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4. Kapitel

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Gerade hatte sich Corbin Clarin an den Frühstückstisch gesetzt, um einen köstlichen gebackenen Fisch und frisches Brot zu genießen, als der Gewittersturm in sein eben noch friedliches Leben zurückkehrte.

Mit ihrem dunklen Haar und den scharf geschnittenen Zügen sah Isobel so anziehend aus wie eine gefährliche Viper. Im amüsanten London wohnte sie weitaus lieber als auf Clarin, auch im größeren Schloss von York – vielleicht, weil sich die Schotten noch nie so weit vorgewagt hatten.

Corbin liebte London, aber er hasste seine Frau, und es missfiel ihm, jeden Morgen am königlichen Hof zu erwachen und sich zu überlegen, mit wem sie wohl die letzte Nacht verbracht hatte. Sein eigenes Vergnügen suchte er längst anderswo.

Unangemeldet betrat sie die Halle und zog ihre Handschuhe aus. »Nun bin ich meilenweit gefahren und niemand begrüßt mich.«

Corbin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wären wir über deine Ankunft in Kenntnis gesetzt worden, hätten wir Blumen vor deine Füße gestreut, Liebste.« Blumen? Hätte er Bescheid gewusst, wäre er rechtzeitig geflohen. Da oder dort gab es immer etwas zu tun. Offiziell regierte Edward in Schottland. Aber der Großteil des Gebiets befand sich in schottischen Händen und er kontrollierte nur wenige Schlösser im Süden des Landes. Und die ungebärdigen Freiherren griffen die Engländer ständig irgendwo an, baten den König um Gnade, rannten mit eingezogenen Schwänzen davon und versagten einander die Unterstützung, aus Angst, sie könnten sich für den falschen Thronprätendenten einsetzen – sollte Edward seiner Unterjochungstaktik jemals müde werden.

Ungehalten warf Isobel ihre Handschuhe auf den Tisch. »Nach der langen Reise würde ich gern einen Schluck Wein trinken. Ich bin halb verdurstet.«

Er stand auf, verneigte sich spöttisch und ging zur Anrichte, um einen versilberten Becher zu füllen. Diese schönen venezianischen Gläser hatte Isobel in die Ehe mitgebracht.

Als sie den Becher entgegennahm, streiften ihre Finger seine Hand – eine seltsam anzügliche Geste, die ihn verblüffte. Zum Zeitpunkt der Hochzeit war Clarin eine grandiose Festung gewesen. Damals hatte sein Onkel Leo noch gelebt und nicht nur ausgedehnte, sondern auch ertragreiche Ländereien besessen. Alfred und Corbin hatten gehofft, die Adelstitel besiegter Rebellen zu übernehmen, dazu das Land ihres gerechten, großzügigen Onkels, bei dem sie aufgewachsen waren. Und Isobels Mitgift war äußerst üppig gewesen. Eigentlich hätten sie ein glückliches Paar werden müssen.

Das hatten die Schotten verhindert.

Er schenkte sich Wein ein und prostete seiner Frau zu. »Auf Wallace!«, rief Corbin mit trockenem Humor.

»Eines Tages wird dieses Ungeheuer die schlimmste Strafe erleiden, die das Gesetz erlaubt. Und wenn es so weit ist …«

»Natürlich wirst du blutrünstig zuschauen und jeden einzelnen Augenblick genießen.«

Isobel zog einen Schmollmund. »Ausgerechnet du nennst mich blutrünstig – nachdem deine geliebte kleine Kusine weit mehr Männer aufs Schlachtfeld geführt hat als du?«

»Nicht freiwillig.«

Sie kehrte ihm den Rücken und schaute sich um. »Was für schöne Wandteppiche!«

»Ein Geschenk der flämischen Dorfbewohner.«

»Ah, für Santa Lenora!«

»Verfolgst du mit diesem Gespräch einen bestimmten Zweck, Isobel?«

»Nun, ich finde, Heilige sollten unter der Erde liegen.«

»So wie läufige Hündinnen.«

Damit konnte er sie nicht beleidigen. »Wo ist Alfred? Armer, lieber, leidgeprüfter Alfred! Dauernd reitet er über Ländereien, die ihm niemals gehören werden.«

Schweigend starrte er sie an.

»Also? Wo ist er?«

»Er reitet über die Ländereien, die ihm niemals gehören werden«, erklärte Corbin.

»Und Eleanor segelt nach Frankreich, um ihren hochbetagten Bräutigam aufzusuchen«, bemerkte sie lächelnd.

»Aye.«

»Dann will ich eine Zeit lang hier bleiben.«

Erschrocken runzelte er die Stirn. »Warum?«

»Weil ich meinem Mann Gesellschaft leisten möchte.«

»Wozu?«

»Eleanor überquert die Irische See, du Narr! Weißt du nicht, wie gefährlich das ist – wie es in diesen Gewässern zugeht? Wenn ein Seemann schottische Rebellen festnimmt, die in anderen Ländereien Schutz suchen wollen, wird der König ihn reich belohnen. Natürlich machen zahllose Piraten und Schurken, Diebe und Mörder Jagd auf Edwards Feinde. Und Eleanor gerät womöglich zwischen die Fronten …« Isobel setzte sich an den Tisch und lockerte die Bänder ihres Reiseumhangs. »Vielleicht wird deine arme Kusine nie mehr heimkommen. Falls sie Frankreich erreicht, wird sie Alain heiraten, nicht wahr? Und da wird sie wohl kaum den erforderlichen Erben für ihr Vermögen zur Welt bringen.«

Erbost stützte Corbin die Hände auf den Tisch und beugte sich zu ihr hinab. »Du solltest darum beten, dass Eleanor wohlbehalten in Frankreich eintrifft. Wenn wir die Reichtümer von Schloss Clarin jemals zurückgewinnen und die Erträge der Ländereien genießen wollen, brauchen wir Alains Geld. Gewiss, er ist nicht mehr der Jüngste. Aber ich kenne viele alte Männer, die Kinder gezeugt haben.«

»Dazu ist er wohl kaum fähig. Seine erste Frau hatte Kinder aus ihrer früheren Ehe. Bei der Hochzeit war sie noch jung. Ich habe mich gründlich über die Lage informiert.« Langsam strich sie mit einem Finger über Corbins Hand, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Stört’s dich denn gar nicht, dass Eleanor eine Countess ist? Und dass du einfach nur Sir Corbin Clarin heißt? Fehlt dir denn jeder Ehrgeiz?«

»Früher wollte ich die Welt erobern, Isobel. Dann kam das Leben dazwischen. Ach ja – zu diesem Leben gehörst auch du.«

»Allerdings.«

»Leider verstehe ich noch immer nicht, worauf du hinauswillst.«

»Wir könnten eine ganze Menge erben.«

»Wie stellst du dir das vor? Eleanor ist die Erbin dieses Hauses. Selbst wenn es nicht so wäre – ich habe einen älteren Bruder, der hart arbeitet und diesen Besitz verdienen würde.«

»Aber er ist unverheiratet. Und er hat keinerlei Zukunftsaussichten.«

»Was führst du eigentlich im Schilde? Nichts hat sich verändert.«

»O doch«, entgegnete sie, stand auf und berührte seine Brust. Zweifellos hatte sie ihre Vorzüge. Da sie ständig Minzeblätter kaute, roch ihr Atem so süß wie der Morgentau. Auch ihr Parfüm duftete reizvoll und aufregend. Mit ihren Seitensprüngen demütigte sie ihren Ehemann. Aber diesen Erfahrungen verdankte sie bemerkenswerte Liebeskünste. Zielstrebig hatte sie ihren Charme und ihren Scharfsinn genutzt, um sich eine Position am königlichen Hof zu verschaffen.

Corbin zögerte. Einerseits wollte er sie beiseiteschieben, andererseits faszinierte sie ihn. »Was hat sich verändert, Isobel? Planst du irgendwelche üblen Machenschaften?«

»O nein!«, beteuerte sie, die dunklen Augen voller Unschuld. Langsam wanderte ihre Hand über seine Brust nach unten. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er sie an. »Wie kommst du bloß darauf, Liebster? Ich dachte nur, es wäre an der Zeit, einen Erben zu zeugen. Und da Eleanor gerade übers Meer segelt – zwischen Schotten, Dieben, Piraten und Opportunisten –, bleiben nur wir beide übrig.«

»Und wenn Alfred heiratet?«

»Das hat er offensichtlich nicht vor. Außerdem wird er viel zu oft aufs Schlachtfeld gerufen.«

»Auch ich unterstehe dem Kommando des Königs.«

»Ja, das stimmt.«

»Oh, ich verstehe. Deshalb bist du hier. Damit wir einen Erben zeugen. Je schneller, desto besser. Eheliche Beziehungen sind ja so langweilig. Und womöglich ist der Gemahl unverschämt genug, auf dem Schlachtfeld einen verfrühten Tod zu erleiden – im Dienst des Königs.«

Lächelnd zog sie die Nadeln aus dem Haar und ließ sie fallen, während sie zur Treppe schlenderte. Auf der untersten Stufe drehte sie sich um. »Findest du die Beziehung zu deiner Frau so schrecklich, Corbin? Was verlange ich denn schon von dir? Nicht mehr als deine ehelichen Pflichten. Und dass du deinem Sohn ein reiches Erbe verschaffst.«

»Und wenn wir unfruchtbar sind?«, erwiderte er und folgte ihr. »Seit unserer Hochzeit ist einige Zeit verstrichen. Und wie ganz England weiß, bist du mir nicht treu.«

»Aber klug und umsichtig, Liebster. Bis jetzt blieb unsere Ehe kinderlos, weil ich es so wollte. Nun ist es an der Zeit, einen Erben zu zeugen. Und glaub mir, Corbin – niemand wird an der Vaterschaft meines Kindes zweifeln. Weder du noch der König oder die Londoner Aristokratie.«

»Und wenn du nicht schwanger wirst?«

»Dann habe ich dich wenigstens beglückt, teurer Gatte«, bemerkte sie und strich über seine Wange. Plötzlich wirkte sie zart und verletzlich – und sehr schön. »So lange sind wir getrennte Wege gegangen. Verlange ich wirklich zu viel?«

»Natürlich nicht.«

Natürlich nicht – sie wollte einfach nur in seinen Armen liegen, ihre ehelichen Rechte wahrnehmen. Ihre verführerische Nähe erhitzte sein Blut. Und in seinem Körper erwachte jene Sehnsucht, die er so lange unterdrückt hatte.

»Die meisten Männer würden hier auf den Stufen über mich herfallen«, flüsterte sie atemlos. Erstaunlich, was sie mit dem Klang ihrer Stimme erreichte, mit einem Blick, einer sanften Berührung …

»Ganz sicher«, bestätigte er. Lachend hob er sie hoch und trug sie nach oben, in sein Schlafzimmer. Die Treppe erschien ihm ungeeignet. Jederzeit konnte sein Bruder zurückkehren und Corbin wollte sich in den nächsten Stunden nicht stören lassen. So günstige Gelegenheiten wurden ihm nur selten geboten.

In den zwei Tagen nach dem Unwetter hatte Eleanor den Mann, mit dem sie die Kabine teilte, kaum gesehen. Hin und wieder kam er zu ihr. Das wusste sie, weil er Spuren hinterließ. Manchmal hing ein Tartan am Wandhaken. Oder ein Trinkhorn mit Ale stand auf dem Tisch, neben einem geöffneten Buch. Und eines Morgens spürte sie einfach, dass er neben der Koje gestanden und seine schlafende Gefangene betrachtet hatte.

Viel zu langsam schleppte sich die Zeit dahin. Der einzige Mensch, der sie öfter aufsuchte, war die Norwegerin Margot mit dem weißblonden Haar, den hellblauen Augen, der freundlichen Stimme. Vielleicht wäre sie länger bei Eleanor geblieben.

Aber meistens kam der große blonde Muskelprotz, rief nach ihr und sie folgte ihm gehorsam aus der Kabine.

Wenigstens fand Eleanor im Regal ihres Feindes wundervolle Bücher, Abschriften aus irischen Klöstern, von Mönchen unterzeichnet. Sie las Werke über griechische und römische Geschichte, Legenden, irische Märchen und anschauliche Schilderungen der Wikingerangriffe auf die Britischen Inseln. Teilweise waren die Bücher in französischer und lateinischer Sprache abgefasst, auch in norwegischer, die sie nicht beherrschte. Darüber ärgerte sie sich, weil die Gespräche, die sie gelegentlich hörte, in dieser fremden Sprache geführt wurden. Dass die Schotten Latein und Französisch verstanden, überraschte Eleanor nicht. In der Kirche wurde Latein gelehrt. Und viele junge Männer, die sich einen gesellschaftlichen Aufstieg erhofften, kannten die Sprache, die man am Londoner und Pariser Hof bevorzugte. In der Nähe des schottischen Tieflands aufgewachsen, hatte sie als Kind auf Wunsch ihres Vaters Gälisch gelernt. Aber Norwegisch … Schon vor langer Zeit hatten die Wikingerangriffe ein Ende gefunden. Nur die Heiden aus dem Norden und die Hochländer waren mit dieser Sprache vertraut. Früher hatte sie ihre Feinde für Barbaren gehalten, längst nicht so zivilisiert wie die Engländer. Und sie hätte niemals vermutet, dass sie ebenso gebildet waren wie sie selbst, die Tochter eines aristokratischen Gelehrten und Kriegers.

Aber die Bücher vermochten sie nicht lange zu fesseln. Inzwischen war die Angst verflogen. Wenn die Schotten sie töten wollten, hätten sie es längst getan. Da sie in diplomatischer Mission zum französischen König reisten, würden sie ihre Hände sicher nicht mit dem Blut einer Engländerin beflecken, die einen französischen Aristokraten heiraten sollte. Und wenn sie ihre Gefangenschaft auch hasste – sie durfte sich nicht beklagen. Margot brachte ihr genug zu essen, Wein und Ale, sogar warmes Badewasser. Seit Eleanor nicht mehr fieberte, fühlte sie sich mit jedem Tag besser. Ihre Reisetruhe stand in der Kabine, nichts war daraus entfernt worden. Wenn sie badete oder sich umkleidete, schaute sie immer wieder unbehaglich zur Tür, die sich jederzeit öffnen konnte. Aber ihr Mitbewohner schien die Kabine nur nachts zu betreten. Und Margot brachte ihr die Mahlzeiten stets zur gleichen Stunde.

In der vierten Nacht erwachte Eleanor plötzlich, unter dem Eindruck, soeben müsste jemand die Kabine verlassen haben. Oder war die Person immer noch hier? Beklommen spähte sie ins Dunkel. Keine Menschenseele … Aber irgendetwas hatte sich verändert. Eine Zeit lang dachte sie verwirrt nach. Und dann erinnerte sie sich – der Riegel war nicht vorgeschoben worden. Sonst hätte sie das Geräusch gehört.

Vorsichtig stieg sie aus der Koje, eilte in ihrem langen Nachthemd zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit.

Also war sie nicht mehr gefangen. Was mochte ihr das nützen? Sie wusste nicht, ob sie nach wie vor auf der Irischen See segelten oder bereits den englischen Kanal überquerten. Wenn sie aus der Kabine floh – was dann? Sollte sie wieder ins Meer springen? Nein, entschied die Stimme ihrer Vernunft. Sie wollte nicht sterben. An die Wand der Kabine gelehnt, empfand sie wachsende Verzweiflung. Obwohl die Tür offen stand, war sie immer noch die Gefangene ihres Feindes. Das wusste er vielleicht, und deshalb machte er sich nicht mehr die Mühe, den Riegel vorzuschieben.

Und doch …

Wenn sie unbemerkt an Deck schlich und ein Gespräch belauschte, könnte sie womöglich erfahren, was in Frankreich mit ihr geschehen würde. Auf leisen Sohlen verließ sie die Kabine und versuchte sich in der Finsternis zurechtzufinden. Vor ihr erstreckte sich ein Korridor, unter der Kabine lag ein drittes Deck. Darüber befanden sich das Ruder, die Masten, die Segel.

Langsam stieg sie die Stufen hinauf und schaute sich auf dem Oberdeck um. Nichts schien sich zu rühren, obwohl ein Teil der Besatzung auch nachts auf dem Posten bleiben musste. Nach ein paar Minuten kehrte sie unter Deck zurück. Als zwei Seemänner vorbeigingen, duckte sie sich hastig hinter eine Vorratskiste. Ihr Atem stockte, bis die beiden verschwanden. Und dann hörte sie Stimmen, die aus der mittleren Kabine auf dem Oberdeck drangen. Kurz entschlossen eilte sie wieder hinauf und an der Takelage entlang zur mittleren Kabine. Vorn und achtern, an der Steuerbord- und an der Backbordseite befanden sich Fenster. Hier würden sich die Anführer treffen, wenn sie etwas besprechen und dabei alle Aktivitäten an Bord oder auf dem Meer im Auge behalten wollten. Eleanor kauerte sich unterhalb des Steuerbordfensters auf die Decksplanken und sah eine Laterne auf einem Tisch brennen, an dem der Pirat de Longueville und der hoch gewachsene norwegische Kapitän saßen. Und ein ebenso großer Mann mit braunen Haaren und dichtem Bart, breitschultrig und kräftig gebaut … Schaudernd erkannte sie ihn.

Wallace!

Am liebsten wäre sie in die Kabine gestürmt, um den Mann mit bloßen Händen anzugreifen, mit Zähnen und Fingernägeln. Natürlich war das albern. Genauso gut könnte sie sich gegen eine steinerne Mauer werfen. Sie holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe, dann belauschte sie das Gespräch.

»Genau genommen unternehme ich keine offizielle Reise«, erklärte Wallace. »Andere Männer – gut ausgebildete Diplomaten und Geistliche – haben den französischen König und den Papst um Hilfe gebeten. Nun hoffe ich, mein ehrenwerter Name und meine Fähigkeiten werden Philipp beeindrucken und veranlassen, den schottischen Interessen zu nützen. Wie ich hörte, hat der Papst Schottland bereits als souveränen Staat anerkannt und verkündet, wir seien Rom als christliche Nation verbunden.«

»Gott weiß, der französische König sucht immer wieder Söldner«, seufzte Eric, der blonde Kapitän. »In all seinen Schlachten kämpfen bezahlte Ausländer.«

»Und die Piraten?«, fragte de Longueville.

»Angeblich will er jedem Piraten, der englische Schiffe überfallen hat, Gnade erweisen«, erwiderte Wallace. »Sicher wird er Euch nicht als Mitglied unserer Truppe gefangen nehmen, selbst wenn er ein neues Abkommen mit Edward getroffen hat.«

»Aye, das stimmt«, bestätigte Eric. »Über Philipps Geschäfte bin ich bestens informiert. Was immer er mit den Engländern vereinbart, hinter Edwards Rücken verfolgt er seine eigenen Ziele.«

»Eigentlich ist das tragisch«, meinte Wallace, »ein König, der sich so viele verschiedene Feinde gemacht hat … Die Waliser dienen ihm notgedrungen. Aber sie hassen ihn. Frankreich ist ihm immer einen Schritt voraus. Und wir, die Schotten … Bei Gott, wie viel Blut wir auch immer vergießen, wir werden niemals den Weg unserer entfernten walisischen Verwandten gehen.«

»Und wenn wir angegriffen werden?«, warf de Longueville ein. »Vielleicht von englischen Schiffen, die sich mit Franzosen verbündet haben, um einen Piraten zu enthaupten – oder einen barbarischen Gesetzlosen?«

»Da sich die englische Verlobte eines Franzosen an Bord befindet, werden sich die Angehörigen beider Völker in Acht nehmen«, betonte Wallace.

Eleanors Atem stockte. Also war sie eine Schachfigur, die benutzt werden sollte, aller Gerechtigkeit zum Hohn. Sie musste in die Kabine zurückkehren und sich schlafend stellen, diese Männer in Sicherheit wiegen, sodass sie ihre Tür nicht mehr verriegeln würden. Dann könnte sie nahe der französischen Küste über Bord springen, an Land schwimmen und ihre Feinde hätten das Nachsehen. Sie richtete sich auf und wollte in ihr Gefängnis zurückschleichen.

Stattdessen prallte sie gegen den Körper eines Mannes, der offenbar lautlos hinter ihr gestanden und sie beobachtet hatte – so wie sie selbst die Versammlung in der Kabine.

»Ah, guten Abend, Lady Eleanor! Wie nett, dass Ihr Euch zu uns gesellt habt!« Sanfte Hände umfassten ihre Schultern und seine düstere Miene strafte die freundlichen Worte Lügen.

Schweigend starrte sie ihn an.

»Habt Ihr mir nichts zu sagen?«, fragte Brendan.

»Ich schulde Euch keine Erklärung.«

»Kommt mit mir und lernt Sir William Wallace kennen.«

Notgedrungen ließ sie sich in die Kabine führen, wo sich die drei Männer sofort erhoben und die Griffe ihrer Schwerter berührten. Offensichtlich rechneten sie auch auf ihrem eigenen Schiff mit unvorhersehbaren Gefahren.

»Wir haben Besuch«, verkündete Brendan kurz angebunden.

»Oh, die Herrin von Clarin.« William Wallace musterte sie mit unergründlichen Augen. In seiner Stimme schwang eine gewisse Belustigung mit, die Eleanor nicht verstand. Immerhin hatte er bei Falkirk eine bittere Niederlage erlitten. Das war nicht ihr Verdienst. Aber die Engländer sangen Santa Lenoras Loblied, weil sie zahlreiche Krieger aus kleineren Städten und Dörfern nördlich von York zusammengetrommelt hatte. »Guten Abend, Lady. Ich bin William Wallace aus Schottland.«

»In England weiß jedes Kind, wer Ihr seid«, erwiderte sie.

»Zweifellos ein Ungeheuer.«

»Auf Clarin wurde ein Stall angezündet, in den die Schotten mehrere Männer getrieben hatten – wie hilfloses Vieh. Auf Euren Befehl!«

»Gegen Clarin habe ich nicht gekämpft, Lady, und ich wies jene Männer auch nicht an, den Stall in Brand zu stecken. Aber das spielt keine Rolle. Von meiner Hand und auf meinen Befehl hin starben viele Menschen. Dennoch lässt sich all dies nicht mit Edwards Gräueltaten vergleichen. Aber ich zürne Euch nicht, weil Ihr treu zu Eurem Volk haltet und den Wunsch Eures Königs gutheißt, ein anderes Volk zu beherrschen.«

Eine Zeit lang schwieg sie und spürte die durchdringenden Blicke der vier Männer. Wallace sprach ein kultiviertes Französisch, und er wusste sich gewählt auszudrücken, was sie nicht erwartet hatte. Die anderen wirkten zivilisiert, obwohl die Schotten ihre Tartans nach barbarischer Sitte über die Schultern geworfen hatten. Der Norweger trug einen Pelzmantel. Nur der Pirat zeigte sich in der Kleidung eines Gentlemans.

Dieser seltsamen Gruppe fühlte sich Eleanor in ihrem weißen Nachthemd schutzlos ausgeliefert. Sie hatte Wallace für das schlimmste Ungeheuer auf Erden gehalten, einen Dämon, dessen Namen man aussprach, um kleine Kinder einzuschüchtern. Aber in diesem Augenblick erschien ihr der Mann, der neben ihr stand, viel gefährlicher. Schließlich erklärte sie: »Edward wurde nach Schottland eingeladen, weil die Thronfolge zur Debatte stand.«

»Als Berater – nicht als Eroberer!«, entgegnete Wallace in scharfem Ton.

»Was erwartet Ihr von mir? Soll ich vergeben und vergessen, was meinem Heim angetan wurde? Wollt Ihr mich in Eurem Spiel mit dem König wie eine Schachfigur benutzen?«

Seufzend kehrte ihr de Longueville den Rücken.

»Lady«, antwortete Wallace, »ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr nicht nach meinem Blut dürsten und auch meinen Standpunkt begreifen würdet.«

Jetzt ergriff Brendan das Wort. Mit eiskalter Stimme. »Auf dieser Reise habe ich mich bemüht, sehr viel zu vergeben und zu vergessen.«

Unbehaglich wandte sie sich zu ihm. Erst jetzt nahm sie das helle Kerzenlicht in der Kabine wahr, und sie fürchtete, dass ihr dünnes Nachthemd so gut wie durchsichtig wirkte. In Zukunft muss ich mich etwas sorgfältiger kleiden, beschloss sie voller Selbstironie, wenn ich meinen Feinden nachspioniere … »Wir sind uns auf einem Schlachtfeld begegnet.«

»Aye. Dabei stellte sich heraus, wer Milde walten ließ – und wer nicht.«

Eleanor drehte sich wieder zu Wallace um. »Glaubt Ihr, ich könnte Euch gefährlich werden, Sir? Ich bin unbewaffnet.«

Lächelnd hob er die Brauen. »Jeder Mann – oder jede Frau – kann sich eine Waffe beschaffen.«

»Bis jetzt habe ich niemanden attackiert.«

Der Pirat verdrehte die Augen und Eric Graham lachte laut auf. Was Brendan dachte, ließ er nicht erkennen.

»Wie ich hörte, könnt Ihr sehr gut mit einem Schwert umgehen, Lady«, bemerkte Wallace.

»Nicht allzu gut. Wenn man im Grenzland zwischen Schottland und England lebt, muss man lernen, sich zu verteidigen. Euren wackeren Kriegern wäre ich wohl kaum gewachsen, Sir.«

»Männer und Frauen besitzen verschiedene Talente, auf dem Schlachtfeld und außerhalb. In einem Kampf zählt nicht nur die Kraft, sondern auch der Verstand. Genauso wichtig ist die Strategie. Aber vor allem kommt es auf die Herzen und Seelen an. Wir kämpfen um unser Leben, Lady Eleanor, um unsere Freiheit, unser Land. Während Edward für seinen Ruhm kämpft – um sich als grandioser Eroberer zu erweisen.«

»Und mein Volk hat gekämpft, weil Barbaren aus dem Norden über uns herfielen, unsere Felder verwüsteten und die Festung meiner Familie einnehmen wollten.«

»Bemüh dich nicht, William«, bat Brendan ungeduldig. »Sie wird niemals verstehen, worum es geht.«

»Vielleicht nicht.« Wallace setzte sich auf die Kante des Tisches, der mitten in der Kabine stand, und beobachtete Eleanor. In seinen Augen las sie immer noch eine sonderbare Belustigung. »Aber wenn sie mir verspricht, kein Messer in meinen Rücken zu stoßen, will ich ihr glauben.«

»Eher würde sie ein Schwert wählen«, murmelte Brendan.

Wallaces Lächeln vertiefte sich. »In Zukunft dürft Ihr Euch etwas freier an Bord bewegen, Lady.«

»Wie freundlich – nachdem ich gezwungen wurde, mein eigenes Schiff zu verlassen …«

»Mon Dieu, man sollte Ihr die Wahrheit sagen!«, rief de Longueville ärgerlich.

»Die kennen wir nicht«, log Wallace, ohne Eleanor aus den Augen zu lassen.

»Was meint Ihr?«, fragte sie.

»Das geht Euch nichts an«, erwiderte Eric.

»O doch!«

»Das ist alles, was Ihr Schotten könnt!«, stieß der Franzose hervor. »Reden, reden, reden! Wäre sie immer noch meine Gefangene …«

»Aber das ist sie nicht«, fiel Brendan ihm ins Wort.

»Jetzt sollte sich Lady Eleanor zurückziehen«, entschied Wallace.

»Wartet, ich …«, begann sie.

Aber Wallace ergriff ihre Hand und küsste sie so galant, dass sie sich vor lauter Verwirrung nicht wehrte. »Gute Nacht, Lady. Ein andermal werden wir uns weiter unterhalten.«

»Gute Nacht, Lady!«, spottete der Pirat. »Wie ritterlich sich der wilde Wallace benimmt! Hättet Ihr sie in meine Obhut gegeben, wäre sie sicher gefügiger …«

»Aber sie ist nicht Eure Gefangene, sondern Brendans Geisel«, unterbrach ihn Wallace. »Das haben wir vereinbart.« Als er sich zu Eleanor wandte, stieg ihr das Blut in die Wangen. »Und wir werden sie höflich behandeln. Was immer man auch von uns behaupten mag, im Gegensatz zu den Engländern sind wir keine Ungeheuer. Lady, zieht Euch zurück.«

»Aber – ich weiß nicht, was hier geschieht, Ihr habt mir nichts erzählt …«

»Es gibt viele Dinge, die Ihr nicht wisst.«

»Hört mich an …«

Diesmal fiel ihr Brendan ins Wort. »Euer Besuch war uns allen ein Vergnügen, aber jetzt müsst Ihr endlich in Eure Kabine zurückkehren.«

Vergeblich versuchte sie, seine Hand abzuschütteln, die ihre Schulter umklammerte. »Das will ich nicht!«, fauchte sie. »Ich möchte erfahren, was …«

»Vielleicht fängt sie wieder zu fiebern an«, meinte Brendan in geheuchelter Besorgnis. »William, sobald ich sie in ihre Kabine gebracht habe, komme ich zurück.«

»Aye, Brendan, bis später.«

»Nein, ich …«, protestierte Eleanor. Zu ihrer Bestürzung wurde sie einfach hochgehoben und aus der Kabine getragen. Wütend stemmte sie sich gegen Brendans Brust. Dann zerrte sie an ihrem Nachthemd, weil sie fürchtete, es wäre nach oben gerutscht. »Lasst mich runter!«, schrie sie. Zutiefst verlegen, erblickte sie einige Seemänner an Deck, die in ihrer Arbeit innehielten, um sie zu beobachten. »Verdammt, lasst mich sofort runter!«, zischte sie.

»Aye, wenn Ihr in Sicherheit seid, kleine Närrin! Der Franzose hätte Euch am liebsten auf dem Tisch vergewaltigt.«

Sekundenlang rang Eleanor nach Atem, und es dauerte eine Weile, bis ihr die Stimme wieder gehorchte. »Besser ein Franzose als ein elender Schotte!« Kurz vor der Treppe blieb er stehen – so abrupt, dass ihr Kopf an seine Brust sank. »Soll ich Euch zu de Longueville zurückbringen, Lady? Die Entscheidung liegt bei Euch. Nun?«

Mühsam schluckte sie. »Nein.«

»Verzeiht, Lady, habe ich Euch richtig verstanden?«

»Nein.«

»Nein – was?«

Erbost hob sie den Kopf und starrte in seine Augen. »Nein, Ihr sollt mich nicht dem Piraten übergeben!«

»Gott sei Dank!« Er lächelte selbstgefällig. »Also seid Ihr nicht ganz so dumm, wie ich dachte.«

»Wie könnt Ihr es wagen? Ihr habt Euch doch mit ihm verbündet!«

»So übel ist er gar nicht.«

»Obwohl er Schiffe überfällt und ausraubt, Männer ermordet, Frauen vergewaltigt …«

»Euer geliebter König Edward hat ein ganzes Land vergewaltigt und zahllose Menschen grausam töten lassen. Wenigstens würde de Longueville Euch nicht umbringen.«

»Nein? Und warum macht er sich über Dinge lustig, die ich nicht weiß?« Inzwischen hatten sie die Stufen erreicht. »Lasst mich endlich runter! Ich kann laufen.«

»Und ich kann Euch tragen.« Trotz seiner Größe und der breiten Schultern bewegte er sich erstaunlich geschmeidig im schmalen Korridor. Aber sie musste sich an ihn klammern, damit ihr Kopf nicht gegen die Wand stieß. Sie erreichten die Kabine und er öffnete die Tür. Langsam ließ er Eleanor an seinem Körper hinabgleiten, bis sie auf ihren Füßen stand.

Sie starrte ihn an, verlegen und gedemütigt, und zupfte an ihrem Nachthemd, das bis zu den Schenkeln hinaufgerutscht war. »So, jetzt bin ich wieder in meiner Kabine«, murmelte sie.

»Aye.«

»Und Ihr werdet erwartet.«

»Aye.«

»Nun müsst Ihr zu Sir Wallace zurückkehren, der behauptet, er sei nicht für das Gemetzel auf Clarin verantwortlich.«

»Wenn er das sagt, so stimmt es.«

»Seid Ihr ihm treu ergeben, um jeden Preis?«

»Aye. So wie Ihr Eurem Herrn.«

»Ich habe keinen Herrn. Nur Erinnerungen.«

»Welch ein Stolz! Trotzdem seid Ihr – erst von Piraten gefangen genommen – jetzt die Geisel eines besiegten, aber niemals geschlagenen Feindes.«

Reglos stand Eleanor da und spürte den durchdringenden Blick seiner dunkelblauen Augen. »Zum Glück bin ich die Geisel eines Mannes, der mich hasst.«

»O nein, Lady. Ihr hasst uns. Aber ich hasse Euch nicht. Ob ich mich rächen will? Allerdings! Trotzdem weckt Ihr kein Hassgefühl in meiner Brust, Lady. Immerhin verdanke ich Euch eine wertvolle Lektion. Nie wieder soll mich das Bild schöner Unschuld beeindrucken. Sonst werde ich in tödliche Gefahr geraten. Werde ich jemals wieder einem Feind Gnade erweisen? Höchst unwahrscheinlich. Euch nie mehr!« Sanft strichen seine Finger über ihr Haar, und er betrachtete ihr Gesicht, ihren schlanken Hals, ihre Brüste unter dem dünnen Leinenstoff des Nachthemds. »Wallace ist kein Ungeheuer, sondern ein anständiger Mann, der stets sein Wort hält. Was uns andere betrifft – unsere Peiniger haben uns einiges beigebracht. Aber nun müsst Ihr mich entschuldigen, denn die Pflicht ruft.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er die Kabine.

Diesmal wurde der Riegel vorgeschoben.

Eleanor bebte am ganzen Körper. Nicht vor Kälte. Hastig kroch sie in die Koje und wickelte sich in die Decke. Dann wartete sie. Ihr Herz schlug wie rasend.

Sicher würde er zurückkehren. Sie war seine Geisel, seine Gefangene.

Doch die Stunden verstrichen und er kam nicht zu ihr.

Endlich schlief sie ein.

Geisel der Leidenschaft

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