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2. Kapitel

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Ungläubig stand Brendan an der Reling.

Mitten im Winter war sie in die Irische See gesprungen, in eiskaltes, schäumendes Wasser. Ein düsterer Himmel hatte den schönen, sonnigen Tag verdrängt.

Diese närrische Engländerin! Soll sie doch ertrinken!

Der bittere Gedanke schien ihn zu lähmen. Vor über drei Jahren hatte er sie verschont. Fast wäre er deshalb gestorben, und er hatte sich geschworen, sie zu finden und Rache zu üben.

Und jetzt war sie plötzlich in sein Leben zurückgekehrt. In der Zwischenzeit hatten sie sich beide verändert. Er hatte sie nicht sofort erkannt. Das verstand er nicht, denn sie hatte einzigartige graublaue Augen, so stürmisch wie das Gewitter, das sich gerade zusammenbraute. Ihre Züge hatte er sich eingeprägt, aber trotz seiner Rachsucht nicht erwartet, sie tatsächlich wieder zu sehen. Nach dem Kampf bei Falkirk war er von einem Schlachtfeld aufs andere gezogen. Und sie hatte außerhalb seiner Reichweite gelebt, im Herrschaftsbereich des englischen Königs. Da er nicht auf diese Begegnung gefasst gewesen war, hatte sie ihn zunächst nicht an jenes tückische Mädchen erinnert.

Nun war sie hier.

Wie ein Geschenk auf einer Silberplatte.

Und sie hatte sich ins Meer gestürzt …

Ohne noch länger zu überlegen, stieg er auf die Reling und sprang hinterher. Die Eiseskälte der Irischen See drang ihm bis auf die Knochen, die Wellen zerrten an ihm, schleuderten ihn hin und her. Sekundenlang fühlte er sich den Gewalten der Elemente hilflos ausgeliefert. Energisch schlug er um sich und tauchte auf, blinzelte das Salzwasser aus seinen Augen, sah sich um und vergeudete seinen kostbaren Atem, um die Engländerin zu verfluchen.

Bald hatte er sie zwischen den Wellenbergen entdeckt und tauchte wieder unter. Um sich zu erwärmen, schwamm er mit kraftvollen Zügen zu ihr. Als er emportauchte, um Luft zu schnappen, sah er sie sofort. Glücklicherweise konnte sie schwimmen und war nicht in einem tödlichen Strudel hinabgesogen worden, der in dunkler Tiefe endete …

Er schwamm unter der Oberfläche des Meeres weiter, tauchte wenig später wieder auf und trat Wasser. Inzwischen hatte er die Engländerin fast eingeholt – wahrscheinlich nur wegen der langen Röcke, die ihre Beine behinderten.

Als sie versank, schwamm er hastig weiter und bekam ihr Kleid zu fassen. Unter Wasser starrte sie zu ihm herauf. Wie ein goldenes Banner trieb ihr Haar in den Wellen und glänzte sonnenhell, trotz der grauen Wolken, die das Meer trübten. Ihr Blick streifte seine Finger, die mehrere Falten ihres Rocks umfassten.

Plötzlich hielt sie ein Messer in der Hand. Würde sie ihn erneut überrumpeln?

Aber die Klinge traf ihn nicht. Stattdessen zerschnitt die Engländerin ihr Kleid, befreite sich und schwamm davon. Jetzt sah er schlanke, wohlgeformte Beine durch das Meer gleiten.

Wohin wollte sie fliehen? Was glaubte sie, wie weit sie kommen würde, bevor sie ermüdete und ertrank?

Nachdem er Atem geschöpft hatte, folgte er ihr, wieder unterhalb der Wellen, wo er schneller vorankam als die junge Frau an der Oberfläche. Ein paar Sekunden später umklammerte er ihren Fußknöchel und riss sie zurück. Unter Wasser wandte sie sich zu ihm, von schwebenden feurigen Haaren umrahmt, die einer Gloriole glichen. In ihrer Hand schimmerte das Messer. Blitzschnell packte er ihr Handgelenk, verdrehte ihr den Arm und zwang sie, die Waffe loszulassen, die in undurchdringlicher Finsternis verschwand.

Dann zog er seine Gefangene zur Oberfläche hinauf. Damit sie ungehindert Wasser treten konnte, ließ er sie los. Regen prasselte herab. Hinter Gewitterwolken verbarg sich das letzte Tageslicht. Brendan strich das nasse Haar aus seinem Gesicht und sah ein kleines Beiboot von der Wasp auf sich zufahren. »Wie dumm Ihr seid, Lady!«, stieß er hervor. »Beinahe hättet Ihr Euch umgebracht.«

»Lieber sterbe ich von meinen eigenen als von Euren Händen!«

»Selbstmord ist eine schwere Sünde.«

»Vielleicht wäre ich am Leben geblieben.«

»Ihr hättet die Küste niemals erreicht.«

Erbost warf sie ihr langes Haar in den Nacken. »Oder Ihr hättet die Küste nicht erreicht. Ich wollte hinschwimmen.«

»Offenbar seid Ihr von Euren Fähigkeiten so fest überzeugt, dass man an Eurem Verstand zweifeln muss.«

»Und das aus dem Mund eines dieser überheblichen Schotten, die sich für die stärksten Männer auf Gottes Erde halten!«

Beinahe hätte er sie untergetaucht und ertrinken lassen. Auf den Schlachtfeldern hatte er zahlreiche Feinde getötet, zum Ruhm Schottlands, für die ersehnte Freiheit. Aber einen kaltblütigen Mord könnte er niemals begehen.

Im eisigen Salzwasser und strömenden Regen sollte er eigentlich nur noch ans Überleben denken. Trotzdem missgönnte er ihr das letzte Wort. »Die Schotten haben schon oft eine Übermacht besiegt, Mädchen.«

Herausfordernd reckte sie ihr Kinn aus den Wellen. »Ich bin kein Mädchen – und eine ausgezeichnete Schwimmerin.«

»Gewiss, aber nicht schnell genug.«

»Brendan!«

Als er Erics Stimme hörte, drehte er sich um. Sein Vetter saß mit Collum in dem kleinen Boot, das mittlerweile näher gekommen war. Zwischen den hohen Wellen würden sie Brendan und die junge Frau kaum sehen. »Hier!«, rief er. Sobald er sich abgewandt hatte, war sie davongeschwommen. Aber er griff wieder nach ihrem Fußknöchel, zerrte sie zurück und sie ging unter. Prustend und keuchend tauchte sie auf. Inzwischen schaukelte das Boot direkt neben ihnen. Starke Hände zogen das Mädchen an Bord, dann kletterte Brendan hinein und sank atemlos auf eine Bank.

»Kalt?«, fragte Eric grinsend.

Brendan schaute in die blauen Augen seines nordischen Verwandten. »Wie Hexentitten …«

Plötzlich entsann er sich, dass niemand anderer als Lady Eleanor of Clarin im Boot saß. Wie sie hieß, hatte er schon vor einiger Zeit herausgefunden. Und sie hielt alle Schotten für ungebildete Rüpel, die niemals Bücher in die Hand nahmen.

Sie kauerte achtern neben Collum, einem großen, kräftigen Burschen mit feuerrotem Haar. Während Eric zu den Schiffen zurückruderte, stellte Brendan fest, dass die Männer alle Enterhaken entfernt hatten. Der unfreiwillige Fahrgast verschränkte zitternd die Arme vor der Brust und starrte ausdruckslos auf das Meer.

»Lady …«, murmelte Collum höflich und reichte ihr seinen langen Tartan.

Da sie ihn nicht zu hören schien, wandte sich Brendan zu ihr. »Lady Eleanor, Collum bietet Euch seinen Tartan an.«

»Bevor ich ein schottisches Kleidungsstück trage, erfriere ich lieber«, stieß sie zwischen klappernden Zähnen hervor.

Eric wollte seinen Pelz von den Schultern nehmen und ihr reichen. Aber Brendan hinderte ihn daran. »Dann müsst Ihr eben frieren, Lady. Obwohl in Erics Adern norwegisches Blut fließt, ist er mit mir verwandt und seine nordische Insel liegt in der Nähe meines Landes. Deshalb verstehen wir, dass Ihr seinen Pelz verschmäht.«

Statt einer Antwort warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu.

Eric ruderte zur Wasp und kletterte die Strickleiter hinauf. Dann drehte er sich um und sah die Lady heraufsteigen, ohne Brendans oder Collums Hilfe anzunehmen. Als sie auf einer nassen Sprosse ausrutschte, beugte er sich über die Reling. »Natürlich würde ich Euch gern heraufheben, Lady. Aber ich möchte Euch nicht mit der Berührung meiner barbarischen Hände beleidigen.«

»Dafür bin ich Euch äußerst dankbar. Und ich komme sehr gut allein zurecht.« Behände sprang sie auf die Decksplanken.

Brendan und Collum folgten ihr und beobachteten, wie Schotten, Norweger und Franzosen die drei Schiffe trennten.

Hoch aufgerichtet stand Eleanor da und versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken. »Seid Ihr mit den Piraten im Bunde?«, fragte sie Brendan.

»Ich habe Thomas de Longueville nie zuvor gesehen«, erwiderte er und lehnte sich lässig an einen Mast. »Aber mitten im Kampfgetümmel erkannte der Pirat ebenso wie ich, dass wir einander viel zu bieten haben.«

»Und was wäre das?«

»Die Bedingungen unseres Abkommens brauchen Euch nicht zu kümmern.«

»Nachdem mein Schiff überfallen, mein Kapitän brutal ermordet und die Besatzung offensichtlich ins Meer geworfen wurde, interessiere ich mich sogar sehr für diese Vereinbarung. Dass sich die Schotten mit gemeinen Dieben verbrüdern, überrascht mich nicht …«

Erbost fiel er ihr ins Wort. »Edward ist ein Dieb. Wales wurde gestohlen, seine Aristokratie niedergemetzelt. Und es sind nicht die Schotten, die nach London ritten. Nein, die Engländer kamen nach Norden. Bitte, Collum, bring Lady Eleanor in ihre Kabine.«

Als Collum vortrat und ihren Arm ergreifen wollte, wich sie hastig zurück. »Wenn Ihr vorausgeht, werde ich Euch folgen.«

Des albernen Spiels müde, wandte er sich zu Eric. »Ist William über die Ereignisse in Kenntnis gesetzt worden?«

»Aye.«

»Dann will ich mich erst einmal von der Irischen See befreien.« Brendan überließ die Wasp Erics fähigen Händen und ging unter Deck, um trockene Kleider anzuziehen. Außerdem wollte er mit seinen Gedanken allein sein. Er zitterte am ganzen Körper. Nicht vor Kälte, sondern vor wilder Rachsucht, die seine Erinnerungen erneut schürten.

Die Wasp war klein, sehr schmal und so ausgestattet, dass sie möglichst schnell segeln konnte. Trotzdem hatte sie einige Annehmlichkeiten zu bieten. Eleanor schaute sich verblüfft auf dem unteren Deck um, das mehrere Vorratsregale enthielt. Hinter den Türen lagen vermutlich die Kabinen einiger Besatzungsmitglieder. Collum führte sie zu einer erstaunlich großen Kabine, die achtern lag, mit einer schmalen Nische für Kleidung, Ausrüstung und Bücher, einer Koje an der Backbord- und einem Schreibtisch an der Steuerbordseite.

Zweifellos hatte jemand diese Kabine bewohnt. Aber jetzt stand zu Eleanors Überraschung ihre Reisetruhe mitten im Raum – von ihrem Schiff herübergeholt …

An Bord des schottischen Schiffs hatte sie mehrmals den Namen Wallace gehört. Dieser Mann war ein Schlächter, der keine Gnade mit seinen Feinden kannte. Das wusste sie nur zu gut, denn seine Grausamkeit hatte ihr Leben verändert und sie auf das Schlachtfeld von Falkirk gesandt – und über Umwegen auch auf die Wasp.

Allem Anschein nach kommandierte William Wallace die schottische Flotte, und der junge Soldat, dem sie am Ende der Kämpfe von Falkirk zufällig begegnet war, hatte die Navigation übernommen. Der englische König hasste Wallace und betonte immer wieder, er würde nichts anderes akzeptieren als dessen bedingungslose Kapitulation. Doch diesen Triumph würde Edward niemals erleben – das erkannten seine Freunde ebenso wie seine Feinde.

Collum wartete vor der Kabinentür. Beinahe fühlte sich Eleanor schuldig. Er war freundlich zu ihr gewesen – oder hatte es zumindest versucht. Warum sie seinesgleichen verabscheute, konnte er sicher nicht verstehen.

»Wenn Ihr noch etwas braucht, Lady …«

»Meine Zofe!«, unterbrach sie ihn mit scharfer Stimme. »Geht es ihr gut?«

»Aye, Lady.«

»Kann sie zu mir kommen?«

»Jetzt nicht.«

»Wann?«

»Das weiß ich nicht …«

»Ach ja! Offensichtlich gehorcht Ihr diesem aufgeblasenen Kerl, der alle Entscheidungen trifft.«

»Aye, Lady. Ihr seid ganz blau gefroren. Wenn ich vorschlagen dürfte …«

»Werdet Ihr mich hier einsperren?« Vergeblich versuchte Eleanor, die Angst zu bezähmen, die in ihrer Stimme mitschwang.

»Aye.«

Sie wandte sich wortlos ab.

Sekunden später hörte sie, wie die Tür ins Schloss fiel. Als der Riegel vorgeschoben wurde, zuckte sie zusammen. Nur keine Panik … Sie musste ihre eigenen Dämonen bekämpfen. Aber dann stieg ihr Rauchgeruch in die Nase. Entsetzt lief sie zur Tür und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen. »Bitte, wartet …«

Es war nicht Collum, der die Tür öffnete, sondern schon wieder der Mann, den sie auf dem Schlachtfeld bei Falkirk gesehen hatte … Immer noch triefnass, runzelte er ärgerlich die Stirn. »Aye, Lady?«

»Es brennt«, flüsterte sie und trat zurück.

»Aye, Lady, das englische Schiff.«

»Sind …«

»Es wurde gekapert, geplündert und in Brand gesteckt. Sind noch Männer an Bord? Nein, Lady. Solange ich eine Truppe kommandiere, wird weder ein Mensch noch ein Tier verbrennen. Wolltet Ihr danach fragen?«

Obwohl sie eine andere Frage stellen wollte, nickte sie. Seltsamerweise fühlte sie sich beschämt. »Sind wir in Gefahr? Könnte dieses Schiff Feuer fangen?«, würgte sie hervor. Um seinem prüfenden Blick auszuweichen, senkte sie den Kopf.

»Natürlich nicht«, versicherte er und wollte die Tür schließen. Was sie bewog, ihn zurückzuhalten, wusste sie selbst nicht. »Im eiskalten Wasser zu ertrinken – das ist auch kein angenehmer Tod.«

»Wohl kaum. Warum seid Ihr dann dieses Wagnis eingegangen?«

»Wie ich bereits erklärt habe – ich wollte mich nicht umbringen.«

»In diesem Gewittersturm wärt Ihr zweifellos ertrunken.«

Darauf gab sie keine Antwort. »Was ich Euch noch sagen wollte – Captain Abram war ein lieber, guter Mensch. Meine Verwandten haben ihm das Schiff anvertraut. Was mit ihm geschehen ist, wird mein Leben lang auf meiner Seele lasten.«

»Wie lange das auch sein mag«, bemerkte er.

»Also wollt Ihr auch mich ermorden?«

Sein Lächeln verwirrte sie. »Nein, Lady, ich bin kein Henker. Wahrscheinlich wird Euer Leben durch Euren eigenen Leichtsinn ein vorzeitiges Ende nehmen. Und was Euren Captain Abram betrifft – ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet.«

»Wie sonderbar … Er wurde über Bord geworfen.«

»Lady, die Piraten sind habgierig, aber nicht blutrünstig, und sie töten nur Leute, die Widerstand leisten. Keine Bange, Euer Captain Abram ist am Leben. Er wurde auf Thomas de Longuevilles Schiff gebracht, die Red Rover.«

»Aber de Longueville hat behauptet …«

»Das war nicht ernst gemeint. Aye, Lady, einige Männer sind bei diesem Kampf gestorben. So etwas lässt sich nicht vermeiden. Doch weder Euer Captain noch seine Männer wurden kaltblütig ins Meer geworfen. Solche Gräueltaten überlasse ich den Engländern.«

Verwundert schaute sie auf. »Entweder seid Ihr ein Lügner, oder Ihr wisst nichts über die Männer, für die Ihr Euch einsetzt!«

»Soll ich Euch erzählen, was die Engländer vor meinen Augen verbrochen haben?«

»Und soll ich schildern, was mir die skrupellosen Schotten angetan haben? Nur zu gern!« Unwillkürlich näherte sie sich ihm. »Habt Ihr von Castle Clarin gehört? Vermutlich nicht. Das Schloss ist nicht so grandios wie York, wo Euresgleichen ebenfalls gewütet hat. Auf Clarin wurden Bauern, Kaufleute, Handwerker und Krieger wie Vieh in einen Stall getrieben, der wenig später in Flammen aufging. Nachdem mein Vater und meine Verwandten aufs Schlachtfeld geritten waren, fielen die feigen Schotten über uns her – über unschuldige Menschen …«

»Erstaunlich, Lady … Solche Methoden wandten die Engländer schon viel früher an. Das musste ich mit ansehen. Wenn wir uns grausam verhalten, so haben wir’s von unseren Feinden gelernt. Würdet Ihr mich jetzt entschuldigen, Lady Eleanor? Ich bin bis auf die Haut durchnässt. Und ich friere. Genau wie Ihr.«

Als er sich abwandte, rief sie: »Wartet!«

»Aye?« Ungeduldig drehte er sich um.

»Müsst Ihr …«

»Was meint Ihr?«

»Schon gut. Nichts.«

Aber er blieb stehen und musterte sie neugierig. »Fürchtet Ihr, ich würde die Tür wieder verriegeln?«

»Aye.«

»Tut mir Leid, das muss ich tun. Ihr seid eine wertvolle Gefangene, Lady.«

»Also wollt Ihr Lösegeld für mich verlangen?«

»Das habe ich noch nicht entschieden.«

»Und wenn nicht?«

»Mal sehen …«

»Hört mich an! Wie Ihr festgestellt habt, bin ich eine Menge wert.«

»In mancher Hinsicht.«

Sein spöttischer Unterton zerrte an ihren Nerven, und sie musste sich zwingen, seinem Blick standzuhalten. »So ist es üblich, nicht wahr? Plündern – und vergewaltigen … Nun, worauf wartet Ihr? Aber ich muss Euch warnen, ich werde Euch keine Freude bereiten …«

»Zumindest nicht in diesem Augenblick. Ihr seht aus wie eine ertrunkene Ratte, Lady. Auch ich bin klatschnass, müde und verbittert – sehr verbittert. Die Kraft, die mich die erwähnte fragwürdige Freude kosten würde, kann ich vorerst nicht aufbringen. Nun wünsche ich Euch eine gute Nacht, Lady. Oder würdet Ihr Euch besser fühlen, wenn ich Euer Angebot an meine Besatzung weiterleite?«

War sie vor lauter Angst verrückt geworden? Oder hatte das eisige Wasser ihr Gehirn betäubt? Wie auch immer, sie stürzte sich auf ihn. Aber bevor sie ihre Fäuste heben konnte, packte er blitzschnell ihre Oberarme. Vielleicht hatte er den Angriff vorausgeahnt. Stahlharte Finger gruben sich in ihr Fleisch. Und trotz seiner kalten, nassen Kleidung erschien ihr sein Körper so heiß wie das Feuer, das sie in so vielen Albträumen heimgesucht hatte. Als sie in seine Augen schaute, stieg eine neue Angst in ihr auf – ein merkwürdiges Gefühl, das sie nie zuvor verspürt hatte. Plötzlich fand sie diesen Feind gefährlicher als alle anderen.

Sein unheilvoller Blick schürte ihr Entsetzen. Auch ihn mussten die durchnässten und trotzdem erhitzten Körper irritieren. Aber dann verzogen sich seine Lippen zu einem schwachen Lächeln. Ein sonderbarer Glanz verdrängte das Dunkel seiner Augen. Behutsam schob er sie von sich. »Wer weiß, Lady? Wenn Ihr Euch waschen und was Sauberes anziehen wollt – vielleicht kann ich Euch erfreuen.«

Mühsam widerstand sie dem Impuls, ihre Fäuste ein zweites Mal zu heben. Diesen Fehler würde sie nicht mehr begehen. »Lieber nehme ich Euren Vorschlag an und liefere mich der gesamten Besatzung aus.« Wütend strich sie sich die nassen, vom Salzwasser verklebten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dass sie wie eine ertrunkene Ratte aussah, wusste sie selber.

»Gewiss, das lässt sich arrangieren«, versprach er leichthin.

»Verschwindet!«, fauchte sie.

Höflich verneigte er sich und erinnerte sie: »Ihr habt mich zurückgehalten, Lady!«

»Um Himmels willen, geht endlich und schließt die Tür!«

»Zu Befehl, Lady«, entgegnete er, schloss die Tür hinter sich und schob den Riegel vor.

Sollte sie sich schreiend gegen das Holz werfen? Eine Zeit lang bekämpfte sie diese Versuchung, dann sank sie auf die Koje, die an straff gespannten Seilen hing. Die weiche Federmatratze fühlte sich erstaunlich angenehm an. Aber das vermochte Eleanor nicht zu trösten. Von Erschöpfung und Kummer überwältigt, brach sie in Tränen aus.

Sie träumte. Das wusste sie. Verzweifelt warf sie sich umher und erlebte aufs Neue jene schicksalhaften Ereignisse.

In ihrem Traum kehrte sie nach Clarin zurück. Die Schotten hatten bei Falkirk eine Niederlage erlitten und sie war mit den englischen Truppen geritten.

Auf Castle Clarin hatte der Feind keinen allzu großen Schaden angerichtet. Starke Mauern umgaben den Turm, von einem Burggraben zusätzlich geschützt. Aber die Dorfbewohner, die Pächter, Kaufleute und Handwerker waren den unbarmherzigen Gegnern hilflos ausgeliefert. Eleanor brachte sich nur deshalb in Sicherheit, weil ihre Leute sie dazu gedrängt hatten. Vom Turm aus beobachtete sie, wie die Männer in den Stall außerhalb der Schlossmauern getrieben wurden, wie das Feuer emporloderte. Und sie sah die Schotten mit ihren Schilden Wache stehen. Ihr Vater hatte die Festung mit mehreren Kriegern verlassen. Auf sich allein gestellt, konnte sie das Grauen nicht tatenlos mit ansehen. Sie schickte die Verteidiger auf die Zinnen und befahl ihnen, siedendes Öl auf die Feinde zu schütten und brennende Pfeile hinabzuschießen. Zahlreiche Schotten, deren Kleider glimmten und schwelten, ergriffen die Flucht. Todesmutig rannte Eleanor zum Stall hinaus, dicht gefolgt von der Schlosswache, von Frauen und Kindern. Mit vereinten Kräften zerhackten sie die Mauern des Stalls und retteten die Eingeschlossenen vor dem Flammentod. Dem Befehl ihrer Herrin gehorchend, warfen sie sich wie lebende Fackeln ins Wasser des Burggrabens.

Erstaunlicherweise starben nur sieben Männer. Und doch, welch schmerzlicher Verlust …

Zur gleichen Zeit wurden die Vasallen des englischen Königs, die in der Nachbarschaft lebten, zum Kampf gegen die Schotten aufgefordert. Diesem Ruf musste auch Eleanor folgen.

Und die Schotten wurden besiegt. Während sie die Männer aus dem brennenden Stall geholt hatte, war ihr Vater getötet worden. Vergeblich hatte er versucht, einen Vorratswagen der Engländer zu schützen. Sein Tod bestärkte Eleanor in ihrem Entschluss: Von jetzt an würde sie eigenhändig gegen den abscheulichen Feind kämpfen.

Nach dem Gesetz würde sie das Erbe des Vaters – das Schloss, die Ländereien und die Pachteinnahmen – nur behalten, wenn sie einen Sohn gebar. Obwohl sie den geliebten Vater verloren hatte, war sie nicht allein. Ihre Verwandten fühlten sich für sie verantwortlich. Kurz vor seinem letzten Atemzug hatte er ihnen das Versprechen abgenommen, für seine Tochter zu sorgen und sie standesgemäß zu verheiraten.

In ihrem Traum sah sie die große Halle von Clarin, im Erdgeschoss des gut geschützten Turms gelegen. Kein drohender Kampf hatte jenen Tag überschattet. Im Kamin brannte ein helles Feuer, an den Wänden hingen neue flämische Gobelins – Geschenke benachbarter Kaufleute – und hielten die feuchte Kälte fern. Die Kämpfe waren beendet. Den Bauern, Geschäftsleuten und Handwerkern ging es einigermaßen gut. Aber Eleanor trauerte um ihren Vater. Bis an ihr Lebensende würde sie den warmherzigen, gebildeten Mann schmerzlich vermissen. Nach seinem Tod musste sie mehrere Pflichten übernehmen. Sie hieß die Ritter des Königs willkommen, die nach Norden reisten, und ließ die Schäden beheben, die der Krieg im Dorf Clarin angerichtet hatte. Fürsorglich kümmerte sie sich um die Kranken und unterstützte die Kirche in ihren Aufgaben, begrub die Toten und begrüßte jedes neue Leben, das in ihrer Gemeinde geboren wurde.

Unterdessen präsentierten ihr die Vettern illustre, reiche Heiratskandidaten aus England und anderen europäischen Ländern. Wenn der Turm von Clarin auch unversehrt geblieben war – die Familie brauchte dringend Geld für Reparaturarbeiten an der Außenmauer und im Dorf. Zudem mussten die Clarins ständig neue Soldaten ausrüsten, um Edwards endlosen Forderungen nachzukommen.

Zu Eleanors Entsetzen war ein Bewerber widerwärtiger als der andere. Robin of Lancaster, so klein wie ein Zehnjähriger, litt an einer seltenen, abstoßenden Hautkrankheit. Wenigstens benahm er sich manierlich und verfügte über ein gewisses Maß an Bildung. Tibald, Lord of Hexin, würde demnächst den Titel eines Earls erben und hatte ein anziehendes Äußeres. Bedauerlicherweise ertränkte er mit Vorliebe junge Katzen.

Und so wies sie alle Freier ab. Auch der Comte Etienne Gireaux, ein Franzose, fand keine Gnade vor ihren Augen.

Am Morgen nach seiner Abreise, als sie endlich ein bisschen inneren Frieden gefunden hatte, wurde sie von ihrem Vetter Alfred in die Halle bestellt.

»Für dein Zaudern gibt es keine Entschuldigung!«

Erbost wanderte er hinter Eleanors Stuhl auf und ab, dann ergriff er die geschnitzte Rückenlehne, beugte sich hinab und zischte ihr ins Ohr: »Gestern Abend warst du furchtbar unhöflich! Immerhin entstammt Comte Gireaux einer der ältesten und vornehmsten Familien in der ganzen Normandie!«

Die Schultern gestrafft, richtete er sich auf – ein hoch gewachsener, kräftiger Mann, der sein Ansehen nicht nur der edlen Geburt verdankte. Auch auf dem Schlachtfeld hatte er zahlreiche Ruhmeslorbeeren geerntet.

»Die ganze Zeit nahm er nur Rücksicht auf dich, Eleanor«, fügte er hinzu und trat vor den Kamin, in dem orangerote Flammen knisterten. »Gewiss, du hast deinen Vater verloren und wurdest gezwungen, dein Heim zu verteidigen. Aber seit jenem Angriff sind Jahre vergangen. Jetzt bist du kein Kind mehr. Und so eifrig man deinen Mut auch gepriesen hat – mittlerweile glaubt man, irgendein Gebrechen müsste dich behindern, du wärst taub oder verkrüppelt …«

»So hässlich, dass kein reicher Aristokrat unsere Kusine heiraten will?«, fragte Corbin, der sich in einem Lehnstuhl vor dem Kamin rekelte. Zwei Jahre jünger als Alfred, war er Eleanors einziger Verwandter, der das Leben und die Gesellschaft mit Humor betrachtete. Auch er hatte tapfer für den englischen König gekämpft. Niemals würde man den Clarins aus dem nördlichen York vorwerfen, sie hätten ihre patriotischen Pflichten vernachlässigt. Aber im Gegensatz zu Alfred drängte Corbin die Kusine nicht zu einer Heirat.

Nach seiner Ansicht konnte alles so bleiben, wie es war.

Umso energischer suchte sein Bruder, die Wünsche des verstorbenen Familienoberhaupts zu erfüllen und Eleanor zu vermählen. Sie wusste, ihr Vater würde nicht so hartnäckig auf ihrer Heirat bestehen. Doch das wollte Alfred nicht begreifen.

»Mag der Comte auch reich und angesehen sein …« Sie betrachtete ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hatte. Dann sprang sie abrupt auf und starrte in Alfreds Augen. »Aber er riecht ganz abscheulich – und – und …«

»Und er besitzt keinerlei bewundernswerte Qualitäten?«, vollendete Corbin den Satz.

Sein Bruder strafte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Eigentlich solltest du mich unterstützen, statt ironische Kommentare abzugeben.«

Grinsend zwinkerte Corbinian seiner Kusine zu. »Wenn sie nicht heiraten will und demzufolge keinen Erben zur Welt bringt, fällt Clarin an dich, lieber Bruder, mit allem Drum und Dran. Deshalb sollte man meinen, du würdest sie in Ruhe lassen.«

»Da hat er völlig Recht, Alfred«, bestätigte Eleanor und lächelte sanft.

Ärgerlich schüttelte Alfred den Kopf. »Es ist meine Pflicht, dich zu verheiraten und dir eine standesgemäße Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen. Und du bist verpflichtet, die Linie deines Vaters fortzusetzen. Glaubst du nicht, das wärst du dem Mann schuldig, den du angeblich so innig geliebt hast?«

»Ich habe ihn vergöttert!«, beteuerte sie unglücklich.

»Und er gab dich in meine Obhut. Trotzdem sträubst du dich gegen alles, was ich unternehme, um sein Andenken zu ehren.«

»O Alfred, hör mir doch zu …«, seufzte sie und begann die Charakterschwächen des Comtes an den Fingern abzuzählen. »Gireaux drückt sich vulgär aus, schikaniert seine Dienstboten, und er genießt es geradezu, auf dem Schlachtfeld Blut zu vergießen …«

»Letzteres könnte man als Tugend betrachten«, fiel Corbin ihr ins Wort. »Vor allem unser hoch geschätzter König würde so denken.«

Während sein Bruder ihm einen weiteren verächtlichen Blick zuwarf, fuhr Eleanor fort: »Der Comte ist bösartig und ungerecht. So würde er auch seine Gemahlin behandeln …«

»Also ist er im Großen und Ganzen ein Ekel«, fasste Corbin zusammen. »Aber ein schwerreiches Ekel.«

»Er ist unmanierlich und aggressiv …«

»Hast du meine Frau eigentlich kennen gelernt?«, fragte Corbin gedehnt.

»Aye, und ich weiß, wie ihr beide zueinander steht.« Auf Wunsch der Familie hatte Corbin geheiratet, um einen Adelstitel und ein Vermögen zu erwerben. Aber er hasste seine selbstsüchtige, hochnäsige schöne Gemahlin, die ihm das Leben zur Hölle machte. Immer wieder erklärte er, eine hässliche alte Hexe wäre ihm lieber gewesen. Die meiste Zeit lebte Isobel in London, während er auf Clarin blieb.

Stöhnend stand er auf, streckte sich und ging zu Eleanor. »So ist’s nun mal in der Ehe. Ob wir ein Ungeheuer heiraten, spielt keine Rolle – solange es reich und adelig ist. Vielleicht müsstest du den Comte gar nicht so oft sehen.«

»Aber ich will ihn nicht heiraten. Abgesehen von all seinen anderen schlechten Eigenschaften – ich glaube, er ist verrückt.«

»Es gibt noch eine weitere Möglichkeit«, bemerkte Alfred.

»Soll ich ins Kloster gehen? Niemals …«

»Nein, du könntest nach Frankreich reisen. Vor kurzem starb Comte Alain de Lacvilles Frau. Er ist nicht mehr der Jüngste. Aber du hast ihn immer gemocht und bewundert. Zudem besitzt er ein beträchtliches Vermögen.«

Zögernd runzelte sie die Stirn. Alain war ein liebenswerter Mann – reich, intelligent und gutmütig. Trotz seiner Jahre sah er sehr gut aus, mit dichtem weißem Haar und markanten Gesichtszügen. Und doch … »Mein Vater war jünger als der Comte«, flüsterte sie.

»Und mir kommt meine Frau uralt vor«, verkündete Corbin fröhlich.

»Unsinn!«, protestierte Eleanor. »Sie ist jung und schön.«

»Diesen Anschein erweckt sie nur, weil sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat und …«

Ungeduldig fiel Alfred seinem Bruder ins Wort.

»Eleanor, dein Vater starb im Dienst des Königs. Und du hast bei Falkirk für Edward gekämpft. Deshalb ist er dir wohlgesinnt. Aber wenn wir nicht aufpassen, wird er sich früher oder später an sein Recht erinnern, dich zu vermählen. Womöglich sucht er irgendein altes Schlachtross für dich aus, dem er eine Gunst erweisen will. Fahr in die Normandie und sprich mit Comte de Lacville. Seit dem Tod seiner Gemahlin stehe ich mit ihm in Verbindung. Nimm seinen Antrag an. Am besten gehst du als seine Braut auf die Reise. Wenn ihr euch nicht einigen könnt, verschieben wir die Verhandlungen. Dann kann der König nichts unternehmen.« Unschlüssig schwieg Eleanor und Alfred mahnte: »Überleg doch! Womöglich wird Comte Gireaux seine Heiratswünsche dem König mitteilen.«

»Also gut, ich segle nach Frankreich«, versprach sie hastig.

So hatte sie die Reise angetreten, ehe sich Gireaux an den König wenden konnte. Unglücklicherweise war sie den Schotten in die Hände gefallen – ausgerechnet jenen Schotten, die sie auf dem Schlachtfeld getroffen und die fast alles zerstört hatten, was sie liebte.

Sie warf sich unruhig im Schlaf umher. Wenn sie erwachte, sah sie die hölzernen Wände der Kabine – in der sie gefangen gehalten wurde. Und wenn sie träumte, schwirrte ihr der Kopf …

Wieder einmal kehrte sie in den Wald von Falkirk zurück, wo die Engländer die flüchtenden Schotten verfolgten. Verzweifelt stürmte sie zwischen die Bäume, um sich zu verbergen.

Aber er entdeckte sie und sie hob ihr Schwert. Aye, sie hatte fechten gelernt und auf Clarin schon viele Gegner bezwungen. Und jetzt … Der Stahl, der klirrend auf ihren prallte, wurde von einer Meisterhand geschwungen. In wenigen Sekunden würde sie sterben … »Nein – wartet!« Sie nahm ihren Umhang ab, zog den Helm vom Kopf. Verblüfft hielt er inne und starrte sie an. Und dann senkte er seine Waffe …

Niemals würde sie sein Gesicht vergessen, das tiefe Blau seiner Augen, das rabenschwarze Haar, die hohen Wangenknochen, die kühn geschwungenen Brauen. Die Zeit hatte ihn verändert, so wie sie selbst. Trotzdem würde sie ihn immer und überall wieder erkennen – und sich stets entsinnen, wie er nach Atem gerungen hatte, als ein Feind von hinten an ihn herangeschlichen war. Kurz bevor er sich umgedreht hatte, um den Engländer abzuwehren, der sein Schwert geschwungen und ihn hatte enthaupten wollen. Davor hatte sie den jungen Soldaten bewahren müssen. Und so hatte sie den Griff ihrer Waffe auf seinen Kopf geschmettert. Lautlos war er zusammengebrochen und sie hatte seine schottischen Gefährten durch den Wald stürmen hören. Angstvoll hatte sie sich zwischen den Bäumen verborgen.

Niemals hatte sie jenen Augenblick vergessen – obwohl sie sicher gewesen war, sie würde den jungen Mann nie wieder sehen. Manchmal träumte sie von ihm, von seinem eindringlichen Blick. Und beinahe dachte sie, für den Feind müsste der Krieg genauso schrecklich sein – weil die Jugend Schottlands, stolz und schön, gleichermaßen dahingerafft wurde wie die alten Krieger. Doch sie konnte den Schotten nicht verzeihen und empfand kein Mitleid.

Um die Schotten vernichtend zu schlagen, konnte Edward nicht genug Streitkräfte ins Feld schicken. Und im nördlichen Schottland herrschten die schottischen Freiherren. Aber Falkirk war ein bedeutsamer Sieg für den englischen König gewesen. Vorerst würden sich die Schotten nicht mehr in den Süden wagen. Deshalb hatte Eleanor geglaubt, sie wäre in Sicherheit.

In Sicherheit!

Das Schiff schaukelte heftig und in ihrem Kopf drehte sich alles. Sie hustete und nieste. Erst jetzt merkte sie, dass sie immer noch ihre nassen Kleider trug, und sie fürchtete, sie werde bald fiebern.

Plötzlich flog die Tür auf. Eleanor wollte aus der Koje springen. Aber dafür fehlte ihr die Kraft.

Er stand auf der Schwelle und sie sah sein Gesicht wie in ihren Träumen.

Groß und breitschultrig, füllte er den Türrahmen aus. Inzwischen hatte er sich umgezogen. An seiner Schulter hielt eine silberne keltische Brosche einen abscheulichen wollenen Tartan zusammen. Eleanor starrte ihn an, bis er vor ihren Augen zu verschwimmen schien.

Träumte sie oder war er wirklich zu ihr gekommen? Der Tag brach an, doch das Licht wirkte wie düsterer Nebel, und sie erkannte, dass der Sturm noch nicht abgeflaut hatte.

»Begleitet mich, Lady!«, befahl er. »Sofort!«

Ein rachsüchtiger Feind hatte sie gefunden, ein Teufel aus Fleisch und Blut. Gnadenlos und grimmig.

Trotzdem lächelte sie. Mochte sie diese Szene träumen oder wirklich erleben – sie konnte dem Befehl nicht folgen, weil sie zu schwach war. Sie öffnete den Mund, um zu sprechen. Nicht einmal das gelang ihr.

»Eigensinniges Biest!«, fauchte er und eilte zu ihr. »Ich will Euch rausholen! In diesem wilden Sturm sollt Ihr nicht hier unten gefangen sein. Hört Ihr denn auf niemanden? Seid Ihr immer so borniert?« Er griff nach ihr und sie wehrte sich nicht. Wütend fluchte er. »Verdammt, Ihr seid immer noch triefnass! Und Eure Wangen glühen! Feuer und Eis!«

Er hob sie hoch und trug sie aus der Kabine, auf sicheren Beinen, obwohl die Wasp immer heftiger schwankte.

Über dem Deck lag etwas helleres nebliges Licht. Ein zuckender Blitz zerriss den Morgenhimmel, wie grelles weißes Feuer. Sekunden später ertönte ein ohrenbetäubender Donnerschlag.

Das Meer will uns alle töten, dachte Eleanor, der Sturm und der Regen, der Donner, der Blitz … Gottes entfesselte Elemente …

Doch das bedrückte sie nicht. Ihr Kopf sank an die Brust ihres schlimmsten Feindes, tiefes Dunkel senkte sich herab. Unvermindert tobte der Himmel. Aber davon nahm sie nichts mehr wahr.

Geisel der Leidenschaft

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