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1. Kapitel

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Zu Beginn des neuen Jahrhunderts

1301–1302

»Ein Piratenschiff!«, rief Captain Abram. »Mit vollen Segeln! Hart am Wind! Diesen Bastarden müssen wir davonfahren!«

Aufgeregt beugte sich der weißhaarige, bärtige Kapitän über die Reling.

Lady Eleanor of Clarin aus Yorkshire in England stand im Bug, spürte die salzige Gischt im Gesicht und den Wind, der an ihrem Haar und ihrer Kleidung zerrte. Die Stirn gerunzelt, wandte sie sich zu Abram – sie zweifelte an seiner Vermutung. Noch vor dem Wachtposten im Ausguck hatte sie das Schiff entdeckt und den Kapitän darauf hingewiesen. Ein schnelles Schiff … Erstaunt beobachtete sie, wie es über die Irische See zu fliegen schien.

»Ein Piratenschiff?«, wiederholte sie. Sollte sie dem Kapitän glauben? Sie hatte von Seefahrern gehört, die vor keinem Wagnis zurückschreckten, um sich zu bereichern. Aber es gab nur wenige. Die Zeiten der Wikingerherrschaft über die Meere waren vorbei. Und obgleich in den Adern vieler Menschen, die in Britannien, Irland und Europa lebten, Wikingerblut floss, würden die harten Strafen, die den Piraten drohten, die meisten Seemänner von solchen Missetaten abhalten. Gnadenlos verfolgte König Edward die Schurken, die seine Schiffe plünderten und das Geld stahlen, das er für seine endlosen Kriege brauchte.

»Aye, Piraten«, bestätigte Captain Abram erbost. »Und Ihr, Mylady, geht sofort unter Deck, in meine Kabine.«

»Wenn Piraten dieses Schiff kapern, bin ich in Eurer Kabine nicht sicherer als anderswo, Captain.«

»Lady Eleanor, ich beabsichtige, die Stellung an Bord zu halten!«

»Schon viele Männer haben dies oder jenes beabsichtigt.«

»Selbstverständlich werde ich kämpfen …«, entgegnete er ärgerlich.

»Daran zweifle ich nicht.«

Seufzend musterte er die junge Frau, die schon so viel mit angesehen hatte. »Wenn diese Halunken das Schiff entern, könntet Ihr ermordet werden, Mylady. Von der zivilisierten Welt wissen die Piraten nichts.«

Falls sie in einer zivilisierten Welt lebte, hatte sie noch nicht viel davon gesehen. Ihre zivilisierte besorgte männliche Verwandtschaft hatte sie zu dieser Reise veranlasst. »Vielleicht sind es gar keine Piraten, sondern meine Vettern.«

»Dieses Schiff kenne ich. Es gehört einem französischen Seeräuber namens Thomas de Longueville. Mylady, ich werde Euch nicht gestatten zu sterben!«

Natürlich nicht, dachte sie bedrückt und fragte sich, ob sie vielleicht nach Frankreich fuhr, weil sie den Tod herbeisehnte. Diesen Gedanken behielt sie indes für sich. »Ich musste auf meinem Familiensitz nördlich von York miterleben, wie Wallace, dieser wilde Schotte, einen Stall anzündete, in dem dreißig Männer gefangen saßen. Um die Holzwände zu zerhacken, trotzte ich einem Schlächtertrupp. Also kann ich es auch mit Piraten aufnehmen.«

Abram wich ihrem Blick unbehaglich aus. »Aye, die Leute halten Euch für eine Heilige und die Krieger von York sind Euch zum Schlachtfeld von Falkirk gefolgt. Aber hier sind wir auf dem Meer. Ein Enterhaken könnte Euch tödlich treffen – oder ein Mast, der herabstürzt ... Bitte, ruft Eure Zofe und geht unter Deck.«

»Bei allem Respekt, Captain …«

»Hört Ihr eigentlich auf niemanden, Mädchen?«, stieß er hervor und der heisere Klang seiner Stimme jagte ihr endlich Angst ein. Als sie über ihre Schulter spähte, stellte sie erschrocken fest, wie nahe das Piratenschiff inzwischen herangekommen war.

Jetzt erschien ihr Abrams Schiff wie ein armseliger, ächzender Kahn, der im Schneckentempo dahinkroch. Vom Ersten Offizier kommandiert, rannte die Besatzung umher. Was sie in den Augen der Männer las, warnte sie noch eindringlicher als die Worte des Kapitäns vor dem drohenden Unheil.

Stolz und kühn, alle Segel gebläht, durchpflügte der Verfolger die Wellen.

»Eleanor!« Die Zofe Bridie lief die Stufen herauf, die zur Kapitänskajüte führten. »Seid Ihr taub, Kindchen? Gleich werden die Piraten über uns herfallen!«

Trotz der prekären Lage hob Eleanor die Brauen, pikiert über diesen Ton, den Bridie für gewöhnlich nicht anschlug. Glaubte die Zofe tatsächlich, sie müssten um ihr Leben bangen? »Bridie …«, begann sie.

Aber da rannte Bridie bereits über das Deck und wich den Seemännern aus, die sich verzweifelt bemühten, das Tempo des Schiffs zu beschleunigen. Nur drei Jahre älter als Eleanor, war sie ihr eine treue, tapfere Gefährtin. Entschlossen nahm sie ihre Herrin in die Arme. »An jenem Tag war ich dabei, Mylady. Ich weiß, welche Angst Ihr ausstehen musstet. Und dann seid Ihr auch noch aufs Schlachtfeld geritten … Das alles ist mir bewusst. Aber ich flehe Euch beim Blut der Heiligen Jungfrau Maria an – redet Euch nicht ein, Ihr wärt so stark wie ein Mann. Kommt mit mir!«

Eleanor schluckte krampfhaft. Bei diesen Worten verließ sie der Mut. O ja, sie hasste das Blutvergießen, die Angst, die Kämpfe, den Tod ... Und es war kein Mut gewesen, der sie auf Castle Clarin angetrieben hatte, sondern reiner Wahnsinn. Doch sie hatte viel gelernt. Über Schlachten und Männer .

»Bitte!«, flüsterte Bridie.

»Schon gut, gehen wir unter Deck.« Eleanor folgte ihrer Zofe zur Treppe, spürte das Schwanken des Schiffs, geriet aber nicht aus dem Gleichgewicht. Vor Wind und Wellen fürchtete sie sich nicht. Nur vor der Gefahr, eingesperrt zu werden.

Ehe sie die Stufen erreichten, wurden beide Frauen von einer gewaltigen Erschütterung zu Boden geworfen. Das ganze Schiff schien zu stöhnen – verwundet, gerammt, von gnadenlosen Feinden angegriffen. Hastig verließen die Besatzungsmitglieder ihre Posten und zückten die Waffen. Wie Silbervögel flogen Enterhaken durch die Luft, wie Stahlzähne bohrten sie sich in die Decksplanken. Piraten sprangen an Bord und ein wilder Kampf begann. Entsetzt sah Eleanor den Blick eines sterbenden Seemanns brechen, sein Blut floss zu ihr.

»Steh auf!«, befahl sie der Zofe. Sekunden später rannten sie die Treppe hinab, und zwei Männer, die ihre Waffen verloren hatten, stürmten hinter ihnen in die Kabine. Eleanor erkannte den Ersten Offizier, den ein Angreifer an der Kehle gepackt hatte. Entschlossen nahm sie die schwere, kostbare Bibel vom Schreibtisch des Kapitäns und warf sie dem Piraten an den Kopf. Der verdrehte die Augen und stürzte auf die Planken.

Verwirrt wandte sich der grauhaarige Erste Offizier zu seiner Retterin. Bridie hob die Bibel auf und hielt sie hoch. »Der Herr steht auf unserer Seite!«

»Tatsächlich?« Alle Blicke richteten sich auf den hoch gewachsenen Mann, der am Türrahmen lehnte. »Das glaube ich nicht, Mademoiselle«, fuhr er fort, betrat die Kabine und nahm seinen Hut ab. »Darf ich mich vorstellen? Thomas de Longueville. Im Augenblick steht Gott auf meiner Seite.« Er mochte in mittleren Jahren sein. Aber Wind und Wetter auf hoher See hatten sein Gesicht gegerbt, sodass er älter wirkte. Er trug Breeches aus gefärbtem dunklem Leinen, ein weißes Hemd, eine preiselbeerfarbene Weste und hohe Stiefel. Mit schmalen Augen sah er sich aufmerksam um: »Ah – also stimmt es. Lady Eleanor of Castle Clarin, nehme ich an. Ihr segelt nach Frankreich, um einen reichen Mann aufzusuchen – um die Geldkisten, die Eure Feinde geplündert haben, wieder zu füllen. Gott segne die wilden Seelen der Schotten. Mal sehen, was dieser Mann bezahlen wird, um Euch zu gewinnen …«

Plötzlich sprang der Erste Offizier vor, der an die Wand zurückgewichen war. »Elender Schurke! Wenn Ihr die Lady anfasst …«

Der Pirat zog ein Messer und Eleanor trat hastig zwischen die beiden Männer. Dabei stieß sie mit dem Ersten Offizier zusammen und der Aufprall warf sie an die Brust des Piraten. In den Augen des Franzosen erschien ein beunruhigendes Glitzern und sie zuckte zurück. »Heute sind schon genug Männer gestorben!«

»Wollt Ihr das entscheiden?«, fragte Thomas de Longueville und hob belustigt die Brauen.

»Tötet Ihr Eure Gegner zum Vergnügen? Ihr habt das Schiff gekapert und keinen Grund, diesen Mann umzubringen.«

»Aye, das Schiff gehört mir. Und was Euren Freund betrifft …« Nach kurzem Zögern rief er: »Jean!« Einer der Piraten rannte in die Kabine. »Wirf den Kerl über Bord. Aber du darfst ihn nicht töten. Sieh zu, dass er lebend ins Wasser fällt!«

»Setzt ihn in ein kleines Boot!«, fauchte Eleanor, als ein weiterer Pirat herbeieilte und der Erste Offizier hinausgeschleift wurde.

»Was für eine Nervensäge Ihr seid!«, seufzte Thomas de Longueville. »Die Beschützerin von Castle Clarin, nicht wahr? Santa Leonora, eh?«

»Sie ist eine vornehme, sanftmütige Lady!«, log Bridie und legte einen Arm um die Schultern ihrer Herrin. »Und wenn Ihr – wenn Ihr …« Ihre Stimme erstarb. Brennend stieg das Blut in ihre Wangen.

»Vielleicht darf ich erklären, was sie Euch mitzuteilen versucht«, stieß Eleanor hervor. »Wenn Ihr mir zu nahe tretet, werde ich meinem künftigen Bräutigam nicht mehr viel wert sein.« Spielte das überhaupt eine Rolle? In einem unterdrückten, gepeinigten Land geboren, führte sie seit dem Tod ihres Vaters ein Leben, das einer bitteren Farce glich.

»Und wenn’s mich nicht kümmert, was ich an Euch verdienen würde?«, konterte er, immer noch amüsiert.

»Und wenn mir gar nichts wichtig ist? Wenn ich ins Meer springe?«

Ärgerlich runzelte er die Stirn. Ehe er antworten konnte, kehrte Jean zurück. »Ein Schiff!«

»Ein Schiff?«

»Aye, und es segelt auf uns zu!«

Trotz der drohenden Gefahr nahm sich Thomas de Longueville genug Zeit für eine höfliche Verbeugung. »Entschuldigt mich vorerst. Welch eine bedauerliche Störung, Lady Eleanor, wo wir uns doch eben erst kennen lernen! Ich werde diesen neuen Feind möglichst schnell erledigen und dann zu Euch zurückkehren. Natürlich will ich mit ansehen, wie Ihr im Meer versinkt!«

Die Tür fiel hinter den beiden Piraten ins Schloss. Als Eleanor hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde, schrie sie verzweifelt auf.

»Mylady …«, rief Bridie und eilte zu ihr.

Eingesperrt! Das ertrug Eleanor nicht.

Plötzlich wurde sie zurückgeworfen und prallte gegen den Schreibtisch des Kapitäns. Das Schiff erzitterte, Holz ächzte und knackte.

Und dann – Rauchgestank …

»Feuer!« Angstvoll wandte sie sich zu Bridie.

»Bis hierher werden die Flammen nicht dringen …«

»Wir werden nicht verbrennen. Lieber lasse ich mich erstechen!«

»Eleanor …«

»Das halte ich nicht aus …« Von wachsender Panik getrieben, schaute sich Eleanor in der Kabine um, auf der Suche nach einer Waffe, mit der sie die Tür aufbrechen konnte. Endlich fand sie eine Axt hinter dem Vorhang, der das Bett des Kapitäns abschirmte. Vielleicht eine Streitaxt oder einfach nur ein Werkzeug – das wusste sie nicht und es war ihr auch gleichgültig.

Entschlossen hob sie die Axt.

»Nicht, Mylady!«, mahnte Bridie. »Captain Abram hat gesagt, wir müssen hier bleiben. Sonst werden wir womöglich getötet, versehentlich oder sogar mit Absicht …«

Entgeistert starrte Eleanor ihre Zofe an. »Riechst du das Feuer nicht? Sollen wir wie gefangene Ratten verbrennen?«

»Aber – Mylady …«

»Wie ich sterbe, ist mir egal, solange ich nicht in lodernden Flammen umkomme! Hör doch, Bridie! Feuer an Bord!«

Da stieg der Brandgeruch auch in Bridies Nase. »O Gott – ja! Was kann ich tun, Eleanor? Lasst Euch helfen …«

»Tritt zurück, Bridie! Mit solchen Geräten kann ich gut umgehen.«

Eleanor schwang die Axt. Mit einem einzigen Schlag zertrümmerte sie die Tür.

»Können wir das Schiff kapern?« Brendan schaute durch das Fernglas des Kapitäns.

»Aye, wenn du willst …«, erwiderte Eric Graham, ein Verwandter, der die Wasp kommandierte.

»Natürlich will ich’s.«

Auf dem Meer bot sich ein sonderbarer Anblick. Piraten hatten ein englisches Schiff geentert, das unter der Flagge Edwards I. segelte, und der Kampf tobte noch. Auf beiden Seiten waren mehrere Männer umgekommen, beide Schiffe hatten schwere Schäden erlitten.

Zur Besatzung der schnittigen, im norwegischen Stil erbauten Wasp zählten Seemänner, in deren Adern Wikingerblut floss. Und Schotten, in vielen Schlachten erprobt – zu oft besiegt.

»Kennst du das Piratenschiff?«, fragte Eric. Im Gegensatz zu seinem schwarzhaarigen Vetter war er kupferblond, mit einem Lockenkranz, der eine Glatze umgab, und einem dichten Bart. Beide Männer hatten blaue Augen – Eric in hellerem nordischem Blau, Brendan in leuchtendem Kobalt. »Nun, kommt dir die Flagge bekannt vor?«

»Die meiste Zeit habe ich an Land gekämpft, Vetter«, erwiderte Brendan. So viele Jahre lang … Jetzt erinnerte er sich kaum noch an die Zeiten, wo er ein Junge aus gutem Haus gewesen und die Kriegskunst erlernt, aber seine Nächte mit Büchern und Fremdsprachen, Mathematik, Geschichte und Musik verbracht hatte. »Ich fahre noch nicht lange zur See.« Und seine Gedanken waren meist woanders. Um die verschiedenen Flaggen kümmerte er sich nicht. »Willst du’s mir nicht verraten, Eric?«

»Das Schiff gehört Thomas de Longueville.«

»Dem berüchtigten Franzosen?« Sogar Brendan hatte diesen Namen schon gehört.

»Aye, ein faszinierender Mann. Immer schlägt er im richtigen Augenblick zu.«

»Und er hat ein englisches Schiff gekapert? Los, greifen wir an!«

»Wäre Wallace damit einverstanden? Wir sind in nationaler diplomatischer Mission unterwegs.«

»Glaubst du, er hätte was dagegen, wenn wir auf der Reise nach Frankreich einen französischen Piraten besiegen, der ein Schiff unter Englands Flagge gekapert hat? Sicher nicht!«

Eric drehte sich um und richtete das Fernrohr nach achtern, auf Wallaces Schiff, das der Wasp in einigem Abstand folgte. Bevor die ungewöhnliche Szene vor ihren Augen erschienen war, hatten sie sich auf eine Schlacht vorbereitet.

So wie immer. Obwohl sie diesmal in diplomatischer Mission über das Meer segelten.

Nach der Niederlage von Falkirk kämpfte William Wallace immer noch um Schottlands Freiheit. Und es gab kaum einen Mann, dessen Tod der englische König freudiger begrüßen würde. Beharrlich blieb William seinem Ideal von einem unabhängigen Schottland treu. Er war kein Aristokrat mit Erbrechten auf Pächter, die ihm in Kriegszeiten dienen mussten. Aber er wusste seine Anhänger mitzureißen und anzufeuern. Seit den schweren Verlusten bei Falkirk griff er die englischen Truppen, die im Süden Schottlands Stellung bezogen hatten, unermüdlich an, blitzschnell und überraschend, mit einer klugen Strategie, die sich immer wieder gegen die Übermacht behauptete.

Die Niederlage von Falkirk hatte den Schotten auch einige Vorteile gebracht. Seither wurden ihre Aristokraten gezwungen, Verantwortung für das Land zu übernehmen.

Aber Edward I. von England würde seine Ansprüche niemals aufgeben. Nur sein Tod würde Schottland endgültig befreien. Zurzeit führte er andere Kriege und er besaß nicht genug Streitkräfte, um Schottland zu unterwerfen – ein Ziel, das er nach wie vor anstrebte und zu einem späteren Zeitpunkt erneut verfolgen würde.

Manchmal fragte sich Brendan, warum William Wallace – der große Krieger und Anführer – die Situation so gelassen hinnahm. Die Freiherren hatten seine Macht, seine beflügelnde patriotische Leidenschaft, sein Blut und seinen Schweiß zum Wohle Schottlands genutzt, aber niemals wirklich hinter ihm gestanden.

In Williams Augen war John Baliol immer noch der schottische König – der gesalbte König. Aber John Comyn, der Rote genannt, stammte aus derselben alten schottischen Königsdynastie wie Robert de Bruce. Man munkelte, John Comyn sei mit seinen Truppen vom Schlachtfeld bei Falkirk geflohen. Deshalb trage er die Schuld an der Niederlage. Eine Zeit lang hatten Comyn und Bruce Schottland gemeinsam verwaltet und die Engländer eher versteckt attackiert. Doch die alten Rivalitäten zwischen den beiden drohten die ohnehin geringfügige schottische Vormacht zu untergraben. Erst dankte Bruce ab, dann Comyn, und John Soulis, ein tapferer Schotte, hütete das Land im Namen des abwesenden Königs Baliol.

Wallace hatte all diese Ereignisse beobachtet, hatte Eigeninteressen sowie die Hab- und Machtgier der Freiherren gefürchtet. Beim geringsten Anzeichen einer Gefahr würden sie vor Edward kapitulieren, um ihre Ländereien und Adelstitel zu behalten.

Wenn William Wallace kämpfte, hatte er nichts zu verlieren. Und jetzt durfte er neue Hoffnung schöpfen. John Baliol, der unglückliche König, war aus der päpstlichen Gefangenschaft in Italien, wohin Edward ihn verbannt hatte, entlassen worden und nach Frankreich gereist. Deshalb segelten Wallace und seine Streitkräfte zum französischen König, einem traditionellen Verbündeten der Schotten.

»Also gut.« Eric warf Brendan einen kurzen Blick zu. »Wenn William nichts dagegen hat, greifen wir an!«

»Aye!« Brendan eilte über das Deck zu seinen Männern.

Erwartungsvoll schauten sie zum Ruder, wo er mit Eric gesprochen hatte. Mit einer solchen Aktion hatten sie gerechnet. Während die Wasp ihre Flotte anführte, hielten sie nach Engländern Ausschau, die Wallace nur zu gern festnehmen und Edward ausliefern würden.

»Dieses Schiff holen wir uns!«, rief Brendan grinsend und zitierte die berühmten Worte des Anführers William, den sie alle bewunderten. »Nicht zum Ruhm, sondern für die Freiheit! Für Schottland!«

»Immer für Schottland!«, stimmte Liam MacAllister zu, ein großer kräftiger Mann mit erbaulichem Humor und flammend rotem Haar. »Und für die Schätze, die wir vielleicht an Bord finden werden – was, Brendan? Die brauchen wir für unsere leeren Geldschatullen!«

Alle Männer jubelten ihm zu und Brendan nickte. »Weiß Gott, Liam! Dieses sinkende Schiff wollen wir bis auf die letzte Münze plündern!«

Jetzt schrien sie noch lauter, wie so oft, wenn sie sich vor einem Kampf gegen die englische Übermacht Mut machen wollten.

»Volle Segel!«, befahl Eric seiner Besatzung und eilte zu Brendan. »Zweifellos sind sie in der Überzahl.«

Brendan schnitt eine Grimasse. »Bei meinen bisherigen Schlachten waren wir immer in der Unterzahl.« Er wandte sich zu seinen Leuten. »Brennende Pfeile, meine Freunde! Wenn wir an Bord gehen, müssen die Gegner alle Hände voll zu tun haben, um ihre Haut vor den Flammen zu retten. Die besten drei treten vor! Liam, Collum, Ainsley – eine gewaltige Salve! Setzen wir sie mit Pech und lodernden Fetzen in Brand!«

Sofort rannten die Männer davon, um den Befehl auszuführen. Im Lauf der Zeit hatten sie eine ganze Menge von Edwards hervorragenden Bogenschützen gelernt.

Mit hellem Feuer verkündeten sie den Engländern und Piraten ihre Ankunft.

»Schnell, Bridie!« Eleanor und ihre Zofe sprangen über die Splitter der zertrümmerten Tür hinweg und rannten an Deck. In diesem Augenblick flogen brennende Pfeile über das Meer heran und bohrten sich in Segel und Masten.

Angstvoll duckte sich Eleanor und zog Bridie hinab. Ein loderndes Geschoss sauste dicht an ihrem Kopf vorbei. Noch brannte das Schiff nicht.

In solchen Kämpfen erfahren, versuchten die Piraten die Flammen zu löschen und rüsteten sich, um die Angreifer gebührend zu empfangen.

Nicht weit von den beiden Frauen entfernt, stand de Longueville an der Reling, fluchte lauthals und erteilte seine Befehle. »Nun haben die Schotten ihren Krieg vom Land aufs Meer verlagert! Pfeile. Pfeile!« Wütend schwang er seine Faust in die Richtung des Schiffs, das seine Beute jeden Augenblick rammen würde. »Kämpft! Zieht eure Schwerter! Ausgerechnet Schotten! Mon Dieu!«

Enterhaken schlugen in die Planken. Wie durch ein Wunder wurde das englische Schiff nicht zerquetscht. An der Backbordseite lag das Piratenschiff vertäut und die neuen Feinde attackierten die Steuerbordseite.

»Aye, Pirat, wir haben unsere Schwerter gezogen!«, erklang ein donnernder Ruf.

Eleanor wandte sich zu dem Schiff, das soeben herangesegelt war. In der Takelage hing der Mann, dessen Stimme sie gehört hatte. Mit einer Hand umklammerte er die Taue, mit der anderen seine Waffe.

Schotten.

Entsetzt starrte sie auf das blaugrüne Schottenkaro seines Tartans, den er über engen dunklen Hosen, einem Leinenhemd und hohen Stiefeln trug. An einer Schulter wurde der Umhang von einer großen keltischen Brosche zusammengehalten.

Das Schwert gezückt, sprang er erstaunlich geschmeidig aus der Takelage auf das englische Schiff – ein junger Mann mit pechschwarzem Haar, das seine Schultern fast berührte. In seinem markanten, glatt rasierten Gesicht, das von der Sonne gebräunt war, leuchteten tiefblaue Augen. Er hatte Thomas de Longueville auf Französisch angesprochen.

Dennoch war er ein Schotte.

Unzivilisiert, verrückt, wild. Barbaren stürmten über das Deck, grausame Männer, die einander wegen belangloser Streitigkeiten töteten und wie Wölfe über ihre Gegner herfielen.

Aber der Anführer der Piraten war bereit zum Kampf. Klirrend prallten die Schwerter aufeinander.

Immer mehr Schotten stürmten mit gälischem Kriegsgeschrei das Deck. Diesen Ruf kannte Eleanor. Auch norwegische Flüche ertönten. In das ohrenbetäubende Gebrüll mischten sich die zivilisierten Stimmen der Franzosen. Während Eleanor neben Bridie auf dem Absatz der Treppe stand, die zur Kabine führte, beobachtete sie ungläubig das wilde Getümmel.

»O nein! Das muss ein böser Traum sein!«, klagte Bridie. Ein Mann fiel ihr vor die Füße. Grinsend schaute er sie an, sprang auf und wehrte sich erneut gegen den bulligen Schotten, der ihn niedergestreckt hatte. »Ein Angriff ist schon unhöflich genug!«, kreischte die Zofe empört. »Aber gleich zwei …« Vor lauter Wut vergaß sie beinahe ihre Angst.

»Unhöflich? Bridie, wir blicken dem Tod ins Auge! Hier geht es nicht um Manieren. Wir müssen überlegen, was wir tun sollen …«

»Gehen wir in die Kabine zurück!«, flehte Bridie. »Inzwischen wurde das Feuer gelöscht und die Tür ist zerbrochen. Also wären wir nicht gefangen. Wenn wir hier draußen bleiben, werden uns diese elenden Schurken erstechen!«

»Nein!« Jederzeit konnte ein neues Feuer ausbrechen, und Eleanor fand diese Gefahr viel schlimmer als den erbitterten Nahkampf, der ringsum tobte. »Laufen wir nach achtern, Bridie!«, entschied sie, packte die Hand ihrer Zofe und zerrte sie zwischen zwei Männern hindurch, bevor diese sich aufeinander stürzten.

Die zwei Frauen rannten an der Reling entlang, hinter die Masten, zum anderen Ende des Schiffs. Hier blieb Eleanor stehen, rang nach Luft und starrte ins schäumende Wasser hinab. Auf der Irischen See sah man nur selten sanfte Wellen. Nach einem sonnigen Morgen hatten sich dunkle Wolken zusammengeballt, als wollten sie die Seeschlacht ankündigen. Seufzend untermalte der Wind das Klirren der Schwerter.

»O Gott, Eleanor!«, jammerte Bridie. »Ihr wollt doch nicht …«

»Ins Wasser springen? Meinst du das?«

»Und was habt Ihr vor? In der Kabine wären wir besser dran.«

»Bevor ich verbrenne, möchte ich lieber ertrinken.« Eleanor blickte wieder ins aufgewühlte Wasser. Aye, sie konnte schwimmen. Zur Küste? Von hier aus? Wohl kaum. Und welche Bestien lebten im Meer? Haie mit messerscharfen Zähnen, tödlicher als alle Schwerter. Meeresungeheuer, über die man in den Tavernen die schaurigsten Geschichten erzählte. Kreaturen, die Menschen zerquetschten und aussaugten …

Immer noch besser als die Flammen!

»Alors!«

Erschrocken drehte sich Eleanor um und sah einen der französischen Piraten heranstürmen, einen Mann mit tintenschwarzem, fettigem Haar, tückischen Augen und einem seltsamen Spitzbart. »Kommt zurück!«

»Bei Gott, ich springe!«, flüsterte Eleanor und umklammerte die Reling.

Ehe sie sich emporschwingen konnte, rannte ein anderer Mann nach achtern und zog ein Messer aus seinem Stiefelschaft, warf sich auf den Franzosen und erstach ihn mühelos.

Das Schwert des Piraten schlitterte über die Planken und Eleanor griff instinktiv nach der scharf geschliffenen Waffe, einem französischen Rapier … Abschätzend wog sie es in einer Hand, dann sah sie den Feind auf sich zulaufen, der den Franzosen innerhalb weniger Sekunden getötet hatte. Der dunkelhaarige Barbar, der zuerst auf das Deck gesprungen war, der Anführer … Irgendetwas hatte er an sich …

»Legt die Waffe nieder, Lady«, befahl er leise in kultiviertem normannischem Französisch.

Doch sie ließ sich nicht täuschen. Diese Männer kannte sie zur Genüge.

»Nein, verschwindet, Hochländer! Geht in Frieden und lasst mich in Ruhe!«

»Seid Ihr Engländerin?«

»Auf dem Weg zu meinem französischen Verlobten. Also nehmt Euch in Acht!«

In seinen kobaltblauen Augen funkelte unverhohlene Belustigung, noch intensiver als zuvor in Thomas de Longuevilles dunklem Blick. Und wie seltsam er sie anschaute … Kannte er sie?

»Lasst das Schwert fallen, Lady. Danach wollen wir uns über Euren Verlobten, Eure Reise – und Eure Zukunft unterhalten.«

»Sobald man Schotten gegenübersteht, gibt es keine Zukunft mehr!«, fauchte sie verächtlich.

»Gebt mir das Schwert oder ich muss es mir nehmen.«

»Bitte, Mylady!«, flehte Bridie. »Um Himmels willen, übergebt ihm die Waffe!«

Eleanor raffte ihre Röcke und trat vor. Nein, sie würde nicht verbrennen – vielleicht ertrinken, aber niemals verbrennen und sich niemals der Gnade eines Schotten ausliefern!

»Lasst endlich die Waffe fallen!« Der Mann zog sein eigenes Schwert und stürzte sich auf Eleanor, um ihr das Rapier aus der Hand zu schlagen.

Aber sie parierte den Streich so schnell, dass sie ihn überrumpelte. Blut quoll aus seinem Arm. Verwirrt starrte er die Wunde an und Eleanor genoss ihren kleinen Triumph in vollen Zügen. Doch sie hätte das Überraschungsmoment sofort nutzen müssen. Als sie ihn schließlich angriff, war er längst bereit zum Kampf und trieb sie an die Reling zurück. Sie erkannte die Gefahr ihrer mangelnden Bewegungsfreiheit und versuchte, eine bessere Position zu erreichen. Obwohl jeder Schwerthieb sie schwächte, kämpfte sie verbissen weiter. Bald schien die Welt nur noch aus klirrendem Stahl zu bestehen.

Und dann merkte sie, dass der Schlachtenlärm an Bord verstummt war. Sekundenlang hielt sie inne und sah sich um. Wer den Sieg errungen hatte, wusste sie nicht.

Da standen Schotten, Franzosen und Norweger. Captain Abram und seine Besatzung waren verschwunden. Getötet oder ins Meer geworfen. Eleanor war von Feinden umringt – von Piraten und barbarischen Hochländern.

Plötzlich prallte das Schwert ihres Gegners mit einer Wucht gegen die Schneide ihres Rapiers, die ein heftiges Zittern durch ihren Arm und den ganzen Körper jagte. Sogar die Zähne klapperten.

In den blauen Augen des Schotten, die dem stürmischen Meer glichen, las sie grimmige Entschlossenheit. Seine Lippen waren zusammengepresst. Eine Hand verbarg er hinter seinem Rücken, mit der anderen schwang er sein Schwert. Allzu viel hatte Eleanor ihm nicht angetan. Doch sie freute sich über das Blut, das seinen linken Ärmel tränkte.

Und sie weigerte sich immer noch, das Rapier loszulassen, holte tief Atem und bat den Allmächtigen um neue Kräfte.

Als sie vorsprang und auf sein Herz zielte, wich er erst in letzter Sekunde zur Seite. Diesmal konnte ihr die Angst vor den Flammen oder der ewigen Verdammnis nicht mehr helfen, den gewaltigen Schwertstreich zu parieren. Klirrend fiel das Rapier zu Boden. Eleanor stand reglos da und starrte den Schotten an.

Nein, sie kannte ihn nicht. Oder doch? Irgendetwas Vertrautes, eine vage Erinnerung an diese Augen

Ringsum erklang schrilles Geschrei. Vielleicht bejubelten die Piraten oder sogar die Schotten Eleanors Mut – und ihre Dummheit.

Mit schmalen Augen erwiderte der schwarzhaarige Mann ihren Blick. Auch er wusste, dass sie einander schon einmal begegnet waren.

»Wer seid Ihr?«, fragte er in sanftem Ton.

»Wer seid Ihr?«

Plötzlich entsann sie sich. Ihr Atem stockte. Vielleicht dachte er ebenfalls an jenen Tag, denn seine Miene schien sich zu verdüstern. Er trat einen Schritt näher und ihr Herz schlug wie rasend.

So schnell ihre Beine sie trugen, rannte sie an ihm vorbei, geradewegs zum Heck. Ohne Bridies Schreckensschrei zu beachten, sprang sie über die Reling und warf sich ins Meer.

Geisel der Leidenschaft

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