f-führen. Dort gibt’s ‘was zu essen und trinken, s-s-sowie eine Schlafstätte. Solch‘ Typen wie eu-eu-euch sehen wir nich‘ gern‘ in u-u-unserm Ort, wisst ihr.“

Pete nickte und bedeutete dem stotternden Jungen vorauszureiten. Jack stöhnte leise, als sich seine schmerzenden Füße erneut in Bewegung setzten.

Erschöpft ließ Jack sich fallen.

Welche Wohltat es doch war, endlich die Füße ausruhen zu können und sei es nur für einen Augenblick! Selig schloss er seine Augen. Er und Pete hatten die Taverne, in derer sie nächtigen wollten, eben erst erreicht und nachdem Pete ihren Führer Jimmy mit einigen, wenigen Münzen fortgeschickt hatte, hatten sie sich an die Bar begeben und warteten nun auf den anderen Kerl. Dieser hatte es zwischenzeitlich nämlich vorgezogen mit einer der käuflichen Frauen in eines der Zimmer zu gehen, was Pete mit einem amüsierten Grunzen quittiert hatte, als der Barmann ihm dies mitteilte.

Nun stand ein Krug, gefüllt mit lecker schäumenden Bier, vor Pete, während Jack darauf zu hoffen wagte, dass Pete ebenso fortging und ihm etwas Bier übrig ließ. Doch bedauerlicherweise starrte Pete nur vor sich hin und schien nicht im Geringsten daran zu denken, seinen Bierkrug allein zu lassen. Der Barmann hatte zwar gefragt, ob Jack auch etwas zu trinken wünschte, doch noch ehe er etwas erwidern konnte, hatte Pete abgelehnt mit den Worten, dass er keinen Durst habe. Daraufhin hatte der Barmann nur mit den Schultern gezuckt und sich einem der anderen Gäste gewidmet.

Jack seufzte.

Er hatte das Gefühl, seine Kehle wäre bereits so rau wie Schleifpapier. Er könnte Pete ansprechen und ihn darum bitten, dass er auch etwas zu trinken bekäme, doch vermutlich würde er nur wieder verprügelt und darauf konnte er sehr gut verzichten, entschied er. Stattdessen warf er einen Blick hinter sich und sah sich genauer um.

Die Atmosphäre erinnerte ihn an einen der Westernfilme, die er einmal gesehen hatte. Hölzerne Stuhlbeine scharrten über den ebenso hölzernen Boden und an einigen Tischen saßen Männer, meist einfach gekleidet, und spielten Karten. In einer Ecke konnte Jack einen älteren, bärtigen Mann ausmachen, der seine Beine lang vor sich ausgestreckt hatte und offensichtlich schlief, obwohl die Unterhaltungen der Gäste keineswegs leise zu nennen waren.

Zwei Frauen, eine rothaarig, die andere brünett, liefen umher und flirteten mit den Männern, die an den Tischen saßen. Als die Rothaarige an einem Tisch stehen blieb und lasziv mit den Hüften wackelte, zögerte einer der Männer nicht lange, warf seine Karten auf den Tisch, wirbelte herum, packte sie um die Taille und küsste sie ungestüm. Die Frau, welche zunächst mit einem Lachen reagiert hatte, lag augenblicklich in seinen Armen und fuhr ihm mit den Händen über den geöffneten Hemdkragen. Einige Männer beobachteten das Spektakel mit offener Lüsternheit, während andere laut johlten und hemmungslos ihren Neid mitteilten. „He, du lüsterner Bock! Nimm‘ ‘n Zimmer!“ – „Oder lass noch andere ran!“ Lautstarkes Gelächter brandete auf. Der Mann löste sich von der Frau, grinste breit und offenbarte dabei seine gelben Zähne. Dann legte er den Arm um ihre Schultern und ließ sich von ihr die Treppe hinaufführen. Die Zuschauer im Schankraum applaudierten.

Jack verfolgte die Szene mit den Blicken. Wo, um Gottes Willen, führten sich erwachsene Männer derart auf? Man konnte meinen, überlegte er, dies sei tatsächlich der Wilde Westen! Alle waren etwas ärmlich gekleidet und die Bierkrüge waren aus schlichtem Metall gefertigt und glichen eher Becher denn Krüge.

Ein merkwürdiger Ort, soviel stand fest.

Als Jack sich wieder zum Tresen umdrehen wollte, fiel sein Blick auf das zweite Mädchen. Sie war jung – und sehr hübsch. Ihre braunen Augen ruhten unverwandt auf ihm und als Jack den Blick bereits wieder abwenden wollte, trat sie auch schon auf ihn zu. Dicht neben ihm blieb sie stehen. Ihre Arme berührten sich und er nahm den schwachen Duft von Pfirsichen an ihr wahr. Es war ein angenehmer Geruch, der ihm gefiel.

„Es scheint, als habe man Ihnen übel mitgespielt, Mister.“

Der glockenhelle Klang ihrer Stimme erfüllte seinen Geist und er warf ihr einen Blick zu. Ihr grünes Kleid war mit schwarzer Spitze durchsetzt und der Ausschnitt erschien ihm derart tief, dass Jack rasch den Blick wieder abwandte. Das Mädchen kicherte leise. Dann raunte sie: „Ihr seid wohl etwas schüchtern, wie? Das stört mich nicht.“ Sie rückte ein Stückchen näher und beugte sich vor. Warm strich ihr Atem an seinem Ohr entlang. „Ich bin Charlene. Falls es Euch einmal zwischen den Beinen juckt, braucht Ihr nur herzukommen und nach mir zu fragen.“ Sie zwinkerte ihm zu und strich ihm mit ihren manikürten Fingern sanft über den Arm. „Ich erfülle gerne Eure Wünsche.“ Sie drehte sich um und schritt mit wiegenden Hüften auf die Treppe zu. Als sie den oberen Treppenabsatz erreichte, drehte sie sich ein weiteres Mal nach ihm um und lächelte ihm kokett zu.

Unruhig rutschte Jack auf seinem Stuhl herum, als sich plötzlich die Tür neben ihr öffnete und Petes Anführer heraustrat. Zufrieden grinsend zog er die Tür hinter sich zu und kniff Charlene im Vorbeigehen beherzt in den Allerwertesten. Der Mann grinste sie anzüglich an und trat zu Pete und Jack an den Tresen. Verärgert blickte das Mädchen ihm nach.

„Nun, Pete, wie ich sehe, hast du es dir mit unserem Gast gemütlich gemacht.“ Pete grinste seinen Boss an. „Aber klar doch, Sir.“ Er ließ es sich nicht nehmen und fügte mit einem Seitenblick auf Jack hinzu: „Das Bier schmeckt vorzüglich. Ihr solltet auch davon probieren, Sir.“

Jack verfluchte den Bastard, als beide auf seine Kosten zu lachen begannen. Der Anführer der beiden winkte den stämmigen Barmann zu sich heran. Dieser zögerte keine Sekunde und eilte eifrig zu ihm. Nervös leckte er sich mit der Zunge über die Lippen, ehe er fragte: „Was darf’s sein, mein Herr?“

Kaum ausgesprochen, packte der Mann den Barmann am Kragen und zerrte ihn über den Tresen näher zu sich heran, um ihm etwas ins Ohr zu zischen. Es perlte sich der Schweiß auf des Barmanns Stirn und lief ihm übers Gesicht, um vom gelbstichigen Kragen aufgefangen zu werden. Der Mann schluckte und sein Kehlkopf hüpfte zitternd auf und ab. Offensichtlich trugen seine Entführer einen wenig schmeichelhaften Ruf mit sich, überlegte Jack. Pete verfolgte derweil interessiert das Gespräch. Niemand achtete auf Jack. Wenn nicht jetzt, wann dann, fragte dieser sich und schob sich entschlossen vom Hocker.

Leise trat er einen Schritt zurück und auf die Tür zu.

Dann noch einen.

Der Barmann hatte seine Hände mittlerweile abwehrend gehoben und redete hektisch auf den anderen Mann ein. Pete kicherte vergnügt und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher. Er war ganz damit beschäftigt, dabei zuzusehen, wie dem Barmann offensichtlich mächtig Angst eingejagt wurde.

Jack trat einen weiteren Schritt zurück. Noch immer bemerkte niemand, wie er sich davonzustehlen versuchte. Angespannt drehte er sich um und lief zur Tür hinaus. Er stolperte in die Abenddämmerung hinaus. Die Sonne stand besonders tief und Jack kniff sogleich die Augen zusammen angesichts des gleißenden Lichts, das ihn blendete. Sogleich hörte er, wie in der Spelunke hinter ihm Stühle umgeworfen wurden und Pete rief: „Boss, er will fliehen!“

Jack rannte los.

Seine Gedanken galten ausschließlich der Flucht. Er musste unbedingt fort von diesem Ort. Seine Füße pochten vor Schmerz und seine Lippe blutete wieder; von seiner Leber und Niere wollte er gar nicht erst anfangen. Alles schmerzte, die Sonne blendete ihn und er saß in einem gottverlassenen Nest fest, von dem er noch nicht einmal wusste, dass es existierte. Verdammte Scheiße, schoss es ihm durch den Kopf.

Er drehte sich nach rechts und wollte die Straße entlang rennen, als ein kräftiger Ruck durch seine Glieder fuhr und ihn bremste.

„Hey, immer schön langsam, Bursche! Wohin geht’s denn so eilig?“

Jack sah sich gezwungen, anzuhalten und den Mann anzusehen, der plötzlich vor ihm aufgetaucht war. Blonde Wellen wallten ihm über die Schultern und klare blaue Augen blickten ihm forschend ins Gesicht. Nach einem weiteren Blick entdeckte Jack, dass dem Mann ein Arm fehlte. Armer Kerl. Hastig warf er einen Blick hinter sich.

Diese Straße war noch immer leer, doch er konnte bereits ihre Schritte hören. Er beeilte sich lieber, dass er wegkam. Eine Entschuldigung murmelnd, versuchte Jack sich an seinem Gegenüber vorbeizuschieben. Dieser legte ihm jedoch plötzlich die Hand auf die Schulter und hielt ihn fest.

„Hey, Junge, hast du vielleicht Hilfe nötig?“

Jack schloss kurz die Augen, ehe er den Mann ansah. Dessen Blick ruhte geduldig auf ihm. Die Versuchung war groß, sich alles von der Seele zu reden, erzählen, was los war. Hilfe konnte er sicher gebrauchen.

Doch er blieb stumm.

In dem Moment hörte er Stimmen hinter sich. Verdammter Mist! Jack starrte noch immer in diese offenen, blauen Augen vor sich und gab sich einen Ruck.

„Hören Sie, wenn Sie mir helfen wollen, dann sorgen sie dafür, dass die Kerle mich nicht erwischen!“

Richard Pattsworth warf einen Blick hinter Jack, ehe er seine Hand von dessen Schulter nahm und beiseite trat.

Es fiel ihm nicht schwer, zu erkennen, dass die Männer, die aus der Taverne kamen und nun in ihre Richtung liefen, nichts Gutes im Schilde führten. „Das dürfte sich einrichten lassen, Junge.“

Dankbar lief Jack los. Als er bereits mehrere Schritte getan hatte, drehte er sich noch einmal um und beobachtete, wie sich der Fremde seinen Verfolgern in den Weg stellte. Dann lief er die Straße hinunter.


Gefangene der Welten

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