Читать книгу Gefangene der Welten - Hazel McNellis - Страница 7
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Оглавление„Was? Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“
Sydney fühlte sich verlegen. Damian rollte genervt die Augen, ehe er zu einer Erwiderung ansetzte, deren Tonfall keine Widerrede duldete.
„Wir sind schneller, wenn Ihr mit mir auf Schara’k reitet.“ Das Weib raubte ihm den letzten Nerv. „Es gibt keine andere Möglichkeit, nein. Besser, Ihr gewöhnt Euch an den Gedanken. Wir haben zwei Tage, ehe wir ankommen. Und ich dulde nicht, dass Ihr neben dem Pferd lauft und unsere Reise sich weiter verzögert.“
Damian betrachtete seine Reisegefährtin. Er erwischte sich – nicht zum ersten Mal – bei dem Gedanken, wie närrisch, töricht und durch und durch weibisch sich seine Verlobte verhielt.
Er war sich nicht sicher, ob er sie lieber zurücklassen wollte, damit er sie endlich wieder los war und die ewige Diskussion ein Ende hatte, oder ob er ihr berichten wollte, was ihr die nahe Zukunft bereithielt, um sie zum Schweigen zu bringen.
Sicher, von ihrem Standpunkt aus betrachtet war es wohl keine angenehme Art zu reisen, doch Damian war nicht gewillt, ihr auch nur ein weiteres Zugeständnis zu machen. Sie sollte ihm dankbar sein, dass er ihr die Fesseln abgenommen hatte.
Beim Gedanken daran, wie er ihr seine Version ihrer Zukunft demonstrieren könnte, schlich sich ein wölfisches Grinsen auf sein Gesicht.
Beunruhigt trat Sydney einen Schritt zurück. Was ging ihm nun wieder im Kopf herum? Dass es nichts Gutes für sie sein konnte, dessen war sie sich sicher. Sie räusperte sich und ließ ihren Blick zwischen Damian und dem schwarzen Wallach schweifen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Auch wenn ihr Entführer attraktiv war, so wollte sie ihm in keinster Weise näher an sich heranlassen als notwendig. Wenn es nötig war, dass sie vor ihm im Sattel Platz nahm, würde sie sich fügen - wenn auch nur widerwillig. Sie wollte schließlich nicht schon wieder gefesselt und wie ein Sack Kartoffeln herumgeworfen werden.
„Na schön. Wenn es denn unbedingt sein muss.“
Das Grinsen war aus Damians Gesicht wie weggewischt. Nach einem Blick in Sydneys Augen, wandte er sich Schara’k zu und saß geschmeidig auf. Er lenkte Schara’k neben sie und blickte auf sie hinab.
Das Pferd war riesig! Wie sollte sie da heraufkommen? Sydney schluckte nervös. In ihrem ganzen Leben hatte sie nicht einmal auf einem Pferd gesessen. Dass sie nun auf ein solches Monstrum aufsteigen sollte, ließ sich ihren Magen verkrampft zusammenziehen. Ihr Blick fiel auf die mächtigen Hufe. Was war, wenn das Pferd ausschlug? Oder ihr gar auf die Füße trat? Ihre Füße wirkten neben den Pferdehufen geradezu lächerlich winzig.
Eine Hand erschien vor ihrem Gesichtsfeld.
Damian blickte auf ihren Scheitel herab und fragte sich, was diese kleine Närrin nun wieder für ein Problem hatte. Es war wahrlich nervenaufreibend. Insbesondere, da er, Damian, nie geduldig gewesen war. Niemals hatte man es gewagt und seine Befehle missachtet oder gar in Frage gestellt. Seine Männer wussten, wer die Befehlsgewalt hatte. Dass ausgerechnet seine Zukünftige seine Geduld derart auf die Probe stellte, ließ ihn genervt mit den Zähnen knirschen. „Wollen wir?“ presste er hervor.
Sydneys Kopf fuhr hoch.
Eine schleichende Röte breitete sich von ihrem Hals über ihre Wangen und ihr Gesicht aus.
Er fragte sich, ob diese nicht ganz unansehnliche Röte auch andere Partien ihres Körpers einnahm? Bevor er diesen Gedanken jedoch näher verfolgen konnte, griff sie nach seiner Hand und richtete ihren Blick auf das Pferd.
Vorsichtig tätschelte sie den kräftigen Hals des Wallachs. Als sie „Ganz ruhig, Schwarzer!“ flüsterte, hätte er fast laut gelacht. Offensichtlich hatte seine zukünftige Braut mehr Angst vor einem Pferd, als vor ihm. Er grinste.
„Setzt euren Fuß auf meinem, dann zieh ich Euch herauf.“
Einen Moment später fand sich Sydney hoch zu Ross wieder. Ihre Hände umklammerten den Sattelknauf. Wenn sie nun herunterfiel? Es war so tief! Als sie bäuchlings mit ihm durch den Schleier geritten war, hatte sie gar keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Doch jetzt…?
Ihre Gedanken wirbelten in einem Strom nahe der Panik umher und Damian bemerkte besorgt, wie sich ihre Atmung beschleunigte. Er legte seine Arme um sie.
„Lehnt Euch an meine Brust. Euch kann nichts geschehen. Schara’k ist ein angenehmer Genosse. Trittfest und gelassen. Seid unbesorgt.“
Obwohl er ihr einen Teil der Furcht nahm, missfiel es Sydney, dass ihre Gefühlslage derart offensichtlich war.
„Ich habe keine Angst!“ erwiderte sie betont gelassen und Damian schnaubte.
„Euer Rücken ist derart angespannt, dass man glauben könnte, ich transportiere eine Statue! Auch, wenn ihr keine Angst haben mögt, so wäre es für die Reise hinderlich, derart verkrampft zu sitzen. Deshalb befehle ich Euch: Lehnt Euch zurück!“
„Ihr erteilt mir Befehle?“ brauste sie sofort auf.
Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Sie drehte den Kopf und funkelte Damian an. Ihre Augen waren zu wütenden Schlitzen zusammengekniffen.
Damian grinste und erwiderte nichts. Stattdessen trieb er Schara’k an.
Nach einer Weile gewöhnte Sydney sich an das Gefühl. Zwar achtete sie noch immer penibel genau darauf, Damian körperlich nicht näher zu kommen, als es unbedingt notwendig war, aber zumindest brachte sie es fertig, den Rücken nicht ganz so stark durchzudrücken.
„Warum haben Sie mich entführt?“, fragte sie ihn schließlich, als sie an einer mannshohen Felsformation vorbeikamen, die mit Brombeerbüschen bewachsen war. Die Sonne versteckte sich hinter trüben Wolken und es drang nur gedämpftes Licht durch die Baumwipfel zu ihnen durch.
Wenn man bedachte, dass sie – gegen ihren Willen! – auf diesem Gaul saß und keinen Krawall schlug, verhielt sie sich verhältnismäßig zivilisiert, um nicht zu sagen, höflich – ihrer Meinung nach.
Damian dagegen wünschte sich, seine Braut würde endlich ihren entzückenden Mund halten. Sie war redselig geworden, kaum, dass sie sich an ihre neue Position gewöhnt hatte. Damian kam es vor, als hätte sie darauf gewartet, dass sie sich mit Schara’k in Bewegung setzten. Ständig belästigte sie ihn mit Fragen zu seiner Herkunft, wohin er sie bringen wollte und insbesondere, warum er ausgerechnet sie entführen musste. Zu keiner ihrer Fragen hatte er eine Antwort gegeben. Als Konsequenz auf seine nichtssagenden Erwiderungen war Sydneys Neugier allerdings nur weiter angestachelt und so bohrte sie munter weiter Löcher in seinen Bauch.
Damian war es leid.
Schara’k zügelnd, schwang er sich energisch aus dem Sattel. Er führte den Wallach zu einem der Brombeerbüsche und wickelte die Zügel um einen der Zweige.
„Was ist los?“ Stirnrunzelnd blickte Sydney auf Damian hinab.
„Schara’k benötigt eine Pause.“
Das war eine glatte Lüge. Es war offensichtlich, dass sein Pferd für wesentlich längere Strecken trainiert war.
Ihm war es jedoch einerlei. Sollte seine Braut denken, was sie wollte. Er brauchte eine Pause von ihrem Geplapper und den damit einhergehenden Fragen. Er trat auf das Pferd zu und Sydney hob abwehrend die Hände.
„Ich kann das alleine!“
Damian war versucht, es darauf ankommen zu lassen. Aber besser, er strapazierte nicht noch zusätzlich seine Geduld, indem er ihr dabei zusah, wie sie ihren hübschen Hintern von seinem Pferd schwang. Der Gedanke an ihre Kehrseite beschleunigte augenblicklich seinen Herzschlag und sein Blick verdüsterte sich. Schärfer als beabsichtigt, raunzte er: „Seid nicht töricht!“, packte sie um die Taille und zog sie von Schara’ks Rücken. Ob er sie erneut knebeln sollte? Schnell verwarf er den Gedanken wieder. Sein Blick fiel auf ihre Augen. Groß und von einem grün, wie er es nie zuvor gesehen hatte, schimmerten sie ihm entgegen. Er konnte sie noch immer knebeln, sollte sie ihr loses Mundwerk nicht zügeln. Allerdings würde er sie fesseln müssen, wenn er sie nicht ununterbrochen im Blick behalten wollte.
Sydney stand vor ihm und fragte sich nicht zum ersten Mal, was hinter der düsteren Fassade vor sich ging. Er erschien ihr längst nicht so bösartig, wie sie es von einem skrupellosen Entführer erwartet hätte. Er war brummig, doch keineswegs bösartig. Natürlich hatte er keine ihrer Fragen beantwortet. Wenn man bedachte, dass Damian vermutlich nicht riskieren wollte, bei einem Fluchtversuch von ihr verraten zu werden, war das nicht weiter schlimm. Er beging immerhin ein Verbrechen. Abgesehen davon hatte sein Aussehen immensen Wiedererkennungswert, was sämtliche zusätzlichen Informationen für die Polizei schier überflüssig machten.
Damian ergriff ihren Arm und zog ein Seil aus den Satteltaschen. Sofort wusste Sydney, was er plante. Ihr freier Arm versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, der Damian jedoch nur ein überraschtes Grunzen entlockte. Ihr Fuß traf auf sein Schienbein und diesmal entfuhr ihm ein wütender Fluch. Geschickt wich er ihrem nächsten Angriff aus – der Versuch eines Kinnhakens –, packte ihre Arme und verdrehte sie ihr auf den Rücken. Dabei behielt er wohlweislich ihre Füße im Auge.
„Zwingt mich nicht, Euch Gewalt anzutun“, zischte er ihr ins Ohr, während er sie an sich zog, sodass sie mit dem Gesicht ihm zugewandt stand.
Schnell band er ihr die Hände auf den Rücken und führte sie zu einem nahegelegenen Waldabschnitt voller Birken. Selten war ihm ein Weibsbild begegnet, das ihm derart die Nerven raubte und seine Geduld strapazierte. Sicher, er hatte sie überraschend und unfreiwillig entführt, doch wenn sie die Gründe dafür wüsste – davon war er überzeugt! – würde sie dies verstehen und vielleicht sogar Freude empfinden mit der Zeit. Ihm war nämlich keineswegs entgangen, welcher Natur ihre Blicke waren.
Damian war mit seinen zweiunddreißig Jahren kein unerfahrener Schuljunge mehr. Er hatte genug Erfahrungen in fremden Betten gesammelt, um zu wissen, wie er die Blicke einer Frau zu deuten hatte. Seine Erfahrung war es, die ihm in diesem Augenblick Selbstsicherheit mit einer Spur Arroganz verlieh. Nachdem er seine Verlobte an den Stamm einer Birke gebunden hatte, warf er Sydney einen letzten abschätzenden Blick zu, ehe er kehrmachte und lautlos zwischen den Bäumen verschwand.
Als Damian außer Sichtweite war, seufzte Sydney erleichtert und lehnte den Kopf an den tröstlich festen Stamm der Birke. Und was nun? Die Tatsache, dass Damian sie inmitten der Wildnis zurückließ, machte sie nicht sonderlich nervös. Zum einen wünschte sie nichts mehr, als dass er einfach nicht wiederkommen würde, damit sie nach Hause zurückkehren konnte. Zum anderen war sie sich sicher, dass sie nicht lange allein bleiben würde. Sie bezweifelte, dass er sein Pferd zurücklassen würde.
Die letzten Stunden hatten nichts in Erfahrung gebracht, was ihr hätte von Nutzen sein können. Die knappen Antworten, die Damian ihr gegeben hatte, waren nicht besonders aufschlussreich gewesen. Wollte er ihr die Frage nach dem Grund ihrer Entführung doch ebenso wenig beantworten, wie die Frage, mit wem sie es zu tun hatte! Selbst die Frage, ob jemand ein Lösegeld von ihrem Vater erpressen wollte, quittierte Damian nur mit einem nichtssagenden Kommentar darüber, dass ihr Vater sicher froh wäre, wenn eine geschwätzige Person wie sie jemand anderen gefunden hätte, der sie ihm abnahm.
Als Damian wiederkam, hatte sich seine Laune eindeutig gebessert. Auf seinem Arm trug er mehrere Zweige, die er in einiger Entfernung zu ihr auf den Boden fallen ließ und ein Lagerfeuer vorbereitete. Er plante doch nicht, die Nacht an diesem Ort zu verbringen?
„Das wird aber eine lange Erholungsphase für das Pferd, wenn Sie jetzt auch noch ein Feuer machen. Finden Sie nicht?“
Damian löste seinen Blick von der Feuerstätte und sah zu ihr herüber. Ein amüsiertes Glitzern lag in seinen Augen und Sydney konnte nicht umhin, seine raue Attraktivität zu bemerken.
„Wir werden hier übernachten müssen. Wir sind nicht sehr weit gekommen und es dämmert bereits. Da ist es besser, wir schaffen eine sichere Umgebung für die Nacht, als dass wir blind weiterreiten oder von Tieren überrascht werden.“
Er funkelte sie herausfordernd an und Sydney erkannte, dass er sie nur auf den Arm nehmen wollte. Sicherlich gab es gar keine Bedrohung durch wilde Tiere in diesem Teil des Waldes und er wollte ihr nur Angst einjagen.
Zweifelnd musterte sie ihren Entführer, ehe sie ihren Blick unsicher über die Bäume schweifen ließ.
„Werde ich die gesamte Nacht an diesem Baum gefesselt sein?“, fragte sie schließlich und blickte zurück zu Damian.
Nachdenklich stocherte er in der Glut. Er hob den Blick und sah sie an. Direkt und sehr intensiv ruhte er auf ihr. Ein Prickeln entstand auf ihrer Haut, gefolgt von einer Gänsehaut.
Seine Augen verfolgten jede ihrer Gefühlsregungen, während er abwog, ob er ihre Fesseln lösen sollte. Die Möglichkeit, dass sie fliehen könnte, sobald er schlief, bestand durchaus. Andererseits konnte es nachts im Wald verdammt finster werden.
Sydney war sich nicht sicher, ob sie das Risiko, einem wilden Tier über den Weg zu laufen oder sich gänzlich zu verirren, eingehen wollte.
„Ich werde Eure Fesseln bald lösen.“
Er stand auf und ging zu Schara’k herüber. Dort öffnete er eine der Satteltaschen und holte ein kleines Päckchen heraus. Es handelte sich dabei um ihr Abendessen, erkannte Sydney. Haferbrot und Dörrfleisch. Beim Anblick des – zugegeben einfachen – Mahls, machte sich ihr Hunger mit einem lauten Grummeln des Magens bemerkbar. Trotz des schlechteren Lichts konnte Sydney erkennen, dass Damian einen Mundwinkel hochzog und sein Blick, während er zum Feuer zurückkehrte, kurz zu ihr herüber huschte. Sydney spürte die Röte in ihrem Gesicht und war für den sanften Schimmer dankbar, den das Feuer verbreitete.
Damian wickelte einen kleineren Teil des Päckchens aus und kam zu ihr. Sein Blick streifte ihren, als er anmerkte: „Ihr seid hungrig. Hier, nehmt das und esst.“
Er löste ihre Fesseln und hielt ihr ein Stück des Brotes und etwas von dem Fleisch hin. Dankbar griff Sydney danach. Damian nahm für sich selbst etwas und sagte: „Kommt lieber näher an das Feuer. Die Nacht wird kühl werden.“
Sydney zögerte und unterdrückte ein Stöhnen, als sich ihre geschundenen Muskeln dehnten.
Damian beobachtete, wie Sydney näher herantrat und ihm gegenüber Platz nahm. Sie verschränkte nervös ihre Arme und sah zu Schara’k herüber. „Denkt lieber nicht an eine Flucht. Schara’k würde Euch nicht gehorchen und ich würde es bemerken, ehe Ihr den Feuerkreis verlassen hättet.“
Sydney blitzte ihn empört an. „Wie kommen Sie auf die Idee, ich würde meine Gedanken einer Flucht widmen?“
„Nun, das ist offensichtlich.“ Sydney schnaubte. „Jeder hätte Eure Gedanken an Eurer Mimik ablesen können.“
Erbost und gleichzeitig verlegen, weil Damian sie ertappt hatte, antwortete sie ein wenig trotzig: „Sie können Ihre Augen auch nicht überall haben. Irgendwann müssen auch Sie schlafen.“
Plötzlich war der Wald erfüllt von Damians Gelächter.
Er lachte sie aus, erkannte Sydney und funkelte ihn verärgert an.
Damian lachte und lachte und schien sich nicht beruhigen zu wollen. Sydneys Aussage klang für ihn derart absurd und unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich, dass er sich fragte, wie sie auf solch einen Gedanken gekommen war.
Sydney schwieg und beschränkte sich darauf, ihren Entführer wütend anzustarren. Was war lächerlich an ihrer Annahme? Er musste irgendwann müde sein. Er konnte unmöglich die ganze Zeit wach sein.
Mit einem amüsierten Glitzern in den dunklen Augen sah Damian sie an. „Ihr habt Humor! Seid gewiss, Madame, das ist eine wahrlich lobenswerte Eigenschaft!“
Unsicher, ob er sie zu ärgern versuchte oder ob das sein Ernst war, sparte sie sich einen Kommentar.
„Solltet Ihr den Drang verspüren, eine Flucht versuchen zu wollen, bitte ich Euch um eins: Lasst Euch nicht hindern.“
Sein Blick nahm an Intensität zu und seine Stimme senkte sich zu einem dunklen Schnurren, als er seinen Blick langsam über ihren Körper gleiten ließ und hinzufügte: „In dem Fall dürfte es eine interessante Abendgestaltung werden.“
Angesichts dieser anzüglichen Drohung schluckte Sydney.
Damian beobachtete derweil fasziniert, wie Sydneys Gesicht eine dunklere Tönung annahm und sie begann, am Saum ihrer Oberbekleidung zu spielen. Sie war sichtlich nervös geworden. Ihr Blick war auf ihn gerichtet, doch ihre Augen hatten sich bei seiner Warnung geweitet, sodass sie nun mehr Ähnlichkeit mit einem verschreckten Kaninchen hatte.
Damian löste die Spannung zwischen ihnen und sagte: „Ihr solltet Euch nun etwas schlafen legen. Ich werde Wache halten und Euch wecken, sobald wir im Morgengrauen weiterreiten.“
Sydney zögerte. Konnte sie ihm vertrauen? Was, wenn nicht? Er hatte sie entführt und sein Verhalten war keineswegs eindeutig zu nennen. Vielmehr ließ er alle Möglichkeiten offen.
Er konnte sie entführt haben, um sie zu ermorden oder um sie zu vergewaltigen und anschließend umzubringen. Andererseits, sollte er ein Lösegeld erpressen wollen, von wem auch immer, musste sie unangetastet bleiben. Und aufgrund seines Verhaltens erschien es Sydney vernünftig, darauf zu bauen, dass er es auf Geld abgesehen hatte. Sein gesamtes Erscheinungsbild untermauerte diese Möglichkeit. Er kam nicht wie ein Lump daher und doch trug er sehr einfache Kleidung und die Tatsache, dass sie zu Pferd unterwegs waren und er sie nicht in irgendeinem Hotelzimmer versteckte, deutete darauf hin, dass der Wald zu seinem Zuhause zählte. Bei dem Gedanken bekam Sydney Mitleid mit ihrem Entführer. Warum hatte er kein Zuhause? Keine Familie? Warum musste er sie entführen und auf diese Weise an Geld kommen? Er konnte arbeiten. Dessen war sie sich sicher. Er war groß und von kräftiger Statur. Den Kopf angefüllt mit ungelösten Fragen, entschied sich Sydney dafür, das Risiko einzugehen. Ihre Muskeln schmerzten und da das Adrenalin in ihrem Körper nun langsam wieder abgebaut wurde, fühlte sie sich müde und erschöpft. Die letzten vierundzwanzig Stunden waren ausgesprochen aufregend gewesen. Ihr blieb gar keine Zeit, sich erschöpft zu fühlen. Doch nun, da langsam Ruhe einkehrte und sie sich immer sicherer wurde, dass Damian ihr kaum etwas antun würde, spürte sie deutlich die Auswirkungen des langen Reitens und der Fesseln.
Sie legte sich auf die Seite und blickte Damian eine Weile über das Feuer hinweg an.
Er hatte seinen Blick auf die Flammen gerichtet und war in Gedanken vertieft. Was hinter diesen dunklen Augen wohl vor sich ging? Ehe sie sich Gedanken dazu machen konnte, fielen ihr die Augen vor Müdigkeit zu. Mit einem letzten Gähnen beschloss sie, dass dies das Letzte war, worüber sie sich heute noch Gedanken machen wollte.
Eine Weile später erhob sich Damian und trat zu Schara’k. Er griff in die zweite Satteltasche und zog einen zerknitterten Umschlag hervor. Das Papier war bereits vergilbt und zeigte Spuren des Alters. Risse zeigten sich an den Rändern. Damian wusste kaum zu sagen, wie oft er diesen Brief bereits entfaltet und gelesen hatte. Das Siegel auf der Vorderseite, welches kaum mehr als solches zu erkennen war, war bereits vor langer Zeit aufgebrochen worden. Seitdem war das Schreiben in seinem Besitz. Er führte es stets mit sich und ließ es nie irgendwo zurück. Dazu war der Inhalt zu bedeutsam.
Damian genoss das vertraute Gefühl des empfindlichen Materials zwischen seinen Händen; war es doch schließlich das Letzte, was ihm von seiner Familie geblieben war.
Er warf seiner Braut einen kurzen Blick zu. Dann nahm er wieder am Feuer Platz, entfaltete vorsichtig den Brief und begann zu lesen.
Unsere lieben Kinder,
bevor ich diesen Brief fortführe, erbitte ich eure Vergebung dafür, dass wir euch nicht persönlich über die Gegebenheiten informieren konnten. Eine dringende Angelegenheit, derer wir uns bedauerlicherweise annehmen müssen, gewährt keinen Aufschub. Daher glaubt uns bitte, wenn wir euch sagen, dass es besser für euch ist, wenn ihr möglichst wenig darüber wisst.
Es bricht uns das Herz, euch derart zurückzulassen, doch uns bleibt beileibe keine andere Wahl.
Eure Mutter und ich werden fort sein, wenn ihr in aller Frühe erwacht. Dennoch, so Gott will, hoffen wir darauf, in naher Zukunft wieder bei euch sein zu können. Ich habe nicht mehr viel Zeit, um euch präzise Anweisungen bis zu unserer Rückkehr zu geben, doch ich bitte euch um eins:
Damian, du bist der ältere von euch beiden und kein Junge mehr. Gib auf deine Schwester Acht! Pass auf, dass euch nichts Böses widerfährt und wir euch bei unserer Rückkehr in unsere Arme schließen können.
Eure euch liebenden Eltern,
C. und G. Ramsey
Sie waren nie zurückgekehrt.
Damian hatte mit Diana auf ein Zeichen ihrer Rückkehr gewartet und es war durchaus nicht einfach gewesen. Er war zu dem Zeitpunkt vierzehn und seine Schwester zehn Jahre alt. Sie warteten ein halbes Jahr, ehe Damian beschloss, Nachforschungen anzustellen. Als er Diana offenbarte, dass er sich auf die Suche nach ihren Eltern begeben würde, hatte sie, störrisch wie ein Esel, darum gebettelt, mitgehen zu dürfen. Erlaubte er es nicht, so wollte sie überall erzählen, was er ihr für boshafte Streiche spielte, sodass sie keinen Schlaf mehr fand. Ihr strohblondes Haar hatte im Sonnenlicht geglänzt, während ihre blauen Augen ihn böse anfunkelten.
Er hatte keine Wahl gehabt.
Damals.
Heute hätte er anders gehandelt, reifer und mit mehr Verstand.
Damals hatte er es jedoch nicht besser gewusst und seine Schwester mitgenommen, was sich alsbald als Fehler herausstellte. Denn seine Schwester schaffte es, bereits am zweiten Tag ihrer Reise, Straßenräubern zum Opfer zu fallen. Sie wurde entführt und Damian fand sich mit einem Mal mutterseelenallein auf der Straße wieder. Seine Hand war gebrochen und sein Geld, fünf Silbermünzen und sieben Kupferlinge, hatten sie ihm ebenso abgeknöpft wie seine unschuldige Schwester.
Von diesem Tage an hatte er die Ehre begraben und war einer von ihnen geworden. Er lebte auf der Straße und verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit Taschendiebstählen, während er seine Familie suchte.
Jahre später, als er achtzehn Jahre zählte, scheiterte er an einem seiner Opfer.
Lan’tash war ein kluger Mann und erkannte die Verzweiflung und Einsamkeit hinter Damians großspurigen Worten. Er nahm ihn unter seine Obhut und half ihm bei der Suche nach seinen Eltern.
Damian hatte ihm allerdings nie von Diana erzählt, zu groß war der entstandene Schaden.
Er wusste, dass er der Behandlung Lan’tashs nicht würdig war. Die Räuber, die seine Schwester entführten, hatten ihn seiner Ehre beraubt. Niemand sollte je von seiner schändlichen Unfähigkeit, seine Schwester zu beschützen, erfahren.
Er wohnte zwei Monate unter Lan’tashs Dach, als dieser ihm eine Nachricht überbrachte und noch ehe Damian die Worte hörte, wusste er, dass man sie gefunden hatte.
Damian hob den Blick.
Seine Augen waren feucht geworden bei der Erinnerung an seine Vergangenheit. Die Erinnerung an die Nachricht vom Tode seiner Eltern schmerzte ihn. Als wollte das Schicksal ihn verspotten, waren auch sie die Opfer böswilliger Straßenräuber geworden. Der einzige Unterschied zu denen, die seine Schwester entführten, war der, dass die Kutsche seiner Eltern tödlich verunglückt war und niemand sich in der Lage sah, zu sagen, ob die Straßenräuber die Schuld am Unfall trugen oder ob man die Kutsche im Nachhinein erst plünderte.
Damian seufzte, holte Luft und faltete das Papier zusammen. Dann verstaute er den Brief wieder in der Satteltasche.
Das alles war Vergangenheit.
Und dennoch…
Abend für Abend las er den Brief und durchlebte seine düstere Vergangenheit. Irgendwann würde es ihm womöglich nicht mehr so viel ausmachen. Doch die Tatsache, dass er seither nie wieder etwas von seiner Schwester gehört hatte, ließ seine Gefühle nicht zur Ruhe kommen. Das Unwissen, was mit ihr geschehen war, nagte an ihm. Sicher, er konnte sich vorstellen, welches Leid seine Schwester durchleben musste. Tief in seinem Innersten hoffte er dennoch, dass sie es geschafft hatte und sich befreien konnte.
Oder dass sie zumindest einen schnellen Tod fand.
Damian schluckte. Er rieb sich mit den Händen das Gesicht und schüttelte die trüben Gedanken ab.
Gewöhnlich würde er seine Trauer in einer dieser Spelunken im Alkohol ertränken und ein hübsches Mädel mit auf sein Zimmer nehmen, um zu vergessen. Doch nun hatte er weder das eine, noch das andere.
Sein Blick fiel auf Sydney.
Sie schlief tief und fest. Damian betrachtete sie und entdeckte das Schimmern von Metall an ihrem Hals. Interessiert ging er um das Feuer herum. Hinter Sydney ging er in die Hocke und zog vorsichtig die Kette unter ihrem Hemd hervor.
Federleicht ruhten die feinen, goldenen Glieder in seiner Hand. Sein Blick fiel auf den Anhänger. Es war ein Amulett von der Größe eines Daumennagels. Ein Smaragd, in Gold von erstaunlicher Festigkeit eingefasst, bildete eine farblich exakte Kopie ihrer Augen. Das Gold widerstand mühelos seinen Versuchen, es zu formen, und Damian fragte sich, welche Kunstfertigkeit nötig war, um solch hochwertige Handarbeit zu leisten. Sein Blick ruhte einen Moment länger auf dem Smaragd, bevor er zu ihren Gesichtszügen wanderte.
Ihre vollen, sanft gerundeten Lippen waren leicht geöffnet und schimmerten verführerisch im Schein des Feuers. Ihre Augenbrauen bildeten eine zarte Ergänzung zu der Willenskraft, die ihre Augen ausstrahlten.
Damian verschlang jeden Zentimeter ihres Gesichts. Und immer wieder glitt sein Blick zurück zu ihren Lippen.
Vorsichtig ließ er das Amulett zurückgleiten.
Bevor er einen Fehler begehen konnte, erhob er sich und vertrat sich die Beine.