Читать книгу Geisel der Leidenschaft - Heather Graham - Страница 5
Prolog
ОглавлениеFalkirk, Schottland
22. Juli 1298
Im Krieg lag eine eigentümliche Schönheit. Allein die Pfeile boten einen atemberaubenden Anblick. Unvermittelt tauchten sie im leuchtenden Blau des Sommerhimmels auf, flogen hoch empor und sanken anmutig herab – zischend und zielstrebig.
Und dann hörte Brendan das Geschrei, denn die Schotten, die den Trupp der erfahrenen englischen Bogenschützen herausgefordert hatten, erkannten zu spät, dass Schönheit und Anmut genauso mörderisch zu wirken vermochten wie die Dummheit.
Die Pfeile bohrten sich ins Fleisch, ließen Blut spritzen, zerschmetterten Knochen. Schwankend krümmten sich die Männer, schwer verwundet oder gar tot fielen sie zu Boden. Die verängstigten Pferde wieherten ohrenbetäubend, und viele Ritter, selbst unverletzt, fluchten voller Zorn, als tödlich getroffene Tiere unter ihnen zusammenbrachen. In wilder Panik stob das Fußvolk auseinander, die Kavallerie wich zurück, die Kommandanten erteilten mit durchdringenden Stimmen ihre Befehle.
»Halt, ihr Narren!«, brüllte John Graham, Brendans Verwandter, der auf seinem großen Rappen saß. »Sorgt für eure Rückendeckung!«
Da ihr Anführer William Wallace einen günstigen Kampfplatz gewählt hatte, konnten sie sich gewisse Vorteile verschaffen. Obgleich Edward von England etwa zweitausendfünfhundert Fußsoldaten und zwölftausend Reiter in den Krieg geschickt hatte, kämpfte William am Rand des Callander Wood. An dieser Stelle mündete ein rauschender Bach in einen anderen aus Glen Village. Deshalb mussten die Engländer ein sumpfiges Gebiet durchqueren, das Männer und Pferde gleichermaßen ermüdete. Trotzdem rückten die Engländer unbeirrt vor. Und die Schotten wurden zurückgetrieben.
»Halt!«, befahl John wieder und Brendan sah ihn ungläubig den Kopf schütteln. Welches törichte Selbstvertrauen hatte zu dieser unfassbaren Dummheit geführt?
Wer hatte die Pfeile nicht gesehen? So sicher waren sie sich gewesen, den Engländern trotzen zu können. Nun vergeudeten sie zahllose Menschenleben. Und der Hauptangriff hatte noch nicht einmal begonnen.
Über dem Geschrei der Männer hörte Brendan die Pferdegeschirre klirren. In nervöser Ungeduld stampfte sein scheckiger Hengst Achilles in der aufgeweichten Erde, feuchter Atem quoll aus den Nüstern. Immer mehr Pfeile rasten heran, Schotten brachen zusammen und starben. Edward von England war kein Narr und gewiss kein Feigling. Wer ihn falsch eingeschätzt hatte, rannte ins Verderben. Gnadenlos hatte er Wales vernichtet, dem er seine ausgezeichneten Langbogenschützen verdankte. Auch mit der Armbrust wussten seine Soldaten umzugehen, flämische und deutsche Söldner, auch Krieger aus Frankreich, das er so beharrlich bekämpfte.
Sogar Schotten ritten mit ihm, weil sie fürchteten, ihr Beschützer Wallace könnte sich gegen die Streitkräfte des englischen Plantagenet-Königs, des selbst ernannten Hammers der Schotten, nicht behaupten.
Vielleicht wechselten wankelmütige Schotten in eben diesem Augenblick die Seiten …
Die englischen Reiter folgten ihren Bogenschützen, ein Nahkampf stand unmittelbar bevor. Mit ihren Schiltrons – Barrieren aus Männern, die Piken schwangen – pflegten die Schotten dem Feind zu trotzen.
Aber jetzt versagte auch diese Methode.
Hastig sprang Brendan von seinem Hengst und rannte zu einem alten Krieger, aus dessen Schenkel der Schaft eines Pfeils ragte. »Zieh ihn heraus!«, befahl der Mann. »Sonst verblute ich auf diesem Schlachtfeld!«
»Das kann ich nicht, MacCaffery …«
»Doch, mein Junge.« Unter schneeweißen Brauen und wild zerzausten Haaren funkelten blaue Augen.
«MacCaffery …«
»Bist du zu schwach?«
Mit dieser herausfordernden Frage erreichte MacCaffery sein Ziel. Brendan packte den Schaft des Pfeils, biss die Zähne zusammen und zog die Spitze aus dem Fleisch. Blitzschnell riss er sich das Leinenhemd vom Leib und presste es auf die Wunde. »Du Narr!«, beschuldigte er den alten Krieger.
»Aye«, bestätigte MacCaffery leise. Bei der schmerzhaften Prozedur hatte er mit keiner Wimper gezuckt. »Ein freier Narr. Und als solcher will ich sterben.«
Sterben? Spürte auch er dieses seltsame Gefühl? Keine Furcht, eher ein Unbehagen. An diesem Tag hätten sie nicht kämpfen dürfen. Viele Kommandanten hatten dagegen protestiert. Stattdessen hätten sie weiter nach Norden ziehen sollen. Sie hatten das Land verwüstet zurückgelassen. Wären sie vor dem englischen Heer geblieben, hätten sie es aushungern können.
Vor nunmehr fast einem Jahr, in Stirling Bridge, hatten sich die Schotten – Arme und Reiche, Bauern und Kaufleute – der englischen Übermacht gestellt und triumphiert. Seit jenem wundervollen Sieg hatte Schottland seine Freiheit genossen. Andrew de Moray, der große Baron aus dem Norden, war kurz nach der Schlacht gestorben, tödlich verwundet. Bis zur letzten Minute hatte Sir William Wallace den Namen des Freundes in der offiziellen Korrespondenz am Leben erhalten und als Verwalter Schottlands regiert – mächtig genug, um die Welle des Blutvergießens nach England zu jagen, York zu zerstören und seinen Anhängern etwas unglaublich Kostbares zu schenken – Stolz.
Stolz, der sich jetzt in Dummheit verwandelt hatte.
»Vorsicht!«, mahnte der alte MacCaffery.
Gerade noch rechtzeitig drehte sich Brendan um. Ein Ritter in voller Rüstung und in den Farben des Hauses York stürmte auf ihn zu. Verzweifelt schwang Brendan seine Waffe und zielte auf den Hals des Gegners. Für Sekunden schien die Zeit stillzustehen, als der Engländer nach seiner Kehle griff. Zwischen den Fingern quoll Blut hervor, dann sank er in den Morast. Sofort galoppierte ein anderer Ritter heran und Brendan hob erneut sein Schwert.
In Hawk’s Cairn hatte er zum ersten Mal den Hass der Feinde gespürt, ohne Talent und Erfahrung gekämpft und nur überlebt, weil er auf dem Schlachtfeld liegen geblieben war – scheinbar tödlich verletzt. Mit der Zeit hatte er gelernt, erfolgreich zu kämpfen, seinen Verstand zu nutzen, zu siegen. Und plötzlich wusste er, was dieser Tag bedeutete – hier würde er das bittere Leid der Niederlage erfahren.
Aber er war nicht gewillt, dies hinzunehmen. Ebenso wenig wie der alte MacCaffery, der sich trotz seiner blutenden Wunde erhob und sein Schwert zückte. Immer wieder. Zu ihren Füßen färbte sich der Schlamm rot.
Als Brendan einen Schrei hörte, fuhr er herum. Sein Verwandter, John Graham, war aus dem Sattel gestürzt und lag am Boden, umringt von seinen Männern, die ihn in Sicherheit bringen wollten.
»Lauf zu ihm, mein Junge«, rief MacCaffery, »ich gebe dir Rückendeckung!« Mochte er auch halb tot sein, kein anderer würde ihn wirksamer schützen. Brendan kniete neben John nieder, sah die Wunde im Hals, hörte das Rasseln des Todes in den Lungen.
»Um Himmel willen, John!« Er versuchte ihn hochzuheben, aber John stemmte eine blutige Hand gegen seine Brust.
»Du musst fliehen, Brendan, mit diesen Männern! Soeben haben sie Wallace weggetragen …«
»Nein, ich verlasse dich nicht, ich trage dich in den Wald …«
»Ich bin so gut wie tot, und dir fehlt die Zeit, um eine Leiche zu retten.«
»John …«
»Denk an Schottland und ergreif die Flucht! Diese Schlacht ist verloren – so viel ist verloren. Aber die Hoffnung lebt in deinem Herzen weiter. Lauf weg!« Verzweifelt umklammerte Brendan die Hand seines Verwandten, die den Druck nicht erwiderte.
Nach einer Weile erhob er sich langsam. Er stand inmitten zahlloser Leichen, sah den alten MacCaffery taumeln und zu Boden sinken. Unbeugsam bis zum letzten Atemzug, starb er als freier Mann.
Und die Engländer rückten immer noch vor. Viele hundert Reiter. Doch die Pferde strauchelten im blutigen Schlamm, stolperten über die Toten. Ein Ritter stieg ab und eilte zu dem jungen Feind. Da stieß Brendan einen ohrenbetäubenden Schrei aus, den Kriegsruf der Schotten, der zum Himmel emporzusteigen schien und sogar die hartgesottenen, kampferprobten Engländer zögern ließ.
Dann stürmte er vor und schwang sein Schwert mit der Kraft seines Zorns, seines tiefen Kummers. Reihenweise brachen die Engländer zusammen, die meisten mit einem einzigen Streich niedergestreckt. Gnadenlos durchbohrte er ihre Kehlen. John war tot, der alte MacCaffery war tot – überall lagen Leichen und die verhassten Engländer galoppierten immer noch auf ihn zu.
Viel zu viele.
Aber er kämpfte nicht mehr allein. Als er einen Blick zur Seite warf, sah er die Farben und das Emblem seiner Familie. Sein Vetter Arryn war auf das Schlachtfeld geritten. Gemeinsam eilten sie durch die Schatten des Todes. In der Sonne glänzte blutroter Stahl.
Blut und Dunstschleier. Wer Freund oder Feind war ließ sich kaum noch erkennen. Schlamm verdeckte die Wappen auf den Rüstungen. Die Farben der schottischen Kilts waren noch schwerer zu unterscheiden.
Nach einer kurzen Atempause tauchten weitere Engländer am Horizont auf, in schimmernden Rüstungen. Ein faszinierender Anblick. Ehrfurcht gebietend. Tödlich.
»Auf die Pferde!«, schrie Arryn und die meisten Männer gehorchten.
Nur Brendan schüttelte den Kopf. »John ist tot – MacCaffery ist tot. Alle tot. Für sie will ich kämpfen, für die Freiheit – oder sterben!«
»Wenn wir nicht weiterleben, um uns gegen England zu stellen, wird Schottland niemals seine Freiheit gewinnen. Verdammt, Brendan, lauf zu deinem Pferd!«
Mit sechzehn hatte er die Freude des Sieges von Stirling ausgekostet.
Und jetzt, mit siebzehn, musste er die bittere Niederlage von Falkirk verkraften.
Arryn schwang sich auf seinen Hengst Achilles. Ein paar Sekunden zögerte Brendan noch. Dann stieg er auf sein Pferd und folgte dem Verwandten.
Neben Johns Leiche hielt er an. »Aye, mein Vetter! Für meine Liebe zu Schottland werde ich kämpfen. Das schwöre ich dir. Und ich will nicht rasten, bis Schottland für immer frei ist. Niemals werde ich kapitulieren!«
Inzwischen hatten ihn die Engländer beinahe eingeholt und er wartete. Ein letztes Mal drehte er sich um, tötete den ersten Ritter, der ihn angriff, dann den zweiten. Allmählich drängten sie ihn in den Wald zurück, warfen ihn beinahe aus dem Sattel, und er sprang aus eigenem Antrieb zu Boden. Ein Engländer stürzte sich auf ihn, und Brendan presste ihn gegen einen Baumstamm, bevor er ihn erstach.
Als er sich umdrehte, sah er jemanden im Schatten stehen, einen dunklen Umhang über einem Kettenhemd.
Freund oder Feind?
Er trat vor, und die Gestalt attackierte ihn, aber er parierte jeden Schwerthieb. Da wich sie zurück. »Nein – wartet …«
Eine junge Stimme, eine weibliche Stimme. Der Umhang glitt von den Schultern und die Frau nahm ihren Helm ab. Verblüfft starrte er sie an. Ein junges Mädchen, in seinem Alter. Vielleicht noch jünger. Im Dunkel des Waldes schimmerten ihre Haare wie goldenes Feuer, die Augen in ihrem ebenmäßigen Gesicht hell wie Sterne – und genauso unschuldig.
Reglos stand er da – bis er Schritte hinter sich hörte. Der Feind im Rücken … Blitzschnell fuhr er herum. Bevor ihm der Engländer den Kopf abschlagen konnte, bohrte sich Brendans Schwert in seine Kehle.
Irgendetwas traf seinen Hinterkopf. Durch seine Schläfen stach ein wilder Schmerz. Blindlings sank er auf die Knie. Das Mädchen hat mich niedergeschlagen, dachte er, bevor die Welt verblasste.
»Brendan!« Die Stimme seines Vetters rief ihn ins Bewusstsein zurück. Als er die Augen öffnete, sah er ihn herangaloppieren. Arryn stieg ab und zog Brendan auf die Beine. »Komm, wir müssen wegreiten, tiefer in den Wald hinein!«
Die Zähne zusammengebissen, packte Brendan den Sattel seines Pferdes und zog sich hinauf. Noch schlimmer als die Schmerzen war sein Zorn gegen sich selbst. Nie wieder würde er einem Feind trauen.
»Komm, mein Junge, halt dich fest!«, befahl Arryn.
Vor Brendans Augen verschwammen die Engländer, die zwischen den Bäumen heranritten, und er grub die Fersen in die Flanken seines Pferdes. Glücklicherweise folgte es Achilles. Während sie durch den Wald sprengten und die Engländer hinter ihnen zurückblieben, verfluchte Brendan seine eigene Dummheit. So lange und so hart hatten sie gekämpft und verloren.
Und dann war er auch noch von einem Mädchen niedergestreckt worden.
Aber er lebte.
Er war bereit gewesen, auf dem Schlachtfeld zu sterben. Jetzt gab er seinem Vetter Arryn Recht. Um die Freiheit zu erringen, musste er weiterleben. Niemals würde er sich den Engländern unterwerfen.
Niemals vergessen, niemals verzeihen.
In seinem Kopf dröhnte es qualvoll. Um ein Haar wäre er aus dem Sattel gefallen. Aber er hielt sich fest und blieb am Leben, dank seiner unerschütterlichen Willenskraft.
Für Schottland musste er überleben.
Um Vergeltung zu üben.
Bei Gott, eines Tages würde er herausfinden, wer sie war!
Rachsucht und Wut zwangen ihn, sich mit aller Kraft an sein Leben zu klammern.
Endlich fanden sie Zuflucht in der Tiefe des Waldes. »Mein Junge, wir sind in Sicherheit!« Er hörte Arryns raue Stimme, dann fiel er ihm in die Arme und wusste, er würde bald die Besinnung verlieren. Rot glühendes Dunkel hüllte ihn ein, wie ein Schatten aus Blut und Tod .. .
Aye, er würde alles überstehen, was ihn peinigte, für Schottland kämpfen, das Mädchen finden.
Süße Rache – und Freiheit …
Dies waren die letzten bewussten Gedanken, bevor er in schwarzer Nacht versank …