Читать книгу Auf dem Schlachtfeld der Liebe - Heather Graham - Страница 8

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Der Schiffsarzt der Lady Varina hieß David Stewart. Wie die meisten Besatzungsmitglieder war er sorgfältig ausgewählt worden. Er hatte sein Medizinstudium zur selben Zeit abgeschlossen wie Brent. Ein paarmal war Jerome ihm begegnet, wenn er seinen Bruder in der Universität besucht hatte. Später hatte David in den Everglades die Gebräuche der Seminolen studiert und sich besonders für die Tatsache interessiert, daß sie – wie viele Stämme auf dem ganzen Kontinent – nackt in den Kampf zogen, von ihrer Kriegsbemalung und den Lendenschurzen abgesehen.

Von seinem Vater hatte Jerome längst gelernt, was die Indianer ohne Studien oder Statistiken wußten: Wenn winzige Stoffetzen in Wunden gerieten, konnten sie Infektionen hervorrufen und zum Tod führen, während saubere Verletzungen schnell verheilten. Davids Fähigkeit, alle verfügbaren Quellen zu nutzen, um sich weiterzubilden, hatte Jerome stets beeindruckt. Aufgrund seiner Erfolge bei der Navy erlaubten ihm die Vorgesetzten, seine Männer selbst auszusuchen. Natürlich verschaffte er sich auch Vorteile, indem er seine eigenen Schiffe in den Dienst der Konföderation stellte. Er mußte sich zwar vor ranghöheren Navy-Offizieren verantworten, aber seine Entscheidungen wurden fast uneingeschränkt akzeptiert. Und da seine Aktivitäten hervorragende Resultate erzielten, ließ man ihn schalten und walten, wie es ihm beliebte.

Als er an Deck in Salzwasser badete, das er dann mit Trinkwasser abspülte, spürte er Davids prüfenden Blick. »Verdammt gute Stiche. Klein und akkurat. Vielleicht wird nicht einmal eine Narbe zurückbleiben.«

»Beinahe hätte mir ein blutrünstiger, häßlicher Yankee das Herz aus dem Leib geschnitten.« Jerome schüttelte sein nasses Haar. »Und das würde Miss Magee genauso gern tun, wenn sie auch zu den schöneren Feinden zählt. Vermutlich hat sie so kleine Stiche gemacht, damit sie möglichst oft in meine Brust stechen konnte.«

»Jedenfalls hat sie erstklassige Arbeit geleistet«, meinte David grinsend. »Sie sollte mir assistieren – falls sie bis zum nächsten Gefecht unsere Gastfreundschaft genießen wird.«

Jerome stellte den Eimer beiseite, dessen Inhalt er über seinen Körper gegossen hatte, und der Kammersteward Jeremiah Jones reichte ihm ein Handtuch. Mit seinen sechzehn Jahren war er nicht jünger als viele Burschen, die in diesen Krieg zogen, obwohl die Soldaten auf beiden Seiten offiziell mindestens achtzehn sein mußten. Die Besatzung hielt ihn aus Nahkämpfen heraus. Im letzten Jahr war er an Bord geholt worden, nachdem er bei einem Scharmützel im nördlichen Florida seine Eltern verloren hatte.

»Hast du unserem Gast ein Dinner serviert, Jeremiah?« fragte Jerome.

»Evans besten Eintopf mit Meeresfrüchten, Sir, vor einer halben Stunde.«

»Und die Dame hat dir die Schüssel nicht an den Kopf geworfen?«

»Sie stand nicht einmal auf, Captain, und dankte mir nur, als ich das Tablett auf den Schreibtisch stellte.«

»Hast du alle meine Papiere aus den Schubladen genommen?«

»O ja, Sir, sobald Sie aus der Kabine gekommen sind.«

»Gut, dann geh jetzt essen.«

»Aye, aye, Sir!« Jeremiah salutierte und verschwand unter Deck.

»Also wirst du nicht nach Norden segeln und Miss Magee bei St. Augustine freilassen?« fragte David.

»Wie kann ich das jetzt noch tun?« Jerome rieb sein Haar trocken. »Auf der Rückseite von Brents Brief steht, wann die britischen Bandagen und Enfield-Gewehre, die wir gekauft haben, in Nassau eintreffen werden – nämlich nächste Woche.«

»Glaubst du, das hat sie gelesen? Nach allem, was du mir erzählt hat, scheint sie anzunehmen, sie hätte nur deine Privatkorrespondenz gefunden.«

»Es spielt keine besondere Rolle, ob sie die Information entdeckt hat oder nicht. Wenn dieser verängstigte Yankee von der Maid of Salem die Wahrheit gesagt hat, wird ein feindliches Schiff in den Hafen von Nassau segeln und unseren Blockadebrecher Montmarte angreifen, während seine Besatzung den Nachschub an Bord bringt. Deshalb fahren wir hin und besprechen mit dem Captain der Montmarte, wie wir vorgehen werden.«

»Dann mußt du wohl noch eine Weile auf deine Kabine verzichten«, bemerkte David leichthin.

»Was bleibt mir denn anderes übrig?«

»Du könntest doch Miss Magee in Nassau an Land bringen.«

Die Hände in die Hüften gestützt, dachte Jerome nach. Ja, das wäre möglich. Dann würde sie seine Nerven nicht mehr strapazieren. Aber so durfte er nicht handeln. Notgedrungen hatte sie ihn an Bord der Lady Varina begleitet, er trug die Verantwortung für sie und mußte sie zur Florida-Küste bringen, in Sicherheit. Natürlich zum richtigen Zeitpunkt. Vorerst würde er sie im Auge behalten. Als Tochter eines Generals besaß sie gewisse Fähigkeiten. Immerhin war sie ziemlich weit nach Süden vorgedrungen, um Alaina zu folgen, und er traute ihr durchaus zu, daß sie Informationen sammeln und an seine Feinde weiterleiten würde.

Plötzlich seufzte David leise. »Der Krieg dauert schon ziemlich lange, was? An deiner Stelle würde ich von der Lady träumen, die in deiner Koje liegt. Was für Augen! Nicht nur blau, sondern kristallblau. Und das kastanienrote Haar – wie Zobel, von der Sonne berührt. Einfach vollkommen ...«

»Niemand ist vollkommen, David«, erwiderte Jerome irritiert.

Der Arzt zuckte die Achseln. »Jedenfalls – der Krieg erscheint mir endlos. Vielleicht bin ich schon zu lange an Bord deines Schiffs. Und die Lady könnte mir gefallen. Sie ist schön, stolz und leidenschaftlich. Und entschlossen. Gar nicht zu reden von ihrer Figur. Eine schmale Taille, üppige Brüste, sanft geschwungene Hüften, und diese schimmernde Haut ...«

»Wenn du Glück hast, darfst du dich morgen abend in den Freudenhäusern von Nassau amüsieren«, unterbrach Jerome seinen Freund. »Würdest du mich jetzt entschuldigen? Ich ziehe meine eigene Gesellschaft vor.«

Mit langen Schritten ging er nach achtern, befahl dem Steuermann, während der Nacht den Kurs zu halten, und setzte sich auf ein leeres Rumfaß. Auf seiner feuchten Brust fühlte sich der Meereswind kalt an, und Jerome hieß ihn willkommen, weil in seinem Innern ein Feuer brannte, das gelöscht werden mußte.

Er hatte sich stets für vernünftig gehalten. Das verdankte er seinem Schicksal. Sein Vater war ein halber Seminole, seine Mutter entstammte der weißen Aristokratie. Nun lebten sie in der Wildnis der südlichen Halbinsel, denn in der zivilisierten Welt müßte James McKenzie stets unter dem Unrecht leiden, das die Union dem Seminolenvolk seiner Mutter angetan hatte. In den Augen vieler Weißer genügte ein Tropfen Indianerblut in den Adern, um einen Mann als Wilden abzustempeln, so wie ein Tropfen afrikanisches Blut jeden in einen Neger verwandelte.

Aber es gab auch vorurteilsfreie Weiße. Das war James bewußt geworden, als er sich in Jeromes Mutter Teela verliebt hatte, die keinen Menschen nach seiner Herkunft einschätzte, sondern nur nach seinem Charakter und seiner Lebensart. Ebensogut wußte Jerome, daß Rasse oder Glaubensbekenntnisse keine Rolle spielten, was das Wesen einer Person betraf. Er war zufrieden mit sich und seiner Welt. Auch wenn er das Grauen des Krieges zwischen den Nord- und den Südstaaten verabscheute, versuchte er doch das Beste aus der Situation zu machen.

Im Grunde kämpfte er nur, um Medikamente zu beschaffen, weil zwei seiner engsten Verwandten Ärzte waren. Deshalb kannte er das Leid der Verwundeten. Ihre Schmerzensschreie unter dem Chirurgenmesser, wenn keine Anästhetika zur Verfügung standen, genügten ihm, um regelmäßig sein Leben zu riskieren und die Blockade zu brechen. Außerdem genoß er seinen wiederholten Triumph über feindliche Schiffe.

Genausogern ließ er sich auf Dinnerpartys feiern, wenn er wieder einmal die Unionslinien durchbrochen und Häfen wie Charleston, Savannah und Jacksonville erreicht hatte. Es beglückte ihn, den Ärzten und dem Pflegepersonal die dringend benötigten Medikamente zu übergeben. Auch die Dankbarkeit schöner Frauen gefiel ihm. Viele kokette Debütantinnen aus der Südstaatenaristokratie – ebenso wie ihre liebevollen Väter und kupplerischen Mütter – waren angesichts seiner Heldentaten bereit, den kleinen Makel seiner Geburt zu übersehen. Und manche reifere Dame belohnte ihn mit verführerischen Reizen.

Trotzdem war er kriegsmüde. Wie er von Anfang an gewußt hatte, mußten die Südstaaten bald gewinnen – oder sie waren verloren. Der Norden war ein übermächtiger Feind, unterstützt von irischen und deutschen Emigranten, die von Bord ihrer europäischen Schiffe gingen und ins Unionsheer eintraten. Tausende Unionssoldaten fielen auf den Schlachtfeldern. Tausende wurden ersetzt. Wenn die Soldaten der Konföderierten starben, mußten alte Männer und halbe Kinder einspringen. Sie kämpften mit dem Eifer der Verzweiflung, und Abraham Lincoln, in der Union am Ruder, war kein Narr – mochten ihn die Südstaatler und ihre Karikaturisten auch noch so boshaft verspotten. Jetzt hatte der Norden New Orleans eingenommen. Als Seemann sah Jerome voraus, daß die Yankees den Mississippi hinaufsegeln und versuchen würden, die Konföderation in zwei Hälften zu teilen. Er hielt das Gesicht in die Brise.

Und nun?

Nun hatte er eine Frau an Bord, die seine Besatzung mit ihren Kristallaugen und feurig glänzenden Haaren betörte. Er wußte bereits, wie sie sich anfühlte, wie ihre Lippen schmeckten, und er gab David recht. Auch er fand sie vollkommen. Und sie liebte immer noch seinen Vetter Ian.

Der Krieg war ihr Pech, so wie es sein Pech war, Risa Magee glühend zu begehren.

Als sie erwachte, hörte sie die Wellen gegen den Schiffsrumpf schlagen und spürte ein sanftes Schwanken. Zwischen den Vorhängen schien die Morgensonne in die Kabine. Risa hatte erstaunlich gut geschlafen, was sie dem Rum verdankte. Zuversichtlich stand sie auf, fest entschlossen, der Südstaaten-Navy zu trotzen.

Sie wusch sich mit dem Wasser, das Jeremiah Jones ihr am letzten Abend gebracht hatte.

Immerhin genoß sie als Gefangene auf einem Blockadebrecher gewisse Vorteile – der Junge hatte ihr auch eine Zahnbürste und französisches Zahnpulver überreicht. Das Haar gebürstet, das Gesicht gründlich mit kaltem Wasser gewaschen, die Zähne geputzt, fühlte sie sich bereit, gegen alle Dämonen zu kämpfen, die sie bestürmen würden.

Sie eilte zur gepolsterten, mit Leder bezogenen Fensterbank und öffnete die Vorhänge. Offenbar war der Captain vor Anker gegangen. In der Ferne sah sie den Hafen einer Insel und mehrere Schiffe. Sie nahm ein Fernglas vom Schreibtisch und inspizierte ihre Umgebung.

Da die Sonne hoch am Himmel stand, mußten schon einige Boote von der Lady Varina in den Hafen gefahren sein – vermutlich nicht unter deren Flagge, denn sie sah auch an den Masten der anderen Schiffe keine Fahnen flattern. Hier schien man seine Identität nicht zu verraten, und die Geschäfte wurden im geheimen abgewickelt.

Plötzlich schlug ihr Herz schneller. An Deck eines Schiffs, keine halbe Meile entfernt, sah sie Männer in Nordstaaten-Uniformen! Sie legte das Fernglas auf den Tisch zurück. Nun mußte sie möglichst schnell die Initiative ergreifen. Vielleicht war das ihre einzige Chance. Wenn sie nicht bewacht wurde ...

Die Tür der Kabine ließ sich öffnen. Vorsichtig schlich Risa hinaus. Ein paar Besatzungsmitglieder patrouillierten an Deck, mit ihren Gewehren bewaffnet. Aber sie wirkten unbeschwert. Der grauhaarige Mann, der Jeromes Befehle entgegennahm, nickte ihr zu.

»Guten Morgen!« rief sie freundlich, und er lächelte sie an. Dann sah sie den Kammersteward auf einem Faß sitzen und ein Gewehr polieren.

»Hallo, Jeremiah!«

»Guten Morgen, Miss Magee.«

»Was für ein schöner Tag! Darf ich an Deck Spazierengehen?«

Jeremiah schaute den älteren Mann an, der die Achseln zuckte. Offenbar vermutete man, sie würde an Bord keinen Ärger machen, und die Besatzung hatte wohl keine ausdrückliche Order erhalten, was die Gefangene betraf. Die Bemerkung des Captains, sie würde gern im Meer baden, schien die Männer nicht sonderlich zu beeindrucken.

»Ja, natürlich, Ma’am«, antwortete der Junge, und sein unschuldiges Grinsen plagte ihr Gewissen.

»Danke, Jeremiah.« Langsam wanderte sie über das Deck. Das Unionsschiff lag achtern. Als sie in diese Richtung schlenderte, merkte sie, wie die wenigen Besatzungsmitglieder, die an Bord geblieben waren, ihre Arbeit unterbrachen und sie beobachteten. Sie lächelte ihnen zu, und sie nickten. Auf dem Achterdeck lehnte sie sich an die Reling und erweckte den Anschein, sie würde die frische Brise genießen. Nach einer Weile befaßten sich die Männer wieder mit ihren diversen Pflichten.

Sie wartete. Während sie den gedämpften Stimmen lauschte, schaute sie in die Wellen. Der Schoner war nicht groß, aber die Wasserfläche schien tief unten zu liegen. Wenn Risa über die Reling sprang und untertauchte, durfte man kein Plätschern hören. Sie schätzte die Entfernung zum Unionsschiff und das Gewicht ihrer Kleidung ab. An diesem Tag trug sie keine Unterröcke, und sie konnte sehr gut schwimmen. Das hatte sie von ihrem Vater gelernt. Für einen Militär gehörte diese Fähigkeit zur Überlebenskunst.

Unauffällig spähte sie über ihre Schulter. Auf dem Achterdeck saßen nur zwei Männer, die Segel flickten, die Köpfe über ihrer Arbeit gesenkt. Blitzschnell schwang sie sich über die Reling und sprang in kerzengerader Haltung hinab, um möglichst wenig Wasser aufzuwirbeln.

Das Meer war angenehm kühl, und Risa versank etwa fünf Meter in der Tiefe. Dann begann sie hastig zu schwimmen. Ehe sie auftauchte, wollte sie sich um ein gutes Stück vom Schiff entfernen.

Schließlich streckte sie den Kopf aus dem Wasser und füllte ihre Lungen mit köstlicher Luft. Nim erschien ihr die Strecke bis zu ihrem Ziel viel weiter als zuvor, und die Kleidung hing bleischwer an ihrem Körper, obwohl sie auf Unterröcke verzichtet hatte. Sie mußte sich beeilen.

In der Nähe des Unionsschiffs ließen ihre Kräfte nach. Um sich auszuruhen, hielt sie inne und trat Wasser. Sie holte tief Atem, wollte schreien und die Aufmerksamkeit der Besatzung auf dem Unionsschiff erregen. Aber bevor sie den Mund öffnen konnte, wurden ihre Fußknöchel gepackt. Irgend etwas riß sie nach unten. Brennend drang das Salzwasser in ihre Kehle. Dann wurde sie wieder emporgezerrt.

Hustend und würgend rang sie nach Luft. Welches Ungeheuer hätte sie beinahe getötet? Sie versuchte die Arme abzuschütteln, die sie festhielten, drehte sich um und starrte ins Gesicht ihres Peinigers, des elenden Rebellen. »Lassen Sie mich sofort los! Ich schreie ...«

»Dann wären Sie eine Närrin«, erwiderte Jerome gleichmütig. In seinen Augen spiegelte sich der Widerschein des Sonnenlichts auf den Wellen.

»Das ist ein Unionsschiff ...«

»Ein Nest voller Deserteure, Miss Magee.«

»O nein, das glaube ich Ihnen nicht – ich schreie ...« Unsanft preßte er eine Hand auf ihre Lippen und zog sie wieder in die Meerestiefe hinab. Obwohl er ihren heftigen Widerstand besiegen mußte, gelang es ihm, Risa unter Wasser um einige Meter von ihrem Ziel zu entfernen. Als sie auftauchten, japste sie: »Natürlich ist das ein Unionsschiff, und wenn ich schreie, werden mir meine Landsleute zu Hilfe eilen ...« Verwirrt unterbrach sie sich, hörte schrilles Gelächter und sah einen halbnackten Soldaten aus einer Kabine an Deck treten, eine ebenfalls spärlich bekleideten Frau im Arm.

»He, Tully, das macht Spaß, was?« rief er einem Mann zu, der offenbar Wache gehalten hatte. »Endlich genießen wir unser Leben, statt in einem gottverdammten Kriegshafen am Mississippi zu schwitzen. Sollen die reichen Jungs und die verrücken Abolitionisten* allein weiterkämpfen! Hier gefällt’s mir besser. Palmen, Rum und Weiber! Jetzt bist du dran. Komm her, amüsier dich mit Mary Terese. Sie ist schon ein bißchen müde, aber du bist jung und stark und wirst sie bald wieder aufmuntern. Schade, daß wir sie teilen müssen. Aber wenn die anderen Jungs genug gesoffen und herumgehurt haben und von ihrer Kneipentour zurückkehren, suchen wir uns neue Frauen, nicht wahr?«

Entsetzt schaute Risa zum Schiff hinüber, auf grausame Weise mit ernüchternden Tatsachen konfrontiert.

»Möchten Sie immer noch um Hilfe rufen?« fragte Jerome höflich.

»Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe!« fauchte sie, riß sich los und begann zur Lady Varina zurückzuschwimmen. Schon nach wenigen Minuten bereute sie diesen Entschluß. Sie war völlig erschöpft. Als ihr ein kleines Boot entgegenkam, wartete sie und versuchte, Wasser zu treten. Aber die schwere Kleidung zog sie nach unten.

Da spürte sie eine heftige Bewegung rings um ihre Beine. Offenbar wurde ihr hinderlicher Rock weggerissen, und sie konnte auftauchen. Wieder einmal hatte Jerome McKenzie ihr Kleid zerfetzt, um ihr Leben zu retten. Starke Arme halfen ihr ins Boot.

»Eines Tages werden Sie uns noch umbringen, Miss Maggie«, seufzte Michael, der sie aus dem Wasser gezogen hatte.

Viel zu ermattet, um zu antworten, streckte sie sich auf dem Boden des Bootes aus und spürte die angenehme Sonnenwärme. Allmählich kam sie wieder zu Atem. Sie spürte, wie Jerome in den Kahn kletterte.

»Zurück zur Strickleiter, Michael«, befahl er.

»Aye, Sir.«

Wenig später stieg sie mit der Hilfe des Captains zum Deck der Lady Varina hinauf, und er hob sie über die Reling. Alle Besatzungsmitglieder starrten zu ihr herüber.

»An die Arbeit, Gentlemen!« rief Jerome. »Und Sie gehen in die Kabine, Miss Magee.«

Gedemütigt, triefnaß und unzulänglich bekleidet, gehorchte sie widerspruchslos.

Er folgte ihr, und sie versuchte vergeblich, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

Zielstrebig ging er zum Schreibtisch, nahm eine Flasche Brandy und ein Glas aus einer Schublade, das er bis zur Hälfte füllte. »Trinken Sie das.«

»Nein, danke ...«

»Nun kommen Sie schon! Sie sind klatschnaß und zittern am ganzen Körper.«

Ärgerlich ergriff sie das Glas, leerte es in einem Zug und knallte es auf den Tisch. Der Alkohol brannte schmerzhaft in ihrem nüchternen Magen.

Auch Jerome genehmigte sich einen Schluck Brandy. Barfuß, nur mit seinen Breeches bekleidet, das feuchte Haar an den Kopf geklebt, strahlte er eine erstaunliche Autorität aus.

»Jetzt können Sie gehen«, teilte sie ihm mit. »Ich bin wieder in Sicherheit.«

Aber diese Bemerkung wurde ignoriert. »Wissen Sie, was geschehen wäre, wenn Sie vorhin im Wasser geschrien hätten, Miss Magee? Ganz egal, ob sich auf diesem Schiff Yankees oder Deserteure befinden – sie hätten mich erschossen.«

Mühsam zwang sie sich zur Ruhe und versuchte eine würdevolle Haltung einzunehmen, was in ihrem derangierten Zustand etwas schwierig war.

»Vielleicht hätten Sie mich nicht zurückholen sollen.«

»Vielleicht nicht«, stimmte er zu und trank direkt aus der Brandy-Flasche. »Am liebsten hätte ich Sie den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Darauf mußte ich leider verzichten, weil ich für Ihr Wohlergehen verantwortlich bin.«

»Für mein Wohlergehen?« Erbost ergriff sie die Flasche, die er ihr reichte, nahm einen großen Schluck und stellte sie auf den Tisch. »Also, das ist wirklich amüsant Sir.«

»So?« fragte er und näherte sich ihr mit panthergleichen Schritten. Viel zu dicht vor ihr blieb er stehen. In ihrem Kopf drehte sich alles. »Amüsant? Das finde ich nicht. Wenn Ihnen etwas zustößt, könnte ich am Galgen enden.«

Trotz der trügerischen Hitze, die der Brandy in ihrem Körper erzeugte, fröstelte sie. Die Kabine schien sich seitwärts zu neigen. Hatte die Besatzung den Anker gelichtet?

»Frieren Sie, Miss Magee?« erkundigte er sich in höflichem Ton, obwohl er zweifellos glaubte, diese Unannehmlichkeit hätte sie nach ihrem törichten Fluchtversuch verdient.

»Natürlich – ich bin ganz naß. Vielleicht wären Sie so freundlich, Ihre Gefangene allein zu lassen. Ich würde mich gern umkleiden.«

»Und was wollen Sie anziehen?« Lässig verschränkte er die Arme vor der Brust.

Ja – was? Sie hatte nichts für die Reise eingepackt. Sogar die Fetzen, die sie jetzt trug, waren nur geliehen. »Nun – irgend etwas ...«

»Gewiß, wir werden was für Sie finden, Miss Magee. Bedauerlicherweise verfügen wir in diesen harten Kriegszeiten nur über eine begrenzte Garderobe. Und da springen Sie auch noch ins Meer und ruinieren Ihr Kleid. In Zukunft sollten Sie besser auf Ihre Sachen aufpassen. Sonst müssen Sie bald nackt herumlaufen.«

»Tatsächlich?«

»Wie gesagt, meine Mittel sind begrenzt. Die Rebellen geben ihr ganzes Geld für den Krieg aus. Und das Kriegsministerium wird Ihnen wohl kaum neue Kleider bezahlen. Das wären überflüssige Ausgaben.«

»Seien Sie beruhigt, McKenzie, von Ihnen und Ihrem Kriegsministerium würde ich nicht einmal einen halben Cent annehmen.«

»Und was schlagen Sie vor?« fragte er belustigt. Offenbar erwartete er, sie würde ihn um Gnade bitten.

Diesen Gefallen tat sie ihm nicht. »Oh, bei diesem schönen Wetter laufe ich sehr gern nackt herum«, erwiderte sie leichthin. »Und ich bin schon gespannt, wie sich das auf die Disziplin Ihrer Besatzung auswirken wird. Aber da es Ihre Männer sind, Sir, kennen sie sicher keine verwerflichen Gedanken. Und selbstverständlich sind sie allen Yankee-Deserteuren weit überlegen. Ich gönne der Konföderation jeden Sieg, den sie vielleicht noch erringen wird. Aber ich will verdammt sein, wenn ich Sie auch nur einen Cent koste, Sir!« Entschlossen zog sie das Oberteil ihres Kleids mit den Resten des zerrissenen Rocks über den Kopf.

Reiner Wahnsinn – oder zuviel Brandy ...

Mit bebenden Fingern öffnete sie die winzigen Knöpfe ihrer Unterhose. Unter dem prüfenden Blick seiner kobaltblauen Augen schwand ihre gespielte Kühnheit bald dahin. Jetzt war sie halb nackt. Weder im Norden noch im Süden würde sich eine anständige Dame so benehmen. Aber im Krieg galten andere Maßstäbe.

Inzwischen war Jeromes arrogantes, spöttisches Lächeln erloschen, und er starrte sie an, als zweifelte er an ihrem Verstand. Womit er völlig recht hatte.

Sie schlüpfte aus ihrer Unterhose, aus ihrem Hemd. Dann ging sie zur Tür, den Kopf hoch erhoben. »Entschuldigen Sie mich bitte, Sir, ich möchte mich in der Sonne trocknen lassen.« Im nächsten Moment wurde ihr kühner Trotz von Panik verdrängt. Was würde ihr Vater sagen, wenn er sie jetzt beobachten könnte? Und all die Offiziere und Politiker, die distinguierte Gesellschaft, die sie als Papas Gastgeberin in Washington kennengelernt hatte? Immerhin war sie General Magees Tochter, deren Intelligenz und stolze Haltung weit und breit bewundert wurden.

Und nun würde sie splitternackt an Deck gehen, vor den Augen der Besatzungsmitglieder. Am liebsten wäre sie unter die Bodenbretter der Kabine gekrochen und gestorben. Mußte sie diese alberne Farce fortsetzen? Sicher würde der Captain sie zurückhalten.

Aber er rührte sich nicht. »Nur zu, Miss Magee. Meine Männer werden sich unbändig freuen. In diesem ausländischen Hafen wird fast alles verkauft, und heute abend dürfen sie sich auf der Insel amüsieren. Ihr Anblick wird ihnen sicher den Mund wässerig machen. Allerdings können sie mit ihrem spärlichen Sold nichts kaufen, was Ihrer Schönheit auch nur annähernd gleichkäme.«

Die Hand auf der Klinke, hielt sie inne. Blufften sie alle beide? »Gehen Sie doch zum Teufel, McKenzie!« zischte sie, ohne sich umzudrehen.

»Soll ich Ihnen eine Decke geben?« erbot er sich nach einer langen Pause.

»Ja, bitte«, antwortete sie so würdevoll wie möglich. Sie hörte, wie er zur Koje ging. Dann wurde eine Decke um ihre Schultern gelegt.

»Wissen Sie eigentlich, wie sehr Sie mir auf die Nerven fallen, Miss Magee?«

»Kein Feind macht einem das Leben leicht«, erwiderte sie und wandte sich um zu ihm. »Und ich bin Ihre Feindin.« Als er nickte und ein seltsames Lächeln seine Lippen umspielte, fragte sie: »Finden Sie meine Worte amüsant, Sir?«

»Alles an Ihnen finde ich – sagen wir einmal, animierend. Vielleicht wird sich unsere Beziehung bald verbessern.«

»Zwischen uns besteht keine Beziehung.«

»Oh, doch. Sie sind eine Gefangene an Bord eines Kriegsschiffs – auf meinem Schiff. Darin liegt unsere Beziehung. Das sollten Sie stets bedenken. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden ...« Er umfaßte ihre Schultern, und sie zuckte verwirrt zusammen. Aber er schob sie nur von der Tür weg. »Übrigens, Miss Magee, ich hätte Ihnen niemals erlaubt, diese Kabine in nacktem Zustand zu verlassen.«

Nachdem er ihr ein sarkastisches Lächeln geschenkt hatte, ging er hinaus und schloß die Tür hinter sich. Kraftlos lehnte sie sich dagegen.

Sie hatte zuviel Brandy getrunken – und ein sehr riskantes Spiel gewagt.

Die Augen geschlossen, verfluchte sie Alaina und Ian – und alle Leute, die McKenzie hießen.

* Verfechter der Sklavenbefreiungsidee

Auf dem Schlachtfeld der Liebe

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