Читать книгу Auf dem Schlachtfeld der Liebe - Heather Graham - Страница 5
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ОглавлениеBiscayme Bay, Florida, Mai 1862
Die Nacht wirkte schwarz wie ein ewiger Abgrund und das Meer täuschend ruhig, beängstigend dunkel unter dem Wolkenhimmel. Hin und wieder sandte der Mond dünne Strahlen in die Finsternis. Außer dem Gluckern der Wellen, die gegen das kleine Boot schlugen und dem rhythmischen Geräusch der Ruder war nichts zu hören.
Plötzlich verstummte das Plätschern, und das Boot glitt langsamer zur Küste. »Warum rudern Sie nicht weiter?« fragte Risa Magee. Trotz ihrer Furcht hatte sie entschieden, daß dieser Krieg nicht mehr Menschenleben fordern durfte als unbedingt nötig.
»Für Sie würde ich alles tun, Risa«, seufzte Finn. »Aber das wäre reiner Wahnsinn.«
»Sie können mich doch nicht mitten in der Bucht absetzen!«
»Hier treiben sich Gauner, Diebe und Mörder herum – von feindlichen Rebellen ganz zu schweigen. Wenn St. Augustine auch von der Union besetzt ist, diese Halbinsel gehört den Konföderierten.«
»Machen Sie mir keine Schwierigkeiten, Finn. Sie müssen mich nur zur Insel bringen ...«
»Dafür könnte es zu spät sein«, unterbrach er sie. »In diesen Gewässern war ich schon lange nicht mehr. Aber ich habe gehört, die Blockadebrecher würden oft vorbeikommen. Vernünftige Leute wagen sich nicht mehr hierher, aus Angst vor unfaßbaren Greueltaten.«
»Unsinn!« erwiderte Risa ungeduldig. »Die Rebellen haben kein Schlangenvolk gezüchtet, das sich aus dem Meer erhebt und für sie kämpft.« Es war ein Fehler gewesen, Finn um Hilfe zu bitte. Aber wer hätte sie sonst in dieses Gebiet gebracht? Seit dem Ausbruch des Krieges lebte der rotblonde, sommersprossige junge Yankee in Florida, ein Bergungstaucher aus Boston – ein Opportunist, der keine Partei ergriff, aber immerhin ein anständiger Opportunist. In seiner Freizeit half er im Hospital von St. Augustine aus und machte Risa den Hof. Sein Interesse schmeichelte ihr, doch sie nahm ihn nicht ernst. Schon gar nicht jetzt, in diesen komplizierten Zeiten ...
Nachdem sie beschlossen hatte, Ian McKenzie in seinem Everglades-Domizil aufzusuchen, konnte ihr nur Finn helfen – ein Mann, der sich bestechen ließ und mit ihr die Küste hinabfuhr, ohne nach dem Grund ihrer gefährlichen Aktivitäten zu fragen. Und der General Magee, ihren Vater, nicht informieren würde.
»Wenn jemand wüßte, wohin ich Sie gebracht habe, Risa ...«
»Habe ich Ihnen nicht gesagt, Major McKenzie würde sich in dieser Gegend aufhalten? Deshalb bin ich hier.«
»Aber wenn es Ihrem Vater zu Ohren kommt ... Er stellt mich vors Kriegsgericht.«
»Das kann er nicht, weil Sie kein Soldat sind.«
»Oder er läßt mich erschießen!«
»Finn!« Sollte Papa jemals von dieser Eskapade hören, wäre der Teufel los, dachte sie schuldbewußt. Aber Finn müßte nichts befürchten, denn ihr Vater würde nicht herausfinden, daß sie den armen Kerl umgarnt hatte. Er würde lediglich seine Tochter einsperren und den Schlüssel ihres Gefängnisses wegwerfen. Zum Glück kämpfte der hochgeschätzte, erst vor kurzem beförderte General Magee gerade an General Grants Seite, in weiter Ferne. »Keine Bange, Finn, er wird nichts erfahren. Setzen Sie mich am Ufer der Insel ab, und ich kehre allein nach St. Augustine zurück.«
»Nein, das wäre sträflicher Leichtsinn. Sie müssen mich auf mein Schiff begleiten ...«
»Wenn wir unseren ganzen Mut zusammennehmen«, versuchte sie an seinen Stolz zu appellieren, »werden wir feststellen, warum die Rebellen erfolgreicher sind als die Yankees.«
Verlegen wich er ihrem eindringlichen Blick aus. »Sie sind unfair, Risa, und Sie ahnen nicht einmal, was wir wagen.«
Das wußte sie nur zu gut. Vor einiger Zeit hatte sie den US-Major Ian McKenzie geliebt. Sie waren verlobt gewesen. Doch das Schicksal hatte die Hochzeit verhindert. Er war mit einer anderen verheiratet worden. Und jetzt blieb ihr, einer Yankee, nichts anderes übrig, als allen Gefahren zu trotzen und einen Rebellenspion zu retten, die Mokassinschlange. Und Ians Frau zu schützen. Selbst wenn Risa nie vergessen konnte, wie sehr sie Ian einmal geliebt hatte, durfte sie nicht zulassen, daß seiner Frau ein Leid geschah. In grausamen Zeiten waren sie Freundinnen geworden und hatten ihr Leben füreinander riskiert. Nun mußte sie Alaina finden.
Auf den Kopf der Mokassinschlange war ein Preis ausgesetzt. Tot oder lebendig, vorzugsweise tot.
Und Alaina war irgendwo in der Nähe. Um Risa vor dem Biß eines giftigen Reptils zu bewahren, hatte sie sich dem Ungeheuer selbst ausgeliefert und danach im Fieberwahn erzählt, was sie beabsichtigte. Risa hatte sie nicht davon abhalten können, St. Augustine zu verlassen und ihre Spionage-Mission zu erfüllen. Aber sie wußte wenigstens, wann Alaina zurückkommen und wo sie eintreffen würde. Hier, in dieser Nacht.
Jetzt mußte sie Alaina aufspüren – oder Ian. Wenn sie ihn fand, würde sie ihm erklären, seine Frau sei der Spion, den er suche, und er solle sie in Sicherheit bringen, bevor ihr ein anderer Unionssoldat auf die Schliche kam. Sonst würde sie hängen.
»Sobald sich die Wolken auflösen, kann ich Belamar Isle sehen«, versicherte Risa.
»Bitte, wir müssen zurück ...« Finn unterbrach sich. »Hören Sie das?«
Angespannt lauschte sie. Plätschernde Ruderschläge. Ganz in der Nähe.
»Kehren wir um, Risa, sofort!«
»Das – kann ich nicht.« Direkt vor ihr lag Belamar Isle.
»Schauen Sie, der Meeresarm da drüben! Rudern Sie hin! In dieser stockdunklen Nacht wird uns niemand entdekken.«
Blitzschnell und erstaunlich leise tauchte er die Ruder ins Wasser.
An diesem von Natur aus gefährlichen Küstenstrich konnte man eine Menge Bergegeld verdienen, seit die ersten Spanier in die Neue Welt gesegelt waren. Unter den Wellen verbargen sich tückische Riffe und zerrissen die Schiffe unvorsichtiger Kapitäne. An manchen Stellen erstreckten sich glatte Strände, an anderen bildeten Mangroven ein dichtes Wurzelgeflecht. Subtropische Wälder umgaben unbewohnte Buchten, mannigfaltige Schlangen, Vögel und Insekten bevölkerten brackige Flüsse, die sich landeinwärts zogen.
Plötzlich stieß das Ruderboot gegen eine Wurzel. In einem Mondstrahl sah Risa das bleiche, sommersprossige Gesicht des jungen Yankees. Warnend legte er einen Finger an die Lippen. Sie saß reglos da und schaute sich um, bevor die Wolken den Mond wieder verhüllten. Offensichtlich war Finn ein tüchtiger Führer, denn er hatte sie in eine schmale Bucht gebracht. Die Insekten zirpten fast ohrenbetäubend. Beinahe schrie sie auf, als irgend etwas ihr Gesicht streifte. Doch es war nur ein Mangrovenzweig. In der Finsternis konnte sie die Bäume kaum erkennen.
Wieder wirbelte der unbekannte Ruderer plätscherndes Wasser auf. Dann herrschte eine Zeitlang Stille. Das andere Boot mußte sich ganz in der Nähe befinden, und die Insassen schienen zu lauschen, ebenso wie Risa und Finn. Schließlich wurde das Schweigen gebrochen. »Ah, die scharfen Ohren des Captains hören sogar einen Fisch in der Nacht schwimmen«, meinte ein Mann mit irischem Akzent.
»Er kann sehr gut zwischen einem Fisch und einem Ruderboot unterscheiden«, entgegnete eine andere Stimme.
»Aber der Captain ...«
»... hätte seine eigene Position niemals preisgegeben.«
»Hm ...«
In der nächsten Minute vernahm Risa nur den Insektenchor, bis ein neues Plätschern erklang. Hausten Krokodile in diesen Buchten?
»Wir müssen vorsichtig sein«, mahnte der zweite Mann. »Vor allem, weil die Maid of Salem in diesen Gewässern erwartet wird. Der Captain glaubt, ihre Fracht – für Key West bestimmt – würde ein paar tausend unserer Infanteristen mit Waffen versorgen. Außerdem müßte sie Morphium und Chinin an Bord haben. Seit New Orleans gefallen ist, können wir den Nachschub nur noch langsam durch den Staat transportieren, und der wird auf den Schlachtfeldern im Norden hochwillkommen sein.«
»Aye«, seufzte sein Gefährte mit dem irischen Akzent. »Allzugut sieht’s nicht aus, was, Matt?«
»Kein Krieg ist angenehm.«
»Was immer die Rebs sich auch aneignen, die Yankees sind viel besser dran. Mehr Soldaten, mehr Waffen.«
»Aber wir haben mehr Männer vom Kaliber des Captains – den alten Stonewall Jackson, Stuart und Lee. Den konnten die verdammten Yankees nicht schnappen. Unsere Truppen haben schon viele Siege errungen.«
»Und viele Niederlagen erlitten.«
»Hör zu jammern auf, Michael, das hilft uns nicht weiter.«
»Jedenfalls werden wir hier nichts finden. Kehren wir um.«
Als sich das feindliche Boot entfernte, atmete Risa erleichtert auf. Sie warteten noch eine Weile.
Über dem Wasser wehte eine kühle Brise. Risa fröstelte und spürte kalten Schweiß am Rücken. Würde ihr Plan scheitern? Wie sollte sie in diesen endlosen Sümpfen einen Mann oder eine Frau finden?
»Jetzt fahre ich zum Schoner zurück«, verkündete Finn entschlossen.
»Bitte ...« Abrupt verstummte sie. Ein neues Geräusch, ganz in der Nähe – ein zweites feindliches Boot, in der schmalen Bucht? Wer immer darin saß, hatte in unheimlichem Schweigen ausgeharrt, sich sogar vor den eigenen Landsleuten verborgen, und abgewartet, bis sie sich verraten würden. »Rudern Sie los, Finn!«
»Allmächtiger!« schrie er, als ein harter Schlag die Bootswand traf und Risa auf den feuchten Boden fiel.
»Wer ist da?« rief eine rauhe Stimme. Ein Streichholz flammte auf, Laternenlicht blendete Risa. »Reden Sie, und nehmen Sie sich in acht! Wir verfüttern alle Yankees an die Haie.«
Entsetzt hielt Risa eine Hand über ihre schmerzenden Augen. Ihr Herz schlug wie rasend, und sie brachte kein Wort hervor. Unsicher und stockend gab Finn eine Erklärung ab. »Nein, ich bin kein Yankee – ein Bergungstaucher ...«
»Und was hat ein Bergungstaucher hier zu suchen, mitten in einer dunklen Wolkennacht?« fragte eine andere, tiefere Stimme, die leicht belustigt klang. Ein gestiefelter Fuß stieg ins Boot, und Risa sah ein Entermesser schimmern. Unter der neuen Belastung schwankte der kleine Kahn heftig, aber der hochgewachsene Mann hielt mühelos sein Gleichgewicht.
Als einziges Kind eines Militärs hatte Risa eine Erziehung genossen, die ihr gewisse Vorteile verschaffte. In der Tasche ihres Rocks steckte ein Smith & Wesson-Repetier-revolver, und sie wußte ihn zu benutzen. Rasch zog sie ihn hervor, mit erstaunlich sicherer Hand. »Lassen Sie sich warnen, Sir – wir verfüttern alle Rebs an die Haie«, fauchte sie, von einer Kühnheit beflügelt, die sie selber verwirrte.
Doch das nützte ihr nichts. Ehe sie zielen konnte, wurde ihr die Pistole mit einem wuchtigen Säbelstreich aus der Hand geschlagen. Die Klinge ritzte ihr die Haut auf. In hohem Bogen flog die Waffe durch die Nacht, funkelte sekundenlang im Lampenlicht und fiel ins Wasser. Dann sah Risa wieder das feindliche Entermesser schimmern.
»Captain!« rief der zweite Mann. »Da kommt noch ein Boot, lauter Yankees ...«
Schüsse krachten, und Risa beobachtete ein heftiges Gefecht zwischen dem Boot, das vorhin davongefahren war, und einem anderen.
»In der Tat, es ist soweit. Bringen Sie die Gefangenen in Sicherheit«, befahl der Captain, »dann greifen wir in den Kampf ein.«
»Soll ich sie nicht lieber den Haien zum Fraß vorwerfen?« fragte sein Gefährte.
So viele Yankees ... Risas Gedanken überschlugen sich. War Ian McKenzie in ihrer Nähe? Würde er sie retten? Eine Hand über den Augen, versuchte sie am Lichtkreis der Laterne vorbeizuspähen, sah aber nur das bösartige Glitzern des Entermessers – und die schwarze Silhouette des feindlichen Captains.
Sicher ist es besser, wenn ich mich den Haien in einem Stück präsentiere, dachte sie. Im Boot, in der Gewalt der Rebellen, wäre sie verloren – im Wasser hatte sie vielleicht eine Chance. Als sie aufstand, schwankte der Kahn gefährlich.
»Was, in Gottes Namen ...«, begann der Captain. Im nächsten Moment erriet er ihre Absicht. »Nein, verdammte Närrin, warten Sie ...«
Entschlossen sprang sie über Bord. Er griff nach ihrem Arm, verfehlte ihn, bekam ihren Rock zu fassen und konnte ihn nicht festhalten. Doch er hatte sie in ihrer Bewegungsfreiheit behindert. Es gelang ihr zwar, im Wasser unterzutauchen, aber ihr Kopf schlug gegen das Boot, das Lampenlicht verblaßte, schwarzes Dunkel hüllte sie ein.
Risa erwachte und hörte ein Feuer knistern. Langsam öffnete sie die Augen. Sie erinnerte sich, daß irgend etwas gegen ihren Kopf geprallt war. Inzwischen hatte der Schmerz nachgelassen. Zunächst erschien ihr die Welt nebelhaft, dann erkannte sie ihre Umgebimg etwas klarer. Sie lag auf einem Sofa, in eine warme Decke gewickelt, ein weiches Kissen unter dem Kopf. Obwohl der Flammenschein nur gedämpftes Licht spendete, sah sie blankpolierte Bodenbretter aus Pinienholz und mehrere Teppiche. Vor dem Kamin standen ein paar Ohrensessel, Familienporträts säumten das Sims aus Korallengestein.
Eine Zeitlang fesselten die blaugoldenen Schatten der tanzenden Flammen ihren Blick. Und dann entdeckte sie ihn. Ihr Atem stockte, und sie wagte nicht, an ihr Glück zu glauben. Ian! O Gott, Ian! Sie war ins Meer gestürzt, und er hatte sie wunderbarerweise gefunden und vor dem sicheren Tod gerettet. Nun lehnte er am Kamin in seinem Salon, den Rücken ihr zugewandt, den dunklen Kopf gesenkt.
Offensichtlich war auch er vor kurzem im Wasser gewesen. Er trug nur seine feuchten Breeches, die sich an schmale Hüften und muskulöse Schenkel schmiegten. Auf den bronzebraunen breiten Schultern schimmerte der Widerschein des Feuers.
Zögernd richtete sie sich auf. Ihr Kleid war vermutlich zerrissen worden – zweifellos, als Ian sie aus dem Meer gezogen hatte. Nur die Unterhose, das Korsett und das zerfetzte Hemd bedeckten ihre Blößen. Doch ihre derangierte äußere Erscheinung störte sie nicht. Immerhin lebte sie noch. »Ian!« rief sie. Bevor er sich umdrehen konnte, sprang sie vom Sofa auf und umschlang ihn erleichtert mit beiden Armen, die Wange an seinem kraftvollen Rücken. In diesem Augenblick dachte sie nicht an seine Ehe. Von tiefer Dankbarkeit erfüllt, begrüßte sie einen alten Freund und Verbündeten. »Dem Himmel sei Dank, Ian! Beinahe hätten mich die elenden Rebellen in den Tod getrieben. Sie wollen ein Schiff kapern, das Nachschub nach Key West bringen soll. Darüber kann ich dir alles erzählen. Ich habe sie belauscht. Wahrscheinlich kämpfen sie gerade mit Spähtrupps in mehreren kleinen Booten. Aber deshalb bin ich nicht hier. Ian, du mußt unbedingt die Mokassinschlange fangen, so schnell wie möglich. O Gott, ich dachte schon, ich würde dich nicht rechtzeitig erreichen ...«
Zitternd hielt sie inne, um Atem zu holen. Da wandte er sich zu ihr. Aber sie sah sein Gesicht nicht, denn seine Hand strich über ihren Kopf und zog ihn an seine nackte Brust. Bittersüßer Schmerz erfaßte sie. Bei ihm konnte sie Trost finden. Weil sie jetzt Freunde waren. Früher hatte er sie geliebt – und dann Alaina geheiratet. Kein einziges Mal hatte Risa in seinen Armen gelegen. Dafür war sie zu tugendhaft gewesen. Und so hatte sie nur davon geträumt.
Nun gestattete sie sich – wenigstens für eine kleine Weile –, seine Finger in ihrem Haar zu spüren, seinen Duft einzuatmen, sauberes Salzwasser, Meeresluft, ein Hauch von Brandy ...
»Also planen die Rebellen, ein Yankee-Schiff anzugreifen?«
»Ja. Aber du mußt dich erst mal um Alaina kümmern. Tut mir leid, Ian – sie ist die Mokassinschlange. Während sie Fieber hatte, erzählte sie lauter wirres Zeug. Aber ich reimte mir die ganze Geschichte zusammen. Sie wollte Vorräte von den Inseln holen, irgendwo in dieser Gegend an Land gehen, und ich versuchte, ihr zu folgen. Nun fürchte ich, sie wird von jemandem gefangengenommen, der sogar eine Frau aufknüpfen würde. In diesem Krieg geschehen so gräßliche Dinge ... Bitte, Ian, du mußt sie finden und ihr diesen Unsinn ausreden.«
Sie fühlte, wie sich sein Körper anspannte, und bedauerte ihn zutiefst. Wenn er seine Frau auch der Spionage verdächtigt hatte – er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, sie könnte die mysteriöse Mokassinschlange sein. Der Spion, den man mit aller Macht fangen wollte, tot oder lebendig ...
Krampfhaft schluckte sie. »Such Alaina, ich flehe dich an! Und deine Männer sollen die Union Navy vor einem skrupellosen Reb warnen, der die Maid of Salem kapern will, um Waffen und Medikamente zu stehlen. Wie schrecklich das alles ist!« Seine Finger schlangen sich in Risas Haar, und es beglückte sie, seine Nähe zu spüren. Könnte sie doch die grausamen Kämpfe vergessen – und seine Ehefrau, ihre beste Freundin ... »O Ian!«
»Pst, schon gut. Ich kümmere mich um Alaina.«
»Beeil dich ...« Seine Finger glitten über ihre Wange, und sie genoß die Liebkosung, obwohl sie kein Recht dazu hatte. Sie mußte sich losreißen. Aber sie zitterte am ganzen Körper, und die zärtlichen Hände beruhigten sie. »Nicht, Ian ...«, protestierte sie halbherzig. Sie waren nur Freunde. Und er tröstete sie. Noch ein paar Minuten – das würde keine Rolle spielen. Seine Haut, vom Feuer erhitzt, wärmte sie, und seine Arme besaßen die Kraft, die ihr fehlte. Behutsam streichelte er ihre Schultern.
»Nicht«, wiederholte sie mit schwacher Stimme.
»Ein elender Rebell will die Maid of Salem kapern«, murmelte er. »Das hast du gehört?«
»Ja, zwei Männer sprachen darüber. Kurz bevor deine Leute kamen – und der Bastard in mein Boot stieg.«
»Hm ...«
Sie senkte die Lider. Nun mußte sie sich endlich von der Umarmung befreien. Aber sie war so müde, und der Krieg machte ihr das Leben so schwer. An ihrer Wange spürte sie Ians vibrierende Muskeln. Als sein Finger ihr Kinn hob, öffnete sie die Augen nicht, wollte nichts sehen, nur noch ein kleines bißchen von der Vergangenheit träumen. Ians Mund berührte ihren.
So lange war es her. Seine Lippen, sanft und fordernd zugleich, überwältigten sie, seine Zunge begann ihren Mund zu erforschen. Verführerisch wanderte sein Hand über ihre Hüften, ihre Brüste und entzündete ein Feuer, trotz des Hemds und des Korsetts. Schwindelerregend wie Wein, unwiderstehlich ...
Das durfte sie nicht tun. Weil er Alaina geheiratet hatte. Risa versuchte, den Kopf zu schütteln. Doch seine Finger, in ihr Haar geschlungen, verhinderten die Bewegung, und ihre Lippen waren dem leidenschaftlichen Kuß hilflos ausgeliefert. Dann glitt sein Mund an ihrem Hals hinab, zu ihren Brüsten.
»Nein, Ian«
»Was hast du sonst noch gehört?«
Wollte er weitere Informationen sammeln, während sie verzweifelt gegen verbotene Gefühle kämpfte? »Hör auf, Ian!« fauchte sie erbost, stemmte beide Hände gegen seine Brust und öffnete die Augen. »Das ist unmöglich ...«
Entsetzt verstummte sie, immer noch in starken Armen gefangen – in den Armen eines Fremden. Sie hatte seine leise, tiefe Stimme vernommen, fast nur ein Flüstern im düsteren Flammenschein, den bronzebraunen Rücken gesehen. Aber dieser Mann war nicht Ian. Er besaß Ians blaue Augen, den gleichen Körperbau. Doch sie erkannte gewisse Unterschiede ... Höhere, etwas breitete Wangenknochen. Und ein rötlicher Glanz im dichten, glatten dunklen Haar. Eine gerade Nase, eine hohe Stirn ... Völle, sinnliche Lippen, noch feucht von jenem betörenden Kuß, verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. In seinem Gesicht vermischten sich indianische und klassische europäische Züge.
»Oh, mein Gott!« Vergeblich versuchte sie, sich aus der Umklammerung zu befreien. »Lassen Sie mich los! Sie sind nicht Ian – Sie sehen ihm nur ähnlich ...«
»Beruhigen Sie sich«, bat er und hielt sie eisern fest.
»Ich will mich nicht beruhigen!« zeterte Risa. »Wer sind Sie? Oh, Sie müssen mit Ian verwandt sein – ein Rebell, sein Feind ...«
Mit aller Kraft trat sie gegen sein Schienbein. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei, hob sie hoch und warf sie aufs Sofa. Einen Augenblick später kniete er rittlings über ihren Hüften und neigte sich herab. Sie wollte ihn schlagen, aber er packte ihre Handgelenke und preßte sie zu beiden Seiten ihres Kopfes ins Kissen. Atemlos starrte sie ihn an. Diese Ähnlichkeit ... Natürlich wußte sie, daß Ian einen Verwandten hatte, in dessen Adern Seminolenblut floß, einen rebellischen Verwandten.
»Lassen Sie mich endlich los! Ich dachte, Sie wären Ian!«
»Tut mir leid. Bedauerlicherweise bin ich der elende Rebell, der die Maid of Salem zu kapern gedenkt. Das müssen meine Männer jetzt ohne mich erledigen. Also haben Sie mich mit Ian verwechselt, Miss Magee? Kein Wunder, ich bin sein Vetter.«
Miss Magee. Wieso kannte er ihren Namen?
»Welcher Vetter?« stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Jerome McKenzie. Was würde wohl geschehen, wenn Sie seinem Bruder Julian begegnet wären? Die beiden gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Vermutlich würden Sie mit ihm ins Bett sinken und Ihren Irrtum erst eine Stunde später bemerken.«
»Oh ...« Heller Zorn verlieh ihr ungeheure Kräfte. Blitzschnell befreite sie eine ihrer Hände und schlug in das bronzebraune Gesicht. Doch er griff sofort wieder nach ihrem Handgelenk und umklammerte es so fest, daß sie leise aufkeuchte.
»Wollten Sie Alaina tatsächlich retten – oder meinen Vetter nur auf die rebellischen Aktivitäten seiner Frau hinweisen?« In seinen dunkelblauen Augen funkelte unverhohlener kalter Spott, der ihr Angst einjagte. Aber warum sollte es sie interessieren, was er dachte – oder was er seinem Vetter erzählen würde? Nach Ians Hochzeit hatte sie nichts mehr mit ihm geteilt, außer der gemeinsamen Sorge um die Kriegsopfer.
»Bastard!« zischte sie. »Was Sie von mir halten, ist mir egal. Verstehen Sie nicht? Wenn Alaina in die Hände der Yankees fällt, wird man sie hängen. Ich bin hierhergekommen, um ihr Leben zu retten. Tun Sie doch was! Verständigen Sie Ihren Vetter! Oder lassen Sie mich gehen, damit ich ihr helfen kann!«
»Ich fürchte, in diesen Sümpfen werden Sie Ian nicht einmal aufstöbern, wenn ich Ihnen einen Spürhund und eine detaillierte Landkarte zur Verfügung stelle.«
»Immerhin habe ich meinen Weg bis hierhergefunden, Sie arroganter Kerl! Lassen Sie mich frei, und ich ...«
»O nein, Miss Magee. Ich werde mich um meinen Vetter und Alaina kümmern, und Sie gehen nirgend wohin.«
»Was? Sie können mich nicht festhalten.«
»Doch.«
Erschrocken schnappte sie nach Luft. »Heißt das – ich bin Ihre Gefangene?«
»Allerdings. Sie gefährden die nationale Sicherheit. Außerdem – wie wollen Sie in den Sümpfen am Leben bleiben?«
»Moment mal, Mr. McKenzie ...«
»Captain McKenzie, bitte. Von der Confederate States Navy.«
»Nun, mein Vater ist ein General – United States of America. Und er wird Sie jagen und vernichten«
»So?«
»O ja. Und ich bin beim Militär aufgewachsen. Ich kann überall am Leben bleiben, unter allen Bedingungen. Sobald ich Ihnen entronnen bin, werde ich die Union Navy über Sie informieren.«
»Das bezweifle ich.« Lächelnd beugte er sich noch tiefer herab, und ihr wurde schmerzlich bewußt, wie unzulänglich sie bekleidet war. O Gott, warum mußte dieser Rebell, dieser wilde Indianer seinem Vetter so ähnlich sehen?
»Sie werden mich gehen lassen«, flüsterte sie beklommen.
Als er den Kopf schüttelte, fiel eine dunkle Haarsträhne in seine Stirn, und Risa spürte den harten Druck seiner Schenkel auf ihren Hüften. »Verzeihen Sie, Miss Magee, aber wir befinden uns im Kriegszustand, und Sie gehören zu unseren Feinden.«
»Sie sind der Feind.«
»Mag sein. Je nachdem, wie man’s betrachtet. Jedenfalls sind Sie jetzt eine Gefangene der Konföderierten.«
»Nein, verdammt noch mal, ich werde fliehen.«
Belustigt erwiderte er ihren wütenden Blick. »Das wird Ihnen nicht gelingen, Miss Magee.«