Читать книгу Ein einziges Wort - Heidy Spaar-Lindenberger - Страница 7

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Meine Familie

Wie jeden Mittag sitzt die Familie bereits am Tisch, als ich nach Hause komme. Gita hatte Spagetti gekocht, nicht gerade meine Leibspeise. Dafür freuen sich die Kinder. Stumm betrachte ich Gita, sie könnte meine Tochter sein. Die Kinder beherrschen die Tischrunde, jeder will gehört, beachtet und wahrgenommen werden. Jeder hat wie immer eine Menge zu berichten, diesmal höre ich nur mit halbem Ohr zu, irgendwie schwirren eigendynamische Gedanken durch meinen Kopf. Wieder unterbricht mich die Vernunft Was ist los mit dir? Lust auf Abenteuer! Raus aus dem Alltag. Wie werden sie wohl reagieren, wenn ich das wahr machen würde? Wie ein Floh hat sich die Idee in mir festgesetzt. Ich be­trachte die mit Tomatensauce verschmierten Teller. Die Clownmünder werden groß und größer. Ab ins Paradies! Wieso nicht, für ein paar Monate aussteigen. Wie gigantisch könnte es sein, sich einmal um nichts kümmern zu müssen! Wie geht es in der Lehrstelle? Was macht die Schule? Wie sehen deine Pläne aus? Hattest du einen anstrengenden Tag? Keine Fragen stellen, keine Fragen beantworten. Schwups und es geht los!

„Mami, was soll ich heute Abend zur Party anziehen?“, fragt die zwanzig­jährige Kristy. „Vielleicht den langen, schwarzen Jupe.“ „Nein, der passt nicht, ich ziehe lieber einfach Jeans an.“ „Kannst du mich heute Abend französisch abfragen, wir haben morgen eine Schriftliche“, platzt die Jüngste, die Prinzessin, dazwischen. „Könntest du bitte deinen Bruder Tom fragen. Ich möchte mich gerne mit Gita unterhalten.“ „Ja, natürlich, jetzt ist sie wieder da, somit hast du für mich keine Zeit.“ „Gut, um sieben bin ich für dich da.“ Kaum habe ich den Satz beendet, meint sie: „Es ist doch besser, wenn Tom mich abfragt, er spricht fließender Französisch als du.“ Tom fühlt sich gebauchpinselt, und mir ist es recht. Diese freigewordene Stunde wird jedoch von Papillon belegt. Sie fragt mich: „Kannst du mir beim Zuschneiden des neuen Kleides helfen?“

Ein Blick auf die Uhr, es ist höchste Zeit, ich muss ins Geschäft.

„Gita, wenn es dir langweilig wird, kannst du heute Nachmittag im Salon vorbeischauen.“

Wieder im Element der Frisierkünste drängen sich fröhliche Gedanken dazwischen. Das muss einfach herrlich sein, die Schere und den Kamm verstauben zu lassen. Keine Büroarbeit, die erledigt werden will. Kein Telefon, das klingelt, nichts und niemand, der nach mir fragt. Du bist verrückt, meldet sich eine Stimme aus dem Hinterhalt, komm auf die Erde zurück. Ist doch alles gut, wie es ist. Ein freudvolles Haus mit vier fast erwachsenen Kindern, deine Familie Tell. Ein eigenes Geschäft, seit vielen Jahren blüht es. Zehn eigenständige Mitarbeiterinnen. Zufriedene KundInnen und ein Club lässiger Freundinnen. Vergiss es, morgen ist alles erloschen, was jetzt in deinem Kopf aufflackert. Ganz ehrlich, dir macht doch dein Umfeld riesigen Spaß.

Als ich nach erledigter Arbeit nach Hause komme, ist Tom nicht da, er hat seine Schwester vergessen. So frage ich Wörter ab. Papillon hat den Stoff bereitgelegt, ich lege das Schnittmuster darüber und schneide die Bahnen zurecht.

Endlich finde ich Zeit für Gita. Meine erste Frage an sie ist. „Wo liegt Costa Rica?“ Sie schaut mich mit großen Augen an und sagt: „Wieso fragst du mich danach?“ „Einfach so.“ „Nein!“, schreit sie, „nicht einfach so, zuerst will ich wissen warum?“ „Es interessiert mich, wo dieses Land liegt, weil mir heute ein Kunde davon erzählt hat.“ „Warum weißt du, dass ich nächsten Winter dorthin fliege, um Spanisch zu lernen?“ „Wie, was, wo, ich weiß von nichts!“ Da sprudelt es aus mir heraus: „Das trifft sich ja gut, ich komme auch mit.“

„Du spinnst wohl, wie stellst du dir das vor?“

„Stell ich mir überhaupt nicht vor, das mache ich.“

„Was machst du?“

„Ich gehe nach Costa Rica und lerne Spanisch.“

„Dabei weißt du nicht einmal wo dieses Land liegt!“

„Genau erraten, deshalb habe ich dich ja gefragt, und nun erzähle mir bitte etwas über dieses Land.“ „Ja natürlich. Aber sag mal, wie kommst du auf dieselbe Idee wie ich?“ „Das kann ich dir nicht erklären. Heute Mittag hatte ich ein Gefühl, das mich in dieses Land zieht. Da du bereits einen Sprachaufenthalt geplant hast, würde ich gerne mitkommen.“

„Ach so, du machst Witze!“

„Ja, bis vor zwei Sekunden, jetzt gerade nicht mehr. Wie sieht ein Sprachaufenthalt in Costa Rica aus, und könntest du dir vorstel­len, dass ein Sprachbanause wie ich, eine Chance hätte, überhaupt eine Fremdsprache zu lernen?“

Gita kugelt sich vor Lachen und japst: „Du mit deinem Schulfranzösisch, kein Englisch und dem fabelhaften Schweizerdeutsch, das wird nicht leicht sein, Spanisch zu lernen. Und zudem, wozu brauchst du in deinem Geschäft Spanisch?“ „Falls mal eine Spanierin zu mir ins Geschäft kommt, kann ich mit ihr sprechen.“

„Nun mal ganz im Ernst!“ „Den habe ich nie gemocht, den Ernst“, unterbreche ich sie. „Ich liebe mehr den Humor.“ „Kann man mit dir überhaupt einen vernünftigen Satz reden?“ „Nein, nach Feierabend selten.“ Gitas Augen durchforschen mich, als suchte sie etwas. Im selben Moment sagt sie: „Eigentlich bin ich sehr müde, in letzter Zeit hatte ich sehr viele Turbulenzen und möchte mich hier ein wenig erholen. Hast du was dagegen, wenn ich jetzt schlafen gehe?“ „Nein, ich wüsste nur gerne, hast du deinen Sprachaufenthalt schon gebucht?“ „Nein, habe ich nicht, ich wollte eigentlich mit dir darüber diskutieren, wie du meine Idee findest, drei Monate nach Costa Rica zu gehen?“ „Meinen Segen hast du, liebe Gita und ich werde dich begleiten. Wenn ja, könnten wir morgen zusammen ins Reisebüro gehen. Dort finden wir bestimmt etwas Optimales für eine Frau im vorletzten Frühling und deren ‚älteste Tochter‘.“

„Du hast sie nicht alle. Du und drei Monate weg, danach steht hier die ganze Welt auf dem Kopf.“ „Na und, drehen wir sie wieder auf die Füße, wenn wir zurückkommen.“

„Mir dreht sich schon alles im Kopf, wenn ich daran denke, du würdest wirklich…“

„Dann lass es drehen, ich habe mich gerade entschlossen, es zu tun.“

„Ehrlich, ich gehe jetzt ins Bett.“ „Dann gute Nacht! Sag, darf ich dich um zehn Uhr morgen wecken?“ „Warum so früh?“ „Damit wir zusammen in das Reisebüro gehen können.“ Sie tippt sich an die Schläfe „Von mir aus um neun. Gute Nacht.“

Mein Mann Franz kommt aus dem Fernsehzimmer und fragt: „Ist Gita schon schlafen gegangen?“ „Ja, sie war sehr müde.“ „Ich gehe auch zu Bett, kommst du mit?“ „Nein, ich genieße noch ein wenig die Stille im Haus.

Wie wird es hier sein, wenn ich weg bin? Ich fühle mich befreit von jeglicher Fessel. Es ist zu witzig, aber gut, kurz der Schock, lang die Freude und zudem ist niemand unersetzlich, auch nicht eine Frau, Mutter und Chefin.

Da ziehen ein paar Bilder vorbei. Frau Meier ist beim Decken streichen von der Leiter gefallen und fabrizierte einen komplizierten Beinbruch. Drei Monate weg vom Fenster. Trotzdem ist keiner verhungert. Frau Müller trägt seit Wochen den rechten Arm in Gips und ihre Familie tut alles, was sie nicht mehr selbst erledigen kann. Dabei zeigen sich keine Probleme. Was Hunger, Durst und sonstige Dinge angeht: Die Kinder sind selbständig und zudem haben sie auch einen Vater.

Im Geschäft wird mein Team von allen Seiten gelobt, die schaffen es auch drei Monate alleine. Es gibt nichts, was dagegen spricht.

Meine Freundinnen, die halten auch ohne mich durch. ¡Adios Amigas! – Ich bin schon unterwegs.

Ein einziges Wort

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