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Krippenspiel
ОглавлениеHeidi Dahlsen
Lebt wohl,
Familienmonster
©2018 Heidi Dahlsen
3. Auflage
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche
Genehmigung der Autorin in irgendeiner Form
reproduziert oder vervielfältigt werden.
Kontakt: e-Mail sperlingsida@yahoo.de
Webseite: www.autorin-heidi-dahlsen.jimdo.com
Covergestaltung: Heidi Dahlsen
e-book-Erstellung: Heidi Dahlsen
Illustrationen: Media Verlagsgesellschaft mbh;
SYBEX-Verlags- und Vertriebs GmbH
Alle mitwirkenden Personen sind frei erfunden.
Die Handlung dieses Buches entsprang meinen Albträumen.
Sollte doch ein Menschenkind glauben, sich hier in irgendeiner Form wiederzufinden – verfügt es einfach über zu viel Fantasie, und es bleibt mir nur die Warnung:
„Getroffene Hunde bellen!“
Es wurde nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich nur aus Versehen entstanden bin.
Meine Eltern mussten bis zu ihrer Hochzeit im Sommer 1959 bei meinen Großeltern in der Nähe von Leipzig wohnen. Und weil meine Oma nicht gut im Verteilen von Arbeiten war, sondern lieber alles alleine erledigte, hatten mein Vater und meine Mutter einfach zu viel Freizeit, in der ihnen scheinbar keine angenehmere Beschäftigung einfiel, als mich zu erschaffen.
Kurz vor meiner Geburt zogen meine Eltern in eine eigene Wohnung und hatten dann wahrscheinlich keine Langeweile mehr, denn für Geschwister reichte es nie – leider.
Im Alter von sechs Monaten wurde ich in die Gesellschaft anderer Knirpse eingeführt und besuchte täglich die Kinderkrippe. Erinnern kann ich mich an diese Zeit nicht mehr. Auch nicht daran, dass wir in der Krippe alle in einer Reihe sitzend gleichzeitig aufs Töpfchen machen mussten bzw. sollten. Ob sich das nun negativ oder positiv auf meine Entwicklung ausgewirkt hat, sei dahingestellt, denn ich weiß ja nicht, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn es anders gewesen wäre.
Mein Mann hat als Kind nie eine Krippe oder einen Kindergarten von innen gesehen. Da kann ich nur sagen, dass das nicht so gut war, denn er hat unter anderem nie gelernt, wie man richtig isst.
Unsere Erzieherinnen ermahnten uns immer: „Schön am Rand anfangen, denn in der Mitte ist das Essen sehr heiß.”
Mein Mann fängt heute noch einfach mittendrin zu löffeln an und brubbelt dann jedes Mal leise vor sich hin: „Mensch, ist das Zeug wieder heiß. Da verbrennt man sich ja die Schnauze”, und hofft, dass ihn niemand verstanden hat.
Seine Mutter würde jetzt sofort ausrufen: „Mein Achim nimmt solche Wörter nicht in den Mund!”
Ha! Wenn die wüsste ...
Es sei ihm verziehen, denn solange die Zunge glüht, hat man große Schmerzen und kann leicht die Beherrschung verlieren. Hätte er eine Kita besuchen dürfen, wüsste er so etwas. Aber leider ...
Gelobt wurde ich oft, weil ich schon immer gut aß, und zwar alles, was mir angeboten wurde. Meinen Teller füllte die Köchin in der Kita Tag für Tag zuerst, und sobald sie um den Tisch herum war, hatte ich bereits alles restlos weggeputzt und bekam zur Belohnung den zweiten „Schlag”.
„So ist es fein. Du musst immer schön aufessen, damit du groß und stark wirst”, sagte sie zu mir.
Wer gibt Erwachsenen eigentlich das Recht, kleine Kinder so zu belügen? Wenn ich wenigstens groß geworden wäre. Aber leider ...
Nach heutiger Erkenntnis weiß ich, dass damals auf diese eigentlich nur gut gemeinte Art und Weise mein bleibendes Übergewicht angelegt wurde.
Meine Mutter nutzte meinen Appetit schamlos aus, denn sie drückte mir bereits im zarten Alter von einem halben Jahr ein Brötchen in die Hand, klemmte mich damit in eine Sofaecke und ging dann erst einmal in Ruhe einkaufen. Als sie nach Hause kam, saß ich immer noch so da und war auch schon satt.
Wenn ich schrie, wurde ich an das offene Fenster gestellt, damit ich reichlich frische Luft bekam und dann wurde geduldig abgewartet, dass ich von selbst damit aufhörte. Kuscheleinheiten würden ein Baby nur verweichlichen, meinte meine Mutter öfter.
Sie verzichteten auf ihre Konzertbesuche genauso wenig wie auch auf Feiern mit ihren Freunden, sondern übten sich sehr früh darin, mich allein zu lassen. Wahrscheinlich sollte das meine Selbstständigkeit fördern.
Nach meinem dritten Geburtstag kam ich in den Kindergarten. Es gefiel mir ganz gut. Ich hatte andere Kinder zum Spielen, wurde unterhalten und beschäftigt.
Nur, wenn es früh schon hieß: „Heute wollen wir turnen”, kullerten Tränen unaufhaltsam meine Wangen hinunter. Bewegung war noch nie mein Ding, ungeschickt quälte ich mich über die Runden.
Das Essen schmeckte auch hier ganz lecker, sodass meine kindlichen Rundungen weiterhin gut versorgt wurden.
In meiner Kita-Gruppe gab es kleine Mädchen, die sahen so niedlich aus. Sie hatten langes, manche sogar lockiges Haar mit bunten Schleifchen darin. Bei mir reichte ein kleiner Kamm, um die spärliche Frisur zu richten.
Dass mit meinem Aussehen etwas nicht stimmt, wurde mir bald von einem Freund deutlich klargemacht. In der Malstunde saß mir der sonst ganz nette Olaf gegenüber und war in sein Bild sehr vertieft. Er sah immer mal hoch, musterte mich ganz genau und malte angestrengt weiter.
Als er fertig war, drehte er sein Kunstwerk zu mir um und sagte: „Gucke mal, das bist du ARSCH MIT OHREN.”
Dieser Vorfall muss sich bis zu meiner Mutter rumgesprochen haben, denn er brachte mir kurz vor dem Schulanfang noch eine Ohrenkorrektur ein. Bei dieser OP dachte ich, man will mich schlachten. Erst wurde mein Kopf geschoren, dann schnallten mich zwei Schwestern auf der Liege fest. Äther war ein unbeliebtes Narkosemittel, das ich durch ein Sieb einatmen musste. Ich brüllte wie ein Stier. Eine Schwester fragte mich nach meinem Namen. Das wunderte mich etwas. Vielleicht waren sie sich nicht sicher, ob das richtige Kind auf der Schlachtbank lag?!? Leider war ich zu feige und schon zu schwach, sie mit der Nennung eines anderen Namens in Verwirrung zu bringen und mir einen Aufschub zu gewähren. Das wäre ein Spaß geworden, aber sicher nur ein einseitiger. Die OP habe ich überlebt. Meine Ohren liegen seitdem eng am Kopf. Schöner bin ich dadurch nicht geworden, na ja, zumindest konnte ich nicht mehr wegen der Segelohren gehänselt werden. War meine Frisur bis dahin schon dürftig, hatte ich bis zum Schulanfang das Aussehen eines wild gewordenen Handfegers angenommen. Da riss auch mein niedliches Outfit von der Nürnberger Großtante nichts mehr raus. Die Erinnerungs-Fotos sind wirklich der Hit.
Eingereiht wurde ich neben einer Sylvia, die ständig den Finger in der Nase hatte. Und damit nicht genug – diese Sylvia wurde auch noch meine Banknachbarin.
Wahrscheinlich habe ich von Anfang an auf die Lehrerin den Eindruck gemacht, mich von allen Kindern am wenigsten gegen dieses unsaubere Mädchen zu wehren.
Nur gut, dass popeln nicht ansteckend ist.