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VORWORT

Vor meinem Fenster spielt der Wind zärtlich in einer großen Blutbuche. Ohne Widerstand lösen sich die rostroten Blätter und fallen lautlos von Ast und Zweig. Der November regiert, mal kalt, mal mild.

Auch auf meinem Schreibtisch liegen Blätter: Briefe und ausgedruckte E-Mails von einer Frau, die lange Zeit in einem fremden Land in Asien arbeitete, kämpfte, litt. Sie teilte durch diese Blätter unzählige Erlebnisse, Erfolge und Rückschläge mit Verwandten und Freunden. Mit der Zeit lerne ich, zwischen den Zeilen ihrer Texte zu lesen. Das ist wichtig. Denn sie konnte nicht immer alles schreiben, was sie gern geschrieben hätte. Sie musste vorsichtig sein, um sich und andere nicht zu gefährden.

Fotos in großer Zahl, die ebenfalls vor mir liegen, veranschaulichen ihr Lebens-Bild, schwarz-weiß und bunt. Eine Fährtensuche, meist eine Gefährten-Suche von Neuseeland bis Kanada, von der Schweiz bis an die Nordsee beschäftigt mich und diejenigen, die mir dabei helfen: die nächsten Angehörigen, Freunde und Begleiter auf verschiedenen Wegstrecken. Ich sammle Erinnerungen wie verstreute Puzzleteile. Dabei nehme ich in Kauf, dass Erinnerungen von der persönlichen Deutung des Geschehens eingefärbt sind. Doch davon lebt diese Geschichte. Wir können nie alles in Augenschein nehmen. Das Unsagbare wissen wir nicht. Wir fühlen es.

Die vielen Länder, in denen Simone Beck unterwegs war, habe ich nie besucht. Ich muss deshalb mit Karten und Bildbänden vorliebnehmen, um die jeweilige Atmosphäre der Städte und Landschaften beschreiben zu können.

Ein kleines Aufnahmegerät, das einem Rasierapparat ähnelt, liegt bei den Papieren. Auf manchen Bildern hält Simone Beck ein solches Gerät in der Hand. Damit fing die Linguistin, die Sprachforscherin, in einem weltentrückten Hochtal unter dem Hindukusch Wörter, fremde Laute und unbekannte Geschichten ein, um die Sprache der Volksgruppe dort zu verschriftlichen. Es ist ein unscheinbares technisches Gerät, doch es stellt für mich eine winzige Verbindung zu einem Menschen her, den ich nicht persönlich gekannt habe, dessen Geschichte ich aber erzählen will. Und es verbindet mich noch etwas mit ihr: Die Liebe zu Gottes Wort, das lebendig, stark und tröstlich ist. Simone Beck hat einen hohen Preis dafür bezahlt, als Christin und Sprachforscherin irgendwo in Asien zu leben und zu arbeiten. Bescheiden, entschlossen und mit großer Hingabe lebte und wirkte sie unter den Menschen, die sie liebte. Sie arbeitete zäh und ausdauernd an einem großen Sprach- und Schriftprojekt.

Viele Frauen und Männer, allein oder mit ihren Familien, setzen in ähnlicher Weise ihre Kraft ein als Ärzte, Ingenieure, Brunnenbauer, Piloten, als Krankenschwestern und Hebammen. Und dies oft unter schwierigen Bedingungen an vielen Orten der Welt, auch in Westasien. Darum möchte ich diese Geschichte von Simone Beck stellvertretend auch für sie erzählen.

Wer dieses Buch liest, sollte es tun wie ein Bergsteiger: ruhig und gleichmäßig die Höhe gewinnen. Dort, das sei schon gesagt, wird er auf eines jener Rätsel stoßen, die auf Erden nicht gelöst werden können.

Ich wünsche mir, dass Gott jeden Leser segnen, berühren und ermutigen möge.

Sr. Heidemarie Führer

Villingen, im November 2019

Ermordet in Kabul

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